Freitag, 18. Mai 2012
Der Schweizerische Bauernkrieg von 1653
von Hans Mühlestein (1943)
Quelle: Kommunisten.ch
Auf Kommunisten-online am 16. Mai 2012
Anmerkung Roter Webmaster:
Wir übernehmen den Text unten von unseren Schweizer Genossen von Kommunisten.ch. Er behandelt eine revolutionäre Phase der Geschichte der Schweiz. Der in Deutschland kaum bekannt ist. Wir bringen den Text auch, um darüber zu informieren, welche revolutionären Epochen es au ch bei unseren Nachbarn gab.
G.A.
Vorbemerkung: Der nachfolgende Text wurde 1953 zum 300. Jahrestag des Bauernkrieges im Auftrag der Parteileitung der Partei der Arbeit der Stadt Bern durch ein Autorenkollektiv unter Mitwirkung von Hans Mühlestein verfasst und in der PdA-Zeitschrift «Sozialismus, Monatsschrift für Praxis und Arbeiterbewegung, Nr. 4» im April 1953 veröffentlicht. Hans Mühlestein, Autor des wichtigsten historisch-materialistischen Werks über den Schweizerischen Bauernkrieg1, Kunsthistoriker und Etruskologe, war auch Gründungsmitglied der Partei der Arbeit im Jahre 1944. (mh/13.05.2012)
Der Schweizerische Bauernkrieg von 1653
Heuer jährt sich zum 300. Male der grosse schweizerische Bauernkrieg von 1653.
Dieses bedeutende revolutionäre Ereignis unserer Geschichte wird von der Bourgeoisie entweder mit Stillschweigen übergangen oder aber verfälscht; um so grösser ist das Interesse der klassenbewussten Arbeiterschaft, diese Erhebung unterdrückter Volksmassen gebührend zu würdigen und in ihrem Wesen, ihren Ursachen und Folgen zu erkennen. Die Aneignung des fortschrittlich-demokratischen Erbes unseres Landes und seine Fruchtbarmachung im Kampf für nationale Unabhängigkeit und Sozialismus gehören zu den Aufgaben, die die Arbeiterklasse lösen muss, wenn sie ihren historischen Auftrag erfüllen und zur führenden nationalen Kraft werden will.
I.
Der Bauernkrieg von 1653 ist als ein Ereignis ersten Ranges in der Schweizergeschichte zu betrachten, stellt er doch einen Höhepunkt des Klassenkampfes dar, der die Grundlagen der feudal-absolutistischen Gesellschaftsordnung allmählich unterhöhlte und schliesslich 1798 zum Einsturz brachte. Seine Ursachen liegen in den Produktionsverhältnissen und der Klassenschichtung des 17. Jahrhunderts.
Während bei den Befreiungskämpfen der alten Eidgenossenschaft und der Reformation fortschrittliche Kräfte der bäuerlichen und städtisch-handwerklichen Demokratie am Werk gewesen waren, gewann in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer mehr eine antidemokratische, aristokratisch-absolutistische Entwicklung die Oberhand. In den Anfangszeiten des Bundes hatten die Orte oder Kantone alles Interesse am Zuzug neuer Bürger gehabt, denn dadurch wurden ihre wirtschaftlichen und militärischen Kräfte im Kampf gegen ihre feudalen Gegner gestärkt; später setzte sich aber mehr und mehr die Tendenz durch, die Bürgerzahl zu beschränken, um den Kreis der Nutzniesser bei der Ausbeutung der inzwischen eroberten Untertanengebiete möglichst eng zu halten. Vor allem in den Städten bildete sich ein Patriziat, eine kleine Schicht reicher, herrschender Geschlechter, die sämtliche einträglichen Staats- und Offiziersstellen für sich monopolisierten. Ebenso durften infolge des Zunftzwanges nur Stadtbürger ‘Handel und Handwerk ausüben; der Landbevölkerung war also jegliche Aufstiegsmöglichkeit verwehrt. Das städtische Patriziat war bestrebt, die Ausbeutung der Landgebiete durch Steigerung der feudalen Lasten, Abgaben, Steuern und Wucherzinsen zu verschärfen, die noch bestehenden Volksrechte und -freiheiten zu vernichten und seine absolutistische Herrschaft aufzurichten. Der Widerstand der Bauern gegen die verstärkte wirtschaftliche und politische Knechtung durch eine bevorrechtete Herrenklasse führte zum bewaffneten Aufstand von 1653.
Den unmittelbaren Anlass für den Ausbruch des Bauernkrieges bildete eine Wirtschaftskrise. Nach Abschluss des Dreissigjährigen Krieges (1648) kam es zu einem scharfen Rückgang der Lebensmittel- und Bodenpreise, weil die Ausfuhr von Landwirtschaftsgütern stockte und die vorher kriegsverwüsteten umliegenden Gebiete die Agrarproduktion wieder aufnahmen. Die verschuldeten Bauern konnten die drückende Last der gesteigerten Abgaben und Hypothekzinsen, die von den patrizischen Gläubigern rücksichtsIos eingetrieben wurden, nicht mehr tragen. Dazu kam eine von den aristokratischen Regierungen manipulierte Münzverschlechterung, wobei die Patrizier Gelegenheit hatten, sich in Sachwerte (vor allem Bodenbesitz) zu flüchten, während die Landbevölkerung von der ganzen Härte der Geldentwertung getroffen wurden. Die Bauern fühlten sich. mit. Recht betrogen, und ihre Verzweiflung kam gewaltsam zum Ausbruch.
II.
Der Bauernkrieg von 1653 muss als eine gegen den FeudalabsoIutismus gerichtete bäuerliche Erhebung in die Reihe jener langen revolutionären Klassenkämpfe gestellt werden, die der bürgerlichen Gesellschaft den Weg bahnten. In der Schweiz wirkte sich die blutige Niederwerfung der aufständischen Bauern von 1653 in einer dauernden Entfremdung zwischen der Landbevölkerung und der Städtearistokratie aus. Diese Entfremdung trug viel bei zum raschen militärisch-politischen Zusammenbruch der feudal-absolutistischen Ordnung im Jahre 1798 beim Einmarsch der Franzosen.
Das Kampfziel der Bauern war aber auch unmittelbar ein fortschrittliches, nämlich die Befreiung des bäuerlichen Eigentums von den feudalen Lasten. Der Sieg der Bauern in dieser Richtung hätte der kapitalistischen Durchdringung der Landwirtschaft freie Bahn geschaffen. Das Ziel der Bauern, die Beseitigung der feudalen Lasten an Menschen und am Boden, lief auf die Herstellung kleinen bäuerlichen Eigentums hinaus. Dieses freie bäuerliche Eigentum hätte aber das Eindringen der kapitalistischen Warenwirtschaft von der Stadt auf das Land erleichtert, der Vormarsch der Warenwirtschaft wäre schneller und gründlicher vor sich gegangen. Die Herbeiführung der kapitaIistisch-bürgerlichen Gesellschaftsordnung, die Akkumulation des Kapitals in der Stadt wäre rascher erfolgt. Weil der Sieg der Bauernrevolution die Verbürgerlichung der Gesellschaft gefördert hätte, ist diese Bewegung objektiv revolutionär gewesen. Die Niederlage der bäuerlichen Erhebung verzögerte dagegen die kapitaIistisch-bürgerliche Entwicklung.
Statt dessen wurde die langsamere Entwicklung des Kapitalismus durch die halbfeudale Ausplünderung des Landes fortgesetzt. Die Akkumulation des Kapitals durch die Aristokratie erfolgte langsam; die städtische kapitalistische Warenwirtschaft setzte sich nur allmählich durch; ihr fehlte der Markt, das freie bäuerliche Eigentum, das sie sich hätte unterjochen können.
Gewichtige Unterschiede zu ähnlichen Abläufen im Ausland dürfen aber nicht übersehen werden. Spricht man zum Beispiel vom antifeudalen Kampf der Schweizer Bauern, so muss man sich bewusst sein, dass hierzulande der Feudal-Absolutismus vorwiegend städtischpatrizische Züge trug. 1655 fehlte in der Schweiz eine feudale Grossgrundbesitzerklasse sowie ein landloses Bauernproletariat fast völlig. (Landlose Bauern wurden durch die Reisläuferei absorbiert.) Nicht der Gutsbesitzer drückte hier vorwiegend den Bauern mit feudalen Lasten, sondern eine städtische Aristokratie. Wirtschaftlich stützte sich das städtische Patriziat auf den Handel, die Manufaktur in kleinerem Massstabe sowie das Pensionen- und Söldnerwesen. So war zum Beispiel der Empfang von Bestechungs- und Söldnergeldern der ausländischen Mächte eine Haupteinnahmequelle der Luzerner Aristokratie.
Die absolutistische Rechtlosigkeit der Landbevölkerung, ihre Ausbeutung durch das städtische Patriziat bildete eine weitere wichtige Quelle der Kapitalakkumulation. Zusammenfassend kann man sagen, dass die damalige Patrizierschicht wirtschaftlich auf Handelskapital und Manufakturkapital einerseits und Söldnerkapital andererseits ruhte. (Das verelendete, überschüssige Landvolk lieferte Söldner, die man ins Ausland verkaufte.)
Der schändliche Menschenhandel, das Söldner- und Pensionenunwesen zeitigte auch eine starke Abhängigkeit der schweizerischen Aristokratie vom Ausland. Die ausländischen Grossmächte, die an der Armut und Unterdrückung der Landbevölkerung, dem Menschenreservoir der ausländischen Söldnerheere, stark interessiert waren, verfolgten deshalb den Bauernkrieg mit regster Anteilnahme. Es fehlte nicht an Ratschlägen und Einmischungen seitens der Gesandten Habsburg-Spaniens, Frankreichs, des Papstes. Führer und Haupthetzer im Kriege gegen die Bauern waren die obersten Agenten und Spione dieser Mächte, die Werdmüller und Zwyer. Charakteristisch für diese die nationale Unabhängigkeit gefährdende Auslandshörigkeit der herrschenden Klasse sind auch die Zwistigkeiten und Rivalitäten der Herren untereinander. Es gab eine spanisch-habsburgische Partei und eine französische Partei unter den Patriziern, wobei man oft besser von Agenturen als von Parteien sprechen wird. Diese feindlichen, auslandshörigen Gruppierungen intrigierten auch im Bauernkriege gegeneinander.
Die feile, auslandshörige herrschende Schicht der damaligen Schweiz hatte also den Landesverrat offen auf ihr Banner geschrieben. Sie lebte vom Empfang der Pensionengelder, die zum Beispiel der Urner Oberst Zwyer von Evibach, der erste Agent der habsburgisch-spanischen absolutistischen Feudalmacht, verteilte.
Diese Klasse lehnte sich auch in ihrer politischen Zielsetzung eng an das ausländische Vorbild an. Die reaktionärsten Zustände in den Ländern ihrer ausländischen Herren galten ihnen als Vorbild.
Den Aristokraten ging es darum, in Nachahmung ausländischen Absolutismus die landesherrliche Macht an sich zu reissen und die Volksrechte und die Selbständigkeit der Gemeinden zu vernichten. Ihr Endziel war die Aufrichtung des Gottesgnadentums, des absolutistischen Territorialstaates.
Führend in dieser Entwicklung war Bern. Berns reaktionäre Entwicklung zum Aristokratenzentrum der Schweiz war hauptsächlich durch die Eroberung des Waadtlandes begünstigt. Der ungeheure Bodenbesitz, die Ausplünderung dieses reichen Gebietes durch die herrschenden Familien machte Bern zur übermächtigen Feudalmacht, die gegen das Volk den Sieg davontragen konnte.
Gegen die Macht des patrizischen, feudal-absolutistisch regierenden Söldner- und Handelskapitals trat die revolutionäre Bauernklasse auf.
Welches waren ihre Ziele, welche Ideologie befeuerte ihren Kampf? Die politische Ideologie der Bauern spiegelte ihre eigentlichen wirtschaftlich-gesellschaftlichen Zielsetzungen nur unklar wider. Das Bewusstsein der Bauern war bei dieser Erhebung an die Vergangenheit gefesselt. Politisch erstrebten die Bauern die Wiederherstellung der alteidgenössischen Landsgemeindedemokratie, die sie stark idealisierten. Man kann hier von einer heroischen Illusion der Bauern sprechen. Was sie mit ihrem Bauernbund schufen, war aber faktisch der Ansatz zu einem demokratischen bäuerlichen Klassenstaat. Doch unabhängig von diesem historisch-rückschrittlichen Bewusstsein der Bauern besteht der objektiv-revolutionäre Charakter der Bewegung! Die Anknüpfung an das «goldene Zeitalter» freien Bauerntums, die Zeit der ältesten Eidgenossenschaft, war für die Bauern ausserordentlich naheliegend. Dass unter den «modernen» feudal-absolutistischen Verhältnissen, dass in der Zeit der vordringenden kapitalistischen Warenwirtschaft jene «goldene Zeit» endgültig vorüber war, das konnten die Bauern nicht begreifen. Trotz dieser heroischen Illusion der Bauern steht aber, wie gesagt, der revolutionäre Charakter der ganzen Bewegung fest. Er zeigt sich auch ideologisch im Anknüpfen an die Ideologie des Naturrechts, die später das Bewusstsein der bürgerlichen Revolutionäre in der grossen französischen Revolution erfüllte. Die Erhebung der Bauern bildete eine Vorstufe zur allgemeinen bürgerlichen Revolution, die auf den Sturz des aristokratisch-absolutistischen Regimes hinarbeitete. Leider blieben die Bauern auf dieser Vorstufe der Revolution stecken.
Es blieb praktisch bei den historischen Erinnerungen an die entscheidende Rolle der Bauern auf einer früheren Stufe der geschichtlichen Entwicklung, beim Ausspielen des uralten Gegensatzes von Stadt und Land, Ideen, die sich in Vieh- und Fruchtsperren gegen die Stadt, Steuer- und Zinsstreiks und anderen lokalen Forderungen realisierten. Über den Gedanken eines bäuerlichen Klassenstaates, eines Bauernbundes ging man kaum hinaus.
Eine Erweiterung des borniert-bäuerlichen Horizontes brachte erst die Beteiligung der Bürgerschaften einiger Landstädte mit sich. Die Teilnahme der Bürgerschaften der Kleinstädte Willisau, Olten, Lenzburg, Aarburg, Liestal usw. veranlasste die Bauern, ihren Bund zum allgemeinen Volksbund zu erweitern.
Die Bürger der genannten Kleinstädte machten bei den Bauern mit, weil sie selber entrechtet waren, weil sie von den grossen Kantonshauptstädten den völligen Verlust ihrer Freiheiten befürchteten. Eine besonders revolutionäre Rolle spielten unter diesen Kleinbürgern die Willisauer. Die Forderungen der Willisauer gingen auf öffentliche Volkswahl aller Amts- und Gerichtspersonen, also die Wiederherstellung der primitiven, alteidgenössischen Landsgemeindedemokratie. Dazu kamen die Forderungen gegen die wirtschaftlichen Monopole, die indirekten Steuern. Ferner trat dazu die Ablehnung des Zunftzwanges, ein typisches Begehren der städtischen Handwerker. Die Willisauer waren eben entrechtete Bürger, die um ihre Befreiung von der privilegierten Aristokratie kämpften. Die Willisauer zeigen deshalb die grösste Ähnlichkeit mit den Bürgern der Revolution Cromwells von 1649 und den Citoyens der französischen Revolution. Nur spielte sich in Willisau alles im winzigen kleinbürgerlichen Umfang ab.
Es ist verständlich, dass diese Bürger der Landstädte den bäuerlichen Klassencharakter des Bundes nicht ändern konnten. Das hätten die Bürger der grossen Städte, das in den Schranken der Zunftordnung sich beengt fühlende Kaufmannstum und Handwerkertum und zum Teil schon das Manufakturbürgertum durchsetzen können, wenn sie mit in den Aufstand gezogen wären. Dies war nirgends der Fall. Im Gegensatz zu dem durch den Überseehandel schon stark entwickelten englischen Bürgertum war das schweizerische damals noch zu schwach und rückständig. Wäre dies doch der Fall gewesen, so wäre der Bauernbund eine Übergangsstufe zum bürgerlichen Bundesstaat von 1848 geworden. In ihm lag schon der Keim zur Entwicklung vom Staatenbund zum Bundesstaat. Denn im Gegensatz zur zerklüfteten alten Eidgenossenschaft war der Bauernbund der Kampfbund einer unterdrückten Klasse, der über die Religions- und Kantonsschranken hinweg alle Bauern umfasste.
An Versuchen der Bauern, die Bürger der grossen Städte zu sich herüberzuziehen, fehlte es hierbei nicht ganz. Besonders aktiv waren in dieser Richtung natürlich die Bewohner der Kleinstädte. Die Entlebucher versuchten die Verbindung mit der stadtbürgerlichen Opposition gegen das Patriziat zu einer Kampfgemeinschaft auszubauen. In einem Schreiben an die Bürgerschaft von Luzern heisst es: «dass ihr Unternehmen nicht gegen die Bürger, sondern gegen die Herren gerichtet sei, die durch ihre Tyrannei Stadt und Land bedrohten».
Dass die Entlebucher hier wieder wie fast immer im Verlaufe des Bauernkrieges die Initiative ergriffen, war nicht zufällig. Die Entlebucher besassen mehr Unabhängigkeit, mehr Volksfreiheiten als die übrigen Bauerngebiete der Schweiz. Von ihnen ging deshalb auch die bäuerliche Revolution aus, sie waren während des ganzen Krieges die entschiedensten Revolutionäre.
Was in Olten, Liestal, Lenzburg, Willisau gelang, scheiterte in den Kantonshauptstädten. Die Bürgerschaft dieser Städte war seit Jahrhunderten an der Ausbeutung des Landes durch die Stadt interessiert. Ein Sieg der Bauern hätte diese Ausbeutungsprivilegien bedroht. Die städtischen Plebejer kämpften mit dem Patriziat höchstens um ihren Anteil an den vom Lande erpressten Profiten, um ihren Teil an den Pensionsgeldern.
Für ein Hinübergleiten der Bauernrevolution in eine grosse bürgerliche Revolution, wie dies zur gleichen Zeit in England unter Cromwell erfolgte, waren die Verhältnisse in der Schweiz noch nicht reif. Das schweizerische Bürgertum war eben viel unentwickelter als die englische Bourgeoisie. (Bei diesem Zurückbleiben spielte der fehlende Überseehandel eine Rolle sowie eine schweizerische Eigenart: Die Bildung des Kapitals erfolgte in der Schweiz zum Teil durch die Einnahmen aus dem Verkauf der Landeskinder an das Ausland.)
Es war vor allem das Fehlen des Bündnisses zwischen Bauern und unterdrückten Städteplebejern, das die Revolution zum Scheitern brachte.
Dazu traten noch eine Reihe eigentümlicher, für die Bauernaufstände charakteristischer Schwächen. Die bäuerliche Produktion macht den Bauern zum Individualisten, führt zur Dezentralisation, fördert die Neigung zum Anarchismus. Diese Neigung zur Isolierung, zur Lokalborniertheit hat schon Engels im deutschen Bauernkrieg von 1525 festgestellt. Sie zeigte sich auch im Bauernkrieg von 1653. Der Zusammenhang zwischen Entlebuch und Emmental, zwischen Solothurn und Baselland war ungenügend. Aufflammen des Aufstandes in einem Landesteil war vom Erlöschen im anderen Kanton begleitet.
Die Bauern steckten ferner fast durchgehend in einem eigentlichen Urkunden- und Rechtswahn. Sie pochten auf papierene Verträge, fielen auf derartige Abmachungen und schriftliche Versprechen der Herren hinein. Zur Erkenntnis der Herren als des Klassenfeindes reichte es meistens nicht. So liessen sich die Bauern, statt zuzuschlagen, als sie das militärische Übergewicht besassen, auf Waffenstillstandsverhandlungen, auf Ernennung von sog. neutralen Schiedsrichtern und eidgenössischen Vermittlern ein. Die Aristokratie beherrschte dieses verlogene Spiel meisterhaft. So gewann sie Zeit, um Truppen heranzuziehen und sich im Ausland um Hilfe umzusehen.
Eine besonders rege Tätigkeit entfalteten die Aristokraten, wenn es galt, Diversanten und Spione in die Friedensverhandlungsdelegationen einzuschmuggeln. Zu solchen Verräter- und Spionagediensten gab sich vor allem die Geistlichkeit auf dem Lande her, wobei sich besonders die bernische Geistlichkeit unrühmlich hervortat.
Auch militärisch hatten die Bauern schweren Stand; an der Spitze der Gegenseite standen die Werdmüller, international bekannte Haudegen und Militärstrategen.
Trotz diesen Nachteilen wurde der Kampf von Seite der Bauern auf eine Weise geführt, die unsere Bewunderung erweckt. Auf dem Höhepunkt des Aufstandes entfalteten die Bauern politisch wie militärisch ein Können, das die absolutistische Herrschaft an den Rand des Abgrundes drängte. Und wenn auch der Endsieg den Bauern versagt blieb, so hat doch ihr Kampf mächtig zum Untergang der verrotteten alten Eidgenossenschaft beigetragen. Der Bauernkrieg hatte an den Fesseln der feudal-absolutistischen Gesellschaft gerüttelt und bereitete so den Weg zur bürgerlichen Gesellschaft, der nächsten geschichtlichen Etappe auf der Strasse zur sozialistischen Gesellschaftsordnung.
Aus diesem Grunde betrachten auch die bürgerlichen Historiker und die moderne Grossbourgeoisie den Bauernkrieg von 1653 mit heimlichem Grauen. Denn die moderne Grossbourgeoisie unterdrückt die Bauernschaft in ähnlicher Weise wie dies die Aristokratie von 1653 tat. Schmachteten damals die Bauersleute unter dem Joch aristokratischer Landvögte, so saugt heute der Zinswucher der städtischen Banken die Bauern aus. Die feudale Form der Ausbeutung der Bauern ist gewichen, aber sie hat einer neuen kapitalistischen Form Platz gemacht. Und wie damals die gnädigen Herren von Bern den blutigen Terror über die besiegten Revolutionäre eröffneten, so verfolgen heute die Herren von Bern alle fortschrittlichen Kämpfer in Stadt und Land. Wie sehr aber die moderne Geldaristokratie ebenfalls mit dem Ausland gegen das eigene Volk marschiert, zeigt sich gerade in der Landwirtschaft. Die eigenen landwirtschaftliche Produktion wird der übermächtigen Konkurrenz aus Übersee und dem mit der Montanunion verknüpften Agrarpool geopfert.
Doch eines hat sich grundlegend geändert. 1653 stand die revolutionäre Bauernschaft allein. 1953 hat sie einen mächtigen treuen Verbündeten: Die klassenbewusste Arbeiterschaft. Dem vereinten Ansturm von Arbeiterschaft und Bauernvolk wird auch eines Tages gelingen, was 1653 scheitern musste: Die restlose Befreiung des arbeitenden Bauern.
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1 Hans Mühlestein: Der grosse schweizerische Bauernkrieg, Celerina (Selbstverlag) 1943; Zürich (Unionsverlag) 1977, ISBN 3-293-00003-7; http://www.unionsverlag.com/info/title.asp?title_id=1211 (vergriffen, abgefragt 13.5.2012)
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