Samstag, 31. Januar 2015
Bausteine einer dialektischen Sprachphilosophie im Anschluss an Hans Heinz Holz
Von Hannes A. Fellner, Harvard University.
Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort!
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Dass deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft !
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat !
Goethes’ Faust die Bibel übertragend bei der Erörterung der Bedeutung von Gr. logos. Faust I, 3. Szene, Studierzimmer, Vers 1224-1237.
Versteht sich eine auf der Höhe der Zeit befindliche dialektisch-materialistische Philosophie als „Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs“1 bedarf sie einer auf ihren Grundlagen ausgearbeiteten philosophischen Theorie der Sprache. Diese ist bis heute, obgleich sich nicht wenige Vertreter einer materialistischen Dialektik unter verschiedenen Gesichtspunkten direkt oder indirekt mit Sprache auseinandergesetzt haben,2 ein Desiderat geblieben.3 Die folgende Skizze versucht im Anschluss an und direktem Bezug auf Arbeiten von Hans Heinz Holz aufzuzeigen, welche Bausteine zu einer Grundlegung einer dialektisch-materialistische Sprachphilosophie notwendig sind.4
Im Anfang war…
Sprache ist neben Arbeit und Gesellschaftlichkeit eine der differentiae specificae, welche den Menschen als Gattung(swesen) entscheidend selbst gegenüber seinen nächsten Verwandten im Tierreich unterscheidet. Mit den natürlichen körperlichen Voraussetzungen (aufrechter Gang, Freisetzung der Hand, Frontalität des Gesichts, Vergrößerung des Gehirns usw.) gehen in die Menschwerdung die mit ihnen in Wechselwirkung befindlichen instinktiven Vorformen von Sprache (tierische Kommunikation),5 Arbeit (spontaner sporadischer Werkzeuggebrauch) und Gesellschaftlichkeit (tierische Geselligkeit) als konstitutive Elemente ein. Menschliche Sprache, Arbeit und Gesellschaftlichkeit entstehen und verschränken sich so miteinander im Prozess der Herstellung des besonderen Reflexionsverhältnis von Subjekt und Objekt, das von der gegenständlichen Tätigkeit bestimmt wird. Damit bilden Arbeit6 und Sprache einen unauflösbaren Zusammenhang.7
Gegenständliche Tätigkeit
Das sich in der Arbeit realisierende Verhältnis Mensch-Natur, Subjekt-Objekt ist ein doppeltes Reflexionsverhältnis, in welchem das Subjekt als solches konstituiert wird. Nicht nur wirkt der Mensch auf die außer ihm seienden Naturgegenstände ein und diese auf ihn zurück, sondern diese wechselseitige Relation wird ihrerseits Gegenstand einer wechselseitigen Relation. „Zwischen Subjekt und Objekt gibt es nicht einfach eine wechselseitige Widerspiegelung; vielmehr muss, damit ein Subjekt zu einer Objekt-Setzung in Beziehung stehen kann, die doppelte Reflexion der wechselseitigen Subjekt-Objekt-Widerspiegelung noch einmal so gebrochen werden, dass das Subjekt dieses Spiegelbild auffassen kann. Das aber geschieht durch Hinzutreten eines zweiten Subjekts, das die Beziehung des ersten Subjekts zum Objekt selber wieder zum Objekt hat und dies dem ersten Subjekt kenntlich macht, mitteilt.“8 In der gegenständlichen Tätigkeit
des Menschen werden Subjekt und Objekt so zu einer Einheit zusammengeschlossen und gleichzeitig einander entgegengesetzt.
„Exzentrische Positionalität“9
Das sich aus der gegenständlichen Tätigkeit ergebende „Sich-Abheben“ des Menschen von seiner Natur-Basis und sein Sich-ihr-Entgegensetzen ist Bedingung und Ergebnis seiner eigenen Heraus-Arbeitung aus dem Tierreich. Damit vollzieht sich der Übergang zur „exzentrische Positionalität“ des Menschen.
Der materielle Ausdruck der „exzentrischen Positionalität“ ist die Tatsache, dass der Mensch sich in Produkten seiner Tätigkeit vergegenständlicht, der damit verschränkte ideelle Ausdruck der „exzentrische Positionalität“ ist die Vergegenständlichung seiner Tätigkeit und ihrer Produkte, seines Subjekt-Objekt-Verhältnisses selbst als Bewusstsein und Sprache. Sprache selbst hat hier eine zweifache Funktion und ihrerseits einen doppelten Reflexionscharakter, in der Kommunikation als Spiegel des sich in der Arbeit vollziehenden Subjekt-Objekt-Verhältnisses, in der Intensionalität als Reflexion der Reflexion. Darum heißt es bei Marx und Engels: „Die Sprache ist so alt wie das Bewusstsein – die Sprache ist das praktische, auch für andere Menschen existierende, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewusstsein.”10
Theorie und Praxis
In der kooperativen sinnlich gegenständlichen Tätigkeit erfährt der Mensch den Naturgegenstand und sich selbst als Naturwesen, in der gemeinschaftlichen Kommunikation erfährt der Mensch sein Tun und sich selbst gleichzeitig als Gattungswesen. Empirisches und theoretisches Wissen werden so dialektisch verschränkt. Demgemäß konstituiert sich Theorie als Bestandteil der Praxis vermittelt durch und als Sprache (und geht selbst wieder vermittelt durch und als Sprache in die Praxis ein). Sprache ist daher jenes Medium, in welchem der Selbstunterschied von Denken und Sein, Allgemeinem und Einzelnem, Theorie und Praxis, Sprechen und Handeln für den Menschen erscheint, sich ausdrückt und „gegenständlich“ wird.
Hans Heinz Holz hat in Anschluss an Josef König die logische Verfassung von theoretischer Abbildung und praktischem Verhalten herausgearbeitet: „In einer Situation stehend, bin ich ganz und gar in deren Singularität einbezogen und jedes Moment dieser Situation hat eine je singuläre Bedeutung für mich; und das trifft für jeden anderen in dieser selben Situation sich befindenden Menschen genauso einzeln und völlig unabhängig von mir zu. Die Situation ist, mit wem auch immer ich sie teilen mag, in logischer Reinheit je meine. Es ist gesamthaft diese bestimmte Situation in der ich auch das eine oder andere Moment als ein einzelnes bestimmtes Dieses-da herausheben und auffassen kann. Ein so Aufgefasstes kann ich einem anderen, der sich mit mir in derselben Situation befindet demonstrativ mitteilen. (…) Diese Mitteilung bezieht sich ausschließlich auf das praktische Verhalten in diesem einen Augenblick. Indem ich jedoch den praktischen, auf ein augenblickliches Verhalten abzielenden Satz ausspreche, gewinnt der Satz zugleich einen theoretischen Sinn. (…) Diesen Umschlag benennend, unterscheidet König terminologisch ein praktisches und ein theoretisches Dieses. Der Springende Punkt ist jedoch, dass es sich faktisch nicht um zwei verschiedene Pronomina handelt, sondern dass im Aussprechen des Singulären dieses sich als Allgemeines darstellt. (…) Die Generalisierung aber enthält eine von der praktischen Situation hic et nunc abgehobene theoretische Geltung, und diese wird nicht durch die Einstellungsänderung des Sprechenden gewonnen, sondern ist in einem mit der praktischen Intention da.“11
Der Übergang vom „praktischen“ zum „theoretischen“ Dieses ist auch im Arbeitsmittel (Werkzeug) vergegenständlicht. Im Arbeitsmittel spiegelt sich die dialektische Relation zwischen Subjekt und Objekt. Vom Subjekt her gesehen ist das Arbeitsmittel ein äußerer Gegenstand, während es vom Objekt her gesehen Teil des Subjekts ist. Das Arbeitsmittel spiegelt gleichzeitig die Intention des Subjekts als besonderen Zweck12 und die objektive Beschaffenheit des zu bearbeitenden Gegenstandes.13 Das Arbeitsmittel ist in seiner praktischen Verwendung immer auf den bestimmten Zweck hier und jetzt bezogen. Es kann aber als Verwendbares aus dem Hier und Jetzt abgehoben werden und allgemein auf Zwecke dieser Art von jedem anderen angewendet werden. Die Korrelation von Sprache und Arbeitsmittel ist keine zufällige, sondern weist auf deren dialektische Beziehung und Verschränkung in der gegenständlichen Tätigkeit hin.14
Bedeutung und Wort
„Diese doppelte Reflexivität der gegenständlichen Tätigkeit besteht darin, dass das Subjekt die materielle Verfasstheit der äußeren Welt in seinen Zwecken reflektiert (sonst würde seinem Wollen jede Erfolgschance abgehen), und das umgekehrt die äußere Welt in den Veränderungen, die sie durch die eingreifende Tätigkeit der Subjekte erleidet, deren Zwecke reflektiert. Die Arbeit ist der reale, praktische Prozess dieser Vermittlung; die sich als Sprache vollziehende Konstitution von Bedeutungen ist deren gedankliches, theoretisches Äquivalent. Die Bedeutungen manifestieren sich in Wörtern und Sätzen als ihren Trägern, im Wort verkörpert sich sozusagen die Bedeutung.“15
Dadurch wird evident: „Die Mitteilung von Wörtern (Begriffen, Gedanken) als Zeichen für oder Abbildungen von Sachverhalten und die im Mitteilungsprozess entspringenden theoretischen Verallgemeinerungen stehen in der Praxis nicht getrennt von ihr gegenüber, sondern sind selber ein Moment der Praxis.“16 Doch ergibt sich eben aus der Praxis und Kommunikation gerade erst die Möglichkeit die theoretische Seite der Tätigkeit von dieser abzuheben und als Gedanke, Wort, Begriff etc., also in Form Theorie in der sich die Gegenstände ideell vergegenständlichen, zu verselbständigen.
Abgelöst vom Eindruck, der in bestimmten Situation des Hier und Jetzt für das Subjekt erscheint, wird der Gegenstand (und/oder das Gegenstandsverhältnis) in der Kommunikation mit anderen Subjekten ausgesprochen und benannt und so für andere Subjekte wiederhol- und nachvollziehbar. Damit wird Allgemeines wahrgenommen. „Wenn ein Gegenstand benannt wird, kann er mit diesem Namen immer wieder benannt und gemeint werden, er erweist sich als Gegenstand solcher Art, er ist Exemplar einer Gattung von Gegenständen, so wie der Eindruck von ihm ein Exemplar einer Gattung von Eindrücken.“17 Oder wie Lenin formulierte: „Die Sinne zeigen die Realität. Denken und Wort das Allgemeine.“18
Wort und Gedanke
Erst durch die Vergegenständlichung als Wort in der und durch die Kommunikation erweist sich ein singulärer sinnlicher Eindruck als Allgemeinheit, die dadurch für das Subjekt selbst erst als von der bloßen Vorstellung verschiedener Gedanke wirkt. Das bedeutet: „Wort und Gedanke – oder verallgemeinert Sprache und Denken – sind zwei Aspekte ein und desselben, ja sie sind geradezu dasselbe, insofern sie nicht voneinander zu trennen sind. Der Gedanke hat immer die Form des Wortes, das Wort immer den Inhalt des Gedankens. Ja selbst diese Trennung in Form und Inhalt ist noch irreführend, denn der Gedanke ist selbst schon immer geformt, und das heißt sprachlich geformt; und das Wort hat immer einen Inhalt, eine Bedeutung, durch die ein Weltgehalt, eine Weltbeziehung angezeigt wird. Letzten Endes ist das Wort der Gedanke, ist die Sprache das Denken.“19
Gedanke und Begriff
„Indem das Vorgestellte gedacht wird, bleibt es nicht in formaler Allgemeinheit und relativer Leere bestehen, sondern nimmt seine Bedingungen und Beziehungen auf und wird zum Begriff der allseitig mit der Welt vermittelten Sache. Das Wort in seiner scheinbaren Limitiertheit auf einen punktuellen, singulären Sinn verweist auf die Bedeutungszusammenhänge, in denen die so benannte Sache steht und bekommt seinen Gehalt erst im Fortgang der Rede, im Satz. Schon als einzelnes Wort besteht es nicht nur als Kern einer Bedeutung, sondern ist bereits im Ganzen des syntaktischen Zusammenhangs dialektisch, also im dreifachen Sinne, aufgehoben. Das Wesen der Sprache ist nicht in einer atomistischen Lexikalik zu sehen, sondern in der syntaktischen Vernetzung der Lexeme und ihrer formalen Gliederung durch grammatische und stilistische Merkmale.“20
Durch die im syntaktischen Zusammenhang erzeugte Relationalität wird wieder Sinn und Bedeutung gesetzt und iteriert. Satz und Rede erweisen sich hier in gewisser Weise als ideelles Äquivalent des Zusammenhangs und der Relationalität der Gegenstände (materiellen Verhältnisse) in der Praxis. „Der Begriff, der sich im Satz als inhaltsvolles Substrat, als „Subjekt“ des Satzes darstellt, lässt sich in immer neuen Aussagen (Prädikationen) immer reicher entfalten, ergänzen, bestimmen.“21
Dadurch aber, dass Sprache und Denken als Theorie eben von der Praxis abhebbar sind, erlaubt die Rekombinierbarkeit von als Begriffe festgehaltenen Vergegenständlichungen (von Gegenständen und/oder Gegenstandsrelationen) in Denken und Sprache nicht nur die Darstellung und Vorwegnahme von Ergebnissen der Praxis, sondern die Erschließung von latenten Möglichkeiten und neuen Zusammenhängen, die ihrerseits dann mit der Praxis verschränkt und rückgekoppelt zu weiterer Iteration von Sinn und Bedeutung führen. In diesem Sinne ist Sprache eine, wie Humboldt es nannte „energeia“, ein aktive Kraft, ein Erkenntnisinstrument, das die Wirklichkeit erschließt und in gewisser (nicht-idealistischer!) Weise (in der Rückkoppelung mit der Praxis) neue Wirklichkeiten schafft.
Begriff und Welt
„Die Sprache ist fähig, sich ständig in Richtung auf eine immer nur approximativ erreichbare Totalität zu erweitern. Durch Bedeutungsiteration wird sozusagen die Totalität selbst erweitert, indem sie aus dem Repertoire alles möglichen immer wieder latente Möglichkeiten heraushebt und als reale Möglichkeiten zum Bestandteil der erfahrenen Wirklichkeit macht. (…) Diese Welt des Begriffs, deren Bewegung Hegel in ihrer inneren Dynamik nachvollzieht, ist in Ansehen des Inhalts des Begriffs die äußere reale Welt, die sich in Sprache spiegelt. Denn die Entwicklung des Begriffs ist nicht die Entwicklung des Gedankens aus sich selbst, sondern das werden der Sache, das von der Sprache abgebildet wird. Wenn am Ende dieses Prozesses das Für-sich-sein steht, so heißt das nichts anderes, als dass das im Begriff repräsentierte Seiende zu dem wird, was es ist, indem es sich in seiner Beziehung zu anderen Seienden reflektiert und damit auf sich selbst zurückführt, zu sich selbst gebracht wird. Das einfache Da-sein, das im Namen der Sache, im lexikalischen Gehalt des Wortes bezeichnet ist, wird in diesem Vorgang seiner begrifflichen Selbstdarstellung zum Gesetzsein durch die Anderen und damit zum Moment von Welt. Das heißt, es wird in seiner Relationalität erkennbar.“22
Als unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens der Individuen der Gesellschaft sowie als kollektiv-gesellschaftliches Kommunikations-, Reflexions- und Erkenntnismedium in allen menschlichen Zusammenhängen (von den Produktionsverhältnissen bis zu Philosophie und Ästhektik) ist die Sprache in ihrer Gesamtheit Ausdruck des point de vue des Menschen auf die Welt. Diese Weltperspektive ist für eine bestimmte Sprechergemeinschaft zu einer bestimmten Zeit in ihrer mehrfach gebrochenen Wechselwirkung zu den Produktionsverhältnissen, auf ihr aufruhenden Gesellschaftsformationen und mit ihnen verschränkten Instanzen des Überbaus konkret-historisch verbunden.23 Es gilt festzuhalten, dass Sprache und die in ihr angelegte Weltperspektive sich hier als relativ konstant gegenüber sozioökonomischen Wandel erweist, ein Umstand der zweifelsohne mit ihrer dem Basis-Überbau-Verhältnis vorgeordneten, durchdringenden und übergreifenden Status zu tun hat. Dennoch, in unterschiedlichen Sprachen drücken sich unterschiedliche Weltperspektiven aus, die in einem komplexen Verhältnis der Wechselwirkung mit den sozioökonomischen Verhältnissen und dem Sprachsystem (sowie deren historischen Wandel stehen).
„Fixiert als Wort und ausgesprochen in Satzzusammenhängen ist der Gedanke Teil eines Systems, das der Denkende und Sprechende nicht selbst entwirft, sondern in das er hineinwächst – das System der bestimmten Sprache von jeweils systemischer Besonderheit. Die Besonderheit hat einen semantischen Aspekt: Jedes Wort hat, wie wir gesagt haben, einen relativ konstanten Bedeutungskern und einen variablen Bedeutungshof, und diese Bedeutungssphäre ist bei sich gegenständlich entsprechenden Wörtern in verschiedenen Sprachen nicht deckungsgleich. Die Besonderheit hat aber auch einen syntaktischen Aspekt: Die Verknüpfungsregeln, durch die die Bedeutungen zum Sinnganzen einer Aussage mit Abhängigkeiten der Glieder voneinander verschmolzen werden, sind in jeder Sprache andere, und die Sprachgruppen unterscheiden sich grundsätzlich in der Rekonstruktion von Welt im Symbolsystem der Sprache.“24
Die durch diese Unterschiedlichkeit (und ihre Überwindung in der Übersetzbar- und Transponierbarkeit) durchscheinende Universalität von Sprach- und Denkformen ist die Universalität des menschlichen Weltverhältnisses, das sich in Sprache als, wie es Hans Heinz Holz formulierte, „naturwüchsiges“ System der universellen Darstellung der Welt im Ganzen ausdrückt.
Ausblick
Die hier im Anschluss an Hans Heinz Holz präsentierten Bausteine einer philosophischen Theorie der Sprache auf dialektisch-materialistischer Grundlage bedürfen selbstverständlich weiterer Ausarbeitung, Verfeinerung und Präzisierung. Die Basis für eine Grundlegung einer solcher Theorie findet sich im Werk von Hans Heinz Holz zusammen mit vielen notwendigen systematischen und methodologischen Werk- und Denkzeugen.
Eine philosophische Theorie der Sprache wird die neuesten Erkenntnisse der von mit Sprache beschäftigten Einzelwissenschaften in ihre philosophische Perspektive integrieren und ihren Zusammenhängen darstellen müssen.
Einige der hier dargelegten Bausteine einer solchen Theorie haben noch offene Fragen, die es in gegenseitige Befruchtung mit den erwähnten Einzelwissenschaften, zu reflektieren gilt: Welche Teile der Sprachfähigkeit des Menschen sind biologisches Erbe? Welche Teile des Sprachsystems sind universal? Hier kann universal zweierlei Bedeuten, nämlich biologisches Erbe und als „materiale Aprioris“ aus der Universalität des menschlichen Weltverhältnisses entspringend.25 Damit verbunden ist die generelle Frage nach dem Status sprachlicher Universalien und sprachlicher (grammatikalischer) Kategorien und ihrem Zusammenhang mit Kategorien des Denkens;26 und schließlich der Komplex Sprache und Kognition. Die Betrachtung des Sprachwandels in seiner Wechselwirkung von Sprachsystem, Gesellschaftsformation und point de vue einer Sprechergemeinschaft muss ebenfalls eingehender untersucht werden.
Noch fehlende und/oder weiter auszuarbeitende Bausteine einer philosophischen Theorie der Sprache sind: eine Theorie der sprachlichen Ästhetik (die wohl den Zusammenhang von Sprache und Musik wird beinhalten müssen); Sprache und ihre Denaturierung als Geschwätz, Leere und Lüge sowie damit verbunden Sprache als ideologische Form;27 auch wird keine dialektisch-materialistische Sprachphilosophie umhin kommen, eine kritische Auseinandersetzung mit anderen Sprachphilosophien zu führen.
Anmerkungen
1 Die Grundlagen für eine moderne dialektisch-materialistische Philosophie hat Hans Heinz Holz (1983, 2005, 2011) gelegt.
2 Stellvertretend, da in ihren Konzeptionen über von den Klassikern bereits Gesagtes und Angedeutetes hinausgehend und -weisend, seien Holz (1953) und Metscher (2010: 172-226) genannt.
3 Wie Metscher (2010: 172) richtig festhält steht die dialektisch-materialistische Philosophie damit „in einem wenig reflektierten Gegensatz zu den Hauptlinien der modernen bürgerlichen Philosophie, in der die Frage nach der Sprache, wie unterschiedlich im Einzelnen gestellt und gelöst wird, eine Hauptfrage ist.“
4 Die Bezugnahme auf Holz ergibt sich aus der Tatsache, dass Holz mit seinem Lebenswerk gleichsam als spiritus rector der modernen dialektisch-materialistischen Philosophie gelten darf und darüber hinaus für ihn Sprache als Gegenstand der Philosophie seit Anbeginn seiner wissenschaftlichen Tätigkeit einen nicht unbedeutenden Platz in seinem Denken einnahm.
5 Kommunikationssysteme aller bekannten Tierarten basieren auf äußerst begrenzten, unveränderbaren, nicht-rekombinierbaren, durch Reflexe vermittelte Mitteilungen, die ausschließlich auf das Hier und Jetzt einer bestimmten Situation bezogen und nicht von ihr unabhängig anwendbar sind; cf. Hauser (1996).
6 „Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur. (…) Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht dass er eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weises seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muss.” MEW 23: 192f.
7 „Ich möchte darauf insistieren, dass dieser Aspekt, dessen Untersuchung seither wieder vernachlässigt wurde, in einer marxistischen Dialektik nicht ausgeblendet werden darf.” (2005: 374f. Fn. 37); cf. auch Holz (1953: 30ff.).
8 Holz (2005: 583f.).
9 Cf. Plessner (1975).
10 MEW 3: 30. Cf. Holz (2005: 395f.): „Wir sehen also, dass Reflexion ein Setzen von ‚Sinn’ ist. (…) Mit Setzen von Sinn ist ein materieller gegenständlicher Akt gemeint, durch den der von einem apperzipierenden Wesen zu verstehende Ausdruck einer materiell wirklichen Beziehung erzeugt wird. (…) Ist der Akt der (materiellen) doppelten Reflexion das Setzen einer geordneten Beziehung zwischen den Gliedern der Reflexion (…), so erscheint diese Beziehung als Sinn und der Akt als Setzen von Sinn. Nun ist das Setzen von Sinn selbst auch eine Sinn-Beziehung, und es ist also möglich, das Setzen von Sinn (Reflexion) seinerseits zum Inhalt eines Setzungsaktes zu machen; der Sinn der Reflexion zeigt sich in der Reflexion der Reflexion. Dies bedeutet, dass das reflektierende Wesen in Beziehung sich selbst tritt, sich selbst gegenständlich wird, das heißt den Sinn seines Seins sich gegenständlich macht. Der Sinn des ‚gegenständlichen Wesens’, die doppelte Reflexionsbeziehung mit dem Gegenstand, wird selber gegenständlich, indem dafür ein Zeichen vergegenständlicht gesetzt und damit der Sinn des Sinns konstituiert wird. Der Zusammenhang von Sprache und Reflexion der Reflexion wird in dieser Beschreibung des Sachverhalts deutlich. (…) Im Setzen einer Sinn-Beziehung, also meines sinnvollen Verhältnisses zum Gegenstand, dann weiter im Setzen des Sinns von Sinn entspringt das Zweckverhältnis.“
11 Holz (2005: 375f.).
12 “Im Begriff des Zwecks ist eingeschlossen, dass er bewusst als Glied eines zeitlichen und modalen Verhältnisses erkannt wird; die Verwirklichung des Zwecks liegt in der Zukunft, sie ist möglich. Die Setzung eines Zwecks geschieht aus jenem Abstand, den wir als Reflexion des unmittelbaren Verhältnisses zum Objekt, als die Reflexion der Reflexion, gekennzeichnet haben. In der Zweckhaftigkeit des Tuns erweist sich das Subjekt als solches, nämlich selbstbewußt. Keinesfalls kann sich das Subjekt über das Arbeitsmittel konstituieren, dessen Herstellung ja schon ein zwecksetzendes Subjekt voraussetzt.” (Holz 2005: 387)
13 „[E]s spiegelt sich also in der vom Arbeitsmittel repräsentierten Subjekt-Objekt-Relation nicht mehr nur jeweils das eine Glied der Beziehung im anderen, sondern die Beziehung als ganzes in dem Vehikel der Beziehung.
So scheint das Arbeitsmittel ein Modell zu sein, in dem die dialektische Beziehung von Subjekt und Objekt gegenständlich wird, der Spiegel in dem das Subjekt-Objekt oder das gegenständliche Wesen des Menschen erscheint.“ (Holz 2005: 381)
14 In der Sprache als Kommunikations- und Reflexionsmedium drückt sich ebenso wie im Arbeitsmittel die Subjekt-Objekt-Relation des gemeinschaftlich arbeitenden und kommunizierenden Menschen aus.
In Bezug auf das Arbeitsmittel ist festzuhalten: „Was im Naturprozess der Anthropogenese die Hand bedeutet, ist nun im Werkzeug als einem Ding fixiert. Die Hand war ein Moment der Subjektivität, spontan beweglich, offen sich je dem singulären Zweck des Handels anpassend. Im Werkzeug ist der Zweck, dem es dient, ein allemal spezifiziert, der Anwendungsbereich ist beschränkt, und je weiter die technische Verfeinerung fortschreitet, um so enger wird dieser Bereich. In der Ablösung des Arbeitsmittels vom Subjektleib vollzieht sich der Umschlag von der Singularität des individuellen Zwecks, dem die Hand dient, zur Allgemeinheit, die in der Benutzbarkeit des Werkzeugs durch jeden anderen für Zwecke derselben Art liegt.“ (Holz 2005: 398)
Doch gilt es mit Holz (2005: 374f. Fn. 37) darauf zu bestehen: „Ohne die Ausbildung von kommunizierbaren Zeichenkomplexen (Bedeutungen) wären die auf allgemeine Zwecke gerichteten wiederholbaren kollektiven Tätigkeiten und Modellierungen von wiederkehrenden, identifizierbaren Gegenstandsbeziehungen durch Werkzeuge nicht möglich.“ D.h. die Entstehung von Sprache und Bewusstsein sind logisch und historisch dem Arbeitsmittel vorgeordnet. „Für die logische und historische Genesis des Subjekts kann das Arbeitsmittel nicht in Anspruch genommen werden, wohl aber für die weitere Entwicklung des Gattungswesens. Der Entstehung des Selbstbewusstseins, das heißt des Bewusstseins von dem Naturverhältnis, in dem der Mensch steht, von der bestimmten Lage, in der er sich befindet, ist gewiss die Freisetzung der Hand als subjektives Mittel seiner gegenständlichen Tätigkeit und damit die Entdeckung der ‚vermittelten Unmittelbarkeit’ näher als die Zubereitung von Werkzeugen. Denn in der Betätigung der Hand erfährt der Mensch an seinem eigenen Körper die Möglichkeit, den Gegenstand zu verändern und nicht nur zu verzehren.“ (Holz 2005: 388; cf. auch Fn. 4 und 11)
In der nach Engels tief in der Naturgeschichte zu verankernden Anthropogenese findet die Freisetzung der Hand ihr Korrelat in der Freisetzung der (auch bei Tieren vorhandenen) Kommunikation als Entstehung der menschlichen Sprache in der gegenständlichen Tätigkeit.
15 Holz (2011: 290).
16 Holz (1982: 39).
17 “Und das gleiche gilt für das Subjekt selbst: Indem es sich zu Gegenständen verhält, die es von der Situation unterscheidet, in denen sie auftreten, verhält es sich zu sich selbst als unterschieden von der Situation, in der es steht; es gewinnt Bewusstsein von sich selbst als einem in verschiedenen Situationen für sich selbst wie für andere identischen Allgemeinen. Die Erkenntnis des Wesens einer Sache ist die Erkenntnis ihrer Gattungsbestimmungen.“ Holz (2005: 587f.)
18 LW 38: 261.
19 Holz (2011: 290).
20 Holz (2011: 291).
21 Holz (2011: 292).
22 Holz (2011: 292).
23 Dies schließt innere Differenzierung der Sprache einer bestimmten Sprechergemeinschaft nicht aus, sondern gerade ein wie Dialekte, Soziolekte etc. erweisen.
24 Holz (2011: 293).
25 Hierher gehört auch die Frage nach Rationalitätstypen. (Cf. Zeleny 1986)
26 Auch in diesem Bereich hat Hans Heinz Holz (1953: 59-124, 1994) Hervorragendes geleistet, das kritischer Aneignung bedarf. Dies gilt ebenso für die sich hier indirekt anknüpfende Frage nach dem Status von Metaphern (Holz 2005: 269-358 und Zimmer 2003).
27 Cf. Holz (1956), Metscher (2010: 204-207).
Literatur
Hauser, Marc. 1996. The evolution of communication. Cambridge, MA: MIT Press.
Holz, Hans Heinz. 1953. Sprache und Welt. Probleme der Sprachphilosophie. Frankfurt/M.: Schulte-Bulmke
-. 1956. “Sprache als Aufklärung und Verschleierung.” Ernst Niekisch (Hg.), Der Gesichtskreis. Joseph Drexel zum 60. Geburtstag. München: C. H. Beck Verlag, 186-212.
–. 1982. “Josef König und das Problem einer spekulativen Logik”. Hans Heinz Holz (Hg.), Formbestimmheiten von Sein und Denken – Aspekte einer dialektischen Logik bei Josef König. Köln: Pahl-Rugenstein, 13-40.
–. 1983. Dialektik und Widerspiegelung. Köln: Pahl Rugenstein
–. 1994. China im Kulturvergleich – ein Beitrag zur philosophischen Komparatistik. Köln,Dinter
–. 2003. Mensch – Natur. Bielefeld: Transcript
–. 2005. Weltentwurf und Reflexion. Versuch einer Grundlegung der Dialektik. Stuttgart-Weimar: Metzler
–. 2011. Aufhebung und Verwirklichung der Philosophie Bd. 3: Integrale der Praxis.
Aurora und die Eule der Minerva. Berlin: Aurora Verlag
Plessner, Helmuth (1975): Die Stufen des Organischen und der Mensch. Berlin/ New York: de Gruyter.
Metscher, Thomas. 2010. Logos und Wirklichkeit. Frankfurt am Main: Peter Lang.
Zeleny, Jindrich. 1986. Dialektik der Rationalität. Berlin-Köln: Pahl Rugenstein.
Zimmer, Jörg. 2003. Metapher. Bielefeld: Transcript.
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