Sonntag, 8. Dezember 2013
Offensive zur Militarisierung von Schulen und Universitäten
Die Bevölkerung auf Kriegskurs bringen
http://www.imi-online.de/2013/11/25/die-bevoelkerung-auf-kriegskurs-bringen/
Michael Schulze von Glaßer (25. November 2013)
Die Debatten um die Anwesenheit von Bundeswehr-Soldaten an Schulen und
die Militärforschung der deutschen Armee an Universitäten brodeln schon
seit Jahren. Besonders die seit 2008 unterzeichneten
Kooperationsvereinbarungen zwischen der Bundeswehr und den
Schulministerien von mittlerweile acht Bundesländern haben Kritiker
dieser fortschreitenden Militarisierung auf den Plan gerufen. An
Universitäten streiten Studierende mit so genannten "Zivilklauseln"
gegen den zunehmenden Einfluss des Militärs in den Bildungseinrichtungen.
Als Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) im April diesen
Jahres an der Berliner Humboldt-Universität zur "Armee der Einheit --
Der Beitrag der Bundeswehr zum gesellschaftlichen Zusammenhalt" einen
Vortrag halten wollte, wurde er von protestierenden Studenten so lange
unterbrochen bis er die Veranstaltung schließlich abbrach.[1] Letztlich
war es aber wohl die diesjährige Auszeichnung zweier Schulen, die sich
gegen Besuche von Soldaten verwehren, mit dem renommierten "Aachener
Friedenspreis", der für die Militärs und ihre Befürworter das Fass zum
überlaufen brachte.[2]
Militaristische Offensive
Seit die Kritik am Agieren der Bundeswehr zunimmt, wird Sturm gegen alle
gelaufen, die sich für friedliche Bildung und Forschung einsetzen. Waren
es vor einigen Monaten noch Kolumnisten, die aus eigenem Antrieb für das
Militär in die Bresche sprangen, kommen nun immer mehr Soldaten und
Politiker prominent und direkt zu Wort. Thomas de Maizière appelliert
aktuell im Online-Angebot der Tageszeitung Die Welt an den designierten
Koalitionspartner SPD, auch in den sozialdemokratisch regierten
Bundesländern weitere Kooperationsverträge zwischen Armee und
Schulministerien abzuschließen.[3] Auf die Schulen angesprochen, die
Soldaten den Zugang verwehren, sagte der Minister in dem gefilmtem
Interview: "[E]in offener Boykott, eine offene Ausladung ist nicht
hinzunehmen, und dafür brauchen wir öffentliche Unterstützung daß das
nicht stattfindet und die Koalitionsvereinbarung stellt das jetzt
sicher." Zum Vorfall an der Humboldt-Universität meinte de Maizière,
dass zu einer"Diskussionskultur an einer wissenschaftlichen Universität"
auch gehöre "sich ausreden" zu lassen sowie zuzuhören und strittiges zu
diskutieren: "Die Verweigerung eines Dialoges ist nicht universitär."
Nachdem in der Wochenzeitung DIE ZEIT in den vergangenen Ausgaben
mehrfach ganzseitige Anzeigen für die Bundeswehr geschaltet waren,
durfte sich nun der Offizier Dominik Wullers über die Kritik an der
Anwesenheit der Armee in Bildungseinrichtungen empören.[4] Der Soldat
bemängelt in seinem Gastbeitrag, dass die "dogmatische Ideologie des
bedingungslosen Pazifismus mit Steuergeld verbreitet" werde. Denn nichts
anderes passiere, "wenn schon die Diskussion mit Soldaten als böse und
falsch verweigert" werde. Für Wullers ist es ein "Skandal", dass die
Mehrheitsmeinung des Parlaments, die von den Soldaten vertreten werde,
an manchen Schulen ausgeschlossen sei: "Dass niemand den Soldaten
beispringt und alle zusehen, wie dieses demokratiefeindliche Verhalten
sich breitmacht, ist es ebenfalls", so der Offizier und stellvertretende
Vorsitzende des Vereins "Deutscher Soldat e.V.".
Sowohl Thomas de Maizière als auch Dominik Wullers verkennen die
Realität, denn an Schulen und Universitäten dominieren Bundeswehr und
Verteidigungsministerium. Während die Armee knapp einhundert so genannte
Jugendoffiziere beschäftigt, die ausschließlich dazu dienen, junge
Leuten an Schulen von der deutschen Armee und ihrem von der Politik
gegebenen -- umstrittenen -- Auftrag zu überzeugen, haben die Kritiker
der Bundeswehr kaum Ressourcen, um an Schulen zu gehen. Während etwa
Jugendoffiziere seit Sommer 2011 in Rheinland-Pfalz 500 Schulbesuche
verzeichnen können, waren ihre Kritiker in dem Bundesland im selben
Zeitraum nur sechs Mal an Schulen aktiv.[5] Deutschlandweit haben
aktuell nur neun Schulen in ihren Schulkonferenzen Beschlüsse gefasst,
die Soldaten den Zugang in die Klassenzimmer untersagen.[6] Die
Jugendoffiziere der Bundeswehr haben 2012 bundesweit knapp 4.900
Veranstaltungen an Schulen und Universitäten durchgeführt und dabei über
143.000 junge Menschen erreicht.[7] Hinzu kommen noch 300 nebenamtliche
Jugendoffiziere und über 350 Bundeswehr-"Karriereberater", die ebenfalls
oft an Schulen, aber auch an Universitäten aktiv sind. Das
Verteidigungsministerium plant zudem allein für das Haushaltsjahr 2013
fast 4,8 Millionen Euro für Forschungsprojekte an Hochschulen auszugeben
und schafft damit einen enormen finanziellen Anreiz für die
Bildungsstätten.[8]
"Selbstverständliche Propaganda"
Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Offizier Dominik Wullers
versuchen die Bundeswehr als Opfer in einer Debatte darzustellen, die
sie selbst begonnen haben und anführen. Diese Debatte ist aber nur eine
Reaktion von denjenigen, die eine Veränderung -- eine zunehmende
Militärpräsenz -- in Bildungseinrichtungen nicht hinnehmen wollen. Der
Normalzustand ist nicht, dass Soldaten in Schulklassen unterrichten. Und
dass Hochschulen eine Verantwortung haben, jeden militärischen Einfluss
kritisch zu hinterfragen, ist eine aus der Historie gewachsene Konsequenz.
Dass die Militärs und ihre Fürsprecher trotz des eher geringen
Widerstands bereits Alarm schlagen zeigt, wie viel Angst sie vor einer
Diskussion um die Anwesenheit der Bundeswehr in Bildungseinrichtungen
haben -- denn die könnte schließlich auch zum Ergebnis haben, dass
Bildungsarbeit nicht zum Repertoire der Armee gehören sollte. Immerhin
bezieht die Bundeswehr dabei als eigentlich exekutives Staatsorgan zu
politischen Fragen Stellung und legitimiert die aktuelle
Sicherheitspolitik. Zudem wird die Ablehnung von Soldaten in Schulen
nicht nur von Friedensgruppen gefordert, sondern auch -- wie Offizier
Dominik Wullers richtig schreibt -- von der Lehrergewerkschaft GEW sowie
-- was Wullers nicht schreibt -- von Elternverbänden,
Schülervertretungen und Kinderrechtsorganisationen wie "terre des
hommes" und "UNICEF Deutschland".[9]
Regierungs-Politikern und Armee-Angehörigen geht es nicht darum, eine
offene Debatte zu führen, sondern der Bevölkerung und besonders schon
jungen Leuten ihre Meinung aufzuzwingen: die Menschen in Deutschland
sollen gefälligst Militärinterventionen im Ausland begrüßen und ihre
Kämpfer unterstützen. Dazu werden Soldaten an Schulen geschickt und
militärische Forschungsprojekte auch im geisteswissenschaftlichen
Bereich finanziert. Und genau deshalb stoßen die Versuche, die
Bevölkerung mit aller Macht -- und teilweise unlauteren Mitteln wie dem
Werben für das Militär über die Ausnutzung kindlicher
Technikbegeisterung[10] -- auf Kriegskurs zu bringen, auch auf
berechtigten Widerstand.[11]
Nirgends wird dieser Zusammenhang deutlicher als in der
"Koalitionsvereinbarung CDU, CSU und SPD" der "AG Auswärtiges,
Verteidigung, Entwicklungspolitik und Menschenrechte", die am 19.
November 2013 veröffentlicht wurde. Kein Wunder, dass sich
Verteidigungsminister Thomas de Maizière, wie oben beschrieben, positiv
auf die Vereinbarung bezieht, denn geht es nach dem Papier, so soll
künftig die -- angeblich -- bisher an den Tag gelegte "Kultur der
Zurückhaltung" zugunsten einer offensiven Weltmachtpolitik endgültig ad
acta gelegt werden.[12] Weil aber die Bevölkerung dem Militär und
insbesondere Auslandseinsätzen der Bundeswehr mehrheitlich skeptisch
gegenübersteht, soll sie mit einem als "Dialog" getarnten
Propagandafeldzug vom Gegenteil überzeugt werden. So heißt es in der
Koalitionsvereinbarung: "Der Dialog der Bundeswehr mit der Gesellschaft
soll insbesondere mit jungen Menschen geführt werden. Die
Jugendoffiziere leisten eine wichtige Arbeit bei der Information über
den Auftrag der Bundeswehr. Wir begrüßen es, wenn möglichst viele
Bildungsinstitutionen von diesem Angebot Gebrauch machen. Der Zugang der
Bundeswehr zu Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnlichen
Foren ist für uns selbstverständlich."[13]
Anmerkungen
[1] Biederbeck, Max: Studentenprotest gegen Bundeswehr: De Maizière
fehlen die Worte, in: www.spiegel.de, 10. April 2013.
[2] Schupelius, Gunnar: Wüste Propaganda -- Anti-Bundeswehr-Preis ist
absurde Geste, in: www.bz-online.de, 18. Juni 2013.
[3] N. N.: Drei Fragen -- De Maizière über Jugendoffiziere an Schulen,
in: www.welt.de, 21. November 2013.
[4] Wullers, Dominik: Soldaten -- Was glaubt ihr eigentlich, wer wir
sind?, in: www.zeit.de, 24. November 2013.
[5] N. N.: Frieden will gelernt sein, in: Südwestdeutsche Zeitung, 18.
November 2013.
[6] Völpel, Eva: Schulen erhalten Aachener Friedenspreis -- Die Truppe
soll draußen bleiben, in: www.taz.de, 1. September 2013.
[7] Thiermann: Jahresbericht der Jugendoffiziere 2012, in:
www.bundeswehr.de, 13. Mai 2013.
[8] Bundestags-Drucksache 17/14706.
[9] Cremer, Hendrik: Schattenbericht Kindersoldaten 2013, in:
www.tdh.de, Januar 2013.
[10] Schulze von Glaßer, Michael: Kinderkriegsspiele, in: Ossietzky 23/2013.
[11] Für eine noch ausführlichere Kritik an Bundeswehr-Schulbesuchen
siehe: Schulze von Glaßer, Michael: Soldaten im Klassenzimmer -- die
Bundeswehr an Schulen, Köln 2012.
[12] Wagner, Jürgen: Verantwortung zum Krieg: Schwarz-Rote
Weltmachtambitionen, IMI-Standpunkt 2013/065.
[13] Koalitionsvereinbarung CDU, CSU und SPD, AG Auswärtiges,
Verteidigung, Entwicklungspolitik und Menschenrechte, 19. November 2013.
--
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