Montag, 14. Mai 2012

Folter? Egal... in Mexico, z.B.

Hintergrund. Mexiko steht wegen systematischer Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Die deutsche Bundesregierung interessiert das allerdings kaum – ihr sind Exportmärkte für BRD-Produkte wichtiger Peter Clausing Im Frühsommer 2011 verwiesen der deutsche Außenminister Guido Westerwelle und der damalige Bundespräsident Christian Wulff bei ihren Besuchen in Mexiko auf ein geplantes Abkommen zur Polizeizusammenarbeit. Solche bilateralen Abkommen hat Deutschland mit zahlreichen Staaten abgeschlossen – darunter auch einige, in denen massive Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Auch Mexiko steht seit langem in der Kritik. Vor fünf Jahren beschrieb die damalige Generalsekretärin von Amnesty International, Irene Khan, ihre Eindrücke nach einer Unterredung mit Präsident Felipe Calderón folgendermaßen: »Mexiko hat eine zweigleisige Annäherung an das Thema Menschenrechte gewählt. Auf internationaler Ebene glänzt es, während es im eigenen Land bei der wirksamen Durchsetzung der Menschenrechte für alle Mexikaner scheitert.«1 Die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko (DMRK), ein Zusammenschluß von 15 Organisationen, sieht das ähnlich. Sie befürchtet, daß das angestrebte Abkommen zur Polizeizusammenarbeit, das auf einen Entwurf des mexikanischen Außenministeriums vom Dezember 2010 zurückgeht, weniger der Abwehr der organisierten Kriminalität dient, als vielmehr ein weiterer Beleg für die Glaubwürdigkeit des Landes als rechtsstaatlicher Partner sein soll. Die deutsche Politik hilft bei dieser Imagepflege und erwartet Gegenleistungen im wirtschaftlichen Bereich – Marktzugang für den Export von Rüstungsgütern und Sicherheitstechnologie, aber auch im Bereich der »Green Economy«. Vom Auswärtigen Amt wird zwar eingeräumt, daß der Einsatz der mexikanischen Sicherheitskräfte mit gravierenden Menschenrechtsproblemen behaftet ist, doch in Berlin besteht man seit Jahren darauf, daß für die dortige Regierung die »Unschuldsvermutung« (benefit of doubt) gelte, denn diese arbeite ja an der Verbesserung der Situation. Straflosigkeit fürs Militär Es ist absolut nicht nachvollziehbar, worauf die von der Bundesregierung gewährte »Unschuldsvermutung« basiert. Immer wieder werden formale Rechtsakte des mexikanischen Staates als »bahnbrechend« gefeiert, obwohl bislang keiner davon zu einem grundlegenden Wandel in der täglichen Praxis geführt hat. Zu den von der deutschen Außenpolitik hochgelobten Verbesserungen zählt das zweifellos begrüßenswerte Grundsatzurteil des Obersten Gerichts Mexikos vom 12. Juli 2011 den Artikel 57 des mexikanischen Militärgesetzes betreffend. Dieser garantiert dem mexikanischen Militär praktisch hundertprozentige Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen, weil er vorschreibt, daß Übergriffe auf Zivilpersonen vor Militärgerichten zu verhandeln sind. Diese verhängen bestenfalls Bagatellstrafen. In aller Regel werden die Verfahren jedoch eingestellt oder die Täter freigesprochen. Nun soll der Artikel 57 nicht mehr angewendet werden. Damit wird – mit zwei Jahren Verspätung – ein bereits im Jahr 2009 gefälltes Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (IAHCR) umgesetzt. Die Entscheidung bezieht sich auf den Fall des gewaltsamen Verschwindens von Rosendo Radilla Pacheco im Jahr 1974, der zur Verurteilung des mexikanischen Staates geführt hatte. Nach dem Urteil des Obersten Gerichts versuchte der mexikanische Präsident Felipe Calderón zunächst, die anstehende Neuregelung auf schwere Vergehen (Vergewaltigung, Mord) zu beschränken und Spezialgerichte für die »zivile« Beurteilung der Verbrechen der Militärs installieren. Die zuständige Kommission des mexikanischen Senats folgte jedoch in ihrer kürzlichen Entscheidung den Urteilen des IAHCR und des Obersten Gerichts von Mexiko. Daß dies nun tatsächlich zur Richtschnur in der Rechtspraxis wird, darf bezweifelt werden, denn die Fälle werden nicht automatisch an die Zivilgerichte überwiesen. Die Betroffenen müssen eine einstweilige Verfügung beantragen, auf deren Basis dann die zivile Verhandlung des Falls erwirkt wird. Gleich die erste Erprobung dieser Neuregelung geriet ins Stocken. Die Familie von Bonfilio Rubio Villegas, der an einem militärischen Kontrollpunkt erschossen wurde, beantragte die Übertragung des Falls an ein Zivilgericht. Am 9. Dezember 2011 erließ der Bundesrichter Carlos Alfredo Soto Morales die notwendige einstweilige Verfügung. Doch die Armee erhob Einspruch und blockierte den Fortgang des Verfahrens. Unabhängig von der weiteren Entwicklung in dieser Angelegenheit ist der Einschätzung des Mexiko-Experten von Human Rights Watch, Nik Steinberg, vorbehaltlos zuzustimmen, daß man über die Rechtssprechung mexikanischer Zivilgerichte keine Illusionen haben dürfe. Auch bei diesen ist Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzer weitestgehend garantiert. Ein zweites Beispiel dafür, warum die »Unschuldsvermutung« der deutschen Regierung ungerechtfertigt ist, stellt die Antifolterkonvention der UNO dar. Diese wurde im Dezember 1984 verabschiedet und von Mexiko im Januar 1986 ratifiziert. Wie so oft war das Land bei der Unterzeichnung und Ratifizierung dieses internationalen Abkommens an vorderster Front. Doch das hindert die mexikanischen Behörden nicht daran, Folter in verschiedenster Form weiterhin systematisch einzusetzen. Brutale Schläge, Elektroschocks, simuliertes Ersticken mit Plastiktüten oder durch Untertauchen und Scheinhinrichtungen kommen routinemäßig zur Anwendung. Nach einer detaillierten Untersuchung von 170 Folterfällen in fünf Bundesstaaten kommt Human Rights Watch zu der Schlußfolgerung, daß Richter, Staatsanwälte und Amtsärzte, deren Aufgabe es wäre, Hinweisen auf Folter nachzugehen, diese vertuschen, gelegentlich bei Folter persönlich anwesend sind und im schlimmsten Fall aktiv daran teilnehmen.2 Von 2006 bis 2010 hat sich die Zahl der bei der nationalen Menschenrechtskommission eingereichten Beschwerden über Folter auf 1 161 mehr als verdreifacht, von der extrem hohen Dunkelziffer in diesem Bereich ganz zu schweigen. Doch das Auswärtige Amt verschanzt sich in seiner Stellungnahme zum Thema Folter hinter dem Verweis auf die im Jahr 2008 eingeleitete Justizreform.3 Diese wurde 22 Jahre nach der Ratifizierung der Antifolterkonvention verabschiedet. In ihrem Rahmen sollen Folter in Polizeiverhören und die Verwendung von erpreßten Geständnissen vor Gerichten angeblich verhindert werden. Vier Jahre später – 2012 – haben erst sieben von 32 Bundesstaaten entsprechende Gesetze verabschiedet. Neben einer Verschleppung der formalen Umsetzung der Justizreform, gibt es in einigen Bundesstaaten Bemühungen, durch die vorherige Verabschiedung gegenläufiger Gesetze, die Anwendbarkeit des Folterverbots zu verhindern. »Krieg gegen Drogenhandel« In dem Ende 2006 von Präsident Calderón ausgerufenen »Krieg gegen den Drogenhandel« haben inzwischen über 50000 Menschen ihr Leben verloren. Während Calderón behauptet, daß nur ein Prozent davon unschuldige zivile Opfer seien, sehen zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure in dieser Zahl eine zynische Untertreibung. Nach Einschätzung des erwähnten Berichts von ­Human Rights Watch werden in den meisten Fällen Tötungen durch Sicherheitskräfte gar nicht untersucht. Zudem gibt es gut dokumentierte Belege für willkürliche Tötungen von Menschen durch Polizei und Militär, die lediglich das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Hinzu kommt eine ständig wachsende Zahl von Aktivisten politischer und sozialer Bewegungen sowie Journalisten, die ermordet, entführt oder bedroht werden. Der IAHCR dokumentierte für die Zeit seit dem Amtsantritt von Präsident Calderón 61 Morde an Menschenrechtsverteidigern. Die Nationale Menschenrechtskommission registrierte 475 Fälle gewaltsamen Verschwindens von Personen allein im September 2011 – verglichen mit vier bis sechs Fällen pro Monat im Jahr 2006. Bedingt durch die alle sechs Jahre wiederkehrende Gewaltwelle im Vorfeld der Präsidentschaftswahl, die am 1. Juli diesen Jahres stattfinden wird, gibt es inzwischen von Amnesty International mehrere Eilaktionen pro Woche, bei denen Übergriffe thematisiert werden, an denen häufig Sicherheitskräfte beteiligt sind. In Berlin bleibt man von all dem unbeeindruckt und demonstriert ein Höchstmaß an Geduld. Bemerkenswert ist schließlich, daß die deutsche Außenpolitik für die mexikanische Regierung die Unschuldsvermutung einfordert, während mexikanische Politiker Menschenrechtsaktivisten als Lügner oder gar als Komplizen der organisierten Kriminalität darstellen. Präsident Calderón selbst drückte seinen Frust darüber aus, immer wieder Beschwerden über Vergehen von Militärs zu hören, die »nicht wahr« seien, und der mexikanische Marineminister, Mariano Francisco Saynez Mendoza, verkündete, »bürgerliche Gruppierungen« würden »mit dem Banner der Menschenrechte den [staatlichen] Institutionen Schaden zuzufügen«.4 Dabei spricht selbst die offizielle Statistik eine deutliche Sprache: Im Zeitraum von Dezember 2006 bis Juli 2011 erhielt die Nationale Menschenrechtskommission 5055 Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen, die von Militärs gegenüber Zivilisten begangen wurden. Nur in 86 Fällen (1,56 Prozent) wurden daraus »Empfehlungen« abgeleitet, bei denen es in 13 Fällen zur Einleitung von Strafverfahren gegen eine oder mehrere Personen kam – also bei 0,3 Prozent der eingegangenen Beschwerden. Insgesamt wurden 15 Personen zu nicht näher bekannten Strafen verurteilt.5 Im zivilen Bereich sieht es nicht besser aus. Die Tatsache, daß in Mexiko nach unterschiedlichen Angaben nur acht bis zwölf Prozent aller Straftaten überhaupt angezeigt werden und etwa 98 Prozent aller Delikte straffrei bleiben, hat vor allem mit dem fehlenden Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei, deren Ineffizienz sowie mit der Korruption sowohl bei den Sicherheitskräften als auch bei den Gerichten zu tun. Neuer Zielmarkt Es stellt sich die Frage nach den Ursachen der Langmut, die die deutsche Politik walten läßt. Unter den europäischen Ländern war Deutschland im Jahr 2010 mit einem Exportvolumen von 7,1 Milliarden Dollar der wichtigste Handelspartner Mexikos. Im Weltmaßstab befindet sich Deutschland regelmäßig auf Platz vier. Mehr als 1200 deutsche Unternehmen sind in Mexiko vertreten. Das Bundeswirtschaftsministerium (­BMWi) betont auf seiner Website die »guten bilateralen Beziehungen«, zu deren Festigung die zirka 120000 Mitarbeiter deutscher Firmen beitragen. Doch damit nicht genug. Mexiko gehört zu den sechs Ländern der Initiative »Neue Zielmärkte« des BMWi. Von 2005 bis 2010 wuchs der Export in das amerikanische Land um jährlich zwölf Prozent. Da kann man bei Folter, Mord und Rechtsbrüchen schon mal ein Auge zudrücken, zumal Mexiko als Mitglied des Freihandelsabkommens NAFTA »für die Positionierung deutscher und europäischer Unternehmen auf den Märkten des amerikanischen Kontinents von strategischer Bedeutung (ist)«, so das BMWi.6 Das Ministerium macht die »neuen Zielmärkte« unter anderem daran fest, daß die deutschen Exporte dorthin »überdurchschnittlich, d.h. um mindestens 20 Prozent im Vorjahresvergleich wuchsen«. Außerdem ist für diese Kategorie festgelegt, daß das Marktpotential für deutsche Exporteure in Bereichen liegt, »die in besonderem Maße der politischen Flankierung bedürfen«. Dazu gehören unter anderem die Geschäfte im Bereich des »New Green Deal«. Ein wichtiger Akteur ist die deutsch-mexikanischen Industrie- und Handelskammer (CAMEXA). Diese war beteiligt als im Juni 2010 erstmalig eine »Unternehmerreise der Energiewirtschaft nach Mexiko« organisiert wurde, bei der es unter anderem um »erneuerbare Energieträger« und um Biotreibstoffe ging. In Fortsetzung dieser Bemühungen ist für den 31. Mai 2012 in Gelsenkirchen eine vom BMWi geförderte Informationsveranstaltung unter der Überschrift »Wind­energie Mexiko – Markteintrittschancen im größten Markt der Neuen Welt« geplant. Die Veranstalter locken insbesondere mit dem Potential der Landenge von Tehuantepec im Bundesstaat Oaxaca, die »mit einer Windgeschwindigkeit von zehn Meter pro Sekunde ausgestattet ist«. Die Region sei bis 15 Gigawatt ausbaufähig, von denen sechs Gigawatt schon heute wettbewerbsfähig seien. Insgesamt wird das Ausbaupotential Mexikos auf 37 Gigawatt bilanziert. Solche Windparks sind kritisch zu betrachten, denn bei ihrer Einrichtung geht es um Landnutzungsrechte. Nicht selten werden dabei die Ansprüche der lokalen Bevölkerung mißachtet, oder die Gemeinden werden bei den Verhandlungen über den Tisch gezogen, was zu Widerstand und dessen gewaltsamer Unterdrückung führt. Bei Protesten gegen die entstehenden Windparks in Oaxaca wurde Ende Oktober 2011 eine Person getötet und mehrere verletzt. Gegen die Führungsfiguren der Protestbewegung gab es massive Todesdrohungen. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hebt »die guten Beziehungen der beiden Länder« und die globale Entwicklungspartnerschaft mit Mexiko hervor. Zum Abschluß der im November 2011 geführten Kooperationsverhandlungen wurden Verträge über 118 Millionen Euro unterzeichnet. In einer Pressemitteilung des BMZ vom 25. November 2011 heißt es: »Die Bundesregierung wird künftig ihre Zusammenarbeit mit Mexiko zu den zukunftsträchtigen Themen Umwelt- und Klimaschutz, erneuerbare Energien, Erhalt der Biodiversität, (…) und in der Außenwirtschaftsförderung vertiefen.« Blutige Geschäfte Exporte von Rüstungsgütern und Sicherheitstechnologie fanden in dieser frohen Botschaft keine Erwähnung, sind aber fester Bestandteil der Außenwirtschaftsförderung. Nach Einschätzung anderer Regierungsstellen bieten sich für deutsche Unternehmen sehr gute Investitionsmöglichkeiten im Bereich der Sicherheitstechnologie. Nach offiziellen Angaben hat die mexikanische Regierung von 2007 bis 2011 umgerechnet 578 Millionen Euro für Rüstungsgüter ausgegeben. Eurocopter, der Tochter des deutsch-französischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, gelang es, sich ein ordentliches Stück von diesem Kuchen abzuschneiden. Über zwei Jahre verteilt werden zwölf Militärhubschrauber EC725 geliefert – Stückpreis etwa 24 Millionen Dollar.7 Damit das Geschäft auch künftig blüht, muß man am Ball bleiben. Derzeit entfaltet sich eine deutsch-mexikanische Sicherheitskooperation mit diplomatischen und kommerziellen Komponenten. Zwar sind die Kriegswaffenexporte (im Klartext: Schußwaffen und deren Zubehör) von Deutschland nach Mexiko im Jahr 2010 eingebrochen (siehe Grafik), doch von deutscher Seite bemüht man sich intensiv um die Herbeiführung einer Trendwende. Am 15. und 16. Februar 2012 präsentierten 21 Unternehmen in einer von CAMEXA und der deutschen Botschaft organisierten Veranstaltung »deutsche Sicherheitstechnik«. Über 40 Vertreter des mexikanischen Verteidigungs- und Marineministeriums »zeigten sich beeindruckt von dem deutschen Angebot«.9 Anwesend waren neben Eurocopter unter anderem die Carl Zeiss Optronics GmbH (Produzent von Zielfernrohren), die Flensburger Fahrzeugbau GmbH (Spezialist für Panzer-Wartung und Panzer-Zubehör), die Diehl Defence Holding, die Rheinmetall Defence GmbH, die RUAG (deutscher Ableger eines Schweizer Rüstungsunternehmens) und der Daimler-Konzern. Eine ursprünglich für den 16. April 2012 in Berlin geplante Informationsveranstaltung zur »Markterschließung Sicherheitstechnologie und Sicherheitsdienstleistung in Mexiko« wurde verschoben. Bei dieser Veranstaltung soll laut Ankündigung der »zivile Sicherheitsmarkt« mit einem »Volumen von ungefähr 6,2 Milliarden Euro pro Jahr« im Vordergrund stehen. Nach Einschätzung des Bonn International Center for Conversion kommt es in Mexiko in großen Teilen des Landes »aufgrund der schlechten Sicherheitslage und des geringen Vertrauens, das die Bevölkerung in die Arbeit der Polizei setzt, zu einem enormen Wachstum des kommerziellen Sicherheitssektors«.10 Etwa 8000 private Sicherheitsfirmen des Landes beschäftigen formell 114000 Personen. Auch die Zahl der bewaffneten Kräfte wird in Zukunft weiter wachsen. Die Stärke der Streitkräfte hatte sich seit Ende 2006 bereits um 50000 auf 280000 im Jahr 2010 erhöht. Hinzu kommen über 390000 Polizisten. Enrique Peña Nieto, der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat, hat für den Fall seiner Wahl eine weitere Erhöhung der Polizeikräfte um 40000 bzw. 50000 angekündigt und die Schaffung einer neuen, 40000 Mann starken Gendarmerie angekündigt.11 Da tut sich ein Markt für die deutsche Wirtschaft auf, der dringend einer »politischen Flankierung« bedarf. Von der mexikanischen Zivilgesellschaft gehen verzweifelte Bemühungen aus, der gescheiterten Strategie des »Krieges gegen den Drogenhandel«, eine Frieden stiftende Alternative entgegen zu setzen. Die Anfang Mai 2011 von dem Journalisten und Poeten Javier Sicilia initiierte nationale Kampagne »Für einen Frieden mit Gerechtigkeit und Würde« stellt die Strategie des militärischen Vorgehens in Frage. Am 7. August 2011 präsentierten der Rektor der Nationalen Autonomen Universität Mexikos, José Narro Robles, und der Präsident des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs, Diego Garcia ­Sayan, zusammen mit anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens »30 Vorschläge«, die sich an die politischen und sozialen Sektoren der Gesellschaft richten, um die Sicherheitsstrategie Mexikos zu korrigieren. Der jüngste diesbezügliche Versuch ist eine von zahlreichen Organisationen und prominenten Einzelpersonen unterschriebene »Proklamation zur Rettung der Nation«. Zehntausende Hungertote Die mexikanische Regierung hingegen setzt weiterhin auf eine militärische »Lösung«. Von der deutschen Regierung erhält sie Rückendeckung und deutsche Unternehmen beeilen sich, von der Fortsetzung dieser verfehlten Politik zu profitieren. Das schließt Bereiche ein, die aus Menschenrechtsperspektive hoch sensibel sind. Dazu zählen Rüstungsexporte und Investitionen in Technologien wie Windparks, deren Etablierung schon heute gewaltsame Konflikte mit der lokalen Bevölkerung hervorruft. Eine weitere Diskrepanz erhellt schlaglichtartig die Problemlage: Zwischen 2001 und 2011 starben laut offizieller Statistik in Mexiko 85343 Menschen an Unterernährung und Hunger. Das sind noch deutlich mehr als die erschreckend hohe Zahl von Todesopfern des »Krieges gegen den Drogenhandel«. In diesen zehn Jahren wurde weniger als die Hälfte des in den letzten fünf Jahren für Rüstungszwecke ausgegebenen Geldes, für die Beseitigung der Nahrungsunterversorgung verwendet.12 Wäre es nicht höchste Zeit, die Bekämpfung der Armut »politisch zu flankieren«? In diesem Bereich lassen sich allerdings keine »Neuen Zielmärkte« identifizieren. Anmerkungen 1 Mexico: Amnesty International completes High Level Mission – President Calderon commits to human rights. News Service No 152, 7 August 2007 (AI Index AMR 41/048/2007 – Public) 2 HRW (2011): Neither Rights Nor Security. Killings, Torture, and Disappearances in Mexico’s »War on Drugs«. S. 33ff. www.hrw.org/reports/2011/11/09/neither-rights-­nor-security-0 3 Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis90/Die Grünen vom 26.3.2012 Drucksache 17/9116, Frage 6 4 Delincuentes usan como bandera los derechos humanos : Saynez. Milenio v. 26.7.2011 www.milenio.com/cdb/doc/noticias2011/2e84e5d70f325a7d529744fdab9574fd 5 Siehe: »Ist der Export von Rüstungsgütern nach Mexiko mit den geltenden Richtlinien vereinbar? Positionspapier der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko vom 19.10.2011. www.mexiko-koordination.de/component/docman/doc_view/113-ruestungsexporte-und-menschenrechte-in-mexiko-19102011.html?Itemid=53 6 Neue Zielmärkte – Neue Wachstumschancen, Monatsbericht 02-2012 www.bmwi.de/Dateien/BMWi/PDF/Monatsbericht/Auszuege/02-2012-I-3,property=pdf, bereich=bmwi, sprache=de, rwb=true.pdf 7 Der Preis wurde der Website www.aircraftcompare.com/helicopter-airplane/Eurocopter-EC-725-Cougar/217 entnommen. Der Export der Helikopter erfolgte offenbar über Frankreich 8 BICC: Länderporträt Mexiko 2011, Bonn International Center for Conversion, S.7 www.bicc.de/ruestungsexport/pdf/countries/2011_mexiko.pdf 9 CAMEXA: Experten präsentierten Militärs deutsche Sicherheitstechnik, Pressemitteilung vom 21.2.2012; mexiko.ahk.de/news/news-einzelansicht/artikel/presentacion-de-alta-tecnologia-alemana-de-seguridad/?cHash=28dcf7407a0344e831a2af97a61651b2 10 BICC, a.a.O., S. 13 11 Stratfor: Mexico’s Plan to Create a paramilitary force. Bericht v. 19.4.2012 www.stratfor.com/weekly/mexicos-plan-create-paramilitary-force 12 Amerika21: Im Süden Mexikos droht schwere Ernährungskrise. Meldung vom 21.4.2012 amerika21.de/meldung/2012/04/51376/nahrungsmangel-oaxaca URL: http://www.jungewelt.de/2012/05-10/013.php

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