Sonntag, 8. Dezember 2013
Schuleinsatz der Bundeswehr: Ideologiekritische Lektionen
IMI-Analyse 2013/032 - in: AUSDRUCK (Dezember 2013)
von: Christian Stache | Veröffentlicht am: 6. Dezember 2013
„Laßt euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.“
Bertolt Brecht
An der Johann-Comenius-Schule (JCS) Thesdorf am Rande der „Metropolregion“ Hamburg fanden im November zwei Diskussionen mit SchülerInnen der Klassen 10/11 sowie 12/13 darüber statt, ob die Bundeswehr weiterhin an Berufsinformationstagen ihren „Karriere“-Berater (ehemals „Wehrdienstberater“) zur „Berufsberatung“ an die Schule schicken dürfte.[1] An den Debatten nahmen VertreterInnen diverser Organisationen teil, darunter der zuständige Jugendoffizier und Leiter der militärgeschichtlichen Sammlung am Standort Husum der Bundeswehr, Oberleutnant Dr. Martin Neumann[2], und Major Falko Droßmann vom Verein „Innere Führung – Warum Soldaten?“, der von OffiziersanwärterInnen der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg getragen wird.[1]
Droßmann ist darüber hinaus seit 2001 SPD-Mitglied, Abgeordneter in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte[4] und Mitglied im Hamburger Landesvorstand des „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten“.[5] Diese Vorfeldorganisation der SPD steht in einer totalitarismustheoretischen Tradition. Sie wird bundesweit von Johannes Kahrs geleitet. Kahrs ist einer der Sprecher des Seeheimer Kreises[6], dem harten Kern der Agenda-2010-VerfechterInnen in der SPD. Außerdem ist Kahrs zugleich Freund diverser Rüstungskonzerne[7] und – es ist kaum überraschend – SPD-Chef im Bezirk Hamburg-Mitte. Das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ lehnte auch die Vergabe des Aachener Friedenspreises an das Robert-Blum-Gymnasium aus Berlin und die Käthe-Kollwitz-Schule aus dem hessischen Offenbach[8] ab, weil die Schulen dafür geehrt wurden, dass sie sich zu „Schulen ohne Bundeswehr“ erklärt haben.[9]
Sowohl Oberleutnant Neumann als auch Major Droßmann haben sich während der jeweils knapp 90 minütigen Schuldiskussionen wiederholt charakteristischer Argumentationslinien (Diskursstrategien) bedient, um LehrerInnen und SchülerInnen für ihre Position zu gewinnen. Es ist hinlänglich bekannt, dass SoldatInnen sich bei ihren Einsätzen an der sogenannten Heimatfront als die netten Kumpels von neben an, jung, freundlich und immer mit einem flotten Spruch auf den Lippen inszenieren – eine Masche, die Droßmann zweifellos während der Schuldiskussion einige Sympathien einbrachte. Es ist ebenfalls keineswegs ungewöhnlich, dass die Militärs von ihren Kriegserfahrungen ausgiebig berichten und auch mal einen „Kamerad“ aus den Kriegsgebieten via Telefon oder Computer dazuschalten.[10] Andere Gesprächstaktiken aus dem Debattierclub der sogenannten (Berufs-)Informations- und Kommunikationseinheiten der Bundeswehr sind allerdings nicht so geläufig. Mit einigen von ihnen versuchen Jugendoffiziere, „Karriere“-BeraterInnen und andere SoldatInnen unter anderem, den Gegenargumenten von Friedensinitiativen und antimilitaristischen KriegsgegnerInnen offensiv zu begegnen.
Die mutmaßliche „Entmenschlichung“ der SoldatInnen
Zu Beginn der zweiten Diskussionssession in der norddeutschen Schule platzte es aus Major Droßmann heraus. Er habe es satt, immer diese Begriffe „die Bundeswehr“, „das Militär“ zu hören, mit diesen Worten entmenschliche man die Soldaten. Diese seien vielmehr „Menschen aus Fleisch und Blut“, alle hätten Ängste und Gefühle, sie seien nicht alle gleich, nicht stromlinienförmig, einige hätten „sogar Geist“. Man dürfe ohnehin nicht die Bundeswehr kritisieren, sondern wenn man Kritik übe, dann doch bitte an der Bundesregierung. Denn diese schicke doch die SoldatInnen in den Einsatz.
Dass letzteres richtig ist, ist nicht bestreitbar. Eine Kritik, die sich ausschließlich auf die Bundeswehr oder SoldatInnen beschränkt, geht an der politisch-ökonomischen Wirklichkeit kapitalistischer Entwicklungsmodelle vorbei. Aber es liegt auf der Hand, dass nicht die Termini für staatliche Institutionen, die zwar gewiss nicht immer einheitlich agieren, aber dennoch als kollektive Akteure auftreten, die Soldaten „entmenschlichen“. Wenn etwas die SoldatInnen mehr entmenschlicht als andere Individuen in der „verkehrten Welt und verzauberten Welt“[11] des Kapitalismus, dann ist es die Praxis der SoldatInnen und der Bundeswehr. Auch wenn sicherlich die Erfahrungen der SoldatInnen aus den beiden ersten Weltkriegen nicht identisch mit denen der SoldatInnen in heutigen Kriegseinsätzen sind, reicht ein Blick in das literarische Werk von Erich Maria Remarque oder Heinrich Böll, um einen Eindruck davon zu bekommen, was Kriege und die an ihnen beteiligten Institutionen aus SoldatInnen machen.
Besonders perfide ist der Vorwurf der Entmenschlichung deshalb, weil er KriegsgegnerInnen und FriedensaktivistInnen unterstellt, sie bedienten sich eben jener Mittel der Propaganda, die dazu beitragen, dass Menschen soweit entmenschlicht werden, dass für sie nicht einmal mehr das Kriegsrecht gelten soll. Wer legitimiert denn mit der Gewalt, der Kultur, der Sprache, der Bilder usw. die Beteiligung deutscher SoldatInnen an sogenannten gezielten Tötungen, an der Auslieferung Gefangener nach Guantanamo und wie ist es möglich, dass ein deutscher Oberst erst Bomben auf ZivilistInnen werfen lässt und dann befördert wird?
Politisch ist die Anschuldigung aber vor allem deshalb zurückweisen, weil sie das Handeln der SoldatInnen und der staatlichen Institutionen, deren integraler Teil sie sind, entpolitisieren, d.h. letztlich privatisieren. BundeswehrsoldatInnen gehen schließlich nicht als Privatmänner oder -frauen nach Afghanistan, sondern als Teil der deutschen Streitkräfte. Als solche kämpfen sie für die Interessen der deutschen Politik und Ökonomie. Als solche werden sie auch bekämpft von ihren militärischen GegnerInnen. Und als solche gehen sie auch in die Schulen. Wenn man also darüber diskutiert, ob die Bundeswehr an Schulen agitieren und rekrutieren darf oder nicht, geht es nicht um Herrn Droßmann oder Herrn Neumann, die ihre Freizeit fast komplett ihren Kindern oder einer Parteikarriere opfern. Es geht vielmehr um Major Droßmann und den Jugendoffizier Oberstleutnant Neumann, die als kleine Zahnräder oder Charaktermasken einer riesigen Kriegsmaschinerie ihren Dienst für Staat, Kapital und Vaterland an der „Heimatfront“ verrichten – ganz wie es ihnen befohlen wurde.
Moralische Mobilisierung
Major Falko Droßmann berichtete in beiden Diskussionen nicht nur ausgiebig darüber, in welchen Staaten er schon überall gewesen sei: in Afghanistan – „aber nur kurz“ – Mosambik, Sudan, in der sudanesischen Teilrepublik Darfur, im Kongo und auch in Ruanda. Es bestätigte auch, dass die Auslandseinsätze keine Abenteuer seien. Aber, so ergänzte Oberstleutnant Neumann ganz im Sinne der sicherheitspolitischen Doktrin der „vernetzten Sicherheit“ von Verteidigungsministerium und Bundeswehrführung, Frieden sei nicht nur mit zivilen Mitteln herzustellen. Es bedürfe eines Mixes aus zivilen und militärischen Mitteln.“ „Was wir häufig betreiben, ist peacekeeping“, „Friedenssicherung“, meinte auch Droßmann, um dann fortzufahren, „manchmal hätte ich mir gewünscht, eine Waffe dabei zu haben, anstatt in meinem weißen UN-Auto einfach davon zu fahren und die Menschen sich selbst zu überlassen.“
Der „Trick“ an dieser Argumentation ist simpel, hochwirksam und eigentlich auch bekannt: Die Bundeswehr wird ins Ausland entsandt, um anderen zu helfen. Der Einsatz von Waffen dient dem Frieden und – zumindest laut Major Droßmann – noch zu wenig den Opfern von Konflikten in Staaten überall auf der Welt. Dass der Einsatz von Militärs „zum Schutz der Zivilbevölkerung“ fern jeglicher politischer und ökonomischer Wirklichkeit ist und auch nicht den strategischen Leitlinien der deutschen Sicherheitspolitik entspricht[12], spielt für die propagandistische Arbeit der SoldatInnen an Schulen überhaupt keine Rolle. Denn der völlig nachvollziehbare moralische Impuls zur Hilfeleistung in Notsituationen wird von dieser Argumentation abgerufen. Dabei fallen Kriege nicht vom Himmel, sie haben eine Vorgeschichte. In diesen spielen nicht selten auch die Staaten eine entscheidende Rolle, die später Militärs zur mutmaßlichen Friedenssicherung in ein Land entsenden.[13] Entgegen aller Moral schickt z.B. die Bundesrepublik auch keine SoldatInnen etwa nach Saudi-Arabien, um dort humanitäre Hilfe zu leisten oder eine Demokratie aufzubauen. Im Gegenteil: Sie billigt Waffenexporte an das dortige Regime. Mit anderen Worten: Die Kriegseinsätze und militärischen Operationen der Bundeswehr entspringen keiner moralischen Verantwortung zum Schutz oder zur Hilfeleistung, auch wenn in der internationalen Politik seit einigen Jahren über die sogenannte Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft diskutiert wird.
Die Anrufung moralischer Impulse dient hier vielmehr zur ideologischen Mobilisierung für den Einsatz von Militärs zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen, zur Aufwertung der Institution Bundeswehr und des Handelns der SoldatInnen. Unter dem Gesichtspunkt, dass man leidenden Menschen in Notsituationen, wie der netten alten Nachbarin bei einem Sturz zur Hilfe eilt, wird aus dem Soldat ein ehrbarer Samariter und aus dem Soldaten-„Beruf“ eine, wie Major Droßmann auf seiner Homepage schreibt, „Berufung“[14].
Bundeswehr „kontrovers“?
Politische Bildung an staatlichen Institutionen ist generell an den „Beutelsbacher Konsens“ gebunden. Entsprechend beziehen sich auch viele FriedensaktivistInnen, KriegsgegnerInnen und PädagogInnen auf die drei Prinzipien, die 1976 auf einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg im schwäbischen Beutelsbach beschlossen worden sind: 1. das Überwältigungsverbot (keine Indoktrination), 2. das Kontroversitätsgebot (Themen, die in der Gesellschaft umstritten sind, sollen auch so abgebildet werden) und 3. die SchülerInnenorientierung (SchülerInnen sollen befähigt werden, politische Situationen zu analysieren und ihre eigenen Interessen zu formulieren).[15]
Die Sachlage ist also eindeutig: Die Jugendoffiziere, die laut ihres eigenen Handbuchs[16] dazu verpflichtet sind, die Positionen des Bundesverteidigungsministeriums zu vertreten[17], verstoßen qua Auftrag gegen das Kontroversitätsgebot.[18] Sie werben mit hohem finanziellen und personellen Aufwand für den Standpunkt der Bundeswehr und „bilden“ nicht.[19]
Das hält die Bundeswehr aber keineswegs davon ab, die ohnehin sehr allgemein gehaltenen Bestimmungen des „Beutelsbacher Konsens“ in ihrem Sinne umzudeuten. So heißt es bereits im „Jahresbericht der Jugendoffiziere 2012“: „Insgesamt war festzustellen, dass durch den Besuch des Jugendoffiziers in den meisten Fällen die erste kontroverse Debatte über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit nachhaltiger Sicherheitsvorsorge überhaupt stattfand.“[20] Ähnlich argumentierten auch die beiden Soldaten bei der eingangs erwähnten Schuldiskussion. Die Bundeswehr löse erst überhaupt eine Kontroverse aus und – so wird suggeriert – werde so den Anforderungen der politischen Bildung gerecht.
Es macht allerdings einen Unterschied, ob man eine Kontroverse auslöst, sie also in eine Klasse hineinträgt, oder ob man versucht, eine bestehende Kontroverse nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgetreu wiederzugeben. Thilo Sarrazin hat schließlich mit seinem rassistischen Buch über Muslime in der BRD eine Debatte provoziert, aber ist er deswegen geeignet, die Kontroverse über seine Thesen sachgerecht darzustellen? Und wie soll dann erst ein Jugendoffizier, dessen Arbeitsanweisung es ist, die Position der Bundesregierung zu vertreten, gleichzeitig auch den Standpunkt der Opposition etwa zum Afghanistaneinsatz vertreten?
Als z.B. während der Diskussion an der Johann-Comenius-Schule über den Pirateneinsatz am Horn von Afrika (ATALANTA) gestritten wurde, war die Marschroute der Bundeswehrvertreter klar: Somalia ist ein „gescheiterter Staat“ und „wir“ verteidigten dort die Routen von UN- und Handelsschiffen. Das ist die Diktion der Bundesregierung, des Bundesverteidigungsministeriums, der Bundeswehrführung und der Bundeswehr-Think-Tanks. Weder der Jugendoffizier noch sein „Kamerad“ vom Verein „Innere Führung – Warum Soldaten?“ verloren ein Wort darüber, dass dieser Auslandseinsatz seit Jahren z.B. im Bundestag keineswegs einstimmig beschlossen worden ist, dass die Inhaftierung und Verurteilung sogenannter Piraten in der Bundesrepublik völkerrechtlich nicht haltbar ist oder dass europäische Unternehmen für die Zerstörung der Existenzgrundlage der somalischen Fischer verantwortlich sind. So sieht „Kontroversität“ im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr aus.
„Ausschluss aus dem Konzert der Meinungen“
Eine zentrale Forderung der Friedens- und Antikriegsbewegung in der Bundesrepublik lautet: „Bundeswehr raus aus den Schulen“. In mehreren Bundesländern arbeiten Bündnisse zusammen, um der Militarisierung der Bildung Einhalt zu gebieten.[21] Während der erwähnten Diskussionen an der norddeutschen Schule reagierten die Bundeswehrrepräsentanten ziemlich ungehalten auf diese in der Zivilgesellschaft durchaus geteilte Forderung. Sie empörten sich darüber, dass es sich um einen Versuch der „Zensur“ handele, der die Bundeswehr „aus dem Konzert der Meinungen“ ausschließen wolle.
Dieser Einwand ist ein anschauliches Beispiel für das, was Herbert Marcuse einst als „repressive Toleranz“ bezeichnet hat. Toleranz soll nicht denen gewährt werden, die dissidente Positionen vertreten, sondern sie wird von jenen eingefordert, die für Armut, Krieg und Ausbeutung verantwortlich sind, damit sie den Status quo aufrechterhalten können, der täglich Menschenleben kostet. Wie von Ray Bradbury oder George Orwell in ihren Dystopien anschaulich beschrieben, werden fortschrittliche Forderungen in ihre Gegenteil verkehrt.
Für ein solch formalistisches Verlangen nach pluralistischer Meinungsdemokratie bedarf es, folgt man Droßmann und Konsorten, keiner inhaltlichen Begründung. Was gesagt wird und wie das Gesagte zur Herrschaft steht, ist nicht von Belang. Ob man für Krieg ist oder gegen ihn, ob man für die Militarisierung der Gesellschaft eintritt oder dagegen, spielt keine Rolle. Wahre und falsche Positionen werden austauschbar und die erdrückenden gesellschaftlichen Verhältnisse walten fort, während jegliche Kritik in die Kakophonie der Meinungen eingemeindet wird, die alle Hilferufe übertönt.
Rekrutierung im „persönlichen Pausengespräch“
Die Bundeswehr und die zuständigen SoldatInnen bekräftigen in nahezu allen erhältlichen Veröffentlichungen, dass Jugendoffiziere an Schulen nicht rekrutierten und dass es eine klare Trennung zwischen „Berufsberatung“ (Rekrutierung) durch die sogenannten KarriereberaterInnen und der „politischen Bildung“ bzw. „Information“ (Propaganda, Aktzeptanzbeschaffung und Indoktrination) durch die Einheit der Jugendoffiziere gibt.
Zum Beispiel wird im aktuellen Bericht zum Jahr 2012 betont: „Ähnlich wie in den Vorjahren, wurden die Jugendoffiziere (…) zu beruflichen Perspektiven und Möglichkeiten befragt. Mit Nachdruck wird in diesen Situationen Lehrkräften wie Schülerinnen und Schülern die Trennschärfe zwischen den Karriereberatern der Bundeswehr und den Jugendoffizieren als Referenten für Sicherheitspolitik erläutert. Die Jugendoffiziere kommunizierten auch 2012 unmissverständlich, dass sie keine Nachwuchsgewinnung betreiben und somit weiterhin nicht als Ansprechpartner für die Beratung zum beruflichen Einstieg bei der Bundeswehr zur Verfügung stehen.“[22] Diese Unterscheidung ist juristisch von grundlegender Bedeutung. Denn Rekrutierung an Schulen ist in der Bundesrepublik offiziell verboten.
Diese scharfe Trennung ist in der Realität aber nicht haltbar. Es ist selbstverständlich und schlicht nicht auszuschließen, dass Kinder und Jugendliche nach den Möglichkeiten einer Berufsausbildung bei der Armee im Unterricht fragen. Dass die Jugendoffiziere auf solche Fragen konsequent die Antwort verweigern und auf die WehrdienstberaterInnen verweisen, ist schlicht unglaubwürdig und alles andere als kommunikationsfördernd. De facto ist die Trennung auch nicht haltbar. Denn Jugendoffiziere sammeln z.B. Kontaktdaten von Interessenten und geben sie an die „KarriereberaterInnen“ weiter. Letztere nutzen auch die von ersteren hergestellten Verbindungen zu Schulen und LehrerInnen, um ebenfalls – im entsprechenden Rahmen – an dieselben Schulen zu gelangen. Auch Oberleutnant Neumann musste während der Schuldebatte letztlich eingestehen, dass er „im persönlichen Pausengespräch“ durchaus mehr macht, als „nur“ SchülerInnen über die deutsche „Sicherheitspolitik“ aufzuklären. Auf dem Schulhof plaudert auch er – formal korrekt, weil nicht im Klassenraum während des Unterrichts – über Laufbahnen, Besoldung, kostenloses Studium usw. Die Praxis ist etwas anderes als die Theorie. Die einzige Möglichkeit, um wirklich zu gewährleisten, dass nicht an Schulen rekrutiert wird, besteht darin, dass der Bundeswehr der Zugang zu den Klassenzimmern verwehrt wird. Dieser Weg wäre auch ein Beitrag dazu, dass die Bundesrepublik endlich die Kinderrechtskonvention ratifiziert, derzufolge überhaupt erst volljährige Personen ab 18 rekrutiert werden dürfen. Bis dato werden jährlich immer noch über 1.000 Minderjährige von der Bundeswehr angeworben[23], ganz zu schweigen von der Einbindung von Kindergärten[24] und GrundschülerInnen[25] in die ideologische Mobilmachung an der „Heimatfront“.
Schwarz-Rote Militarisierungsoffensive im Inneren
Dass die Friedens- und Antikriegsbewegung sich mit den genannten und verwandten Argumentationslinien auch in Zukunft verstärkt befassen muss, belegt der neue Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU. Die große Koalition geht davon aus, dass die Bundeswehr „auch in Zukunft in Auslandseinsätzen gefordert“[26] sein wird. Sie bleibt also „eine Armee im Einsatz“ „für Frieden und Freiheit weltweit“[27]. Sie will daher „auf die Einsätze der Zukunft vorbereitet“[28] sein.
Entsprechend werden auch die Maßnahmen zur Akzeptanzbeschaffung für die Institution Bundeswehr und für die Kriegseinsätze sowie die Rekrutierung für die Berufsarmee erhalten bleiben. Einerseits bedeutet dies weitere Anstrengungen bei der „Attraktivitätssteigerung“ des Kriegsdienstes für die derzeitigen SoldatInnen.[29] Andererseits verankerten die Koalitionäre die weitere Militarisierung der Bildung und der Gesellschaft in ihrem Abkommen: „Wir treten dafür ein, das Verständnis für die Besonderheiten des Soldatenberufes zu erweitern und so die breite Anerkennung für den Dienst in den Streitkräften sicherzustellen.“ Und weiter heißt es: „Die Jugendoffiziere leisten eine wichtige Arbeit bei der Information über den Auftrag der Bundeswehr. Wir begrüßen es, wenn möglichst viele Bildungsinstitutionen von diesem Angebot Gebrauch machen. Der Zugang der Bundeswehr zu Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnlichen Foren ist für uns selbstverständlich.“[30]
Anmerkungen
[1] Über die Hintergründe, warum die Bundeswehr seit knapp einem Jahrzehnt im Rahmen des Umbaus von einer Kalten Kriegs-Armee zu einer „Armee im Einsatz“ vermehrt um Akzeptanz und RekrutInnen wirbt, und über den Umgang mit dieser „Charme“-Offensive siehe z.B. IMI-Fact-Sheet Bundeswehr an Schulen oder Michael Schulze von Glaßer: Soldaten im Klassenzimmer. Papyrossa. Köln 2012.
[2] http://www.schleswig-holstein.jugendoffizier.eu/kontakt/husum/; http://bit.ly/IjVLdA
[3] http://warum-soldaten.de/der-verein/
[4] Die Bezirke im Stadtstaat Hamburg sind in etwa mit den Kommunen in Flächenbundesländern vergleichbar, obgleich die Bezirksparlamente deutlich weniger Kompetenzen als Stadtparlamente haben.
[5] http://www.falko-Droßmann.de/ueber-mich/ Dort findet auch das vielsagende Selbstverständnis des Soldaten Droßmann: „Seit 1997 diene ich in der deutschen Luftwaffe als Offizier. Für mich ist dies mehr als ein Beruf, ich verstehe es viel eher als Berufung.“
[6] http://www.seeheimer-kreis.de/index.php?id=191
[7] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/spd-hamburg-das-system-johannes-kahrs-1783135.html
[8] http://www.aachener-friedenspreis.de/preistraeger/archiv/jahr-2013.html
[9] http://www.reichsbanner.de/archiv.html#a1536
[10] http://bit.ly/18LBdFD, S. 4
[11] MEW 25: 835
[12] Ein Blick in die verteidigungspolitischen Richtlinien, mit denen die Bundesregierung ihre „Sicherheitspolitik“ festgelegt hat, ist völlig ausreichend, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.
[13] Den Konflikt in Afghanistan kann man z.B. schlicht nicht ohne die Unterstützung der Mudschahedin durch die USA gegen die Sowjetunion und deren befreundetes Regime in den 1980er Jahren erklären.
[14] Vgl. Fußnote 4.
[15] http://www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens
[16] https://www.dfg-vk.de/thematisches/umruestung-bundeswehr/2010/446
[17] http://www.imi-online.de/2011/01/24/jugendoffiziere-werb/
[18] Dass sie auch das Indoktrinationsverbot ignorieren, indem sie die Jugendlichen mit diversen psychologischen und anderen Mitteln der Propaganda, Reklame usw. überrumpeln, ist hier zweitrangig für die Debatte über die Legitimität der Bundeswehrauftritte in Schulen aber natürlich essenziell.
[19] Warum es politisch weder sinnvoll oder progressiv noch wünschenswert ist, die Kontroversität durch die Einladung von AktivistInnen der Friedens- und Antikriegsbewegung herzustellen, siehe: http://www.imi-online.de/2011/10/22/intolerant-gegenuebe/
[20] http://bit.ly/1dpuNjf
[21] Unter anderem gibt es folgende Bündnisse: Schule ohne Militär in Berlin: schule-ohne-militaer.de/, Schule ohne Bundeswehr in Nordrhein-Westfalen: www.schule-ohne-bundeswehr-nrw.de/, Bildung ohne Bundeswehr (BoB) in Hamburg: bildungohnebundeswehr.blogsport.de/, die Initiative für Schule ohne Militär in Rheinland-Pfalz: www.schulfrei-fuer-die-bundeswehr-rlp.de/, Schulfrei für die Bundeswehr in Baden-Württemberg: www.schulfrei-fuer-die-bundeswehr.de.
[22] http://bit.ly/1dpuNjf, S. 4
[23] http://www.gew.de/Bundeswehr_Keine_Rekrutierung_Jugendlicher_mehr_zulassen.html
[24] http://www.bundeswehr-monitoring.de/militarisierung/vormilitaerische-erziehung-fuer-kindergartenkinder-12736.html
[25] http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Schule/schutzengel.html
[26] www.spiegel.de/media/media-32776.pdf, S. 177
[27] www.spiegel.de/media/media-32776.pdf, S. 176
[28] www.spiegel.de/media/media-32776.pdf, S. 177
[29] Vgl. z.B. http://www.imi-online.de/2013/06/06/motivationsfaktor-kita/
[30] www.spiegel.de/media/media-32776.pdf, S. 177
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