Samstag, 31. Januar 2015
Friedensstadt Augsburg?
IMI-Analyse 2015/002
von: Thomas Gruber | Veröffentlicht am: 27. Januar 2015
Augsburg ist die Stadt mit den meisten gesetzlichen Feiertagen Deutschlands. Grund dafür ist das Augsburger Hohe Friedensfest, das in der drittgrößten Stadt Bayerns jedes Jahr am 8. August begangen wird und an das Ende des dreißigjährigen Krieges mit dem Westfälischen Frieden im Jahre 1648 erinnert. Einmal jährlich gibt sich die Stadt selbst den Titel „Friedensstadt” und genießt zwischen namhaften Rüstungsunternehmen wie MT Aerospace, Renk und Premium Aerotec einen freien Augusttag.
Mittags lädt die Stadt alle Bürger_innen zum gemeinsamen Essen an der „Friedenstafel” ein, an der alle Augsburger Krichen und Religionsgemeinschaften ein Grußwort sprechen dürfen. Dabei beschränken sich die Feierlichkeiten der Augsburger Bürger_innen zum Friedensfest allerdings keinesfalls nur auf eine moderne Ökumene sondern setzen sich inhaltlich auch immer wieder mit Themen wie der Militarisierung der Gesellschaft, aktuellen Kriegseinsätzen und der europäischen Flüchtlingspolitik auseinander. Umso unpassender scheinen neben der für einen Tag ruhenden Rüstungsmaschinerie die jährlichen Plädoyers des Oberbürgermeisters auf gelebten Frieden und Interkulturalität.
Rüstung in Augsburg
Rüstungsproduktion hat in Augsburg eine lange Geschichte. Vor allem während des Zweiten Weltkriegs wuchs die Bedeutung des Rüstungsstandortes Augsburg in den Bereichen des Fahrzeug- und Flugzeugbaus. Dabei spielten hauptsächlich die MAN und die Messerschmitt AG eine zentrale Rolle für die Herstellung von Kriegsgerät für das Nazi-Regime. Neben einigen Außenlagern des Konzentrationslagers Dachau war auch ein konzerneigenes KZ mit etwa 2700 Zwangsarbeiter_innen an die Messerschmittwerke angegliedert.[1] Die Dichte und Bedeutung der Rüstungsunternehmen in Augsburg lenkte mehr als zehn Bombardements – darunter zwei Großangriffe – der Alliierten auf die Stadt, deren historischer Kern fast vollständig zerstört wurde.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war die konjunkturelle Entwicklung der Region Augsburg fast ausschließlich durch das produzierende Gewerbe bestimmt. Mit dem langsamen Aussterben der Textilindustrie in Deutschland blieben der Stadt vorwiegend die Großunternehmen aus dem Maschinen-, Flugzeug- und Fahrzeugbau erhalten – ein Großteil davon leistet weiterhin einen erheblichen Beitrag zur deutschen Rüstungsproduktion.
Einige Beispiele konkreter Rüstungsprojekte in Augsburg:
Bei Premium Aerotec werden Teile des Eurofighter Typhoon gefertigt, welcher 2011 für britische Kampfeinsätze in Lybien verwendet wurde. Der Typhoon wird außerdem massiv exportiert, unter anderem an Saudi-Arabien und den Oman.
Die Augsburger Renk AG produziert das Getriebe für den Israelischen Kampfpanzer Merkava, der als eines der Kernstücke israelischer Bodenoffensiven gilt.[2]
Das Unternehmen MT Aerospace produziert unter anderem Komponenten für verschiedene militärische Raketen.
Beziehungen zur Universität
Ebenso traditionell wie die Produktion von Kriegsgerät scheint die Mitarbeit von Studierenden der umliegenden Hochschulen als Werkstudierende und Praktikant_innen in der Augsburger Rüstungsbranche. Diese Entwicklung soll in Zukunft auch von Seiten der Stadt und des Freistaates Bayern gefördert werden. In unmittelbarer Nähe zum Gelände der Universität Augsburg entsteht derzeit der „Innovationspark”; ein Gelände von etwa 70 Hektar Fläche, das stückweise an namhafte Unternehmen veräußert werden und eine engere Zusammenarbeit der Augsburger Industrie mit den Hochschulen fördern soll.[3]
Das Unternehmenscluster, das den Innovationspark besiedeln soll, umfasst dabei zahlreiche Firmen mit rüstungsrelevanter Produktion und Forschung. So interessieren sich beispielsweise EADS (heute Airbus), Premium Aerotec und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt für einen Platz im Innovationspark.[4] Und auch die Leitung des Großprojekts lässt eine tiefe Verbundenheit zur europäischen Rüstungsindustrie erkennen: Geschäftsleiter des Innovationsparks ist Jano von Zitzewitz, langjährige Führungskraft des Rüstungskonzerns Eurocopter (heute Airbus Helicopters).[5] Für die Akquirierung von Unternehmenspartner_innen wird der Geschäftsleiter vom sogenannten „Kompetenzrat” unterstützt, in dem sich neben weiteren Rüstungsgrößen beispielsweise auch Manfred Hirt befindet, jahrelanger Vorstandsvorsitzender der Augsburger Renk AG, stellvertretender Vorsitzender des Förderkreiseses Deutsches Heer und im Jahr 2007 in Frankreich wegen illegaler Rüstungsgeschäfte zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.[6]
Universitärer Diskurs
Nach der Bekanntgabe der Pläne für einen solchen Innovationspark entstand unter den Augsburger Studierenden eine rege Diskussion über die zunehmende Militarisierung der deutschen Hochschulen. Es wurden Vorträge und Podiumsdiskussionen organisiert, welche sich mit den Möglichkeiten zur Einschränkung militärischer Forschung in Augsburg beschäftigten. Dabei kamen wichtige Entscheidungsträger_innen der Universität Augsburg zu Wort, die konkret über die Einführung und Formulierung einer Zivilklausel diskutierten. Auf studentischer Seite gipfelte der universitäre Diskurs schließlich in der Formulierung einer Zivilklausel für die Universität und einem posititven Quorum der studentischen Vollversammlung im Juni 2012 für eine solche.[7]
Die Bemühungen, einzelne Fakultätsräte zu verbindlichen Aussagen für eine Zivilklausel zu bewegen, blieben in den darauffolgenden Jahren erfolglos. Dennoch schlossen sich zahlreiche studentische Initiativen, Fachschaften und Studierendenräte der Forderung der Initiative Friedliche Uni Augsburg an, eine Zivilklausel in der Grundordnung der Universität Augsburg zu verankern.[8] Die Forderung, dass „Lehre, Forschung und Studium” an der Universität Augsburg „nur zivilen und friedlichen Zwecken dienen [dürfen]”, bleibt allerdings eine studentische. Die Tendenz, der Debatte von Seiten der Universitätsleitung aus dem Weg zu gehen, war schon früh erkennbar, inzwischen verwehren sich die universitären Entscheidungsträger_innen jedoch fast vollständig einem öffentlichen Diskurs über eine Zivilklausel.[9]
Auch Prof. Dr. Christoph Weller, Inhaber des Augsburger Lehrstuhls für Friedens- und Konfliktforschung, nimmt eine noch ungeklärte Rolle gegenüber einer Zivilklausel für die Universität Augsburg ein. Als Friedensforscher und Experte für eine kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Militarisierung der Gesellschaft wäre gerade seine Initiative wünschenswert. Stattdessen macht Weller mit seinen Studierenden jährlich Exkursionen zum Deutschen Bundestag und dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr, um ihnen wichtige Kontakte für das Studium und den späteren Berufseinstieg zu vermitteln.[10] Auf seine Einladung hin besuchte schon Wolfgang Ischinger, der Leiter der „Münchner Sicherheitskonferenz”, die Universität Augsburg für einen Gastvortrag.
Auf der Suche nach Motiven für die erkennbar ablehnende Haltung der Universitätsleitung gegenüber einer Zivilklausel scheinen finanzielle Aspekte eine zentrale Rolle zu spielen. Abgesehen von den potentiellen Unternehmenspartner_innen, die sich im Innovationspark ansiedeln sollen, lässt sich über die finanziellen Zuwendungen des Freistaates und der Stadt gegenüber der Universität bei einem für die regionale Wirtschaft so wichtigen Projekt nur mutmaßen. Von Universitätsseite scheint es jedenfalls im Moment wichtiger den Augsburger Großunternehmen zuzuarbeiten als der Demilitarisierung der deutschen Forschungslandschaft.
Umorientierung der antimilitaristischen Arbeit
Die ablehnende und abwartende Haltung der Universitätsleitung gegenüber den studentischen Bedenken verhindert derzeit jeden verbindlichen Schritt gegen militärrelevante Forschung in Augsburg. Die Arbeit der dortigen Friedensinitiativen verlagert sich deshalb größtenteils auf zwei Schwerpunkte. Auf universitärer Ebene soll eine möglichst breite bayern- und deutschlandweite Vernetzung stattfinden, welche Studierenden und Aktivist_innen anderer Universitäten den Zugang zum in Augsburg bereits geführten Diskurs ermöglicht. Außerdem wird in der Stadt eine breitere Öffentlichkeit mobilisiert. Informationsveranstaltungen zur Zivilklausel finden unter starkem Andrang im evangelischen Zentrum, dem autonomen Zentrum und an der Universität statt. Den Augsburger Bürger_innen wird so die kritische Auseinandersetzung mit der Rüstungsproduktion in der Region näher gebracht und Lösungsansätze der Problematik werden diskutiert.
Gerade für die friedliche Ausrichtung des Innovationsparks wäre nämlich auch eine Lösung von Seiten der Augsburger Öffentlichkeit denkbar. Als Projekt der Stadt Augsburg könnte der Stadtrat eine Zivilklausel für den Innovationspark vorschreiben. Ein diesbezüglicher Vorstoß der Grünen-Fraktion[11] wurde im Wirtschaftsausschuss des Stadtrates bereits diskutiert und zurückgestellt. Die Vertreter von SPD, Grünen und den Freien Wählern konnten die Ablehnung der Zivilklausel durch CSU, CSM und Pro Augsburg mittels eines Patts in der Abstimmung verhindern.[12]
Und wieder lassen sich starke Parallelen zur Problematik an der Universität erkennen: Die Bürger_innen äußern intensive Kritik an der militärischen Orientierung der Augsburger Unternehmen, doch der CSU-dominierte Stadtrat weigert sich, diese Bedenken ernst zu nehmen. Zu groß scheint die wirtschaftliche Bedeutung und zu unwichtig diesbezügliche ethische Vorbehalte gegenüber der Rüstungsproduktion im Großraum Augsburg zu sein.
Eine breite öffentliche Diskussion, die Druck auf die politischen Entscheidungsträger_innen ausübt, bleibt wohl auch in Augsburg das langfristig wirksamste Mittel gegen die Militarisierungsprozesse in der Stadt. Die Bürger_innen können dabei auf ein aktives Netzwerk aus linken Bündnissen und städtischen Friedensintiativen wie der Augsburger Friedensinitiative[13], dem Forum solidarisches und friedliches Augsburg[14] oder der Initiative Friedliche Uni Augsburg[15] zurückgreifen.
Anmerkungen
[1] Die Firma Premium Aerotec ist nach einigen Fusionen aus der Messerschmitt AG hervorgegangen.
[2] Forum solidarisches und friedliches Augsburg: „Mahnwache gegen den Krieg im Nahen Osten”.
[3] Augsburger Allgemeine am 1.2.2013: „Innovationspark in Augsburg – ein Leuchtturmprojekt”.
[4] Forum solidarisches und friedliches Augsburg: „Man sage besser Rüstungspark”.
[5] Innovationspark Augsburg: „Leiter Augsburg Innovationspark Jano von Zitzewitz stellt sich vor”.
[6] Die Augsburger Zeitung am 23.11.2014: „Friedensstadt und Rüstungsforschung – ein Widerspruch?”.
[7] Augsburger Algemeine am 26.6.2012: „Studentenvotum für ‚Zivilklausel‘”.
[8] Initiative Friedliche Uni Augsburg: „Solidaritätsbekundungen”.
[9] Augsburger Allgemeine am 27.10.2014: „Debatte nicht aussitzen”.
[10] Junge Welt am 8.1.2015: „Friedliche Kriegshilfe”.
[11] Grüne Augsburg: „Zivilklausel für Innovationspark”.
[12] Forum solidarisches und friedliches Augsburg: „Die Grünen beantragen eine Zivilklausel im Stadtrat”.
[13] www.augsburger-friedensinitiative.de/
[14] www.forumaugsburg.de/
[15] http://friedliche-uni-augsburg.blogspot.de/
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