Freitag, 11. Mai 2012
Proliferation, Destabilisierung und der Schutz der Zivilbevölkerung
IMI-Standpunkt 2012/027
UN-Bericht zu Ablauf und Folgen des Libyen-Krieges
http://www.imi-online.de/2012/05/02/un-bericht_libyen/
2. Mai 2012, Christoph Marischka
Während die ganze Welt nach Syrien schaut und die Bewaffnung der
dortigen Opposition in vollem Gange ist, legte die UN dem Sicherheitsrat
bereits am 17. Februar 2012 einen Bericht zu Ablauf und Folgen des
Libyen-Krieges vor (1). Obwohl der Bericht einer Expertenkommission in
der Resolution 1973 ausdrücklich vorgesehen war, stößt er auf sehr
geringes Interesse, gerade auch bei denen, die sich bereits hinsichtlich
Libyens und nun auch bezüglich Syriens für die "Wahrnehmung der
Schutzverantwortung" durch die "internationale Gemeinschaft"
ausgesprochen haben. Der Bericht belegt von höchster Stelle, dass
frühzeitig Waffen an die Aufständischen in Libyen geliefert und dass
diese durch "Militärberater" unterstützt wurden, wobei die NATO offenbar
flankierend zu ihren Luftangriffen eine dubiose Koordinationsrolle
hierbei übernommen hat. Er gibt auch eine Ahnung davon, wie sehr der
Libyen-Krieg und die Bewaffnung der Aufständischen die gesamte Region
von Mauretanien bis zum Sudan zu destabilisieren droht. Dabei geht er
auf die unmittelbarsten Folgen - die Sezessionsbewegung im Norden Malis,
den daraus resultierenden Putsch und die nun möglicherweise
bevorstehenden Militärmissionen der ECOWAS in Mali und der EU im
benachbarten Niger - noch nicht einmal ein. Im Folgenden soll der erste
Teil dieses Berichts, der sich mit der Lieferung und Verbreitung von
Waffen beschäftigt, (bis auf eine Ausnahme) unkommentiert
zusammengefasst werden.
Bereits in der Einleitung kommt der Bericht zu einem alarmierenden
Fazit: "Der Konflikt in Libyen offenbarte den Verlust nationaler
Kontrolle über militärische Ausrüstung und eine vollständige
Umverteilung der Verfügbarkeit von Waffen im Land. Die Verteilung von
Waffen an Zivilisten und die Aneignung der Bestände aus den Depots durch
Individuen und Milizen führten, verbunden mit zusätzlicher militärischer
Ausrüstung, die von außerhalb nach Libyen gebracht wurde, zur
unkontrollierten Zirkulation sehr großer Mengen von Waffen und Munition
während des Konfliktes. Vier Monate später verfügen Individuen und
Milizen über einen Großteil der Waffen. Das Fehlen einer einheitlichen
Kommandostruktur und regulärer und funktionsfähiger Sicherheitssysteme
bleibt die primäre Herausforderung bei der Sicherung militärischer
Ausrüstung und der Verhinderung ihrer unkontrollierten Zirkulation."
Die Waffen und Söldner des Regimes
Bereits die vor Beginn des Konflikts vorhandenen "Waffenbestände" in
Libyen hätten sich nicht nur durch ihren Umfang, sondern auch
hinsichtlich ihrer Vielfalt als "sehr groß" erwiesen, sie reichten von
Kleinwaffen bis zu schweren Waffen und entsprechender Munition. Ein
großer Teil stamme von Einkäufen in den 70er und 80er Jahren in der
UDSSR, sei aber ab 2003 durch massive Einkäufe aus westeuropäischen
Staaten und ehemaligen Teilen der Sowjetunion ergänzt worden.
"Zusätzliches Material wurde während des Konfliktes aus dem Ausland
geliefert, wobei offensichtlich keine angemessenen Maßnahmen zur
Nachverfolgung ihrer Verteilung im Feld getroffen wurden."
Große Teile des Berichts handeln davon, wie diese Waffen ins Land
gelangten. Zwar gäbe es Hinweise auf Versuche des Gaddafi-Regimes, nach
Beginn des Konfliktes Waffen und Söldner zu beschaffen. Bislang könne
jedoch -- und das wird mehrfach betont -- noch nicht festgestellt
werden, ob eine Verletzung des Waffenembargos von dieser Seite
stattgefunden habe.
U.a. gäbe es Hinweise, dass Sicherheitsbeamte des Gaddafi-Regimes den
Kontakt zu Waffenherstellern und -händlern gesucht und im Juli 2011
China besucht hätten. Die chinesische Regierung hätte daraufhin
"Kontakte" eingeräumt, zugleich aber unterstrichen, dass weder Verträge
dabei zu Stande gekommen, noch irgendwelche Waffen geliefert worden
seien. Nähere Informationen hierzu hätten die chinesischen Behörden der
Expertenkommission jedoch nicht zugänglich gemacht. Außerdem verweist
die Kommission auf eine Lieferung von 1.500 Zelten und 12.000 Uniformen
einer pakistanischen Textilfirma, die mutmaßlich für das Gaddafi-Regime
bestimmt gewesen, von maltesischen Behörden jedoch zurückgehalten worden
seien.
Erstaunlich vage bleibt der Bericht auch hinsichtlich des Einsatzes von
Söldnern auf Seiten des Gaddafi-Regimes -- v.a. angesichts der Tatsache,
dass dieser als Grund für die Maßnahmen nach Kapitel VII in den
entsprechenden Resolutionen ausdrücklich genannt wird. Er verweist
diesbezüglich lediglich darauf, dass als Söldner nur gelte, wer nicht
bereits vor Beginn des Konfliktes im Territorium einer Konfliktpartei
gelebt habe oder deren Staatsbürger gewesen sei und dies im libyschen
Kontext aufgrund eines wenig ausgeprägten Meldewesens und umfassender
Einbürgerungsprogramme schwer im Einzelfall feststellbar sei.
Hinsichtlich des Einsatzes von Söldnern stehe insbesondere der Tschad im
Verdacht, dessen Regierung sich aber bislang wenig kooperationsbereit
gezeigt habe. Berichten zufolge sollen auch südafrikanische
Sicherheitsfirmen an Versuchen beteiligt gewesen sein, Gaddafi und
Angehörige seiner Familie außer Landes zu bringen. Einzig ein in Kanada
lebender Australier habe bislang bestätigt, Saadi Gadaffi bei der Flucht
geholfen zu haben. Einsätze wie die Operation Pegasus der Bundeswehr,
mit der Deutsche und Drittstaatenangehörige bewaffnet aus Libyen
evakuiert wurden, finden hingegen gar keine Erwähnung.
Waffenlieferungen und "Militärberater" für die Aufständischen
Die Bereitstellung militärischer Ausrüstung für die Aufständischen wird
im Expertenbericht in drei Kategorien eingeteilt: Lieferungen, die in
Einklang mit der Resolution 1973 stehen und ordnungsgemäß deklariert
wurden, mangelhafte Deklarationen über entsprechende Lieferungen und
Lieferungen, die überhaupt nicht deklariert wurden und damit klar der
Resolution 1973 widersprechen.
Eindeutig heißt es im Bericht, dass "die ausländische militärische
Unterstützung, einschließlich der Lieferungen militärischer Ausrüstung,
entscheidend" für den Ausgang des Konfliktes gewesen seien.
Bemerkenswert ist, dass die Lieferungen von Waffen nach der Resolution
1973 (Ziffer 4 "Schutz der Zivilbevölkerung") durchaus zulässig waren.
Darin werden die "Mitgliedstaaten, die eine Notifizierung an den
Generalsekretär gerichtet haben" ermächtigt, "alle notwendigen Maßnahmen
zu ergreifen, ungeachtet der Ziffer 9 der Resolution 1970 (2011), um von
Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte
Gebiete in der Libysch- Arabischen Dschamahirija, einschließlich
Bengasis, zu schützen". Die explizit erwähnte Ziffer 9 war jedoch die
Grundlage des Waffenembargos gegen Libyen, das somit unter dem Vorwand
der Schutzverantwortung für Lieferungen an die Aufständischen aufgehoben
wurde -- wohlgemerkt unter der Bedingung, dass der Generalsekretär zuvor
unterrichtet wird. Der Bericht stellt jedoch auch fest, dass das bloße
Vorliegen einer entsprechenden Notifikation nicht zwangsläufig bedeute,
dass keine Verletzung des Waffenembargos vorliege. Insgesamt 14 Staaten
hätten dem Generalsekretär ihre Absicht angezeigt, militärisch zum
Schutz der Zivilbevölkerung (Ziffer 4) oder zur Durchsetzung des
Flugverbots (Ziffer 8 ) aktiv zu werden, wovon vier (Frankreich,
Italien, Vereinigtes Königreich und USA) die Absicht geäußert hätten,
den Aufständischen militärische Ausrüstung oder militärisches Personal
zur Verfügung zu stellen.
So habe Frankreich den Generalsekretär am 26. April 2011 informiert,
dass es ein Team von Militärberatern in Libyen stationiert hätte, um den
Nationalen Übergangsrat mit Rat und Tat bei der "Organisation der
Inneren Struktur, dem Ressourcenmanagement und der Verbesserung der
Kommunikation" zu unterstützen. Am 30. Juni sei dem Generalsekretär von
französischer Seite mitgeteilt worden, dass über Libyen mehrfach "Waffen
zur Selbstverteidigung für die zivile Bevölkerung" abgeworfen worden
seien. Auf Bitte der Expertenkommission habe Frankreich später genauere
Angaben über die Zahl und Art der Waffen gemacht (welche die
Expertenkommission "vertraulich" behandelt), der Aufforderung, ihre
konkreten Baureihen und Seriennummern zu benennen, sei Frankreich jedoch
nicht nachgekommen.
Auch Italien hatte 10 Militärberater u.a. ins Hauptquartier des
Nationalen Übergangsrates entsandt und diesem "persönliche
Schutzausrüstungen" zur Verfügung gestellt, wie es dem
UN-Generalsekretär ebenfalls am 26.4.2011 berichtet worden sei. Auf
Rückfrage der Expertenkommission habe Italien die "persönlichen
Schutzausrüstungen" als 10.000 Uniformen, 5.400 Helme und 2.800 Stiefel
spezifiziert.
Auch das Vereinigte Königreich habe am 26.4.2011 über seine Absicht
berichtet, Militärberater und "Schutzausrüstung" nach Libyen zu
entsenden. Auf Nachfrage der Expertenkommission handelte es sich bei der
Schutzausrüstung um 6.000 schusssichere Westen und um "nicht mehr als
20" Militärberater. Die USA hätten den Generalsekretär erst am 16.6.
über die Lieferung "nicht-letaler" militärischer Ausrüstung informiert,
wobei es sich um 8.000 Uniformen, 8.000 Stiefel, 5.825 Kampfanzüge,
2.850 schusssichere Westen, 1.975 Helme und nicht näher spezifizierte
mobile Barrieren gehandelt haben soll.
Die Vereinigten Arabischen Emirate hätten dem Generalsekretär zwar ihre
Beteiligung an den militärischen Maßnahmen "zum Schutz der
Zivilbevölkerung" und zur Durchsetzung der Flugverbotszone angezeigt,
aber lediglich die Lieferung humanitären Materials angekündigt. Auf die
Frage der Expertenkommission, wie viele Soldaten die VAE nach Libyen
entsandt und welche "Art von Waffen, Munition und anderer militärischer
Ausrüstung" sie geliefert hätten, hätten die VAE jedoch auf die NATO
verwiesen, welche diese Lieferungen koordiniert hätte, über
entsprechende Listen verfüge und gebeten hätte, diesbezügliche Anfragen
an die NATO weiterzuleiten! Darüber hinaus hätte die Expertenkommission
bislang weder von den VAE, noch von der NATO Informationen erhalten,
obwohl entsprechende Fragen eingegangen seien. Die Kommission betont in
ihrem Bericht, dass sie Informationen habe, wonach die VAE militärische
Ausrüstung geliefert haben könnte, diese aber noch vertraulich behandeln
müsse, da die Untersuchungen anhielten.
Die zentrale Rolle bei der Bewaffnung der Aufständischen scheint jedoch
Katar gespielt zu haben. Bei Untersuchungen in Bengasi sei die
Kommission auf deutliche Hinweise gestoßen, dass "zwischen dem Beginn
des Aufstandes(!) und dem Tag des Interviews [im Juli 2011] etwa 20
Flüge militärisches Material, einschließlich französischer
Panzerabwehrwaffen vom Typ MILAN, von Katar an die Revolutionäre in
Libyen geliefert hätten." U.a. die Lieferung von 2009 an Katar
verkaufter Munition des Schweizer Herstellers RUAG Ammotec seien
mittlerweile von Vertretern Katars bestätigt worden. Medienberichte und
vor Ort gesammelte Informationen hätten auch auf die Präsenz
militärischen Personals aus Katar hingewiesen. Zunächst habe sich Katar
geweigert, hierzu weitere Informationen bereitzustellen und habe
lediglich betont, dass seine Unterstützung im Einklang mit der
UN-Resolution 1973 und unter der Koordination der NATO erfolgt sei. Erst
nachdem die Regierung mit den bislang gesammelten Beweisen konfrontiert
worden sei, habe sie eingeräumt, dass "Katar eine begrenzte Zahl
militärischen Personals nach Libyen entsandt hätte, um die Revolutionäre
mit militärischer Beratung zu unterstützen, libysche Zivilisten zu
verteidigen und Hilfskonvois zu schützen und dass dieses militärische
Personal mit begrenzter Ausrüstung und Munition zur Selbstverteidigung
ausgestattet worden sei". Den Vorwurf, die libyschen "Revolutionäre" mit
Waffen und Munition beliefert zu haben, habe Katar jedoch weiterhin
zurückgewiesen.
Der Bericht weist noch auf weitere Verstöße von Staaten hin, die keine
entsprechenden Notifikationen an den UN-Generalsekretär gerichtet
hätten, nennt hierfür jedoch nur zwei Beispiele, da die Untersuchungen
hierzu noch nicht abgeschlossen seien. Demnach hätten mehrere Flüge
zwischen Tirana (Albanien) und Bengasi am 10., 11. und 12. September
2011 militärisches Material transportiert. Außerdem habe der
Verteidigungsminister des Nationalen Übergangsrates im Juli 2011
angegeben, dass der Sudan militärisches Material, einschließlich
Kleinwaffen und Raketenwerfer, an die Aufständischen liefere, was auch
der sudanesische Präsident bestätigt habe. Obwohl die Kommission keine
genaueren Informationen hierzu erhalten konnte, geht sie davon aus, dass
es sich um mindestens zwei Flugzeugladungen gehandelt habe.
An dieser Stelle soll nun doch ein Kommentar erlaubt sein, der daran
erinnert, dass der Großteil der Waffenlieferungen per Flugzeug aus
Katar, Albanien und den Sudan während der Durchsetzung einer
Flugverbotszone durch die NATO und damit mit großer Sicherheit auch mit
deren Einverständnis stattfand, die zugleich -- jedenfalls nach Aussage
Thabo Mbekis -- die Landung einer Vermittlergruppe der Afrikanischen
Union verhinderte. Auf die angedeutete Koordinationsrolle der NATO bei
der Bewaffnung der Aufständischen (man beachte das übereinstimmende
Datum der britischen, französischen und italienischen Notifikation, die
rückwirkend diese Lieferungen bekannt machten, ohne ein Datum zu nennen)
wird in Bezug auf die Flugverbotszone nicht weiter eingegangen, jedoch
die dominierende Rolle der NATO bei Lieferungen von See:
Seeseitig hätten die Marine-Streitkräfte der NATO alle Boote, die in
Libyen anlegen wollten, "inspiziert", um die Lieferung von Waffen für
das Gaddafi-Regime zu unterbinden. Unter einer Inspektion ist hierbei
nicht die Durchsuchung zu verstehen, die lediglich in 300 Fällen
stattfand, sondern die Identifikation und das "Profiling" der Schiffe.
Insgesamt habe die NATO mit 3.100 Schiffen diesbezüglich Kontakt
aufgenommen, elf sei der Zugang zu libyschen Häfen verwehrt worden. Über
den konkreten Umgang mit den Booten hätten die NATO-Marine-Kommandeure
von Fall zu Fall ohne Rücksprache mit Dritten entschieden, "wodurch sie
bestimmen konnten, welcher Art von Gütern der Zugang zu Libyen erlaubt
wurde". Verstöße gegen das Waffenembargo habe die NATO jedoch keinen
einzigen gemeldet.
Proliferation und Destabilisierung der Nachbarstaaten
Was den Transfer militärischer Ausrüstung aus Libyen heraus angeht,
weist der Bericht darauf hin, dass er viele ihm zugegangene
Informationen nicht öffentlich machen wolle, die beschriebenen Fälle
jedoch ein adäquates Bild der beteiligten Akteure liefern würden: Diese
bestünden v.a. aus ins Ausland geflohenen Mitarbeitern des alten
Regimes, zurückkehrenden Soldaten, die aus Drittstaaten stammten, und
kriminellen Waffenhändlern. Die Verfügbarkeit von Waffen werde sich u.a.
deshalb nicht auf Libyen beschränken, da die Region von durchlässigen
Grenzen und weiten entlegenen Gebieten geprägt sei, die mit begrenzten
Mitteln kontrolliert werden müssten und bereits vor der Krise kriminelle
Schmuggel-Netzwerke existierten. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis
interessant, dass offensichtlich selbst die UN-Expertenkommission mit
Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, in den Norden Malis und des Nigers zu
reisen, um u.a. den mutmaßlichen Einsatz von Söldnern im Libyenkonflikt
zu untersuchen. Ein Großteil der hierzu vorliegenden Informationen
stamme von diesen Regierungen selbst und könnte damit noch nicht als
Anzeichen dafür aufgefasst werden, welchen Umfang und welche Ausmaße die
Proliferation von Waffen aus Libyen tatsächlich habe. Aufgrund der
genannten Umstände sei es wahrscheinlich, dass "viele weitere Konvois
Waffen aus Libyen unentdeckt in andere Länder gebracht haben".
Beispielhaft wird von einem Konvoi berichtet, der sich am 12. Juli 80km
nordöstlich von Arlit Gefechte mit der nigrischen Armee geliefert hätte:
"Der Einsatz forderte mehrere Tote und resultierte in der
Beschlagnahmung eines Fahrzeugs, das 40 Kisten mit je 16kg Semtex
[Plastiksprengstoff] -- insgesamt 640 kg --, 335 Zünder und 90.000 US$
enthielt." Zwei weitere Fahrzeuge seien den Gefechten entkommen. Drei
Tage später jedoch habe sich ein nigrischer Staatsbürger gestellt, der
bereits zuvor des Drogen- und Autoschmuggels verdächtigt worden sei, mit
einem dieser beiden Fahrzeuge, wobei weiterer Sprengstoff und Zünder
beschlagnahmt worden seien, die angeblich für Al Kaida im islamischen
Maghreb (AQIM) in Mali bestimmt gewesen wären.
Zu einem weiteren Gefecht sei es am 6. November 2011 gekommen, an dem
zehn Fahrzeuge aus Libyen und nigrische Sicherheitskräfte beteiligt
gewesen seien. Auch hier sei es zu einer nicht näher genannten Zahl von
Toten, dreizehn Verhaftungen und der Beschlagnahmung von sechs der zehn
Fahrzeuge mitsamt 33 leichten und 6 schweren Feuerwaffen gekommen. Die
restlichen vier Fahrzeuge seien vermutlich mit weiteren Personen, Waffen
und Munition nach Mali weitergefahren. Bei den Verhören mit den
Gefangenen hätten sich Hinweise auf einen ähnlichen Konvoi ergeben, der
bereits zuvor Mali erreicht hätte. Die Schätzungen über die Zahl der
Kämpfer, die insgesamt aus Libyen nach Mali zurückgekehrt seien,
variierten nach Angaben der Kommission "zwischen mehreren hundert und
viertausend". Die Behörden des Niger sähen die Rückkehr von Kämpfern
nicht als "primäre Sorge" oder "unmittelbare Bedrohung" und konnten
ebenfalls keine präzisen Zahlen hierzu vorlegen. Große Unklarheit
herrsche auch über den Umfang der Waffen, die Kämpfer aus Darfur nach
"glaubwürdigen Berichten" zwischen dem 15. und dem 25. September aus
Libyen in den Sudan gebracht hätten.
Zwischen dem 4. und dem 11. September seien zudem mehrere, teilweise
hochrangige Angehörige des Gaddafi-Regimes in den Niger geflohen. Der
Bericht nennt drei solcher Vorfälle, bei denen jeweils kleinere Mengen
von Handfeuerwaffen und drei Raketenwerfer durch die nigrischen Behörden
beschlagnahmt worden seien. Die Kommission habe bei ihrem Besuch in
Niger weder Zugang zu diesen Waffen erhalten, noch seien ihnen Bilder
vorgelegt worden.
Neben den großen Konvois hätten v.a. Ägypten und Tunesien von einen
zunehmenden "Ameisen-Handel" berichtet, also den langanhaltenden
Schmuggel kleinerer Mengen an Waffen und Munition, die oft für die
gleichen Zwischenhändler oder Endverbraucher gedacht sind. Die
ägyptischen Behörden hätten bis Ende Januar den Schmuggel von 567 Waffen
und Munition im Umfang von einer Millionen Schuss auf diesem Wege
verhindert. Das tunesische Verteidigungsministerium habe hingegen die
Beschlagnahmung von 50 Kleinwaffen und 14kg Plastiksprengstoff gemeldet
und habe auf laufende Ermittlungen verwiesen, deren Ergebnis es nach
Abschluss der Kommission mitteilen würde.
Die Einschätzungen der Nachbarstaaten hinsichtlich der Folgen des
Libyen-Krieges seien "gemischt". Beispielhaft wird hierzu die
Einschätzung der sudanesischen Regierung vorgetragen, wonach zwar einige
Oppositionsgruppen in Darfur über deutlich mehr Waffen verfügen würden,
mit Gaddafi jedoch langfristig einer ihrer (potentiellen) Unterstützer
weggefallen wäre, was mittelfristig die Aussichten auf eine
Verhandlungslösung verbessere. V.a. Mali und Niger, aber auch
Mauretanien und Tschad wären durch eine große Zahl von Rückkehrern, den
Verlust von Rücküberweisungen der Gastarbeiter, die größere
Verfügbarkeit von Waffen und einem Rückgang internationaler Hilfe im
Zuge der gestiegenen Unsicherheit massiv betroffen. "Während der genaue
Einfluss der Libyen-Krise auf die Nachbarstaaten schwer zu bestimmen
ist, deuten die Untersuchungen der Expertenkommission darauf hin, dass
die bewaffnete Unsicherheit in Nachbarstaaten wie dem nördlichen Mali
und dem nördlichen Niger in jüngster Zeit mit einer Zunahme an
Waffenhandel, bewaffneten Überfällen, terroristischen Aktivitäten und
der Reaktivierung von Aufstandsbewegungen zugenommen haben."
Bürgerkriegsgefahr in Libyen
Auch die Aussichten für Libyen selbst bewertet der Bericht kritisch.
Außerhalb des Nationalen Übergangsrates hätten sich mittlerweile zwei
größere Koalitionen herausgebildet, die "Barqa Front" im Osten sowie
eine Föderation von Milizen im Westen. Mit Verweis auf die Gefechte
konkurrierender Milizen am 3. Januar in Tripolis, am 14. Januar bei
Gharyan (ca. 80 km südlich von Tripolis) und in Bani Walid am 24. Januar
zitiert der Bericht die Warnung des Vorsitzenden des Nationalen
Übergangsrates, wonach diese Ereignisse die Gefahr eines Bürgerkrieges
bergen würden. Obgleich die Kommission ihrer Hoffnung auf eine
Verbesserung der Lage durch die für Juni 2012 geplanten Wahlen Ausdruck
verleiht, verweist sie darauf, dass die Macht und Autonomie der Milizen
in den vergangenen Monaten gewachsen und ihre Bereitschaft zur
Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Proliferation gesunken sei. Wie
bereits während des Bürgerkrieges selbst führe die Kontrolle über die
Waffendepots zu Spannungen zwischen den Milizen, da deren "militärische
Fähigkeiten, einschließlich der Größe ihrer Waffenbestände, ihren
politischen Einfluss erhöhen und es unwahrscheinlich ist, dass sie
angesichts der unklaren Zukunft des Landes bereit sind, die Kontrolle
über ihre Bestände aufzugeben".
Anmerkung
(1) Final report of the Panel of Experts in accordance with paragraph 24
(d) of resolution 1973 (2011) (S/2012/163),
http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2012/163
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