Die ausführlichere Version eines Artikels, der morgen (22.05.2010) auf
amerika21.de erscheint.
Philipp Gerber, Oaxaca
In der Region der Triqui-Indigenen regiert weiterhin die Gewalt. Drei
Wochen nach dem Angriff auf eine Menschenrechtskarawane in der
abgelegenen Region Oaxacas wurden am 20. Mai Timoteo Alejandro Ramírez
(46) und seine Ehefrau Cleriberta Castro (36) erschossen. Ramírez galt
als „natürliche Autorität" seiner Gemeinde Yosoyuxi sowie Gründer und
„politisches Hirn" des autonomen Bezirks San Juan Copala.
Die Angreifer tarnten sich als Verkäufer und schossen das Ehepaar in
dessen Lebensmittelladen nieder. Fünf Kinder wurden zu Vollwaisen. Die
Attentäter konnten in ihrem Lastwagen fliehen. Augenzeugen erkannten sie
jedoch, sie sollen nicht-indigene, bezahlte Mörder aus dem Nachbarbezirk
Putla Villa de Guerrero sein. Dennoch macht MULTI die indigene
Organisation MULT für den Doppelmord verantwortlich. Von MULT hat sich
MULTI 2006 abgespalten und den autonomen Bezirk mit Sitz in San Juan
Copala aufgebaut. MULT seinerseits bezeichnet Timoteo Alejandro Ramírez
als verantwortlich für das Verschwindenlassen von zwei jungen Frauen im
Jahre 2007, was dieser bestritt. Eine seriöse Abklärung der Vorwürfe
durch die Behörden fand wie meist nicht statt.
Gleichzeitig mit dem Angriff in Yosoyuxi wurde auch San Juan Copala
beschossen. San Juan Copala wird seit sechs Monaten von Anhängern der
bewaffneten Organisationen MULT und UBISORT belagert. Vergangenes
Wochenende wurden 35 Frauen und Kinder, welche sich in der Bezirksstadt
Santiago Juxtlahuaca mit Lebensmitteln eindeckten, auf dem Rückweg von
Paramilitärs der UBISORT abgefangen. Einige konnten fliehen, aber 13
Frauen und Kinder wurden entführt und eine Nacht lang misshandelt. Dabei
wurden die Triqui-Frauen erst von 300 Polizisten und Vertretern der
Regierung zusammen mit dem Chef der UBISORT, Rufino Juárez Hernández,
„zurück begleitet". Aber nicht nach San Juan Copala, sondern in das weit
entfernte Yosoyuxi, worauf sich die Frauen alleine auf das letzte und
gefährlichste Wegstück machen mussten – und prompt überfallen wurden.
Jorge Albino Ortiz, Sprecher des zapatistisch inspirierten autonomen
Bezirks, hält am Aufruf für die Menschenrechtskarawane „Alberta Cariño
Trujillo y Jyri Antero Jaakkola" fest, welche den Namen der beiden am
27. April ermordeten AktivistInnen trägt. Die neuen Morde lassen jedoch
grosse Zweifel aufkommen über die Machbarkeit der neuen Karawane vom 8.
Juni, solange die Mörder weiterhin auf freiem Fuss sind und offen mit
der Regierung kollaborieren. Zudem stellt sich die Frage, welche
Konsequenzen die Ermordung von Timoteo Alejandro Ramírez auf den
aktuellen Kriegszustand in der Triqui-Zone hat.
Donnerstag, 27. Mai 2010
Donnerstag, 20. Mai 2010
Bibelarbeit mit Putschisten
Kirchentag in München bietet honduranischem Kardinal und Putschisten
Rodríguez Maradiaga ein Podium.
Veranstalter schweigen zu Kritik
Von Harald Neuber
München. Während die EU nach internationalen Protesten eine Einladung an
den De-facto-Präsident von Honduras, Porfirio Lobo, zurückgenommen hat,
wird einem prominenten Fürsprecher des Staatsstreiches in dem
mittelamerikanischen Land in Deutschland ein Forum geboten: Der
honduranische Kardinal Oscar Rodríguez Maradiaga nimmt an dem 2.
Ökumenischen Kirchentag in München teil.
Rodríguez hatte den Militärputsch gegen den letzten demokratisch
gewählten Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, mehrfach verteidigt
und die tödliche Gewalt gegen Aktivisten der Demokratiebewegung
verharmlost. Laut Programm des Kirchentags wird der Kirchenfunktionär am
Freitag und Samstag an vier Veranstaltungen auf dem Messegelände in
München teilnehmen. So will der Putschist Rodríguez mit den deutschen
Gästen unter anderem "Bibelarbeit" leisten. Menschenrechtsorganisationen
haben dagegen Proteste angekündigt.
Nach dem Putsch am 28. Juni vergangenen Jahres in Honduras habe der
Kardinal den Staatsstreich als "verfassungsmäßige Nachfolge" verteidigt,
heißt es in einem offenen Brief der Menschenrechtsorganisation FIAN
International an das Präsidium des Ökumenischen Kirchentages. Rodríguez
sei damit der Sprachregelung der Putschisten gefolgt. "Die
internationale Gemeinschaft hat den Staatsstreich dagegen einhellig als
solchen verurteilt und die Rückkehr zu Demokratie und verfassungsmäßiger
Ordnung gefordert", erinnert der Zentralamerika-Referent von FIAN
International, Martin Wolpold-Bosien.
"Erhebliche Irritationen" habe das Schweigen des Kardinals zu den
Menschenrechtsverletzungen nach dem Putsch ausgelöst. "Die alarmierenden
Berichte der nationalen und internationalen
Menschenrechtsorganisationen, der Interamerikanischen
Menschenrechtskommission und der UNO wurden von ihm ignoriert", so
Wolpold-Bosien. Selbst als Mitglieder der Kirche wegen ihres Engagements
in der Demokratiebewegung Opfer von Gewalt und Unterdrückung wurden,
habe der Erzbischof geschwiegen. "Vor diesem Hintergrund ist es wichtig,
dass die kirchlichen Partner in Deutschland Kardinal Rodríguez kein
Forum zur Selbstdarstellung bieten. Stattdessen sollten sie ihn zu einem
offenen Dialog auffordern und Rechenschaft verlangen für sein Reden und
Schweigen der vergangenen Monate". Die Einladung "ist aus unserer Sicht
unglücklich und befremdlich", meint FIAN International.
Amerika21.de fragte am Donnerstagvormittag bei der Geschäftsstelle des
Vereins 2. Ökumenischer Kirchentag München 2010 nach, ob die Rolle des
honduranischen Bischofs tatsächlich nicht bekannt war. Bis zum
Freitagabend reagierte der verantwortliche Pressesprecher Dr. Martin
Stauch trotz mehrmaliger Nachfrage nicht. An Überforderung kann es nicht
gelegen haben: Die Geschäftsstelle des Vereins beschäftigt nach eigenen
Angaben 80 hauptamtliche Mitarbeiter.
URL:
http://amerika21.de/nachrichten/inhalt/2010/mai/kirchentag-927484-rodriguez/
Rodríguez Maradiaga ein Podium.
Veranstalter schweigen zu Kritik
Von Harald Neuber
München. Während die EU nach internationalen Protesten eine Einladung an
den De-facto-Präsident von Honduras, Porfirio Lobo, zurückgenommen hat,
wird einem prominenten Fürsprecher des Staatsstreiches in dem
mittelamerikanischen Land in Deutschland ein Forum geboten: Der
honduranische Kardinal Oscar Rodríguez Maradiaga nimmt an dem 2.
Ökumenischen Kirchentag in München teil.
Rodríguez hatte den Militärputsch gegen den letzten demokratisch
gewählten Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, mehrfach verteidigt
und die tödliche Gewalt gegen Aktivisten der Demokratiebewegung
verharmlost. Laut Programm des Kirchentags wird der Kirchenfunktionär am
Freitag und Samstag an vier Veranstaltungen auf dem Messegelände in
München teilnehmen. So will der Putschist Rodríguez mit den deutschen
Gästen unter anderem "Bibelarbeit" leisten. Menschenrechtsorganisationen
haben dagegen Proteste angekündigt.
Nach dem Putsch am 28. Juni vergangenen Jahres in Honduras habe der
Kardinal den Staatsstreich als "verfassungsmäßige Nachfolge" verteidigt,
heißt es in einem offenen Brief der Menschenrechtsorganisation FIAN
International an das Präsidium des Ökumenischen Kirchentages. Rodríguez
sei damit der Sprachregelung der Putschisten gefolgt. "Die
internationale Gemeinschaft hat den Staatsstreich dagegen einhellig als
solchen verurteilt und die Rückkehr zu Demokratie und verfassungsmäßiger
Ordnung gefordert", erinnert der Zentralamerika-Referent von FIAN
International, Martin Wolpold-Bosien.
"Erhebliche Irritationen" habe das Schweigen des Kardinals zu den
Menschenrechtsverletzungen nach dem Putsch ausgelöst. "Die alarmierenden
Berichte der nationalen und internationalen
Menschenrechtsorganisationen, der Interamerikanischen
Menschenrechtskommission und der UNO wurden von ihm ignoriert", so
Wolpold-Bosien. Selbst als Mitglieder der Kirche wegen ihres Engagements
in der Demokratiebewegung Opfer von Gewalt und Unterdrückung wurden,
habe der Erzbischof geschwiegen. "Vor diesem Hintergrund ist es wichtig,
dass die kirchlichen Partner in Deutschland Kardinal Rodríguez kein
Forum zur Selbstdarstellung bieten. Stattdessen sollten sie ihn zu einem
offenen Dialog auffordern und Rechenschaft verlangen für sein Reden und
Schweigen der vergangenen Monate". Die Einladung "ist aus unserer Sicht
unglücklich und befremdlich", meint FIAN International.
Amerika21.de fragte am Donnerstagvormittag bei der Geschäftsstelle des
Vereins 2. Ökumenischer Kirchentag München 2010 nach, ob die Rolle des
honduranischen Bischofs tatsächlich nicht bekannt war. Bis zum
Freitagabend reagierte der verantwortliche Pressesprecher Dr. Martin
Stauch trotz mehrmaliger Nachfrage nicht. An Überforderung kann es nicht
gelegen haben: Die Geschäftsstelle des Vereins beschäftigt nach eigenen
Angaben 80 hauptamtliche Mitarbeiter.
URL:
http://amerika21.de/nachrichten/inhalt/2010/mai/kirchentag-927484-rodriguez/
Freitag, 14. Mai 2010
BP-Ölpest: nicht 5000 sondern 70.000 Barrel täglich
Warum der Konzern Unterwasseraufnahmen geheim hielt
Die Oelpest, verursacht durch die Bohrplattform "Deepwater Horizon" ist aller Wahrscheinlichkeit nach sehr viel schwerwiegender, als angenommen. Erst nach mehr als 3 Wochen wurde ein Unterwasservideo von der Leckage veroeffentlicht, nachdem BP von US-Regierung und Medien unter Druck gesetzt wurde. Anhand dieser Aufnahme kalkulieren Wissenschaftler den Ausstoß auf bis zu 100.000 Barrel taeglich. Der von Steven Merely, Professor an der Prudoe Universitaet fuer Ingenieurswissenschaften, als Mittelwert errechnete Umfang der Leckage entspricht etwa 13 Millionen Liter taeglich.
Verschiedene Wissenschaftler haben unabhaengig voneinander auf Grundlage des Unterwasservideos Berechnungen angestellt und schaetzen den Umfang des Ausstoßes auf das 4 bis 20-fache, der bisher behaupteten 5000 Barrel am Tag. Ein Umfang von 70.000 Barrel bedeutete, dass innerhalb von vier Tagen die Oelmenge erreicht waere, die bei der bisher groeßten Oelpest in den USA bei der Havarie der Exxon Valdez das Meer und die Kuesten verschmutzen.
BP: geringfuegige Verschmutzung
Von verschiedener Seite wird darauf gedrungen, die Menge des auslaufenden Oels und damit den Schaden festzustellen, unter anderem mithilfe bewaehrter Methoden und Geraeten, die hierfuer im Unterwasserbereich eingesetzt werden. Zwei Experten fuer ozeanografische Messungen vom Institut fuer Ozeanografie in Massachussetts hatten bereits angeboten, solche Messungen durchzufuehren. Sie wurden jedoch vom BP-Konzern abgewiesen. Man erklaerte seitens der BP, man wolle das Oel nicht messen, sondern das Leck stoppen.
BP-Chef Hayward wiederum erklaerte nun, der Umfang der Verschmutzung sei recht geringfuegig, gemessen an der Groeße des Ozeans.
Raetselraten ueber Verbleib des Oels
Da der Oelteppich auf der Wasseroberflaeche dies Ausmass nicht erkennen laesst, wird vermutet, dass ein großer Teil des Oels in einer umfangreichen Wolke unterhalb der Oberflaeche haengt, zwischen dem Meeresboden in 1500 Meter Tiefe und nun in unkalkulierbare Richtungen treibt, da sich der Stroemungsverlauf in groeßeren Wassertiefen von dem der Oberflaeche unterscheidet. Damit herrscht Raetselraten ueber den Verbleib des Oels, das damit unvorhergesehen an einer Kueste anlanden kann, die bisher nicht ins Kalkuel einbezogen wurde, oder mit dem Golfstrom in den Atlantik spuelen.
Bisher ist nicht bekannt, dass Bemuehungen unternommen werden, den Weg des Oels im unterseeischen Bereich zu verfolgen. Nur ein Forschungs-U-Boot ist bisher im Bereich der Unfallstelle im Einsatz
http://www.huffingtonpost.com/2010/05/14/gulf-oil-spill-may-be-far_n_576127.html
http://www.msnbc.msn.com/id/37125240/ns/gulf_oil_spill/
http://www.msnbc.msn.com/id/37141752/ns/us_news-the_new_york_times/
http://www.huffingtonpost.com/2010/05/14/bp-ceo-gulf-oil-spill-rel_n_576215.html
Die Oelpest, verursacht durch die Bohrplattform "Deepwater Horizon" ist aller Wahrscheinlichkeit nach sehr viel schwerwiegender, als angenommen. Erst nach mehr als 3 Wochen wurde ein Unterwasservideo von der Leckage veroeffentlicht, nachdem BP von US-Regierung und Medien unter Druck gesetzt wurde. Anhand dieser Aufnahme kalkulieren Wissenschaftler den Ausstoß auf bis zu 100.000 Barrel taeglich. Der von Steven Merely, Professor an der Prudoe Universitaet fuer Ingenieurswissenschaften, als Mittelwert errechnete Umfang der Leckage entspricht etwa 13 Millionen Liter taeglich.
Verschiedene Wissenschaftler haben unabhaengig voneinander auf Grundlage des Unterwasservideos Berechnungen angestellt und schaetzen den Umfang des Ausstoßes auf das 4 bis 20-fache, der bisher behaupteten 5000 Barrel am Tag. Ein Umfang von 70.000 Barrel bedeutete, dass innerhalb von vier Tagen die Oelmenge erreicht waere, die bei der bisher groeßten Oelpest in den USA bei der Havarie der Exxon Valdez das Meer und die Kuesten verschmutzen.
BP: geringfuegige Verschmutzung
Von verschiedener Seite wird darauf gedrungen, die Menge des auslaufenden Oels und damit den Schaden festzustellen, unter anderem mithilfe bewaehrter Methoden und Geraeten, die hierfuer im Unterwasserbereich eingesetzt werden. Zwei Experten fuer ozeanografische Messungen vom Institut fuer Ozeanografie in Massachussetts hatten bereits angeboten, solche Messungen durchzufuehren. Sie wurden jedoch vom BP-Konzern abgewiesen. Man erklaerte seitens der BP, man wolle das Oel nicht messen, sondern das Leck stoppen.
BP-Chef Hayward wiederum erklaerte nun, der Umfang der Verschmutzung sei recht geringfuegig, gemessen an der Groeße des Ozeans.
Raetselraten ueber Verbleib des Oels
Da der Oelteppich auf der Wasseroberflaeche dies Ausmass nicht erkennen laesst, wird vermutet, dass ein großer Teil des Oels in einer umfangreichen Wolke unterhalb der Oberflaeche haengt, zwischen dem Meeresboden in 1500 Meter Tiefe und nun in unkalkulierbare Richtungen treibt, da sich der Stroemungsverlauf in groeßeren Wassertiefen von dem der Oberflaeche unterscheidet. Damit herrscht Raetselraten ueber den Verbleib des Oels, das damit unvorhergesehen an einer Kueste anlanden kann, die bisher nicht ins Kalkuel einbezogen wurde, oder mit dem Golfstrom in den Atlantik spuelen.
Bisher ist nicht bekannt, dass Bemuehungen unternommen werden, den Weg des Oels im unterseeischen Bereich zu verfolgen. Nur ein Forschungs-U-Boot ist bisher im Bereich der Unfallstelle im Einsatz
http://www.huffingtonpost.com/2010/05/14/gulf-oil-spill-may-be-far_n_576127.html
http://www.msnbc.msn.com/id/37125240/ns/gulf_oil_spill/
http://www.msnbc.msn.com/id/37141752/ns/us_news-the_new_york_times/
http://www.huffingtonpost.com/2010/05/14/bp-ceo-gulf-oil-spill-rel_n_576215.html
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CFMD-Update
13. Mai – Update Apocalypse Now!
Liebe Gemeinde!
Zeit für ein neues Update, na das wurde aber auch Zeit! Mit neuen Interviews oder dergleichen können wir heute zwar nicht dienen, aber trotzdem haben wir wieder eine Menge Stoff für Euch an den Start gebracht.
Als erstes hätten wir da einen kleinen Vorbericht zum GRIND THE NAZI SCUM-Festival 2010 im Angebot, welches Ende Juni über die Bühne geht. 1O Jahre wird dieses denkwürdige Event heuer alt und so wie es bislang ausschaut, wird die CFMD-Crew auch diesmal wieder bei dem Festival aufschlagen. Von daher würden wir uns freuen, wenn wir uns auch in 2010 in Torgau wieder recht zahlreich über den Weg laufen würden!
Seit Ewigkeiten hat sich außerdem an der lange nicht aktualisierten Lyrics-Front mal wieder etwas getan. Und so haben wir heute für Euch die Texte der (noch) aktuellen Longplayer von CATTLE DECAPITATION, MISERY INDEX und NAPALM DEATH im Angebot. Lesen schadet jedenfalls überhaupt nichts!
Beim letzten Update der CFMD-Homepage gaben wir außerdem bereits bekannt, dass die Klogriffe in der aktuellen Ausgabe des Fatal Underground-Zines nicht unkommentiert bleiben würden. Dass es soweit kommen musste, ist eigentlich traurig. Der Sache mit Stillschweigen zu begegnen, kam für uns allerdings nicht in Frage!
Ansonsten empfiehlt sich (wie eigentlich fast immer) ein Blick auf die aktualisierten Events und auf die aktuellen Onlinereviews, denn da hat sich mal wieder so einiges getan! Bei den Onlinereviews standen übrigens folgende Tonträger auf den Prüfstand:
ABSCESS – Dawn Of Inhumanity –Cd
BANGSAT / CAUSE OF DIVORCE – Split –Lp
BATTLE OF WOLF 359 / RESURRECTIONISTS – Split –10"
BLOOD I BLEED – High Octane Thrash –Lp
DEPRESSION – Dekade(nz) –Cd
DEPRESSION – Eine Rückbesinnung –Cd
DESPONDENCY – Revelation IV - Rise Of The Nemesis –Cd
EXHALE – Blind –Cd
KEITZER – As The World Burns –Lp
MR. DEATH – Detached From Life –Cd
SWALLOWED – Epitaph Of Nauseation –Demo Tape
VON BØØM – Punkrockterrorists –Cd
WORMROT – Abuse –Lp
Ok, das soll's für heute gewesen sein. Bis Juni, wenn es wieder heißt: Update Apocalypse Now!!!
Eure CFMD-Crew
http://www.campaign-for-musical-destruction.de/
Liebe Gemeinde!
Zeit für ein neues Update, na das wurde aber auch Zeit! Mit neuen Interviews oder dergleichen können wir heute zwar nicht dienen, aber trotzdem haben wir wieder eine Menge Stoff für Euch an den Start gebracht.
Als erstes hätten wir da einen kleinen Vorbericht zum GRIND THE NAZI SCUM-Festival 2010 im Angebot, welches Ende Juni über die Bühne geht. 1O Jahre wird dieses denkwürdige Event heuer alt und so wie es bislang ausschaut, wird die CFMD-Crew auch diesmal wieder bei dem Festival aufschlagen. Von daher würden wir uns freuen, wenn wir uns auch in 2010 in Torgau wieder recht zahlreich über den Weg laufen würden!
Seit Ewigkeiten hat sich außerdem an der lange nicht aktualisierten Lyrics-Front mal wieder etwas getan. Und so haben wir heute für Euch die Texte der (noch) aktuellen Longplayer von CATTLE DECAPITATION, MISERY INDEX und NAPALM DEATH im Angebot. Lesen schadet jedenfalls überhaupt nichts!
Beim letzten Update der CFMD-Homepage gaben wir außerdem bereits bekannt, dass die Klogriffe in der aktuellen Ausgabe des Fatal Underground-Zines nicht unkommentiert bleiben würden. Dass es soweit kommen musste, ist eigentlich traurig. Der Sache mit Stillschweigen zu begegnen, kam für uns allerdings nicht in Frage!
Ansonsten empfiehlt sich (wie eigentlich fast immer) ein Blick auf die aktualisierten Events und auf die aktuellen Onlinereviews, denn da hat sich mal wieder so einiges getan! Bei den Onlinereviews standen übrigens folgende Tonträger auf den Prüfstand:
ABSCESS – Dawn Of Inhumanity –Cd
BANGSAT / CAUSE OF DIVORCE – Split –Lp
BATTLE OF WOLF 359 / RESURRECTIONISTS – Split –10"
BLOOD I BLEED – High Octane Thrash –Lp
DEPRESSION – Dekade(nz) –Cd
DEPRESSION – Eine Rückbesinnung –Cd
DESPONDENCY – Revelation IV - Rise Of The Nemesis –Cd
EXHALE – Blind –Cd
KEITZER – As The World Burns –Lp
MR. DEATH – Detached From Life –Cd
SWALLOWED – Epitaph Of Nauseation –Demo Tape
VON BØØM – Punkrockterrorists –Cd
WORMROT – Abuse –Lp
Ok, das soll's für heute gewesen sein. Bis Juni, wenn es wieder heißt: Update Apocalypse Now!!!
Eure CFMD-Crew
http://www.campaign-for-musical-destruction.de/
Verschwundene in Mexiko...
Die Junta der Guten Regierung von La Garrucha meldet, dass Paramilitärs fünf Zapatistas festgenommen haben, neun weitere Personen sind in Peña Limonar verschwunden
Caracol III „Resistencia hacia un nuevo amanecer“, La Garrucha.
Die Junta der Guten Regierung „El camino del futuro“. Chiapas, México.
10. Mai 2010
An die nationale und internationale Zivilgesellschaft
An die nationalen und internationalen Anhänger_innen der Anderen Kampagne
An die nationalen und internationalen Menschenrechtsverteidiger_innen
Brüder und Schwestern:
Wir klagen die Vorgänge an, die sich im Ejido Peña Limonar, Landkreis Ocosingo, zugetragen haben.
Fakten: Probleme mit Mördern der Siedlung Amaytic, Ocosingo, Chiapas.
Wir haben bereits öffentlich darauf hingewiesen, dass die Probleme anfingen, als die Mörder sich die Siedlung Amaytic wieder aneigneten. Die drei Regierungsebenen (Föderal-, Bundesstaats- und Landkreisregierung) haben nichts gegen die Mörder unternommen. Sie genießen eine völlige Freiheit, während unsere Compañeros von Polizei und Paramilitärs verfolgt werden.
Wir sehen also klar und deutlich, dass die Regierungen von PAN bis PRD und ihre Komplizen im Ejido [Gemeindelandbezirk] Peña Limonar die Mörder, die Paramilitärs sind, schützen.
Die Ejido-Bewohner von Peña Limona haben erneut fünf Zapatistas festgenommen, neun weitere Personen sind verschwunden. Die Namen der Compañeros sind: Ebelio Montejo Hernández, 35 Jahre, Manuel Gutiérrez López, 42 Jahre, Gesundheitspromotor Luis Gutiérrez Vázquez, 15 Jahre, Pedro Gutiérrez Hernández, 18 Jahre, Narciso Gutiérrez Jiménez, 63 Jahre und darüber hinaus die neun verschwundenen Compañeros. Das sind Maßnahmen der Aufstandsbekämpfung, die von den drei Ebenen der schlechten Regierungen organisiert werden, Felipe Calderón Hinojoso auf föderaler, Juan Sabines Guerrero auf bundesstaatlicher und Carlos Leonel Solórsano Arcia auf Landkreisebene in Ocosingo.
Die Polizei und die Paramilitärs haben alle Wege und Wegzufahrten gesperrt und verfolgen unsere Compañeros Zapatistas, um zu überwachen, was sie tun und wohin sie gehen. Die Mörder hingegen gehen ruhig mit den Leuten von Peña Limonar spazieren.
Die Junta der Guten Regierung hat den Kommissar und andere Autoritäten mehrfach zu einer Versammlung eingeladen, um die Probleme mit den acht Mördern zu lösen, die ein Mitglied des autonomen Rates und einen Hilfsagenten aus Ranchería Amaytic am 25. August 2002 ermordet haben. Wegen eines Problems bezüglich der Trennung eines Paares verloren Lorenzo Martínez Espinosa und Jacinto Hernández Gutiérrez ihr Leben. [...]
Außerdem werden die Frauen bedroht, wenn sie die Gemeinde verlassen oder dahin zurückkehren. Sie wollen unsere zapatistischen Genoss_innen in ihren Gemeindelandbezirken vertreiben. Wir sind nicht die Mörder, die wahren Mörder genießen absolute Freiheit. [...]
Wir wollen eine Lösung des Problems [...]
Pedro Gutiérrez Guzmán
Federico Gómez Sánchez
Ayda Pérez Núñez
Ausencio López Méndez
Rebeca Lorenzo Cruz
***
zusammenfassende Übersetzung:
Gruppe B.A.S.T.A.
Caracol III „Resistencia hacia un nuevo amanecer“, La Garrucha.
Die Junta der Guten Regierung „El camino del futuro“. Chiapas, México.
10. Mai 2010
An die nationale und internationale Zivilgesellschaft
An die nationalen und internationalen Anhänger_innen der Anderen Kampagne
An die nationalen und internationalen Menschenrechtsverteidiger_innen
Brüder und Schwestern:
Wir klagen die Vorgänge an, die sich im Ejido Peña Limonar, Landkreis Ocosingo, zugetragen haben.
Fakten: Probleme mit Mördern der Siedlung Amaytic, Ocosingo, Chiapas.
Wir haben bereits öffentlich darauf hingewiesen, dass die Probleme anfingen, als die Mörder sich die Siedlung Amaytic wieder aneigneten. Die drei Regierungsebenen (Föderal-, Bundesstaats- und Landkreisregierung) haben nichts gegen die Mörder unternommen. Sie genießen eine völlige Freiheit, während unsere Compañeros von Polizei und Paramilitärs verfolgt werden.
Wir sehen also klar und deutlich, dass die Regierungen von PAN bis PRD und ihre Komplizen im Ejido [Gemeindelandbezirk] Peña Limonar die Mörder, die Paramilitärs sind, schützen.
Die Ejido-Bewohner von Peña Limona haben erneut fünf Zapatistas festgenommen, neun weitere Personen sind verschwunden. Die Namen der Compañeros sind: Ebelio Montejo Hernández, 35 Jahre, Manuel Gutiérrez López, 42 Jahre, Gesundheitspromotor Luis Gutiérrez Vázquez, 15 Jahre, Pedro Gutiérrez Hernández, 18 Jahre, Narciso Gutiérrez Jiménez, 63 Jahre und darüber hinaus die neun verschwundenen Compañeros. Das sind Maßnahmen der Aufstandsbekämpfung, die von den drei Ebenen der schlechten Regierungen organisiert werden, Felipe Calderón Hinojoso auf föderaler, Juan Sabines Guerrero auf bundesstaatlicher und Carlos Leonel Solórsano Arcia auf Landkreisebene in Ocosingo.
Die Polizei und die Paramilitärs haben alle Wege und Wegzufahrten gesperrt und verfolgen unsere Compañeros Zapatistas, um zu überwachen, was sie tun und wohin sie gehen. Die Mörder hingegen gehen ruhig mit den Leuten von Peña Limonar spazieren.
Die Junta der Guten Regierung hat den Kommissar und andere Autoritäten mehrfach zu einer Versammlung eingeladen, um die Probleme mit den acht Mördern zu lösen, die ein Mitglied des autonomen Rates und einen Hilfsagenten aus Ranchería Amaytic am 25. August 2002 ermordet haben. Wegen eines Problems bezüglich der Trennung eines Paares verloren Lorenzo Martínez Espinosa und Jacinto Hernández Gutiérrez ihr Leben. [...]
Außerdem werden die Frauen bedroht, wenn sie die Gemeinde verlassen oder dahin zurückkehren. Sie wollen unsere zapatistischen Genoss_innen in ihren Gemeindelandbezirken vertreiben. Wir sind nicht die Mörder, die wahren Mörder genießen absolute Freiheit. [...]
Wir wollen eine Lösung des Problems [...]
Pedro Gutiérrez Guzmán
Federico Gómez Sánchez
Ayda Pérez Núñez
Ausencio López Méndez
Rebeca Lorenzo Cruz
***
zusammenfassende Übersetzung:
Gruppe B.A.S.T.A.
Mittwoch, 12. Mai 2010
Mexiko: Milizen marschieren
Nach tödlichem Beschuss von Menschenrechtsaktivisten: Paramilitärs inszenieren sich als Opfer. Protest in der Hauptstadt
Von Philipp Gerber, Oaxaca
Mexiko-Stadt. Zwei Wochen nach dem tödlichen Angriff auf eine humanitäre Menschenrechtskarawane im südlichen Bundesstaat Oaxaca sind die Attentäter weiter auf freiem Fuß. Die von der ehemaligen Staatspartei PRI kontrollierte paramilitärische Organisation UBISORT, Hauptverdächtige des Angriffs, versucht sich indes als Opfer zu inszenieren.
Die Attacke sei nicht von den parteinahen Paramilitärs ausgegangen, heißt es von ihrer Seite, sondern von der autonomen indigenen Organisation MULTI, die der zapatistischen Bewegung nahe steht. Es sei quasi ein Attentat auf sich selbst gewesen, denn die mit automatischen Waffen attackierten Menschenrechtsaktivisten waren zum Schutz der autonomen Gemeinde vor Ort gereist. Die krude Verschwörungstheorie der UBISORT-Milizen ging en masse bei den Medien ein.
Die UBISORT ist Teil einer paramilitärischen Bewegung, die im Süden des Landes unmittelbar nach dem zapatistischen Aufstand Mitte der neunziger Jahre in Erscheinung getreten ist.
Dass die gewaltbereiten Gruppierungen weiterhin auf die Unterstützung der Regierung zählen können, zeigt ihr offenes Agieren. So "koordinierte" Rufino Juárez, Chef der UBISORT-Milizen, die zögerliche Intervention der Polizei, um zwei verschollenen Journalisten der Zeitschrift Contralínea erst 60 Stunden nach dem Überfall aus der paramilitärisch kontrollierten Zone zu retteten.
Am Montag nun demonstrierte Juárez mit einer in Bussen angereisten Gruppe aus Frauen und Kindern vor dem Innenministerium in Mexiko-Stadt. Ihre Forderung: Militarisierung der Region, um "Frieden und Ordnung" wiederherzustellen.
Die mexikanische Polizei PGR erklärt indes, dass die Untersuchungen über die Hintergründe der Attacke im Gange seien. Sandra Fuentes-Beráin, die Botschafterin Mexikos in Brüssel, erklärte den Vorfall gegenüber zwei finnischen Politikerinnen, deren Landsmann Jyri Jaakkola bei dem Angriff mit automatischen Waffen ermordet wurde, als "Unfall" in einem "innerethnischen Konflikt".
Ganz anders sehen das die Bewohner der indigenen Region selbst. "Die Gewalt kommt von außen", heißt es von dem Ältestenrat einer Gemeinde.
http://amerika21.de/nachrichten/inhalt/2010/mai/mex-92747-miliz
Von Philipp Gerber, Oaxaca
Mexiko-Stadt. Zwei Wochen nach dem tödlichen Angriff auf eine humanitäre Menschenrechtskarawane im südlichen Bundesstaat Oaxaca sind die Attentäter weiter auf freiem Fuß. Die von der ehemaligen Staatspartei PRI kontrollierte paramilitärische Organisation UBISORT, Hauptverdächtige des Angriffs, versucht sich indes als Opfer zu inszenieren.
Die Attacke sei nicht von den parteinahen Paramilitärs ausgegangen, heißt es von ihrer Seite, sondern von der autonomen indigenen Organisation MULTI, die der zapatistischen Bewegung nahe steht. Es sei quasi ein Attentat auf sich selbst gewesen, denn die mit automatischen Waffen attackierten Menschenrechtsaktivisten waren zum Schutz der autonomen Gemeinde vor Ort gereist. Die krude Verschwörungstheorie der UBISORT-Milizen ging en masse bei den Medien ein.
Die UBISORT ist Teil einer paramilitärischen Bewegung, die im Süden des Landes unmittelbar nach dem zapatistischen Aufstand Mitte der neunziger Jahre in Erscheinung getreten ist.
Dass die gewaltbereiten Gruppierungen weiterhin auf die Unterstützung der Regierung zählen können, zeigt ihr offenes Agieren. So "koordinierte" Rufino Juárez, Chef der UBISORT-Milizen, die zögerliche Intervention der Polizei, um zwei verschollenen Journalisten der Zeitschrift Contralínea erst 60 Stunden nach dem Überfall aus der paramilitärisch kontrollierten Zone zu retteten.
Am Montag nun demonstrierte Juárez mit einer in Bussen angereisten Gruppe aus Frauen und Kindern vor dem Innenministerium in Mexiko-Stadt. Ihre Forderung: Militarisierung der Region, um "Frieden und Ordnung" wiederherzustellen.
Die mexikanische Polizei PGR erklärt indes, dass die Untersuchungen über die Hintergründe der Attacke im Gange seien. Sandra Fuentes-Beráin, die Botschafterin Mexikos in Brüssel, erklärte den Vorfall gegenüber zwei finnischen Politikerinnen, deren Landsmann Jyri Jaakkola bei dem Angriff mit automatischen Waffen ermordet wurde, als "Unfall" in einem "innerethnischen Konflikt".
Ganz anders sehen das die Bewohner der indigenen Region selbst. "Die Gewalt kommt von außen", heißt es von dem Ältestenrat einer Gemeinde.
http://amerika21.de/nachrichten/inhalt/2010/mai/mex-92747-miliz
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UBISORT
STRATEGIEN GEGEN DIE MILITARISIERUNG DES ZIVILEN
Die Friedhofsruhe an der Heimatfront durchbrechen
* Referent: Markus Gross, Bundeswehr wegtreten
Köln
* Dienstag, 18. Mai 2010, 20 Uhr
* Friedens- und Umweltzentrum, Pfützenstr. 1, TRIER
Wie funktionieren und wozu dienen Akzeptanzmanagement, Eventmarketing
und die Werbetour der Bundeswehr, was können wir z.B. gegen den
Kooperationsabkommen zwischen RLP und der Bundeswehr und gegen die
Rekrutierung an Schulen und Arbeitsagenturen tun?
Im Anschluss Zeit für Fragen und Diskussion,
u.a. wie weiter mit der Petition bzw der Antwort darauf?
was tun gegen die Bundeswehr an Trierer Schulen?
Zweite Veranstaltung im Rahmen der Reihe:DIE BUNDESWEHR AUF WERBEFELDZUG
Veranstaltet von: AG Frieden Trier in Kooperation mit der
Heinrich-Böll-Stiftung RLP und Unterstützung von GEW Trier,DFG-VK Trier,
Pax Christi Trier, Referat für Politische Bildung des AStA der
Universität Trier, Katholische Studierende Jugend Trier + Schülercafé
Scheinbar
Wichtige Infos aus der 1. Veranstaltung (20.4.) mit Jonna Schürkes von
IMI finden sich hier:
Fact-Sheet Bundeswehr und Schulen http://www.imi-online.de/2010.php?id=2116
**************************************************
PETITION
Am 18. März haben AGF Trier, DFG-VK Trier und DFG-VK Rheinland-Pfalz
eine Petition gegen die Kooperationsvereinbarung zwischen Bundeswehr
und rheinland-pfälzischem Bildungsministerium initiiert. Inzwischen
unterstützen 200 Personen, darunter viele Lehrer, Schüler, Studierende,
Gewerkschafter und Parteimitglieder von SPD, Grünen, Die Linke, sowie
Mitglieder kirchlicher Gruppen, von Umwelt- und Friedensorganisationen
sowie Sozialer Bewegungen und Bildungseinrichtungen die Petition. Wer
will kann die Petition noch unterzeichnen, wir sammeln aber nicht
weiter, sondern warten jetzt auf die Antwort des Petitionsausschusses
bzw überlegen uns eine weitere Stellungnahme.
Der Widerstand gegen diese Militarisierung muss aber auf allen
gesellschaftlichen Eben weitergehen - wir können nicht hinnehmen, dass
die Politik die Bundeswehr Minderjährige und Kinder werben lässt!
Mit der Petition wird die Rücknahme der Vereinbarung, die
Jugendoffiziere der Bundeswehr in den Unterricht sowie in die
Lehrerausbildung fest einbindet gefordert. Besonders bedenklich ist,
dass dieses Abkommen ohne die demokratisch gebotene Debatte und ohne
Vorankündigung unterzeichnet wurde. Es wird um die Akzeptanz der
Bundeswehreinsätze geworben und die sicherheitspolitische Auffassung
der Bundeswehr vermittelt - obwohl sie beispielsweise beim Kriegseinsatz
in Afghanistan im Widerspruch zur Mehrheit der Bevölkerung steht.
MEHR DAZU
Sonderseite zur Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr und zur
Petition: www.AGF-Trier.de / Aktuell / Sonderseite zur
Rahmenvereinbarung, u.a.
* Text der Petition und der Vereinbarung
* Die rund 250 UnterstützerInnen der Petition
* Pressemitteilungen, Presseecho, Hintergrundinformationen ...
* * * * *
Ausführlicher Text zur Veranstaltung:
Der Werbefeldzug...
Die Bundeswehr hat sowohl ein Imageproblem, als auch Nachwuchssorgen.
Ursache hierfür ist nicht zuletzt die Umgestaltung der Bundeswehr hin zu
einer Interventionsarmee. Immer weniger Menschen sind bereit,
in Auslandseinsätzen ihr Leben und ihre physische und psychische
Gesundheit zu riskieren, die Bevölkerung lehnt vor allem den
Afghanistan-Einsatz mehrheitlich ab.
Die Bundeswehr ist aber darauf angewiesen, ausreichend Nachwuchs zu
rekrutieren und -- zumindest in gewissem Rahmen - Unterstützung in der
Bevölkerung für ihre Einsätze zu gewinnen.
Um dies zu erreichen gibt es Jugendoffiziere und Wehrdienstberater, die
Hauptakteure in einem umfassenden Werbefeldzug der Bundeswehr.
...in den Arbeitsagenturen
Eine zunehmende Jugendarbeitslosigkeit und der Druck durch die Hartz IV
Regelungen für unter 25jährige jeden mögliche Job anzunehmen, lässt die
Rekrutierer hoffen, allerdings reicht das nicht aus. Daher machen sich
Jugendoffiziere
und Wehrdienstberaten wo immer möglich an Jugendliche ran: in der
Schulen, in Universitäten, auf öffentlichen Plätzen, auf Job-, Computer
und Buchmessen,
im Fernsehen, im Kino, in Jugendzeitschriften, im Internet, mit - auf
bestimmte Gruppen von Jugendlichen zugeschnittene - Events (BW-Musix,
BW-Adventuregames, BW-Olympix etc.) und nicht zuletzt in Arbeitsagenturen.
...an den Schulen
In Schulen gestalten Jugendoffiziere und Wehrdienstberater
Unterrichtsstunden, von dem Bundesverteidigungsministerium erstellte
Unterrichtsmaterialien fließen in den Politik-, Sozialkunde-,
Geschichts-, und Ethikunterricht ein, es werden
unter der Beaufsichtigung eines Offiziers Rollenspiele gespielt, die
militärische Interventionen als geeignetes Mittel der Politik
vermitteln.Referendare und Lehrer werden von Jugendoffizieren
fortgebildet,
damit sie die Weltsicht des Militärs an ihre Schüler weitergeben können.
Die Kooperationsvereinbarungen, die die Bundeswehr inzwischen mit vier
Kultusministerien, u.a. dem rheinland-pfälzischen, geschlossen wurden,
sollen die Zusammenarbeit zwischen Schule und Bundeswehr vertiefen.
...in der Öffentlichkeit
Zur allgemeinenImageverbesserung oder auch, um die Bevölkerung (wieder)
an das Bild von Soldaten in der Öffentlichkeit zu gewöhnen, finden
zusätzlich regelmäßig Heeresschauen, Tag der offenen Türen, öffentliche
Gelöbnisse mit Zapfenstreich,
Adventskonzerte und Soldatengottesdiensten sowie Big-Band-Konzerte,
z.B. zur Eröffnung des Ev. Kirchentag statt. So spielt die Bundeswehr
in Trier auch seit einigen Jahren mit einem Benefizkonzerte für die
Jugendhilfeeinrichtung Palais e.V.
Weitere Bausteine des militärischen Werbefeldzugs sind die erstmals
seit 1945 wieder vergebene deutsche Soldaten-Orden sowie das
"Ehrendenkmal" für getötete Soldaten. Als öffentlicher Staatsakt wird
Trauer zur Kriegsbegründung instrumentalisiert.
Die Bundeswehr ist also dank unserer Steuergelder gut ausgestattet
flächendeckend mit hauptberuflichen Kräften präsent. Vordergründig
geht's um Karriere, Ausbildung, Kameradschaft, Technik und Abenteuer.
Töten lernen,
welche Interessen am Hindukusch verteidigt werden, wie viele Milliarden
Kriege und Rüstung verschlingen, sind ebenso wenig Thema wie die
Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung. Diese Selbstinszenierung
im öffentlichen Raum nimmt zu und hat eine neue Qualität erreicht.
Aber auch der Widerstand gegen Werbemaßnahmen der Bundeswehr nimmt zu...
Zahlreiche Auftritte wurden gestört oder verhindert, es gab und gibt
vielfältige Proteste.
Mancherorts wird die Präsenz und Unterstützung der Bundeswehr in Frage
gestellt und inzwischen teilweise auch abgelehnt und abgesagt. (siehe
www.bundeswehr-wegtreten.org).
Gegenaktionen zur Bundeswehr-Werbung in Rheinland-Pfalz gab es in Mainz
und Trier. Es gab Kritik am offiziellen Auftreten von Bundeswehr und
US-Army auf dem Rheinland-Pfalztag - die Präsenz von Friedensgruppen
wurde dort 2008 und 2009 untersagt.
Aktuell läuft ein Petition für die Rücknahme der
Kooperationsvereinbarung in RLP.
Fragen...
Wie und wo versucht die Bundeswehr durch zivil-militärische
Kooperationen Boden zu gewinnen?
Welche Hochschulen forschen für den Krieg?
Wie und wo versucht die Bundeswehr mit ihrem Werbefeldzug Nachwuchs und
Akzeptanz fürs Militär zu schaffen?
Was ist die Kritik der Friedensbewegung?
In zwei Veranstaltungen soll dieser Werbefeldzug der Bundeswehr und die
Militarisierung des Zivilen kritisch unter die Lupe genommen und
diskutiert werden. Ziel der Veranstaltungsreihe ist das Wissen und die
Auseinandersetzung um diese Militarisierung. Dies kann Ausgangspunkt
für konkrete Initiativen und weitergehende Aktivitäten der
Friedensbewegung und anderer Gruppen sein.
------------------------------------
--
Arbeitsgemeinschaft Frieden e.V. (AGF)
Pfützenstraße 1, 54290 Trier
www.agf-trier.de, agf-trier@t-online.de
Spendenkonto 113 746, Sparkasse Trier (BLZ 585 501 30)
Spenden sind steuerabzugsfähig!
* Referent: Markus Gross, Bundeswehr wegtreten
* Dienstag, 18. Mai 2010, 20 Uhr
* Friedens- und Umweltzentrum, Pfützenstr. 1, TRIER
Wie funktionieren und wozu dienen Akzeptanzmanagement, Eventmarketing
und die Werbetour der Bundeswehr, was können wir z.B. gegen den
Kooperationsabkommen zwischen RLP und der Bundeswehr und gegen die
Rekrutierung an Schulen und Arbeitsagenturen tun?
Im Anschluss Zeit für Fragen und Diskussion,
u.a. wie weiter mit der Petition bzw der Antwort darauf?
was tun gegen die Bundeswehr an Trierer Schulen?
Zweite Veranstaltung im Rahmen der Reihe:DIE BUNDESWEHR AUF WERBEFELDZUG
Veranstaltet von: AG Frieden Trier in Kooperation mit der
Heinrich-Böll-Stiftung RLP und Unterstützung von GEW Trier,DFG-VK Trier,
Pax Christi Trier, Referat für Politische Bildung des AStA der
Universität Trier, Katholische Studierende Jugend Trier + Schülercafé
Scheinbar
Wichtige Infos aus der 1. Veranstaltung (20.4.) mit Jonna Schürkes von
IMI finden sich hier:
Fact-Sheet Bundeswehr und Schulen http://www.imi-online.de/2010.php?id=2116
**************************************************
PETITION
Am 18. März haben AGF Trier, DFG-VK Trier und DFG-VK Rheinland-Pfalz
eine Petition gegen die Kooperationsvereinbarung zwischen Bundeswehr
und rheinland-pfälzischem Bildungsministerium initiiert. Inzwischen
unterstützen 200 Personen, darunter viele Lehrer, Schüler, Studierende,
Gewerkschafter und Parteimitglieder von SPD, Grünen, Die Linke, sowie
Mitglieder kirchlicher Gruppen, von Umwelt- und Friedensorganisationen
sowie Sozialer Bewegungen und Bildungseinrichtungen die Petition. Wer
will kann die Petition noch unterzeichnen, wir sammeln aber nicht
weiter, sondern warten jetzt auf die Antwort des Petitionsausschusses
bzw überlegen uns eine weitere Stellungnahme.
Der Widerstand gegen diese Militarisierung muss aber auf allen
gesellschaftlichen Eben weitergehen - wir können nicht hinnehmen, dass
die Politik die Bundeswehr Minderjährige und Kinder werben lässt!
Mit der Petition wird die Rücknahme der Vereinbarung, die
Jugendoffiziere der Bundeswehr in den Unterricht sowie in die
Lehrerausbildung fest einbindet gefordert. Besonders bedenklich ist,
dass dieses Abkommen ohne die demokratisch gebotene Debatte und ohne
Vorankündigung unterzeichnet wurde. Es wird um die Akzeptanz der
Bundeswehreinsätze geworben und die sicherheitspolitische Auffassung
der Bundeswehr vermittelt - obwohl sie beispielsweise beim Kriegseinsatz
in Afghanistan im Widerspruch zur Mehrheit der Bevölkerung steht.
MEHR DAZU
Sonderseite zur Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr und zur
Petition: www.AGF-Trier.de / Aktuell / Sonderseite zur
Rahmenvereinbarung, u.a.
* Text der Petition und der Vereinbarung
* Die rund 250 UnterstützerInnen der Petition
* Pressemitteilungen, Presseecho, Hintergrundinformationen ...
* * * * *
Ausführlicher Text zur Veranstaltung:
Der Werbefeldzug...
Die Bundeswehr hat sowohl ein Imageproblem, als auch Nachwuchssorgen.
Ursache hierfür ist nicht zuletzt die Umgestaltung der Bundeswehr hin zu
einer Interventionsarmee. Immer weniger Menschen sind bereit,
in Auslandseinsätzen ihr Leben und ihre physische und psychische
Gesundheit zu riskieren, die Bevölkerung lehnt vor allem den
Afghanistan-Einsatz mehrheitlich ab.
Die Bundeswehr ist aber darauf angewiesen, ausreichend Nachwuchs zu
rekrutieren und -- zumindest in gewissem Rahmen - Unterstützung in der
Bevölkerung für ihre Einsätze zu gewinnen.
Um dies zu erreichen gibt es Jugendoffiziere und Wehrdienstberater, die
Hauptakteure in einem umfassenden Werbefeldzug der Bundeswehr.
...in den Arbeitsagenturen
Eine zunehmende Jugendarbeitslosigkeit und der Druck durch die Hartz IV
Regelungen für unter 25jährige jeden mögliche Job anzunehmen, lässt die
Rekrutierer hoffen, allerdings reicht das nicht aus. Daher machen sich
Jugendoffiziere
und Wehrdienstberaten wo immer möglich an Jugendliche ran: in der
Schulen, in Universitäten, auf öffentlichen Plätzen, auf Job-, Computer
und Buchmessen,
im Fernsehen, im Kino, in Jugendzeitschriften, im Internet, mit - auf
bestimmte Gruppen von Jugendlichen zugeschnittene - Events (BW-Musix,
BW-Adventuregames, BW-Olympix etc.) und nicht zuletzt in Arbeitsagenturen.
...an den Schulen
In Schulen gestalten Jugendoffiziere und Wehrdienstberater
Unterrichtsstunden, von dem Bundesverteidigungsministerium erstellte
Unterrichtsmaterialien fließen in den Politik-, Sozialkunde-,
Geschichts-, und Ethikunterricht ein, es werden
unter der Beaufsichtigung eines Offiziers Rollenspiele gespielt, die
militärische Interventionen als geeignetes Mittel der Politik
vermitteln.Referendare und Lehrer werden von Jugendoffizieren
fortgebildet,
damit sie die Weltsicht des Militärs an ihre Schüler weitergeben können.
Die Kooperationsvereinbarungen, die die Bundeswehr inzwischen mit vier
Kultusministerien, u.a. dem rheinland-pfälzischen, geschlossen wurden,
sollen die Zusammenarbeit zwischen Schule und Bundeswehr vertiefen.
...in der Öffentlichkeit
Zur allgemeinenImageverbesserung oder auch, um die Bevölkerung (wieder)
an das Bild von Soldaten in der Öffentlichkeit zu gewöhnen, finden
zusätzlich regelmäßig Heeresschauen, Tag der offenen Türen, öffentliche
Gelöbnisse mit Zapfenstreich,
Adventskonzerte und Soldatengottesdiensten sowie Big-Band-Konzerte,
z.B. zur Eröffnung des Ev. Kirchentag statt. So spielt die Bundeswehr
in Trier auch seit einigen Jahren mit einem Benefizkonzerte für die
Jugendhilfeeinrichtung Palais e.V.
Weitere Bausteine des militärischen Werbefeldzugs sind die erstmals
seit 1945 wieder vergebene deutsche Soldaten-Orden sowie das
"Ehrendenkmal" für getötete Soldaten. Als öffentlicher Staatsakt wird
Trauer zur Kriegsbegründung instrumentalisiert.
Die Bundeswehr ist also dank unserer Steuergelder gut ausgestattet
flächendeckend mit hauptberuflichen Kräften präsent. Vordergründig
geht's um Karriere, Ausbildung, Kameradschaft, Technik und Abenteuer.
Töten lernen,
welche Interessen am Hindukusch verteidigt werden, wie viele Milliarden
Kriege und Rüstung verschlingen, sind ebenso wenig Thema wie die
Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung. Diese Selbstinszenierung
im öffentlichen Raum nimmt zu und hat eine neue Qualität erreicht.
Aber auch der Widerstand gegen Werbemaßnahmen der Bundeswehr nimmt zu...
Zahlreiche Auftritte wurden gestört oder verhindert, es gab und gibt
vielfältige Proteste.
Mancherorts wird die Präsenz und Unterstützung der Bundeswehr in Frage
gestellt und inzwischen teilweise auch abgelehnt und abgesagt. (siehe
www.bundeswehr-wegtreten.org).
Gegenaktionen zur Bundeswehr-Werbung in Rheinland-Pfalz gab es in Mainz
und Trier. Es gab Kritik am offiziellen Auftreten von Bundeswehr und
US-Army auf dem Rheinland-Pfalztag - die Präsenz von Friedensgruppen
wurde dort 2008 und 2009 untersagt.
Aktuell läuft ein Petition für die Rücknahme der
Kooperationsvereinbarung in RLP.
Fragen...
Wie und wo versucht die Bundeswehr durch zivil-militärische
Kooperationen Boden zu gewinnen?
Welche Hochschulen forschen für den Krieg?
Wie und wo versucht die Bundeswehr mit ihrem Werbefeldzug Nachwuchs und
Akzeptanz fürs Militär zu schaffen?
Was ist die Kritik der Friedensbewegung?
In zwei Veranstaltungen soll dieser Werbefeldzug der Bundeswehr und die
Militarisierung des Zivilen kritisch unter die Lupe genommen und
diskutiert werden. Ziel der Veranstaltungsreihe ist das Wissen und die
Auseinandersetzung um diese Militarisierung. Dies kann Ausgangspunkt
für konkrete Initiativen und weitergehende Aktivitäten der
Friedensbewegung und anderer Gruppen sein.
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Pfützenstraße 1, 54290 Trier
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Irak im achten Jahr des Krieges
IMI-Studie 2010/04
Besatzung in der Sackgasse – doch Ende nicht in Sicht
Sieht man von spektakulären Ereignissen, wie den Bombenanschlägen im Bagdader Regierungsviertel ab, ist der Irak aus den Schlagzeilen verschwunden und in der Folge auch kein Thema mehr für die Friedensbewegung. Immer mehr setzt sich der Eindruck durch, der Irak sei nun auf dem Weg zur Normalität.
Offiziell ist das Ende der Besatzung auch schon eingeleitet. Die meisten US-Truppen zogen sich ab Juni 2009, wie im Truppenstationierungsabkommen (SOFA) vom Herbst 2008 vereinbart, aus den Städten in die umliegenden Militärbasen zurück. Ende Juli verließ der letzte britische Soldat irakischen Boden. Mit Ausnahme von 100 britischen Marine-Soldaten, die als Ausbilder zurückkehrten[1] und rund 300 Soldaten der „NATO Training Mission-Iraq“ (NTM-I)[2] wird das Land jetzt nur noch von US-Truppen besetzt. Doch entgegen den großen Hoffnungen, die viele in den Amtsantritt Barack Obamas setzten, ist ein vollständiger Abzug der Besatzungstruppen noch nicht in Sicht.
Während Washington bei der Umsetzung seiner langfristigen Ziele im Irak stecken blieb, gewann der Iran sowohl im Irak wie in der Region stark an Einfluss. Unter diesen Umständen käme ein Rückzug einer Niederlage gleich.
Besatzungsrealität
Informationen über die Situation im besetzten Land fließen immer spärlicher. Nur durch sporadische Besuche mutiger, nicht „eingebetteter“ westlicher Journalisten erhält man noch schlaglichtartig Einblicke in die tatsächlichen Verhältnisse. Auch Studien von UN-Organisationen lassen erahnen, wie düster die irakische Realität ist. Allen Erfolgsmeldungen zum Trotzt sind die Lebensverhältnisse nach wie vor katastrophal, von Stabilität oder gar Demokratie und Rechtstaat kann keine Rede sein.
Entgegen dem vorherrschenden Bild ist der Krieg im Irak noch lange nicht zu Ende. Die militärischen Auseinandersetzungen sind zwar stark zurückgegangen, viele Städte gleichen nun aber düsteren Festungen. Bagdad beispielsweise ist „ein Hochsicherheitsgefängnis mit 1000 Betonmauern, 1000 Schießtürmen und 1000 schwerbewaffneten Checkpoints“ geworden, wie der Publizist Jürgen Todenhöfer bei seinem Besuch im Sommer 2009 feststellen musste. Er erlebte die nach wie vor massive Präsenz von US-Militär in der Stadt am eigenen Leib. Auch sein Wagen wurde mehrfach gestoppt und musste im gleißenden Scheinwerferlicht ausharren, während die grünen Laserstrahlen eines Panzergeschützes durchs Wageninnere zuckten und Hubschrauber wie Hornissen im Tiefflug über ihnen donnerten. Es war wie ein irrealer Albtraum, so Todenhöfer – aber Alltag in Bagdad. [3]
Noch immer gibt es in der total militarisierten Hauptstadt pro Tag über zehn „militärische Zwischenfälle“: Angriffe irakischer Widerstandskämpfer auf US-Truppen, Operationen von Besatzungssoldaten und Gewalttaten diverser Milizen und Terrorgruppen. Wobei viele Iraker allerdings überzeugt sind, dass bei terroristischen Anschlägen, die unzählige Unbeteiligte töten oder gezielt ethnisch-religiösen Hass schüren, sowohl Regierungsparteien als auch ausländische Geheimdienste, Todesschwadrone und „Sicherheitsfirmen“ wie Blackwater (mittlerweile Xe Services) ihre Hände im Spiel haben.
Washingtons "Stabilisierungsstrategie"
Zentraler Punkt in Washingtons Irak-Strategie ist, das neue Regime durch eine bessere Beteiligung von oppositionellen Kräften an der Macht zu stabilisieren. Bei jeder Gelegenheit fordern Präsident Obama und die kommandierenden US-Generäle die irakische Regierung auf, endlich die „Aussöhnung“ zwischen den Konfessionen und den politischen Kräften in die Wege zu leiten. Allerdings besteht das Wesen des neuen, von den Besatzern maßgeblich gestalteten, Regimes gerade in seiner völkisch-konfessionellen Ausrichtung. Die Regierungsparteien verwalten dabei ihre Ministerien als Pfründe und nutzen sie, ihre mit US-Hilfe geschaffenen Machtpositionen dauerhaft zu sichern.
Auch unter Obama setzt die Besatzungsmacht dabei vor allem auf den neuen starken Mann im Irak, Ministerpräsident Nuri al-Maliki, der in den letzten Jahren seine Machtposition stark ausbauen konnte. Sukzessive besetzte er – am Parlament vorbei – Schlüsselposition in Regierung, Verwaltung, Polizei und Militär mit Getreuen aus seiner Partei oder seinem Familienclan. Durch Vergabe zehntausender neuer Posten im Staat und die Verteilung von Geldern aus den nicht unerheblichen Öl-Einnahmen unter Unternehmern, Stammesführern etc. die sich ihm anschlossen, konnte er seine Basis erheblich verbreitern. Mit US-Hilfe konnte er sich zudem einen eigenen Geheimdienst und gut ausgerüstete militärische Spezialeinheiten zulegen. Diese, von „Green Berets“ ausgebildeten, 4.500 Mann starken „Iraq Special Operations Forces“ (ISOF) operieren teils offen, teils verdeckt – unter Malikis Oberbefehl und unter Aufsicht der US-Armee, aber ohne sonstige Kontrolle irakischer Institutionen. Malikis Partei hatte im Unterschied zu seinen Koalitionspartnern keine Miliz. Die neuen Einheiten, die auch – wie ihre Ausbilder – gezielte Exekutionen vornehmen, gelten mittlerweile jedoch als schlagkräftigste Truppe des Landes.[4] Einen kurzen Einblick in die „Arbeit“ der ISOF gab die Entdeckung eines Geheimgefängnisses, das von Malikis Leuten in Bagdad geführt wurde. Ein Viertel der 437 Gefangenen wies Spuren schwerer Folter auf.[5]
Besatzung und Polizeistaat
Was hier als sich entwickelndes demokratisches Land dargestellt wird, trägt alle Züge eines mörderischen repressiven Polizeistaates. Viele Beamte, Geistliche und Politiker im Irak, so der britische Guardian vom 30.4.2009, sprechen bereits von einer neuen Diktatur und vergleichen Maliki mit Saddam Hussein. Sechs Jahre nach Kriegsbeginn würde das Land nach ziemlich vertrauten Linien aufgebaut, so das Fazit des Guardian: „Konzentration von Macht, schattenhafte Geheimdienste und Korruption.“ [6]
Auch andere Zeitungen, wie The Economist [7] oder Der Spiegel charakterisieren den „neuen Irak“ immer öfter als Polizeistaat. Spiegel-Korrespondent Bernhard Zand möchte al-Maliki jedoch mehr als „autoritären Garanten des allmählichen Fortschritts“ sehen, in einer „lebenshungrigen Nachkriegsgesellschaft, in der Nepotismus und Korruption, aber endlich auch Freiheit herrschen“ würden.[8]
Im kurdischen Teil, wo sich seit bald zwei Jahrzehnten die beiden Clans der Parteiführer Jalal Talabani und Massud Bazani die Herrschaft und die großen Geschäfte teilen, sieht es, so Zand, nicht besser aus: „Wir haben 10 Stunden Strom am Tag, wir haben 15 Stunden Redefreiheit und 24 Stunden Korruption“, lautet ein Witz der Kurden im Nordirak.
Die meisten namhaften Persönlichkeiten, die nicht zur Kollaboration bereit waren – von ehemaligen Bürgermeistern über unabhängige Wissenschaftler bis hin zu Künstlern – sind daher, sofern sie nicht ermordet wurden oder im Kerker landeten, längst ins Ausland geflohen.[9] Bedroht und verfolgt sind aber nicht nur Angehörige der gegen die Besatzung und die Maliki-Regierung gerichteten Opposition, sondern in hohem Maß auch Journalisten. Diese müssen kritische Recherchen häufig mit körperlichen Misshandlungen, willkürlichen Verhaftungen oder gar dem Tod büßen. Durch saftige Geldstrafen versucht Maliki auch kritische Berichte westlicher Medien zu unterbinden: So wurde der Guardian zur Zahlung von 100 Millionen Dinar (ca. 65.000 Euro) verdonnert, weil er sich im oben erwähnten Artikel kritisch mit dem autokratischen Gehabe Malikis auseinandersetzte. Die New York Times und die Agentur Associated Press haben ähnliche Strafbefehle auf Grundlage eines neuen Gesetzes erhalten, das kritische Artikel über den Premier oder Präsidenten des Landes verbietet.[10]
Wer gegen die Korruption anzugehen versucht, werde oft mit „physischer Liquidation“ bedroht, so Mitglieder des parlamentarischen Integritäts- und Haushaltsausschusses gegenüber Zand. „Unsere Regierung gleicht einer großen Mafia“, erläuterte Scheich Sabah al-Saadi „Wir haben Netzwerke aufgedeckt, die sich durch fast alle Ministerien ziehen.“
Abgeordnete berichten von offenen Drohungen, gegen alle persönlich vorzugehen, die Maliki oder seine Partei zu belasten suchen.
Typisch bei diesen kritischen Berichten ist, dass sie zwar die irakische Seite sehr genau beschreiben, die dominierende Rolle der Besatzer jedoch völlig ausblenden. Dabei sind diese durch unzählige „Berater“ in allen wesentlichen Bereichen involviert und waren auch von Anfang an in hohem Maße in die Korruption verwickelt – Besatzung und „Polizeistaat“ sind nur zwei Seiten einer Medaille.
Katastrophale Lebensbedingungen
Zu Krieg und Repression kommen natürlich noch die ständige Gefahr verheerender Terroranschläge sowie ein hohes Maß von Gewaltkriminalität, das in den letzten Jahren noch anstieg. Irak ist daher nach wie vor eines der gefährlichsten Pflaster auf der Welt.[11]
Schlimmer noch ist für die meisten Iraker die weiterhin miserable Versorgungslage. So haben dem jüngsten Bericht des Internationalen Roten Kreuz zufolge 55% der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und nur noch 20% sind an das Abwassersystem angeschlossen.[12] Auch Strom gibt es nach wie vor nur stundenweise, Gesundheits- und Bildungswesen liegen am Boden.[13]
Millionen Iraker hungern und der Nahrungsmangel weitet sich sogar noch aus, so die UN-Nachrichtenagentur IRIN. Obwohl die hohen Ölpreise ein Mehrfaches der Summen in die Staatskassen spülen, die unter dem Embargo zur Verfügung standen, lebt mittlerweile nach Angaben der irakischen Zentralen Organisation für Statistik und Information die Hälfte der knapp 30 Millionen Iraker in äußerster Armut („abject poverty“), davon sieben Millionen unterhalb des Existenzminimums von zwei US-Dollar pro Tag.[14]
Gründe sind vor allem Inflation, hohe Arbeitslosigkeit und das Zusammenbrechen des Systems zur Verteilung subventionierter Nahrungsmittel, von dem 60% der Bevölkerung völlig abhängig sind. Dieses, 1995 als Teil des Öl-für-Nahrung-Programms aufgebaute System, galt vor 2003 als vorbildlich, wenn auch unterfinanziert. Trotz steigender Öl-Einnahmen brach das Versorgungssystem auf Grund der Besatzungspolitik, Druck des Internationalen Währungsfonds, Krieg und Korruption immer mehr zusammen. Verteilt werden statt dem früheren guten Dutzend bloß noch fünf Grundnahrungsmittel und dies oft nur in 8 bis 10 Monaten im Jahr. [15]
Eine wesentliche Ursache für den Nahrungsmangel ist der drastische Rückgang der heimischen landwirtschaftlichen Produktion – nicht zuletzt aufgrund der 2003 erzwungenen völligen Öffnung des Landes für zollfreie Importe. Vor der Invasion habe es trotz des Embargos noch „eine gewisse Stabilität bei der Nahrungsmittelversorgung“ gegeben, weil es „eine Kontrolle der Nahrungsimporte und staatliche Unterstützung für die Landwirtschaft gab,” so Muna Turki Al-Mousawi, Chefin des staatlichen irakischen Zentrums für Marktforschung und Verbraucherschutz, gegenüber IRIN.[16] Mit Beginn der Besatzung war es damit vorbei.
Das UN-Programm für menschliche Siedlungen UN-HABITAT berichtete im Juli 2009, dass dem Land 1,3 Millionen Wohnungen fehlen, über die Hälfte der Bevölkerung in „Slum-ähnlichen Bedingungen“ lebt und sich die Situation in den kommenden Jahren noch verschlimmern wird.[17] Das Krankenhaussystem kämpft immer noch mit dem Mangel an Personal, Betten und Ausrüstung und es fehlen den Angaben von HABITAT zufolge auch 4.000 Schulen. Dafür hat die Regierung damit begonnen, Mädchen und Jungen in den Schulen zu trennen.[18]
Als Jürgen Todenhöfer das Oberhaupt eines der größten schiitischen Stämme fragte, ob es wenigsten den Schiiten nach dem Sturz Saddam Husseins besser gehe, schüttelte dieser nur verdutzt den Kopf und wies auf die über eine Million Iraker hin, die in Folge des Krieges und der Besatzung seit 2003 starben, darunter 12 seiner eigenen Familie. Zudem gebe es weniger Arbeitsplätze, weniger medizinische Versorgung, weniger sauberes Wasser und weniger Elektrizität als vorher. Gerade einmal drei Stunden Strom gebe es in seinem Stadtteil, Sadr City. Der Krieg habe nur jenen Irakern genutzt, die auf den Gehaltslisten der USA stünden.
Ein deutlicher Indikator für die nach wie vor miserablen Lebensbedingungen im Irak sind auch die Flüchtlingszahlen. Nach wie vor leben gut 2 Mio. Flüchtlinge im benachbarten Ausland und ebenso viele im Irak selbst.[19] Nur wenige trauen sich unter den herrschenden Bedingungen zurück.[20]
Besatzung in der Sackgasse
Nicht nur die Verbesserung der Lebensbedingungen lässt auf sich warten, auch die Besatzer kommen mit ihren Plänen im Irak nicht voran. Sie sind nach wie vor die dominierende Macht. Ihr Einfluss hat sich aber deutlich verringert. Das Stationierungsabkommen, auch wenn es nur halbherzig befolgt wird, schränkt den Handlungsspielraum der US-Truppen und letztlich auch ihre Autorität im Land spürbar ein.
Viele führende US-Offiziere vor Ort sehen schon lange keinen Sinn mehr in einer weiteren Präsenz. Der Chef des Beraterstabs des US-Hauptquartiers in Bagdad, Oberst Timothy Reese, z.B. kam in einem vertraulichen Memorandum zum Schluss, es sei „Zeit für die USA, den Sieg zu erklären und nach Hause zu gehen“. Die Veröffentlichung des Geheimpapiers in der New York Times schlug entsprechende hohe Wellen.[21]
Die irakische Regierung und Verwaltung sei, so Reese, nach wie vor unfähig, sektiererisch und korrupt. Sachlich korrekt, jedoch mit der Arroganz eines Kolonialherrn, der die eigene Verantwortung für das was er geschaffen hat, ignoriert, geißelt er das umfassende „Fehlen jeglichen Fortschritts in Bezug auf wesentliche Dienstleistungen und Regierungsführung“. Das Urteil über die irakische Armee fällt ähnlich vernichtend aus.
Er sieht aber keine Chance, dass die USA durch einen längeren Verbleib im Land noch etwas an den Verhältnissen ändern könnten – im Gegenteil: Ihre Kampfoperationen „seien aktuell das Opfer einer zirkulären Logik.“ Sie würden zum Schutz der irakischen Regierung Angriffe durchführen, um „alle Arten von Extremisten zu schnappen oder zu töten“. Die „Extremisten“ würden jedoch genau deswegen angreifen, weil die US-Truppen „im Irak militärische Operationen durchführen“.
So zutreffend Reese Einschätzungen sind, Gehör werden sie nicht finden. Denn von einem Sieg kann kein Rede sein: Noch ist die dauerhafte Kontrolle über den Irak nicht gesichert und sind wesentliche Ziele, wie der Zugriff aufs Öl nicht erreicht. Zudem wuchsen durch den Krieg die Macht und der Einfluss des Irans erheblich.
Dass sich an diesen Ambitionen in Washington nichts geändert hat, zeigt kaum etwas so anschaulich, wie die riesige US-amerikanische Botschaftsfestung im Zentrum Bagdads. Auch Obama machte bisher keinerlei Anstalten, den riesigen Stab von über tausend Mitarbeitern – weit mehr als das britische Empire für die Verwaltung des zehnmal so großen Indien im Einsatz hatte – zu reduzieren. Da im Zuge des Truppenabbaus viele Aufgabenbereiche vom Militär an zivile Stellen übergehen sollen, wird sich die Zahl der hier tätigen Diplomaten, Geheimdienstleuten, Verwaltungs-, Wirtschafts- und sonstigen Experten noch stark erhöhen. Es gibt bereits konkrete Pläne, den Botschaftskomplex, der schon jetzt so groß wie der Vatikanstaat ist, auf die doppelte Größe auszubauen.[22] Zweifelsohne soll, nach dem Willen US-Führung, hier auch in Zukunft das eigentliche administrative Herz Iraks stehen, das mit Hilfe der zahlreichen Berater auf allen Ebenen der irakischen Regierung und Verwaltung, die wesentlichen Entscheidungen im Irak steuert.
Ob dies jedoch auf Dauer möglich sein wird, ohne die Fassade eines souveränen demokratischen Staates zu demontieren, ist zweifelhaft. Denn der Gegenwind wurde immer stärker und auch der politische Widerstand wuchs in den letzten Jahren auf allen Ebenen – selbst im irakischen Parlament. Zwar waren hier, nach den entsprechend konzipierten Wahlen im Dezember 2005, überwiegend US-Verbündete eingezogen. Die auf konfessionelle Spaltung und Ausverkauf angelegte Besatzungspolitik wie auch die pro-iranische Ausrichtung der Regierungspartien waren jedoch auch für viele dieser Verbündete, wie beispielswiese den Ex-Interimspremier Ijad Allawi, nicht tolerierbar. Sie schlugen sich zunehmend auf die Seite der Besatzungsgegner. Dadurch und aufgrund der einhelligen Stimmung in der Bevölkerung, der auch die Maliki-Regierung immer stärker Rechnung tragen musste, wurden viele wichtige Maßnahmen und Projekte blockiert. Dies reicht von der Gründung einer „staatlichen Anstalt für Privatisierung“, die immer noch auf Eis liegt, bis zum neuen Ölgesetz. Letzteres ist für Washington praktisch unverzichtbar, da erst ein solches neues Gesetz eine formal legale Privatisierung der Ölproduktion ermöglichen würde.
Magere Beute
In spektakulären Auktionen bot der Irak zwar 2009 ausländischen Konzernen Abkommen zur Ausbeutung von umfangreichen irakischen Ölfeldern an. Diese Geschäfte sind aber weit von dem entfernt, was die westlichen Öl-Multis anstreben und für das – nicht zuletzt – die Bush-Regierung in den Krieg zog. Es handelt sich um reine Dienstleistungsverträge mit dem Ziel, die Fördermengen von Ölfeldern drastisch zu steigern. Die Auftragnehmer bekommen als Entgelt nur einen festen Betrag zwischen 1,20 und 2,00 US-Dollar für jedes zusätzlich geförderte Barrel Öl. Bei Laufzeiten von 20 Jahren sind dabei durchaus zweistellige Milliardenverträge zu verdienen. Die ausländischen Konzerne erhalten aber nach wie vor weder Anteile am Öl noch Förderlizenzen. Von den großen US-Konzernen kam allein Exxon Mobil zum Zuge, ansonsten dominieren staatliche asiatische Firmen, allen voran die chinesische National Petroleum Corporation CNPC. Da für die Staatskonzerne nicht maximale Renditen im Vordergrund stehen, sondern Ausbau und Sicherung einer langfristigen Versorgung, war für sie das Angebot durchaus attraktiv. [23]
Doch auch solche Serviceverträge sind vielen Irakern aufgrund des Umfangs und der langen Laufzeit schon zu viel. Noch sind die Verträge daher nicht unter Dach und Fach. Im Parlament, das an sich nach dem immer noch gültigen Gesetz aus der Baath-Ära alle Verträge mit ausländischen Firmen billigen muss, regt sich Widerstand und mehr noch in der staatlichen Ölindustrie – vom Management bis zu den Gewerkschaften. Neue Regierungen könnten die auf wackliger Rechtsgrundlage geschlossenen Verträge jederzeit annullieren.[24]
Iran gestärkt
Der eigentliche Gewinner des Krieges ist eindeutig der Iran. Während die USA im Irak feststecken, stieg er durch die Zerschlagung des regionalen Gegengewichts zur unbestrittenen regionalen Vormacht auf. Über die engen Verbindungen zu den schiitischen Regierungspartien und vielen anderen schiitischen Kräften, wie auch zu den beiden Kurdenparteien, die die kurdische Autonomieregion beherrschen, hat die iranische Führung auch einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Nachbarlandes. Und zum Ärger US-amerikanischer Konzerne machen iranische Firmen auch die besten Geschäfte im Irak. Der große Einfluss des Iran ist nicht nur nachteilig. So erwiesen sich Wiederaufbrauprojekte mit iranischen Partnern als wesentlich erfolgreicher als die, die von den Besatzern angeleiert wurden. Die Grenzregionen zum Iran haben dadurch z.B. die beste Stromversorgung im Land.
Der Iran ist im Irak strategisch klar im Vorteil. Das einzige nennenswerte Gegengewicht zur verfeindeten islamischen Republik bilden die zivilen und militärischen Besatzungskräfte der USA. Für viele Experten in den USA ein Grund mehr, eine bedeutende Streitmacht zwischen Euphrat und Tigris zu belassen. Die US-Truppen könnten den Irak nicht verlassen, da sie eine Situation schufen, in der das iranische Militär die stärkste Macht am Persischen Golf sei, erklärte z.B. kürzlich George Friedmann, Chef des konservativen, privaten US-amerikanischen Nachrichtendienst Stratfor (oft auch als „Schatten-CIA“ bezeichnet). Der Iran müsste nirgendwo einmarschieren – dazu wären die iranischen Streitkräfte auch gar nicht ausgerüstet –, um sich massive politische und wirtschaftliche Zugeständnisse vom Irak, wie von den anderen Ländern der arabischen Halbinsel, zu holen.[25]
Ohne eine ausreichende militärische Präsenz werden die USA ihre Dominanz gegenüber dem inneren Widerstand und der äußeren Einflussnahme tatsächlich nicht behaupten können. Da zudem die Errichtung permanenter Militärstützpunkte am persischen Golf schon seit langem ein wesentliches Ziel der US-amerikanischen Irak-Politik ist, ist mit einem vollständigen Abzug nicht zu rechnen – zumindest nicht mit einem freiwilligen.
Vollständiger Abzug nicht in Sicht
Im Wahlkampf hatte Obama versprochen, die im Irak stationierten US-Truppen innerhalb von sechzehn Monaten abzuziehen – beginnend mit seinem Amtsantritt jeden Monat fünf bis zehntausend Mann. Als er Ende Februar 2009 seine Pläne für den Irak vorstellte, war nur noch vom Abzug der „Kampftruppen“ bis August 2010 die Rede. Der Rest, mehr als die Hälfte der ca. 130.000 Soldaten, sollte aber erst, wie von Amtsvorgänger Bush bereits im Stationierungsabkommen zugesichert, bis Ende 2011 das Land verlassen.
Der Rückzug soll jedoch, so Obama, „verantwortungsvoll“ erfolgen, also lediglich dann, wenn es die politische und militärische Lage vor Ort erlaubt. Damit übernahm er letztlich die Pläne der Bush-Regierung und garantierte die Fortsetzung der Besatzung für mindestens drei Jahre.
Die Lage vor Ort verhinderte 2009 dann auch tatsächlich einen nennenswerten Abzug. Zur Absicherung der, zunächst für Januar 2010 angesetzten Parlamentswahlen und der anschließenden, sich vermutlich über Monate hinziehenden Regierungsbildung, sollten sie in nahezu unveränderter Stärke im Land bleiben. Durch die Verschiebung der Wahlen auf den 7. März kam dies aber mit der angestrebten Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan ins Gehege und es mussten über 25.000 Soldaten vorzeitig abgezogen werden. Ein erheblicher Teil wurde jedoch durch private Söldner ersetzt.
Der gefeierte Rückzug aus den Städten ist vielerorts ebenfalls nur Etikettenschwindel. Zehntausende US-Soldaten sind in den Städten verblieben und führen nun als „Trainings- und Unterstützungstruppen“ den Kampf gegen die Opposition fort.[26] Vor allem in den Nordprovinzen, rund um Mosul und Baquba führen US-Truppen noch regelmäßig große Militäroperationen durch.
Laut Stationierungsabkommen müsste die US-Armee nun ihre Operationen stets mit der irakischen Regierung abstimmen. Auch dies konnten die Iraker bisher nicht durchsetzen. „Mag sein, dass etwas bei der Übersetzung [des Abkommens] verloren ging“, erwiderte der Kommandeur der für Bagdad zuständigen US-Division dreist den Kritikern des vertragswidrigen Vorgehens. Sie hätten auf keinen Fall vor, vollständig aus der Stadt zu verschwinden und würden garantiert auch keine Einschränkungen ihrer Operationsfreiheit hinnehmen. Dies könnte von ihren Gegnern ausgenutzt werden und so ihre Sicherheit gefährden. Seine Truppen würden daher auch weiterhin Gefechtsoperationen im Stadtgebiet von Bagdad durchführen – mit oder ohne Assistenz der irakischen Verbündeten.[27]
Und US-Vizepräsident Joe Biden betont, dass auch nach dem offiziellen Abzug der Kampftruppen Ende August, US-Soldaten dort für Ordnung sorgen könnten. „Den Großteil der verbleibenden Truppen werden immer noch Leute stellen, die gezielt schießen und die schlimmen Jungs fangen können“.[28]
Selbstverständlich möchte Obama die Truppenzahl tatsächlich gerne deutlich verringern, um so den sichtbaren Eindruck von Besatzung zu vermindern, die immensen Kosten zu reduzieren und vor allem Kräfte für Afghanistan freizumachen. Eine solche Reduzierung würde aber erfordern, dass die Irakisierung der US-Herrschaft im Irak funktioniert, d.h. Regierung und Armee den größten Teil des Kampfes gegen ihre Gegner selbst übernehmen kann. Das wird nach Einschätzung der kommandierenden US-Generäle aber noch viele Jahre dauern. Sie hatten daher von Anfang an deutlich gemacht, dass sie die im Stationierungsabkommen vereinbarten Abzugstermine keinesfalls für verbindlich halten. Einen vollständigen Abzug dürften sie bisher kaum ernsthaft in Betracht gezogen haben. Generalstabschef George Casey erklärte z.B. im Mai letzten Jahres, dass seine Planungen für die Armee Kampftruppen im Irak für ein weiteres Jahrzehnt vorsehen.[29]
Auch der irakische Präsident Nouri al-Maliki hat bereits mehrfach – u.a. in seiner Rede vor dem U.S. Institute of Peace am 24. Juli 2009 – laut über eine Verlängerung der US-Truppen-Präsenz über 2011 hinaus nachgedacht.[30] Auch er weiß, dass sich seine Regierung ohne die US-Armee nicht lange halten könnte. Auf die eigenen Truppen ist wenig Verlass. Die Loyalität und Kampfmoral vieler Einheiten ist zweifelhaft und die neue Armee verfügt auch über keine der High-Tech-Waffen, mit denen die Besatzer dem Widerstand Paroli bieten, wie minenresistente Fahrzeuge, Kampflugzeuge, Drohnen und Hubschrauber. Eine irakische Luftwaffe wird es in absehbarer Zeit nicht geben.[31]
Viele US-Experten sind daher überzeugt, dass ungeachtet der wiederholten Versicherungen Obamas, dass Ende 2011 wirklich die letzten Truppen das Land verlassen werden, dies nicht das letzte Wort sein wird. Man sollte ihnen nicht glauben, so der renommierte Autor und frühere Militärexperte der Washington Post Thomas Ricks, da es nicht passieren werde. Er sei überzeugt, dass noch zehntausende US-Truppen im Irak sein werden, wenn Präsident Obama sein Amt verlasse.[32] Die New York Times ließ in einem Leitartikel, der in Washington erhebliche Wellen schlug, ausführlich begründen, warum eine solche längere Präsenz zwingend erforderlich ist.[33] Auch der frühere US-Botschafter im Irak, Ryan C. Crocker, fordert „die ursprüngliche Flexibilität“ der US-Truppen zu erhalten. Peter Beinart von der New America Foundation warnt, dass bei einem Abzug der US-Truppen, „die begeisternden demokratischen Wahlen die letzten des Landes sein könnten.“[34]
Thomas Ricks fühlte sich bald bestätigt, als General Ray Odierno mit Bezug auf zunehmende Spannungen und Gewalt der Washington Post gegenüber von „Notfallplänen“ sprach.[35] Wenig später konnte er auf seiner „Foreign Policy“-Webseite enthüllen, dass Odierno bereits offiziell beantragt hat, eine komplette Kampfbrigade nach dem August in Kirkuk lassen zu können.[36] Auch die Versicherung von Robert Gates, dass eine Änderung der Abzugspläne nur bei einer „sehr bedeutenden Verschlechterung der Situation im Irak“ in Frage käme, ist alles andere als eine klare Absage.[37]
Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass die Mega-Militär-Basen, die seit 2003 mit allem Komfort ausgebaut wurden, geschlossen oder übergeben werden sollen. Allein für den Ausbau der Balad Air Base, 90 km nördlich von Bagdad, wurden mehrere Milliarden Dollar investiert, auch noch nach 2007. Sie ist mittlerweile eine der größten Militäranlagen der USA außerhalb Amerikas und mit ihren langen, für Großraumtransporter geeigneten Landebahnen, wohl der größte Flughafen im Irak. Bis zu 25.000 Soldaten sowie 15.000 Söldner und zivile Angestellte leben und arbeiten hier. Für deren Fortbewegung innerhalb des Militärstützpunktes, den die Mehrheit während ihres Irakaufenthaltes nie verlässt, wurden reguläre Buslinien eingerichtet. Es gibt ein eigenes Kraftwerk, ein Krankenhaus, Kläranlagen und Lebensmittelfabriken, sowie natürlich alle US-amerikanischen Fastfoodketten, Sportanlagen und was sonst eine mittlere US-amerikanische Stadt bietet.[38]
Die meisten Militärexperten gehen davon aus, dass das Pentagon zumindest die fünf der größten Basen im Irak als permanente Stützpunkte behalten will.[39] Die USA haben seit dem ersten Golfkrieg nicht nur Militärbasen gebaut, um Krieg zu führen, so Professor Zoltan Grossman vom Evergreen State College, sondern auch Krieg geführt, um Stützpunkte errichten zu können. Das Pentagon habe bestimmt nicht soviel in die riesigen Basen im Irak investiert, um sie dann einer untergeordneten lokalen Regierung dort zu überlassen.
Vermutlich werden die USA für die Zeit nach 2011 ein neues Stationierungsabkommen, ähnlich z.B. dem mit den Philippinnen, anstreben. Zur Not bietet jedoch auch das SOFA genügend Schlupflöcher zur Legitimierung einer weiteren Präsenz. Schon die Feststellung einer inneren Bedrohung des „demokratischen Systems“ Iraks oder „seiner gewählten Institutionen“ würde nach Artikel 27 als Rechtfertigung ausreichen.[40]
Schon der lange Verbleib bis Dezember 2011 war, wie das gesamte Stationierungsabkommen, im Irak sehr umstritten. Erst die Zusicherung, die endgültige Entscheidung einem bis Juli 2009 durchzuführenden Referendum zu überlassen, sicherte ihm eine knappe Mehrheit im Parlament. Bei einem negativen Ergebnis der Volksabstimmung hätten die US-Truppen binnen Jahresfrist das Land verlassen müssen. Dies wollten die Besatzer und Maliki keinesfalls riskieren: Das Referendum wurde kurzerhand verschoben und sollte parallel mit den Parlamentswahlen durchgeführt werden. Im März war davon jedoch keine Rede mehr. Auswirkungen auf die offiziellen Abzugstermine hätte das Referendum dann kaum noch gehabt. Ein klares Votum für einen raschen Abzug wäre jedoch ein massives Hindernis für jede Form der Verlängerung der amerikanischen Präsenz.
Parlamentswahlen
Um die Truppen auf die gewünschte Zahl von etwa 50.000 Soldaten reduzieren zu können, muss das neue irakische Regime stabil und fähig sein, sich selbst zu behaupten. Daher waren für Washington die neuen Parlamentswahlen am 7. März 2010 von entscheidender Bedeutung. Sie sollten, so die Hoffnung, die Konsolidierung der angestrebten Nachkriegsordnung einen entscheidenden Schritt voranbringen. Daneben sollten sie der zunehmend kriegsmüden Öffentlichkeit demonstrieren, dass der Irak auf einem guten Weg ist und dem Krieg so nachträglich noch Legitimation verleihen.
Viele westliche Kommentatoren reagierten tatsächlich mit großer Begeisterung auf den formal erfolgreichen Urnengang. Allein aufgrund der gemeldeten akzeptablen Wahlbeteiligung von 62% sahen sie die Demokratie im Irak gefestigt und das Land auf einem guten Weg. Manche, wie Jan Ross in der ZEIT vom 11.3.2010 sehen nun sogar George W. Bush, Dick Cheney, Tony Blair und die anderen Drahtzieher des Krieges nachträglich im Recht.
Ausschluss von Kandidaten und andere Wahlmanipulationen
Doch auch diese Wahlen fanden wieder unter Besatzungsbedingungen statt und konnten schon deswegen weder fair noch frei sein. Der radikalere Teil der Opposition war ohnehin von vornherein ausgeschlossen.
Bereits die Auseinandersetzungen über das Wahlgesetz, bei denen sich die Regierungsparteien wieder erhebliche Vorteile sicherten, provozierten erheblichen Unmut. Bald folgte der größte Eklat: 511 Kandidaten und 15 Parteien wurden wegen angeblicher Nähe zur verbotenen Baath-Partei von der Wahl ausgeschlossen. Betroffen waren überwiegend Angehörige der sunnitischen und säkularen, nationalistischen Opposition, darunter auch viele prominente Führer und bisherige Abgeordnete.[41] Treibende Kraft hinter dem Ausschluss war eine dubiose Kommission unter Führung zweier Spitzenkandidaten der schiitischen „Irakischen Nationalen Allianz“. Diese Kommission geht noch auf eine Anordnung des einstigen US-Staathalters Paul Bremer zurück, alle Institutionen von ehemaligen Kadern der Baath-Partei zu säubern. Sie arbeitete trotz eines neuen diesbezüglichen Gesetzes einfach weiter, bzw. wurde, wie es der Kommandeur der US-Streitkräfte im Mittleren Osten, David Petraeus, ausdrückte, von den schiitischen, regierungsnahen Kräften gekapert.
Trotz fehlender Rechtsgrundlage der Kommission, wurde der Ausschluss von Maliki unterstützt und von der „Unabhängigen Hohen Wahlkommission“ (IHEC) sofort umgesetzt. „Unter normalen Umständen würde dies schon genügen, um die Wahlen zu diskreditieren“, so die transatlantische Denkfabrik International Crisis Group (ICG) in ihrer Analyse des Wahlprozesses. [42]
Das dürfte auch Maliki und seinen Verbündeten bewusst gewesen sein. Doch offensichtlich hatten die schiitischen Regierungspartien angesichts schlechter Umfragewerte Panik bekommen. Bereits die Provinzwahlen im Januar 2009 hatten sehr deutlich gezeigt, wie überdrüssig die Iraker der sektiererischen Politik religiöser Hardliner waren. Sie zeigten ein klares Votum für einen einheitlichen, zentralen Staat und – wie die ICG konstatierte – die Wiederbelebung der alten irakischen nationalen Identität. Maliki hatte sich dem rechtzeitig angepasst und sich ein nationalistischeres Image zugelegt: als neuer starker Mann, der für eine Verbesserung der Sicherheitslage sorgte, den Besatzern ein Abkommen über einen Rückzug abrang und gleichermaßen gegen radikale schiitische Milizen, gegen sunnitische Extremisten wie auch die territoriale Ansprüche der Kurden vorgeht. Dieses Image wurde jedoch durch die Serie von verheerenden Anschlägen auf das stark gesicherte Zentrum Bagdads schwer erschüttert. Auch die miserable sonstige Bilanz seiner Regierung wurde zur schweren Hypothek.
Mit der neuen Entbaathisierungs-Kampagne konnten schließlich zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen werden. Die schiitischen Parteien schossen damit nicht nur gewichtige Gegner aus dem Rennen, mit der dadurch angeheizten Debatte konnten auch unangenehme Themen, wie das Versagen bei Versorgung und Wiederaufbau, die ungeheure Korruption oder die mangelnde Sicherheit bei ihren früheren Wählern in den Hintergrund gedrängt werden. Indem Säkularismus und arabischem Nationalismus generell mit „Baathismus“ gleichgesetzt wurde, konnte dies beim konservativ-religiösen Teil der schiitischen Bevölkerung die gewünschte Wirkung nicht verfehlen.
Schon bald nach den Wahlen häuften sich die Vorwürfe von Wahlmanipulationen. Nicht nur die oppositionellen Organisationen, auch drei angesehene, irakische NGOs, die in etwa vier Fünfteln der Wahllokale als unabhängige Beobachter präsent waren, erhoben schwere Vorwürfe. Demnach haben Soldaten und Polizisten in mehreren Provinzen eine geheime Stimmabgabe verhindert, Wähler aufgefordert, bestimmte Listen anzukreuzen, offiziellen Wahlbeobachter den Zutritt verweigert und einige sogar festgenommen. Hinzu kommen Berichte vom Fund gefüllter Urnen in Müllcontainern sowie Gerüchte über vorbefüllte Urnen und Übermittlung gefälschter Zählergebnisse.
Rückschlag für Regierungskoalition
Während die Wahlbeteiligung insgesamt zurückging, war sie in den Provinzen, in denen der Widerstand besonders stark ist, überdurchschnittlich hoch. Ein Zeichen dafür, dass viele sich erhoffen, durch die Wahlen das von den USA eingesetzte sektiererische Regime beseitigen und so dem Ende der Besatzung näher kommen zu können. Sollte die USA die Verpflichtung einhalten, ihre Truppen bis Ende 2011 abzuziehen, würde die neue Regierung zur Übergangsregierung.
Die Stimmen der Opposition konzentrierten sich auf die säkulare „Irakische Nationalbewegung“, Al-Iraqija, ein Wahlbündnis aus der Partei des Ex-Interimspremier Ijad Allawi und nationalistischen Parteien, die in mehr oder weniger radikaler Opposition zur Besatzung stehen. Dieses Bündnis mit dem einstigen engen US-Verbündeten, der als Premier u.a. für die Angriffe auf Falludscha mitverantwortlich war, fiel vielen Besatzungsgegnern sicherlich schwer, erwies sich jedoch als erfolgreich. Trotz der zahlreichen Manipulationen, wurden ihm die meisten Sitze zugesprochen. Es erhält 91 Mandate, während die „Rechtsstaatkoalition“ des Amtsinhabers nur auf 89 kommt.
Dass Allawi neuer Ministerpräsident wird, ist dennoch wenig wahrscheinlich. Da die schiitische „Irakische Nationale Allianz“ (INA) 70 und die „Kurdische Allianz“ aus PUK und KDP 43 Mandate errang, hätten die von den Regierungsparteien geführten Listen zusammen mit rund 200 der 325 Sitzen an sich wieder eine ausreichende Mehrheit. Allerdings entfallen nur 17 der 70 Mandate von INA auf den Obersten Islamischen Rat (ISCI), die zweite schiitische Regierungspartei, während 39 Sitze der vom Iran geschmiedeten Zweckallianz an die anti-amerikanische Bewegung des prominenten Geistlichen Muqtada Al-Sadr fielen. Dieser hat bisher die Unterstützung einer zweiten Amtszeit Malikis ausgeschlossen und zudem schwer verdauliche Forderungen für eine Regierungsbeteiligung gestellt, darunter Druck auf Washington, den Abzug der US-Truppen zu beschleunigen und keine Zugeständnisse an die Kurden zu machen. Ohne solche Zusagen, insbesondere bezüglich der von den PUK und KDP beanspruchten ölreichen Region um Kirkuk, bekommt Maliki diese aber nicht ins Boot. Ungeachtet dessen haben die Spitzen der schiitischen und kurdischen Parteien bereits Verhandlungen aufgenommen – in Teheran, wo sie, so die arabische Zeitung al-Hayat, keine Gefahr laufen von US-amerikanischen Spionen belauscht zu werden.
Im Prinzip ist kaum eine Koalition auszuschließen. Eine echte Alternative zur bisherigen Regierung wäre aber nur durch ein Bündnis von Al-Iraqija mit der Sadr-Bewegung möglich. Inhaltlich gibt es zwar zwischen diesen große Übereinstimmungen und sie haben auch schon oft gemeinsam Front gegen Pläne der Besatzer und der Maliki-Regierung gemacht, aber die Abneigung zwischen den Anhänger Al-Sadrs und den sunnitischen Nationalisten, von ersteren als „Baathisten“ bekämpft, wird wohl zu groß für eine feste Koalition sein. Ein Deal mit den Kurdenparteien dürfte Allawi auch schwer fallen, solange er an der Allianz mit den nationalistischen Parteien festhält. Diese haben aber das Gros der Stimmen seiner Liste eingefahren und sind sicherlich zu keinen Zugeständnissen an die Kurden bereit. Washington bevorzugt Berichten zufolge ein Zusammengehen von Allawi und Maliki. Vorerst scheitert dies schon allein daran, dass beide den Posten des Regierungschefs für sich beanspruchen.
Alles deutet daraufhin, dass sich die Verhandlungen auch diesmal wieder Monate hinziehen werden. Vermutlich wird nach diversen Deals und gehörigem Nachdruck der Besatzungsmacht eine Koalition die Regierung übernehmen, die weitgehend der jetzigen entspricht, verstärkt durch Teile anderer Wahlbündnisse. Die Chancen Malikis, Regierungschef zu bleiben, sind jedoch durch den Wahlsieg Allawis gesunken. Er setzt aber nun alle ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel ein, um sich den Amtserhalt trotz allem zu sichern. So hat er Haftbefehle gegen vier gewählte Kandidaten von Al-Iraqiya ausstellen lassen und geht mit umfangreichen Massenfestnahmen gegen oppositionelle Kräfte vor. Mehrere Führer von zu Al-Iraqiya gehörenden Parteien wurden Ziel von Bombenanschlägen.
Bei einer Neuauflage der kurdisch-schiitischen Regierung, wird die Wut ihrer Gegner groß sein und sich in heftigen Protesten über die diversen Wahl-Manipulationen entladen, die rasch auch eskalieren könnten. Viele, die sich dann um die Hoffnung betrogen fühlen, ihr Ziel mit politischen Mitteln erreichen zu können, werden es vermutlich nicht bei verbalen Protesten belassen und der militärische Widerstand wird zunehmen. Schon jetzt haben, so der Eindruck US-amerikanischer Geheimdienste, bewaffnete Gruppen wieder erheblichen Zulauf bekommen.
Fazit
Die Entwicklung brachte die Besatzungsmacht in ein schwieriges Dilemma. Einerseits setzt sie nach wie vor auf al-Maliki. Herausforderer Allawi, der bei einem Besuch in Washington Obama für eine alternative Option erwärmen wollte, wurde nicht einmal ins Weiße Haus vorgelassen. Zentraler Punkt ihrer Irak-Strategie ist jedoch auch, oppositionelle sunnitische und säkulare Kräften durch eine stärkere Beteiligung an der Macht einzubinden und dadurch das neue Regime zu stabilisieren. Dies wiederum ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, die Zahl der eigenen Truppen erheblich verringern zu können. Washington hatte gehofft, Maliki als Mann der Mitte aufbauen zu können, als starken Mann, der von Vielen als kleineres Übel akzeptiert werden könnte. Maliki steuert nun jedoch genau in die andere Richtung: im Schulterschluss mit den pro-iranischen Parteien auf Konfrontationskurs gegen säkulare und sunnitische nationalistische Kräfte. Die Gewalt nahm ab März sprunghaft zu – sowohl Bombenanschläge auf Regierungseinrichtungen und Zivilisten, wie auch Attentate, Razzien, Massenverhaftungen etc. gegen oppositionelle Politiker und Parteien.[43] Sie kann jederzeit weiter eskalieren.
Angesichts der sich zuspitzenden Situation haben die US-Kommandeure ihre Pläne für einen Aussetzung des Truppenabzugs konkretisiert.[44] Der Spielraum dafür wird jedoch durch die massive Truppenerhöhung in Afghanistan beschränkt. Sollte der Unmut über den Wahlausgang in gewalttätige Proteste umschlagen und der militärische Widerstand zunehmen, könnten die verbleibenden Truppen bald in eine schwierige Lage kommen. Die US-Regierung müsste sich dann entscheiden: entweder zu akzeptieren, dass das Irak-Projekt vorerst gescheitert ist und tatsächlich alle Besatzungskräfte – militärische wie zivile – abzuziehen oder neue Kampfeinheiten an den Euphrat und Tigris zu schicken. Bei einem offenen Bruch der Abzugsvereinbarungen wäre die Geduld der meisten Iraker jedoch endgültig am Ende und die Besatzungsmacht müsste mit einem noch breiteren Widerstand auf allen Ebenen rechnen als zuvor.
Anmerkungen:
[1] Iraq allows 100 British naval trainers to return, Reuters, 13.10.2009
[2] siehe NTM-I-Website, http://www.jfcnaples.nato.int/ntmi/ntmi_index.html
[3] Jürgen Todenhöfer, „Sommertage in Bagdad – Betonmauern, Schießtürme, Leben im Mangel: Die USA haben den Irak nicht befreit, sondern vergewaltigt und zerbrochen“, Berliner Zeitung, 10.10.2009
[4] Shane Bauer, Die schmutzige Brigade von Bagdad, Le Monde diplomatique, 10.7.2009
[5] Secret prison revealed in Baghdad, Los Angeles Times, 19.04.2010
[6] “Six years after Saddam Hussein, Nouri al-Maliki tightens his grip on Iraq”, The Guardian, 30.4.2009
[7] "Iraq's freedoms under threat - Could a police state return?", The Economist, 3.9.2009
[8] Bernhard Zand, „Irak - Eine Art Machtrausch“, DER SPIEGEL, 19.10.2009
[9] siehe auch: J. Guilliard, Die kulturelle Säuberung des Irak, Ossietzky 7/2010
[10] Iraqi court rules Guardian defamed Nouri al-Maliki, The Guardian, 10.11.2009
[11] Iraqis face new threat: brutal violence, Plain Dealer, 21.9.2009. Selbst der “2009 Human Rights Report: Iraq” des U.S. State Department vom 11.3.2010 oder die Studie “Criminals, Militias, And Insurgents: Organized Crime In Iraq”, des Strategic Studies Institute der US-Armee vom Juni 2009 vermitteln ein recht düsteres Bild
[12] Iraq: coping with violence and striving to earn a living, ICRC, 30.03.2010
[13] siehe z.B.: Iraq's once-envied health care system lost to war, corruption, McClatchy Newspapers, 18.5.2009
[14] 7 million Iraqis exist below poverty line, Azzaman, 9.4.2010. siehe auch den detaillierten, allerdings überwiegend auf offiziellen irakischen Zahlen beruhenden Bericht des UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) im „Consolidated Appeal for Iraq and the Region 2009“ v.19.11.2009
[15] IRAQ: State food aid package slashed, IRIN News, 1.4.2010
[16] IRAQ: Food insecurity on the rise, says official, IRIN (UN OCHA), 8.11.2009
[17] Fact sheet: Housing & shelter in Iraq, UN Human Settlements Program (UN-HABITAT), 5.10.2010
[18] Iraq to separate boys and girls in schools, Al Sumaria TV, 28.12.2009
[19] Little new displacement but in the region of 2.8 million Iraqis remain internally displaced, Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) u. Norwegian Refugee Council (NRC), 4.3.2010
[20] Poor conditions in Iraq drive returned refugees back to Syria, UNHCR Report, 22.12.2009
[21] It’s Time for the US to Declare Victory and Go Home, Memo von Col. Timothy R. Reese, NYT, 31.7.2009
[22] U.S. Embassy in Baghdad has plans to double in size, Foreign Policy, 7.1.2010
[23] siehe J. Guilliard „Magere Beute“, junge Welt, 31.12.2009sowie Irakisches Öl – weiterhin nur begrenzter Zugang für Öl-Multis, Blog Nachgetragen, 16.12.2009
[24] J. Guilliard, Irak: Im Clinch ums Öl, IMI-Analyse 2009/035
[25] George Friedman, Baghdad Politics and the U.S.-Iranian Balance, Stratfor, 20.4.2010
[26] Jane Arraf, To meet June deadline, US and Iraqis redraw city borders, Christian Science Monitor, 19.5.2009
[27] Iraq Restricts U.S. Forces, Washington Post, 18.7.2009
[28] Gregor Peter Schmitz, Schicksalswahl im Irak lässt Amerikaner bangen, Spiegel Online, 7.3.2010
[29] Dahr Jamail, Operation Enduring Occupation, t r u t h o u t | Op-Ed, 18.3.2010
[30] Iraqi Prime Minister Open to Renegotiating Withdrawal Timeline, , Washington Independent, 23.7.2009
O-Ton: Iraqi PM admits US troops may stay – Al Jazeera, 23.7.2009 (siehe YouTube, 1:53 min)
[31] Gates Says US Air Force May Remain in Iraq Beyond 2011, Voice of America, 11.2.2009
[32] Dahr Jamail, Operation Enduring Occupation, t r u t h o u t | Op-Ed, 18.3.2010
[33] Thomas E. Ricks, Extending Our Stay in Iraq, NYT, 23.2.2010
[34] Obama Sticks to a Deadline in Iraq, NYT, 27.4.2010
[35] U.S. plans for possible delay in Iraq withdrawal, Washington Post, 23.2.2010
[36] Thomas Ricks, Odierno requests more combat forces in Iraq -- beyond the Obama deadline, Best Defense 25.2.2010
[37] Gates: Only Serious Change in Security Would Delay US Troop Withdrawal from Iraq, Voice of America, 22.2.2010
[38] siehe U.S. Builds Air Base in Iraq for the Long Haul, NPR. 12.10,2007 und Balad Airbase, GlobalSecurity.Org,
[39] Dahr Jamail, Operation Enduring Occupation, a.a.O.
[40] siehe J. Guilliard, Besatzungsende nicht in Sicht, Abkommen über Truppenrückzug im Irak kaum bindend, AUSDRUCK, Dezember 2008
[41] Timeline of Iraq’s De-Baathification Campaign, Musings on Iraq, 26.2.2010
[42] Iraq’s Uncertain Future: Elections and Beyond, International Crisis Group, Middle East Report, 25.2.2010
[43] J: Guilliard, Wahlen im Irak – Von der Fälschung zu Verhaftungen und Attentaten, junge Welt, 03.04.2010
[44] U.S. Will Slow Iraq Pullout If Violence Surges After Vote, Wall Street Journal, 23.2.2010
Joachim Guilliard
http://imi-online.de/2010.php?id=2114
Besatzung in der Sackgasse – doch Ende nicht in Sicht
Sieht man von spektakulären Ereignissen, wie den Bombenanschlägen im Bagdader Regierungsviertel ab, ist der Irak aus den Schlagzeilen verschwunden und in der Folge auch kein Thema mehr für die Friedensbewegung. Immer mehr setzt sich der Eindruck durch, der Irak sei nun auf dem Weg zur Normalität.
Offiziell ist das Ende der Besatzung auch schon eingeleitet. Die meisten US-Truppen zogen sich ab Juni 2009, wie im Truppenstationierungsabkommen (SOFA) vom Herbst 2008 vereinbart, aus den Städten in die umliegenden Militärbasen zurück. Ende Juli verließ der letzte britische Soldat irakischen Boden. Mit Ausnahme von 100 britischen Marine-Soldaten, die als Ausbilder zurückkehrten[1] und rund 300 Soldaten der „NATO Training Mission-Iraq“ (NTM-I)[2] wird das Land jetzt nur noch von US-Truppen besetzt. Doch entgegen den großen Hoffnungen, die viele in den Amtsantritt Barack Obamas setzten, ist ein vollständiger Abzug der Besatzungstruppen noch nicht in Sicht.
Während Washington bei der Umsetzung seiner langfristigen Ziele im Irak stecken blieb, gewann der Iran sowohl im Irak wie in der Region stark an Einfluss. Unter diesen Umständen käme ein Rückzug einer Niederlage gleich.
Besatzungsrealität
Informationen über die Situation im besetzten Land fließen immer spärlicher. Nur durch sporadische Besuche mutiger, nicht „eingebetteter“ westlicher Journalisten erhält man noch schlaglichtartig Einblicke in die tatsächlichen Verhältnisse. Auch Studien von UN-Organisationen lassen erahnen, wie düster die irakische Realität ist. Allen Erfolgsmeldungen zum Trotzt sind die Lebensverhältnisse nach wie vor katastrophal, von Stabilität oder gar Demokratie und Rechtstaat kann keine Rede sein.
Entgegen dem vorherrschenden Bild ist der Krieg im Irak noch lange nicht zu Ende. Die militärischen Auseinandersetzungen sind zwar stark zurückgegangen, viele Städte gleichen nun aber düsteren Festungen. Bagdad beispielsweise ist „ein Hochsicherheitsgefängnis mit 1000 Betonmauern, 1000 Schießtürmen und 1000 schwerbewaffneten Checkpoints“ geworden, wie der Publizist Jürgen Todenhöfer bei seinem Besuch im Sommer 2009 feststellen musste. Er erlebte die nach wie vor massive Präsenz von US-Militär in der Stadt am eigenen Leib. Auch sein Wagen wurde mehrfach gestoppt und musste im gleißenden Scheinwerferlicht ausharren, während die grünen Laserstrahlen eines Panzergeschützes durchs Wageninnere zuckten und Hubschrauber wie Hornissen im Tiefflug über ihnen donnerten. Es war wie ein irrealer Albtraum, so Todenhöfer – aber Alltag in Bagdad. [3]
Noch immer gibt es in der total militarisierten Hauptstadt pro Tag über zehn „militärische Zwischenfälle“: Angriffe irakischer Widerstandskämpfer auf US-Truppen, Operationen von Besatzungssoldaten und Gewalttaten diverser Milizen und Terrorgruppen. Wobei viele Iraker allerdings überzeugt sind, dass bei terroristischen Anschlägen, die unzählige Unbeteiligte töten oder gezielt ethnisch-religiösen Hass schüren, sowohl Regierungsparteien als auch ausländische Geheimdienste, Todesschwadrone und „Sicherheitsfirmen“ wie Blackwater (mittlerweile Xe Services) ihre Hände im Spiel haben.
Washingtons "Stabilisierungsstrategie"
Zentraler Punkt in Washingtons Irak-Strategie ist, das neue Regime durch eine bessere Beteiligung von oppositionellen Kräften an der Macht zu stabilisieren. Bei jeder Gelegenheit fordern Präsident Obama und die kommandierenden US-Generäle die irakische Regierung auf, endlich die „Aussöhnung“ zwischen den Konfessionen und den politischen Kräften in die Wege zu leiten. Allerdings besteht das Wesen des neuen, von den Besatzern maßgeblich gestalteten, Regimes gerade in seiner völkisch-konfessionellen Ausrichtung. Die Regierungsparteien verwalten dabei ihre Ministerien als Pfründe und nutzen sie, ihre mit US-Hilfe geschaffenen Machtpositionen dauerhaft zu sichern.
Auch unter Obama setzt die Besatzungsmacht dabei vor allem auf den neuen starken Mann im Irak, Ministerpräsident Nuri al-Maliki, der in den letzten Jahren seine Machtposition stark ausbauen konnte. Sukzessive besetzte er – am Parlament vorbei – Schlüsselposition in Regierung, Verwaltung, Polizei und Militär mit Getreuen aus seiner Partei oder seinem Familienclan. Durch Vergabe zehntausender neuer Posten im Staat und die Verteilung von Geldern aus den nicht unerheblichen Öl-Einnahmen unter Unternehmern, Stammesführern etc. die sich ihm anschlossen, konnte er seine Basis erheblich verbreitern. Mit US-Hilfe konnte er sich zudem einen eigenen Geheimdienst und gut ausgerüstete militärische Spezialeinheiten zulegen. Diese, von „Green Berets“ ausgebildeten, 4.500 Mann starken „Iraq Special Operations Forces“ (ISOF) operieren teils offen, teils verdeckt – unter Malikis Oberbefehl und unter Aufsicht der US-Armee, aber ohne sonstige Kontrolle irakischer Institutionen. Malikis Partei hatte im Unterschied zu seinen Koalitionspartnern keine Miliz. Die neuen Einheiten, die auch – wie ihre Ausbilder – gezielte Exekutionen vornehmen, gelten mittlerweile jedoch als schlagkräftigste Truppe des Landes.[4] Einen kurzen Einblick in die „Arbeit“ der ISOF gab die Entdeckung eines Geheimgefängnisses, das von Malikis Leuten in Bagdad geführt wurde. Ein Viertel der 437 Gefangenen wies Spuren schwerer Folter auf.[5]
Besatzung und Polizeistaat
Was hier als sich entwickelndes demokratisches Land dargestellt wird, trägt alle Züge eines mörderischen repressiven Polizeistaates. Viele Beamte, Geistliche und Politiker im Irak, so der britische Guardian vom 30.4.2009, sprechen bereits von einer neuen Diktatur und vergleichen Maliki mit Saddam Hussein. Sechs Jahre nach Kriegsbeginn würde das Land nach ziemlich vertrauten Linien aufgebaut, so das Fazit des Guardian: „Konzentration von Macht, schattenhafte Geheimdienste und Korruption.“ [6]
Auch andere Zeitungen, wie The Economist [7] oder Der Spiegel charakterisieren den „neuen Irak“ immer öfter als Polizeistaat. Spiegel-Korrespondent Bernhard Zand möchte al-Maliki jedoch mehr als „autoritären Garanten des allmählichen Fortschritts“ sehen, in einer „lebenshungrigen Nachkriegsgesellschaft, in der Nepotismus und Korruption, aber endlich auch Freiheit herrschen“ würden.[8]
Im kurdischen Teil, wo sich seit bald zwei Jahrzehnten die beiden Clans der Parteiführer Jalal Talabani und Massud Bazani die Herrschaft und die großen Geschäfte teilen, sieht es, so Zand, nicht besser aus: „Wir haben 10 Stunden Strom am Tag, wir haben 15 Stunden Redefreiheit und 24 Stunden Korruption“, lautet ein Witz der Kurden im Nordirak.
Die meisten namhaften Persönlichkeiten, die nicht zur Kollaboration bereit waren – von ehemaligen Bürgermeistern über unabhängige Wissenschaftler bis hin zu Künstlern – sind daher, sofern sie nicht ermordet wurden oder im Kerker landeten, längst ins Ausland geflohen.[9] Bedroht und verfolgt sind aber nicht nur Angehörige der gegen die Besatzung und die Maliki-Regierung gerichteten Opposition, sondern in hohem Maß auch Journalisten. Diese müssen kritische Recherchen häufig mit körperlichen Misshandlungen, willkürlichen Verhaftungen oder gar dem Tod büßen. Durch saftige Geldstrafen versucht Maliki auch kritische Berichte westlicher Medien zu unterbinden: So wurde der Guardian zur Zahlung von 100 Millionen Dinar (ca. 65.000 Euro) verdonnert, weil er sich im oben erwähnten Artikel kritisch mit dem autokratischen Gehabe Malikis auseinandersetzte. Die New York Times und die Agentur Associated Press haben ähnliche Strafbefehle auf Grundlage eines neuen Gesetzes erhalten, das kritische Artikel über den Premier oder Präsidenten des Landes verbietet.[10]
Wer gegen die Korruption anzugehen versucht, werde oft mit „physischer Liquidation“ bedroht, so Mitglieder des parlamentarischen Integritäts- und Haushaltsausschusses gegenüber Zand. „Unsere Regierung gleicht einer großen Mafia“, erläuterte Scheich Sabah al-Saadi „Wir haben Netzwerke aufgedeckt, die sich durch fast alle Ministerien ziehen.“
Abgeordnete berichten von offenen Drohungen, gegen alle persönlich vorzugehen, die Maliki oder seine Partei zu belasten suchen.
Typisch bei diesen kritischen Berichten ist, dass sie zwar die irakische Seite sehr genau beschreiben, die dominierende Rolle der Besatzer jedoch völlig ausblenden. Dabei sind diese durch unzählige „Berater“ in allen wesentlichen Bereichen involviert und waren auch von Anfang an in hohem Maße in die Korruption verwickelt – Besatzung und „Polizeistaat“ sind nur zwei Seiten einer Medaille.
Katastrophale Lebensbedingungen
Zu Krieg und Repression kommen natürlich noch die ständige Gefahr verheerender Terroranschläge sowie ein hohes Maß von Gewaltkriminalität, das in den letzten Jahren noch anstieg. Irak ist daher nach wie vor eines der gefährlichsten Pflaster auf der Welt.[11]
Schlimmer noch ist für die meisten Iraker die weiterhin miserable Versorgungslage. So haben dem jüngsten Bericht des Internationalen Roten Kreuz zufolge 55% der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und nur noch 20% sind an das Abwassersystem angeschlossen.[12] Auch Strom gibt es nach wie vor nur stundenweise, Gesundheits- und Bildungswesen liegen am Boden.[13]
Millionen Iraker hungern und der Nahrungsmangel weitet sich sogar noch aus, so die UN-Nachrichtenagentur IRIN. Obwohl die hohen Ölpreise ein Mehrfaches der Summen in die Staatskassen spülen, die unter dem Embargo zur Verfügung standen, lebt mittlerweile nach Angaben der irakischen Zentralen Organisation für Statistik und Information die Hälfte der knapp 30 Millionen Iraker in äußerster Armut („abject poverty“), davon sieben Millionen unterhalb des Existenzminimums von zwei US-Dollar pro Tag.[14]
Gründe sind vor allem Inflation, hohe Arbeitslosigkeit und das Zusammenbrechen des Systems zur Verteilung subventionierter Nahrungsmittel, von dem 60% der Bevölkerung völlig abhängig sind. Dieses, 1995 als Teil des Öl-für-Nahrung-Programms aufgebaute System, galt vor 2003 als vorbildlich, wenn auch unterfinanziert. Trotz steigender Öl-Einnahmen brach das Versorgungssystem auf Grund der Besatzungspolitik, Druck des Internationalen Währungsfonds, Krieg und Korruption immer mehr zusammen. Verteilt werden statt dem früheren guten Dutzend bloß noch fünf Grundnahrungsmittel und dies oft nur in 8 bis 10 Monaten im Jahr. [15]
Eine wesentliche Ursache für den Nahrungsmangel ist der drastische Rückgang der heimischen landwirtschaftlichen Produktion – nicht zuletzt aufgrund der 2003 erzwungenen völligen Öffnung des Landes für zollfreie Importe. Vor der Invasion habe es trotz des Embargos noch „eine gewisse Stabilität bei der Nahrungsmittelversorgung“ gegeben, weil es „eine Kontrolle der Nahrungsimporte und staatliche Unterstützung für die Landwirtschaft gab,” so Muna Turki Al-Mousawi, Chefin des staatlichen irakischen Zentrums für Marktforschung und Verbraucherschutz, gegenüber IRIN.[16] Mit Beginn der Besatzung war es damit vorbei.
Das UN-Programm für menschliche Siedlungen UN-HABITAT berichtete im Juli 2009, dass dem Land 1,3 Millionen Wohnungen fehlen, über die Hälfte der Bevölkerung in „Slum-ähnlichen Bedingungen“ lebt und sich die Situation in den kommenden Jahren noch verschlimmern wird.[17] Das Krankenhaussystem kämpft immer noch mit dem Mangel an Personal, Betten und Ausrüstung und es fehlen den Angaben von HABITAT zufolge auch 4.000 Schulen. Dafür hat die Regierung damit begonnen, Mädchen und Jungen in den Schulen zu trennen.[18]
Als Jürgen Todenhöfer das Oberhaupt eines der größten schiitischen Stämme fragte, ob es wenigsten den Schiiten nach dem Sturz Saddam Husseins besser gehe, schüttelte dieser nur verdutzt den Kopf und wies auf die über eine Million Iraker hin, die in Folge des Krieges und der Besatzung seit 2003 starben, darunter 12 seiner eigenen Familie. Zudem gebe es weniger Arbeitsplätze, weniger medizinische Versorgung, weniger sauberes Wasser und weniger Elektrizität als vorher. Gerade einmal drei Stunden Strom gebe es in seinem Stadtteil, Sadr City. Der Krieg habe nur jenen Irakern genutzt, die auf den Gehaltslisten der USA stünden.
Ein deutlicher Indikator für die nach wie vor miserablen Lebensbedingungen im Irak sind auch die Flüchtlingszahlen. Nach wie vor leben gut 2 Mio. Flüchtlinge im benachbarten Ausland und ebenso viele im Irak selbst.[19] Nur wenige trauen sich unter den herrschenden Bedingungen zurück.[20]
Besatzung in der Sackgasse
Nicht nur die Verbesserung der Lebensbedingungen lässt auf sich warten, auch die Besatzer kommen mit ihren Plänen im Irak nicht voran. Sie sind nach wie vor die dominierende Macht. Ihr Einfluss hat sich aber deutlich verringert. Das Stationierungsabkommen, auch wenn es nur halbherzig befolgt wird, schränkt den Handlungsspielraum der US-Truppen und letztlich auch ihre Autorität im Land spürbar ein.
Viele führende US-Offiziere vor Ort sehen schon lange keinen Sinn mehr in einer weiteren Präsenz. Der Chef des Beraterstabs des US-Hauptquartiers in Bagdad, Oberst Timothy Reese, z.B. kam in einem vertraulichen Memorandum zum Schluss, es sei „Zeit für die USA, den Sieg zu erklären und nach Hause zu gehen“. Die Veröffentlichung des Geheimpapiers in der New York Times schlug entsprechende hohe Wellen.[21]
Die irakische Regierung und Verwaltung sei, so Reese, nach wie vor unfähig, sektiererisch und korrupt. Sachlich korrekt, jedoch mit der Arroganz eines Kolonialherrn, der die eigene Verantwortung für das was er geschaffen hat, ignoriert, geißelt er das umfassende „Fehlen jeglichen Fortschritts in Bezug auf wesentliche Dienstleistungen und Regierungsführung“. Das Urteil über die irakische Armee fällt ähnlich vernichtend aus.
Er sieht aber keine Chance, dass die USA durch einen längeren Verbleib im Land noch etwas an den Verhältnissen ändern könnten – im Gegenteil: Ihre Kampfoperationen „seien aktuell das Opfer einer zirkulären Logik.“ Sie würden zum Schutz der irakischen Regierung Angriffe durchführen, um „alle Arten von Extremisten zu schnappen oder zu töten“. Die „Extremisten“ würden jedoch genau deswegen angreifen, weil die US-Truppen „im Irak militärische Operationen durchführen“.
So zutreffend Reese Einschätzungen sind, Gehör werden sie nicht finden. Denn von einem Sieg kann kein Rede sein: Noch ist die dauerhafte Kontrolle über den Irak nicht gesichert und sind wesentliche Ziele, wie der Zugriff aufs Öl nicht erreicht. Zudem wuchsen durch den Krieg die Macht und der Einfluss des Irans erheblich.
Dass sich an diesen Ambitionen in Washington nichts geändert hat, zeigt kaum etwas so anschaulich, wie die riesige US-amerikanische Botschaftsfestung im Zentrum Bagdads. Auch Obama machte bisher keinerlei Anstalten, den riesigen Stab von über tausend Mitarbeitern – weit mehr als das britische Empire für die Verwaltung des zehnmal so großen Indien im Einsatz hatte – zu reduzieren. Da im Zuge des Truppenabbaus viele Aufgabenbereiche vom Militär an zivile Stellen übergehen sollen, wird sich die Zahl der hier tätigen Diplomaten, Geheimdienstleuten, Verwaltungs-, Wirtschafts- und sonstigen Experten noch stark erhöhen. Es gibt bereits konkrete Pläne, den Botschaftskomplex, der schon jetzt so groß wie der Vatikanstaat ist, auf die doppelte Größe auszubauen.[22] Zweifelsohne soll, nach dem Willen US-Führung, hier auch in Zukunft das eigentliche administrative Herz Iraks stehen, das mit Hilfe der zahlreichen Berater auf allen Ebenen der irakischen Regierung und Verwaltung, die wesentlichen Entscheidungen im Irak steuert.
Ob dies jedoch auf Dauer möglich sein wird, ohne die Fassade eines souveränen demokratischen Staates zu demontieren, ist zweifelhaft. Denn der Gegenwind wurde immer stärker und auch der politische Widerstand wuchs in den letzten Jahren auf allen Ebenen – selbst im irakischen Parlament. Zwar waren hier, nach den entsprechend konzipierten Wahlen im Dezember 2005, überwiegend US-Verbündete eingezogen. Die auf konfessionelle Spaltung und Ausverkauf angelegte Besatzungspolitik wie auch die pro-iranische Ausrichtung der Regierungspartien waren jedoch auch für viele dieser Verbündete, wie beispielswiese den Ex-Interimspremier Ijad Allawi, nicht tolerierbar. Sie schlugen sich zunehmend auf die Seite der Besatzungsgegner. Dadurch und aufgrund der einhelligen Stimmung in der Bevölkerung, der auch die Maliki-Regierung immer stärker Rechnung tragen musste, wurden viele wichtige Maßnahmen und Projekte blockiert. Dies reicht von der Gründung einer „staatlichen Anstalt für Privatisierung“, die immer noch auf Eis liegt, bis zum neuen Ölgesetz. Letzteres ist für Washington praktisch unverzichtbar, da erst ein solches neues Gesetz eine formal legale Privatisierung der Ölproduktion ermöglichen würde.
Magere Beute
In spektakulären Auktionen bot der Irak zwar 2009 ausländischen Konzernen Abkommen zur Ausbeutung von umfangreichen irakischen Ölfeldern an. Diese Geschäfte sind aber weit von dem entfernt, was die westlichen Öl-Multis anstreben und für das – nicht zuletzt – die Bush-Regierung in den Krieg zog. Es handelt sich um reine Dienstleistungsverträge mit dem Ziel, die Fördermengen von Ölfeldern drastisch zu steigern. Die Auftragnehmer bekommen als Entgelt nur einen festen Betrag zwischen 1,20 und 2,00 US-Dollar für jedes zusätzlich geförderte Barrel Öl. Bei Laufzeiten von 20 Jahren sind dabei durchaus zweistellige Milliardenverträge zu verdienen. Die ausländischen Konzerne erhalten aber nach wie vor weder Anteile am Öl noch Förderlizenzen. Von den großen US-Konzernen kam allein Exxon Mobil zum Zuge, ansonsten dominieren staatliche asiatische Firmen, allen voran die chinesische National Petroleum Corporation CNPC. Da für die Staatskonzerne nicht maximale Renditen im Vordergrund stehen, sondern Ausbau und Sicherung einer langfristigen Versorgung, war für sie das Angebot durchaus attraktiv. [23]
Doch auch solche Serviceverträge sind vielen Irakern aufgrund des Umfangs und der langen Laufzeit schon zu viel. Noch sind die Verträge daher nicht unter Dach und Fach. Im Parlament, das an sich nach dem immer noch gültigen Gesetz aus der Baath-Ära alle Verträge mit ausländischen Firmen billigen muss, regt sich Widerstand und mehr noch in der staatlichen Ölindustrie – vom Management bis zu den Gewerkschaften. Neue Regierungen könnten die auf wackliger Rechtsgrundlage geschlossenen Verträge jederzeit annullieren.[24]
Iran gestärkt
Der eigentliche Gewinner des Krieges ist eindeutig der Iran. Während die USA im Irak feststecken, stieg er durch die Zerschlagung des regionalen Gegengewichts zur unbestrittenen regionalen Vormacht auf. Über die engen Verbindungen zu den schiitischen Regierungspartien und vielen anderen schiitischen Kräften, wie auch zu den beiden Kurdenparteien, die die kurdische Autonomieregion beherrschen, hat die iranische Führung auch einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Nachbarlandes. Und zum Ärger US-amerikanischer Konzerne machen iranische Firmen auch die besten Geschäfte im Irak. Der große Einfluss des Iran ist nicht nur nachteilig. So erwiesen sich Wiederaufbrauprojekte mit iranischen Partnern als wesentlich erfolgreicher als die, die von den Besatzern angeleiert wurden. Die Grenzregionen zum Iran haben dadurch z.B. die beste Stromversorgung im Land.
Der Iran ist im Irak strategisch klar im Vorteil. Das einzige nennenswerte Gegengewicht zur verfeindeten islamischen Republik bilden die zivilen und militärischen Besatzungskräfte der USA. Für viele Experten in den USA ein Grund mehr, eine bedeutende Streitmacht zwischen Euphrat und Tigris zu belassen. Die US-Truppen könnten den Irak nicht verlassen, da sie eine Situation schufen, in der das iranische Militär die stärkste Macht am Persischen Golf sei, erklärte z.B. kürzlich George Friedmann, Chef des konservativen, privaten US-amerikanischen Nachrichtendienst Stratfor (oft auch als „Schatten-CIA“ bezeichnet). Der Iran müsste nirgendwo einmarschieren – dazu wären die iranischen Streitkräfte auch gar nicht ausgerüstet –, um sich massive politische und wirtschaftliche Zugeständnisse vom Irak, wie von den anderen Ländern der arabischen Halbinsel, zu holen.[25]
Ohne eine ausreichende militärische Präsenz werden die USA ihre Dominanz gegenüber dem inneren Widerstand und der äußeren Einflussnahme tatsächlich nicht behaupten können. Da zudem die Errichtung permanenter Militärstützpunkte am persischen Golf schon seit langem ein wesentliches Ziel der US-amerikanischen Irak-Politik ist, ist mit einem vollständigen Abzug nicht zu rechnen – zumindest nicht mit einem freiwilligen.
Vollständiger Abzug nicht in Sicht
Im Wahlkampf hatte Obama versprochen, die im Irak stationierten US-Truppen innerhalb von sechzehn Monaten abzuziehen – beginnend mit seinem Amtsantritt jeden Monat fünf bis zehntausend Mann. Als er Ende Februar 2009 seine Pläne für den Irak vorstellte, war nur noch vom Abzug der „Kampftruppen“ bis August 2010 die Rede. Der Rest, mehr als die Hälfte der ca. 130.000 Soldaten, sollte aber erst, wie von Amtsvorgänger Bush bereits im Stationierungsabkommen zugesichert, bis Ende 2011 das Land verlassen.
Der Rückzug soll jedoch, so Obama, „verantwortungsvoll“ erfolgen, also lediglich dann, wenn es die politische und militärische Lage vor Ort erlaubt. Damit übernahm er letztlich die Pläne der Bush-Regierung und garantierte die Fortsetzung der Besatzung für mindestens drei Jahre.
Die Lage vor Ort verhinderte 2009 dann auch tatsächlich einen nennenswerten Abzug. Zur Absicherung der, zunächst für Januar 2010 angesetzten Parlamentswahlen und der anschließenden, sich vermutlich über Monate hinziehenden Regierungsbildung, sollten sie in nahezu unveränderter Stärke im Land bleiben. Durch die Verschiebung der Wahlen auf den 7. März kam dies aber mit der angestrebten Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan ins Gehege und es mussten über 25.000 Soldaten vorzeitig abgezogen werden. Ein erheblicher Teil wurde jedoch durch private Söldner ersetzt.
Der gefeierte Rückzug aus den Städten ist vielerorts ebenfalls nur Etikettenschwindel. Zehntausende US-Soldaten sind in den Städten verblieben und führen nun als „Trainings- und Unterstützungstruppen“ den Kampf gegen die Opposition fort.[26] Vor allem in den Nordprovinzen, rund um Mosul und Baquba führen US-Truppen noch regelmäßig große Militäroperationen durch.
Laut Stationierungsabkommen müsste die US-Armee nun ihre Operationen stets mit der irakischen Regierung abstimmen. Auch dies konnten die Iraker bisher nicht durchsetzen. „Mag sein, dass etwas bei der Übersetzung [des Abkommens] verloren ging“, erwiderte der Kommandeur der für Bagdad zuständigen US-Division dreist den Kritikern des vertragswidrigen Vorgehens. Sie hätten auf keinen Fall vor, vollständig aus der Stadt zu verschwinden und würden garantiert auch keine Einschränkungen ihrer Operationsfreiheit hinnehmen. Dies könnte von ihren Gegnern ausgenutzt werden und so ihre Sicherheit gefährden. Seine Truppen würden daher auch weiterhin Gefechtsoperationen im Stadtgebiet von Bagdad durchführen – mit oder ohne Assistenz der irakischen Verbündeten.[27]
Und US-Vizepräsident Joe Biden betont, dass auch nach dem offiziellen Abzug der Kampftruppen Ende August, US-Soldaten dort für Ordnung sorgen könnten. „Den Großteil der verbleibenden Truppen werden immer noch Leute stellen, die gezielt schießen und die schlimmen Jungs fangen können“.[28]
Selbstverständlich möchte Obama die Truppenzahl tatsächlich gerne deutlich verringern, um so den sichtbaren Eindruck von Besatzung zu vermindern, die immensen Kosten zu reduzieren und vor allem Kräfte für Afghanistan freizumachen. Eine solche Reduzierung würde aber erfordern, dass die Irakisierung der US-Herrschaft im Irak funktioniert, d.h. Regierung und Armee den größten Teil des Kampfes gegen ihre Gegner selbst übernehmen kann. Das wird nach Einschätzung der kommandierenden US-Generäle aber noch viele Jahre dauern. Sie hatten daher von Anfang an deutlich gemacht, dass sie die im Stationierungsabkommen vereinbarten Abzugstermine keinesfalls für verbindlich halten. Einen vollständigen Abzug dürften sie bisher kaum ernsthaft in Betracht gezogen haben. Generalstabschef George Casey erklärte z.B. im Mai letzten Jahres, dass seine Planungen für die Armee Kampftruppen im Irak für ein weiteres Jahrzehnt vorsehen.[29]
Auch der irakische Präsident Nouri al-Maliki hat bereits mehrfach – u.a. in seiner Rede vor dem U.S. Institute of Peace am 24. Juli 2009 – laut über eine Verlängerung der US-Truppen-Präsenz über 2011 hinaus nachgedacht.[30] Auch er weiß, dass sich seine Regierung ohne die US-Armee nicht lange halten könnte. Auf die eigenen Truppen ist wenig Verlass. Die Loyalität und Kampfmoral vieler Einheiten ist zweifelhaft und die neue Armee verfügt auch über keine der High-Tech-Waffen, mit denen die Besatzer dem Widerstand Paroli bieten, wie minenresistente Fahrzeuge, Kampflugzeuge, Drohnen und Hubschrauber. Eine irakische Luftwaffe wird es in absehbarer Zeit nicht geben.[31]
Viele US-Experten sind daher überzeugt, dass ungeachtet der wiederholten Versicherungen Obamas, dass Ende 2011 wirklich die letzten Truppen das Land verlassen werden, dies nicht das letzte Wort sein wird. Man sollte ihnen nicht glauben, so der renommierte Autor und frühere Militärexperte der Washington Post Thomas Ricks, da es nicht passieren werde. Er sei überzeugt, dass noch zehntausende US-Truppen im Irak sein werden, wenn Präsident Obama sein Amt verlasse.[32] Die New York Times ließ in einem Leitartikel, der in Washington erhebliche Wellen schlug, ausführlich begründen, warum eine solche längere Präsenz zwingend erforderlich ist.[33] Auch der frühere US-Botschafter im Irak, Ryan C. Crocker, fordert „die ursprüngliche Flexibilität“ der US-Truppen zu erhalten. Peter Beinart von der New America Foundation warnt, dass bei einem Abzug der US-Truppen, „die begeisternden demokratischen Wahlen die letzten des Landes sein könnten.“[34]
Thomas Ricks fühlte sich bald bestätigt, als General Ray Odierno mit Bezug auf zunehmende Spannungen und Gewalt der Washington Post gegenüber von „Notfallplänen“ sprach.[35] Wenig später konnte er auf seiner „Foreign Policy“-Webseite enthüllen, dass Odierno bereits offiziell beantragt hat, eine komplette Kampfbrigade nach dem August in Kirkuk lassen zu können.[36] Auch die Versicherung von Robert Gates, dass eine Änderung der Abzugspläne nur bei einer „sehr bedeutenden Verschlechterung der Situation im Irak“ in Frage käme, ist alles andere als eine klare Absage.[37]
Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass die Mega-Militär-Basen, die seit 2003 mit allem Komfort ausgebaut wurden, geschlossen oder übergeben werden sollen. Allein für den Ausbau der Balad Air Base, 90 km nördlich von Bagdad, wurden mehrere Milliarden Dollar investiert, auch noch nach 2007. Sie ist mittlerweile eine der größten Militäranlagen der USA außerhalb Amerikas und mit ihren langen, für Großraumtransporter geeigneten Landebahnen, wohl der größte Flughafen im Irak. Bis zu 25.000 Soldaten sowie 15.000 Söldner und zivile Angestellte leben und arbeiten hier. Für deren Fortbewegung innerhalb des Militärstützpunktes, den die Mehrheit während ihres Irakaufenthaltes nie verlässt, wurden reguläre Buslinien eingerichtet. Es gibt ein eigenes Kraftwerk, ein Krankenhaus, Kläranlagen und Lebensmittelfabriken, sowie natürlich alle US-amerikanischen Fastfoodketten, Sportanlagen und was sonst eine mittlere US-amerikanische Stadt bietet.[38]
Die meisten Militärexperten gehen davon aus, dass das Pentagon zumindest die fünf der größten Basen im Irak als permanente Stützpunkte behalten will.[39] Die USA haben seit dem ersten Golfkrieg nicht nur Militärbasen gebaut, um Krieg zu führen, so Professor Zoltan Grossman vom Evergreen State College, sondern auch Krieg geführt, um Stützpunkte errichten zu können. Das Pentagon habe bestimmt nicht soviel in die riesigen Basen im Irak investiert, um sie dann einer untergeordneten lokalen Regierung dort zu überlassen.
Vermutlich werden die USA für die Zeit nach 2011 ein neues Stationierungsabkommen, ähnlich z.B. dem mit den Philippinnen, anstreben. Zur Not bietet jedoch auch das SOFA genügend Schlupflöcher zur Legitimierung einer weiteren Präsenz. Schon die Feststellung einer inneren Bedrohung des „demokratischen Systems“ Iraks oder „seiner gewählten Institutionen“ würde nach Artikel 27 als Rechtfertigung ausreichen.[40]
Schon der lange Verbleib bis Dezember 2011 war, wie das gesamte Stationierungsabkommen, im Irak sehr umstritten. Erst die Zusicherung, die endgültige Entscheidung einem bis Juli 2009 durchzuführenden Referendum zu überlassen, sicherte ihm eine knappe Mehrheit im Parlament. Bei einem negativen Ergebnis der Volksabstimmung hätten die US-Truppen binnen Jahresfrist das Land verlassen müssen. Dies wollten die Besatzer und Maliki keinesfalls riskieren: Das Referendum wurde kurzerhand verschoben und sollte parallel mit den Parlamentswahlen durchgeführt werden. Im März war davon jedoch keine Rede mehr. Auswirkungen auf die offiziellen Abzugstermine hätte das Referendum dann kaum noch gehabt. Ein klares Votum für einen raschen Abzug wäre jedoch ein massives Hindernis für jede Form der Verlängerung der amerikanischen Präsenz.
Parlamentswahlen
Um die Truppen auf die gewünschte Zahl von etwa 50.000 Soldaten reduzieren zu können, muss das neue irakische Regime stabil und fähig sein, sich selbst zu behaupten. Daher waren für Washington die neuen Parlamentswahlen am 7. März 2010 von entscheidender Bedeutung. Sie sollten, so die Hoffnung, die Konsolidierung der angestrebten Nachkriegsordnung einen entscheidenden Schritt voranbringen. Daneben sollten sie der zunehmend kriegsmüden Öffentlichkeit demonstrieren, dass der Irak auf einem guten Weg ist und dem Krieg so nachträglich noch Legitimation verleihen.
Viele westliche Kommentatoren reagierten tatsächlich mit großer Begeisterung auf den formal erfolgreichen Urnengang. Allein aufgrund der gemeldeten akzeptablen Wahlbeteiligung von 62% sahen sie die Demokratie im Irak gefestigt und das Land auf einem guten Weg. Manche, wie Jan Ross in der ZEIT vom 11.3.2010 sehen nun sogar George W. Bush, Dick Cheney, Tony Blair und die anderen Drahtzieher des Krieges nachträglich im Recht.
Ausschluss von Kandidaten und andere Wahlmanipulationen
Doch auch diese Wahlen fanden wieder unter Besatzungsbedingungen statt und konnten schon deswegen weder fair noch frei sein. Der radikalere Teil der Opposition war ohnehin von vornherein ausgeschlossen.
Bereits die Auseinandersetzungen über das Wahlgesetz, bei denen sich die Regierungsparteien wieder erhebliche Vorteile sicherten, provozierten erheblichen Unmut. Bald folgte der größte Eklat: 511 Kandidaten und 15 Parteien wurden wegen angeblicher Nähe zur verbotenen Baath-Partei von der Wahl ausgeschlossen. Betroffen waren überwiegend Angehörige der sunnitischen und säkularen, nationalistischen Opposition, darunter auch viele prominente Führer und bisherige Abgeordnete.[41] Treibende Kraft hinter dem Ausschluss war eine dubiose Kommission unter Führung zweier Spitzenkandidaten der schiitischen „Irakischen Nationalen Allianz“. Diese Kommission geht noch auf eine Anordnung des einstigen US-Staathalters Paul Bremer zurück, alle Institutionen von ehemaligen Kadern der Baath-Partei zu säubern. Sie arbeitete trotz eines neuen diesbezüglichen Gesetzes einfach weiter, bzw. wurde, wie es der Kommandeur der US-Streitkräfte im Mittleren Osten, David Petraeus, ausdrückte, von den schiitischen, regierungsnahen Kräften gekapert.
Trotz fehlender Rechtsgrundlage der Kommission, wurde der Ausschluss von Maliki unterstützt und von der „Unabhängigen Hohen Wahlkommission“ (IHEC) sofort umgesetzt. „Unter normalen Umständen würde dies schon genügen, um die Wahlen zu diskreditieren“, so die transatlantische Denkfabrik International Crisis Group (ICG) in ihrer Analyse des Wahlprozesses. [42]
Das dürfte auch Maliki und seinen Verbündeten bewusst gewesen sein. Doch offensichtlich hatten die schiitischen Regierungspartien angesichts schlechter Umfragewerte Panik bekommen. Bereits die Provinzwahlen im Januar 2009 hatten sehr deutlich gezeigt, wie überdrüssig die Iraker der sektiererischen Politik religiöser Hardliner waren. Sie zeigten ein klares Votum für einen einheitlichen, zentralen Staat und – wie die ICG konstatierte – die Wiederbelebung der alten irakischen nationalen Identität. Maliki hatte sich dem rechtzeitig angepasst und sich ein nationalistischeres Image zugelegt: als neuer starker Mann, der für eine Verbesserung der Sicherheitslage sorgte, den Besatzern ein Abkommen über einen Rückzug abrang und gleichermaßen gegen radikale schiitische Milizen, gegen sunnitische Extremisten wie auch die territoriale Ansprüche der Kurden vorgeht. Dieses Image wurde jedoch durch die Serie von verheerenden Anschlägen auf das stark gesicherte Zentrum Bagdads schwer erschüttert. Auch die miserable sonstige Bilanz seiner Regierung wurde zur schweren Hypothek.
Mit der neuen Entbaathisierungs-Kampagne konnten schließlich zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen werden. Die schiitischen Parteien schossen damit nicht nur gewichtige Gegner aus dem Rennen, mit der dadurch angeheizten Debatte konnten auch unangenehme Themen, wie das Versagen bei Versorgung und Wiederaufbau, die ungeheure Korruption oder die mangelnde Sicherheit bei ihren früheren Wählern in den Hintergrund gedrängt werden. Indem Säkularismus und arabischem Nationalismus generell mit „Baathismus“ gleichgesetzt wurde, konnte dies beim konservativ-religiösen Teil der schiitischen Bevölkerung die gewünschte Wirkung nicht verfehlen.
Schon bald nach den Wahlen häuften sich die Vorwürfe von Wahlmanipulationen. Nicht nur die oppositionellen Organisationen, auch drei angesehene, irakische NGOs, die in etwa vier Fünfteln der Wahllokale als unabhängige Beobachter präsent waren, erhoben schwere Vorwürfe. Demnach haben Soldaten und Polizisten in mehreren Provinzen eine geheime Stimmabgabe verhindert, Wähler aufgefordert, bestimmte Listen anzukreuzen, offiziellen Wahlbeobachter den Zutritt verweigert und einige sogar festgenommen. Hinzu kommen Berichte vom Fund gefüllter Urnen in Müllcontainern sowie Gerüchte über vorbefüllte Urnen und Übermittlung gefälschter Zählergebnisse.
Rückschlag für Regierungskoalition
Während die Wahlbeteiligung insgesamt zurückging, war sie in den Provinzen, in denen der Widerstand besonders stark ist, überdurchschnittlich hoch. Ein Zeichen dafür, dass viele sich erhoffen, durch die Wahlen das von den USA eingesetzte sektiererische Regime beseitigen und so dem Ende der Besatzung näher kommen zu können. Sollte die USA die Verpflichtung einhalten, ihre Truppen bis Ende 2011 abzuziehen, würde die neue Regierung zur Übergangsregierung.
Die Stimmen der Opposition konzentrierten sich auf die säkulare „Irakische Nationalbewegung“, Al-Iraqija, ein Wahlbündnis aus der Partei des Ex-Interimspremier Ijad Allawi und nationalistischen Parteien, die in mehr oder weniger radikaler Opposition zur Besatzung stehen. Dieses Bündnis mit dem einstigen engen US-Verbündeten, der als Premier u.a. für die Angriffe auf Falludscha mitverantwortlich war, fiel vielen Besatzungsgegnern sicherlich schwer, erwies sich jedoch als erfolgreich. Trotz der zahlreichen Manipulationen, wurden ihm die meisten Sitze zugesprochen. Es erhält 91 Mandate, während die „Rechtsstaatkoalition“ des Amtsinhabers nur auf 89 kommt.
Dass Allawi neuer Ministerpräsident wird, ist dennoch wenig wahrscheinlich. Da die schiitische „Irakische Nationale Allianz“ (INA) 70 und die „Kurdische Allianz“ aus PUK und KDP 43 Mandate errang, hätten die von den Regierungsparteien geführten Listen zusammen mit rund 200 der 325 Sitzen an sich wieder eine ausreichende Mehrheit. Allerdings entfallen nur 17 der 70 Mandate von INA auf den Obersten Islamischen Rat (ISCI), die zweite schiitische Regierungspartei, während 39 Sitze der vom Iran geschmiedeten Zweckallianz an die anti-amerikanische Bewegung des prominenten Geistlichen Muqtada Al-Sadr fielen. Dieser hat bisher die Unterstützung einer zweiten Amtszeit Malikis ausgeschlossen und zudem schwer verdauliche Forderungen für eine Regierungsbeteiligung gestellt, darunter Druck auf Washington, den Abzug der US-Truppen zu beschleunigen und keine Zugeständnisse an die Kurden zu machen. Ohne solche Zusagen, insbesondere bezüglich der von den PUK und KDP beanspruchten ölreichen Region um Kirkuk, bekommt Maliki diese aber nicht ins Boot. Ungeachtet dessen haben die Spitzen der schiitischen und kurdischen Parteien bereits Verhandlungen aufgenommen – in Teheran, wo sie, so die arabische Zeitung al-Hayat, keine Gefahr laufen von US-amerikanischen Spionen belauscht zu werden.
Im Prinzip ist kaum eine Koalition auszuschließen. Eine echte Alternative zur bisherigen Regierung wäre aber nur durch ein Bündnis von Al-Iraqija mit der Sadr-Bewegung möglich. Inhaltlich gibt es zwar zwischen diesen große Übereinstimmungen und sie haben auch schon oft gemeinsam Front gegen Pläne der Besatzer und der Maliki-Regierung gemacht, aber die Abneigung zwischen den Anhänger Al-Sadrs und den sunnitischen Nationalisten, von ersteren als „Baathisten“ bekämpft, wird wohl zu groß für eine feste Koalition sein. Ein Deal mit den Kurdenparteien dürfte Allawi auch schwer fallen, solange er an der Allianz mit den nationalistischen Parteien festhält. Diese haben aber das Gros der Stimmen seiner Liste eingefahren und sind sicherlich zu keinen Zugeständnissen an die Kurden bereit. Washington bevorzugt Berichten zufolge ein Zusammengehen von Allawi und Maliki. Vorerst scheitert dies schon allein daran, dass beide den Posten des Regierungschefs für sich beanspruchen.
Alles deutet daraufhin, dass sich die Verhandlungen auch diesmal wieder Monate hinziehen werden. Vermutlich wird nach diversen Deals und gehörigem Nachdruck der Besatzungsmacht eine Koalition die Regierung übernehmen, die weitgehend der jetzigen entspricht, verstärkt durch Teile anderer Wahlbündnisse. Die Chancen Malikis, Regierungschef zu bleiben, sind jedoch durch den Wahlsieg Allawis gesunken. Er setzt aber nun alle ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel ein, um sich den Amtserhalt trotz allem zu sichern. So hat er Haftbefehle gegen vier gewählte Kandidaten von Al-Iraqiya ausstellen lassen und geht mit umfangreichen Massenfestnahmen gegen oppositionelle Kräfte vor. Mehrere Führer von zu Al-Iraqiya gehörenden Parteien wurden Ziel von Bombenanschlägen.
Bei einer Neuauflage der kurdisch-schiitischen Regierung, wird die Wut ihrer Gegner groß sein und sich in heftigen Protesten über die diversen Wahl-Manipulationen entladen, die rasch auch eskalieren könnten. Viele, die sich dann um die Hoffnung betrogen fühlen, ihr Ziel mit politischen Mitteln erreichen zu können, werden es vermutlich nicht bei verbalen Protesten belassen und der militärische Widerstand wird zunehmen. Schon jetzt haben, so der Eindruck US-amerikanischer Geheimdienste, bewaffnete Gruppen wieder erheblichen Zulauf bekommen.
Fazit
Die Entwicklung brachte die Besatzungsmacht in ein schwieriges Dilemma. Einerseits setzt sie nach wie vor auf al-Maliki. Herausforderer Allawi, der bei einem Besuch in Washington Obama für eine alternative Option erwärmen wollte, wurde nicht einmal ins Weiße Haus vorgelassen. Zentraler Punkt ihrer Irak-Strategie ist jedoch auch, oppositionelle sunnitische und säkulare Kräften durch eine stärkere Beteiligung an der Macht einzubinden und dadurch das neue Regime zu stabilisieren. Dies wiederum ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, die Zahl der eigenen Truppen erheblich verringern zu können. Washington hatte gehofft, Maliki als Mann der Mitte aufbauen zu können, als starken Mann, der von Vielen als kleineres Übel akzeptiert werden könnte. Maliki steuert nun jedoch genau in die andere Richtung: im Schulterschluss mit den pro-iranischen Parteien auf Konfrontationskurs gegen säkulare und sunnitische nationalistische Kräfte. Die Gewalt nahm ab März sprunghaft zu – sowohl Bombenanschläge auf Regierungseinrichtungen und Zivilisten, wie auch Attentate, Razzien, Massenverhaftungen etc. gegen oppositionelle Politiker und Parteien.[43] Sie kann jederzeit weiter eskalieren.
Angesichts der sich zuspitzenden Situation haben die US-Kommandeure ihre Pläne für einen Aussetzung des Truppenabzugs konkretisiert.[44] Der Spielraum dafür wird jedoch durch die massive Truppenerhöhung in Afghanistan beschränkt. Sollte der Unmut über den Wahlausgang in gewalttätige Proteste umschlagen und der militärische Widerstand zunehmen, könnten die verbleibenden Truppen bald in eine schwierige Lage kommen. Die US-Regierung müsste sich dann entscheiden: entweder zu akzeptieren, dass das Irak-Projekt vorerst gescheitert ist und tatsächlich alle Besatzungskräfte – militärische wie zivile – abzuziehen oder neue Kampfeinheiten an den Euphrat und Tigris zu schicken. Bei einem offenen Bruch der Abzugsvereinbarungen wäre die Geduld der meisten Iraker jedoch endgültig am Ende und die Besatzungsmacht müsste mit einem noch breiteren Widerstand auf allen Ebenen rechnen als zuvor.
Anmerkungen:
[1] Iraq allows 100 British naval trainers to return, Reuters, 13.10.2009
[2] siehe NTM-I-Website, http://www.jfcnaples.nato.int/ntmi/ntmi_index.html
[3] Jürgen Todenhöfer, „Sommertage in Bagdad – Betonmauern, Schießtürme, Leben im Mangel: Die USA haben den Irak nicht befreit, sondern vergewaltigt und zerbrochen“, Berliner Zeitung, 10.10.2009
[4] Shane Bauer, Die schmutzige Brigade von Bagdad, Le Monde diplomatique, 10.7.2009
[5] Secret prison revealed in Baghdad, Los Angeles Times, 19.04.2010
[6] “Six years after Saddam Hussein, Nouri al-Maliki tightens his grip on Iraq”, The Guardian, 30.4.2009
[7] "Iraq's freedoms under threat - Could a police state return?", The Economist, 3.9.2009
[8] Bernhard Zand, „Irak - Eine Art Machtrausch“, DER SPIEGEL, 19.10.2009
[9] siehe auch: J. Guilliard, Die kulturelle Säuberung des Irak, Ossietzky 7/2010
[10] Iraqi court rules Guardian defamed Nouri al-Maliki, The Guardian, 10.11.2009
[11] Iraqis face new threat: brutal violence, Plain Dealer, 21.9.2009. Selbst der “2009 Human Rights Report: Iraq” des U.S. State Department vom 11.3.2010 oder die Studie “Criminals, Militias, And Insurgents: Organized Crime In Iraq”, des Strategic Studies Institute der US-Armee vom Juni 2009 vermitteln ein recht düsteres Bild
[12] Iraq: coping with violence and striving to earn a living, ICRC, 30.03.2010
[13] siehe z.B.: Iraq's once-envied health care system lost to war, corruption, McClatchy Newspapers, 18.5.2009
[14] 7 million Iraqis exist below poverty line, Azzaman, 9.4.2010. siehe auch den detaillierten, allerdings überwiegend auf offiziellen irakischen Zahlen beruhenden Bericht des UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) im „Consolidated Appeal for Iraq and the Region 2009“ v.19.11.2009
[15] IRAQ: State food aid package slashed, IRIN News, 1.4.2010
[16] IRAQ: Food insecurity on the rise, says official, IRIN (UN OCHA), 8.11.2009
[17] Fact sheet: Housing & shelter in Iraq, UN Human Settlements Program (UN-HABITAT), 5.10.2010
[18] Iraq to separate boys and girls in schools, Al Sumaria TV, 28.12.2009
[19] Little new displacement but in the region of 2.8 million Iraqis remain internally displaced, Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) u. Norwegian Refugee Council (NRC), 4.3.2010
[20] Poor conditions in Iraq drive returned refugees back to Syria, UNHCR Report, 22.12.2009
[21] It’s Time for the US to Declare Victory and Go Home, Memo von Col. Timothy R. Reese, NYT, 31.7.2009
[22] U.S. Embassy in Baghdad has plans to double in size, Foreign Policy, 7.1.2010
[23] siehe J. Guilliard „Magere Beute“, junge Welt, 31.12.2009sowie Irakisches Öl – weiterhin nur begrenzter Zugang für Öl-Multis, Blog Nachgetragen, 16.12.2009
[24] J. Guilliard, Irak: Im Clinch ums Öl, IMI-Analyse 2009/035
[25] George Friedman, Baghdad Politics and the U.S.-Iranian Balance, Stratfor, 20.4.2010
[26] Jane Arraf, To meet June deadline, US and Iraqis redraw city borders, Christian Science Monitor, 19.5.2009
[27] Iraq Restricts U.S. Forces, Washington Post, 18.7.2009
[28] Gregor Peter Schmitz, Schicksalswahl im Irak lässt Amerikaner bangen, Spiegel Online, 7.3.2010
[29] Dahr Jamail, Operation Enduring Occupation, t r u t h o u t | Op-Ed, 18.3.2010
[30] Iraqi Prime Minister Open to Renegotiating Withdrawal Timeline, , Washington Independent, 23.7.2009
O-Ton: Iraqi PM admits US troops may stay – Al Jazeera, 23.7.2009 (siehe YouTube, 1:53 min)
[31] Gates Says US Air Force May Remain in Iraq Beyond 2011, Voice of America, 11.2.2009
[32] Dahr Jamail, Operation Enduring Occupation, t r u t h o u t | Op-Ed, 18.3.2010
[33] Thomas E. Ricks, Extending Our Stay in Iraq, NYT, 23.2.2010
[34] Obama Sticks to a Deadline in Iraq, NYT, 27.4.2010
[35] U.S. plans for possible delay in Iraq withdrawal, Washington Post, 23.2.2010
[36] Thomas Ricks, Odierno requests more combat forces in Iraq -- beyond the Obama deadline, Best Defense 25.2.2010
[37] Gates: Only Serious Change in Security Would Delay US Troop Withdrawal from Iraq, Voice of America, 22.2.2010
[38] siehe U.S. Builds Air Base in Iraq for the Long Haul, NPR. 12.10,2007 und Balad Airbase, GlobalSecurity.Org,
[39] Dahr Jamail, Operation Enduring Occupation, a.a.O.
[40] siehe J. Guilliard, Besatzungsende nicht in Sicht, Abkommen über Truppenrückzug im Irak kaum bindend, AUSDRUCK, Dezember 2008
[41] Timeline of Iraq’s De-Baathification Campaign, Musings on Iraq, 26.2.2010
[42] Iraq’s Uncertain Future: Elections and Beyond, International Crisis Group, Middle East Report, 25.2.2010
[43] J: Guilliard, Wahlen im Irak – Von der Fälschung zu Verhaftungen und Attentaten, junge Welt, 03.04.2010
[44] U.S. Will Slow Iraq Pullout If Violence Surges After Vote, Wall Street Journal, 23.2.2010
Joachim Guilliard
http://imi-online.de/2010.php?id=2114
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Dienstag, 11. Mai 2010
Niemand ist vergessen!
Arbeitszwang, Leistungsdruck, Naziterror und soziale Ausgrenzung überwinden!
Gedenkdemo anlässlich des 10. Todestages von Dieter Eich
Am 25.Mai 2000 ermordeten vier jugendliche Neonazis Dieter Eich in seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Pankow-Buch. Vor Gericht gaben sie später an, sie hätten den 60-jährigen Sozialhilfeempfänger umgebracht, weil sie einen "Assi klatschen" wollten.
Zehn Jahre nach diesem Mord soll mit einer Gedenkdemonstration und weiteren Veranstaltungen sowohl die Erinnerung an die Tat wach gehalten werden, als auch die gesellschaftlichen Hintergründe aufgezeigt werden, die diese Tat erst ermöglichten.
Die Voraussetzungen für solch einen Mord schaffen nicht in erster Linie gewaltbereite Neonazis, sondern auch ein tief in der Mehrheitsgesellschaft verwurzelter Arbeitsethos, der die Würde von Menschen größtenteils anhand ihrer Verwertbarkeit für den Kapitalismus misst. Die aktuelle Debatte um Hartz IV zeigt den staatlichen Ausdruck der Entwürdigung Erwerbsloser in diesem System. So empfahl beispielsweise Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin Hartz IV-Empfänger_innen öfter kalt zu duschen. Dies schmälere nicht nur die Staatsausgaben, sondern bringe auch die Körper der vermeintlich "Arbeitsscheuen" in Form. Roland Koch legte nach und forderte den sofortigen Arbeitszwang für Erwerbslose. SPD-Vieze Hannelore Kraft hingegen empfahl unter Bezugnahme auf die allgemeine Arbeitsknapppheit, Hartz IV-Bezieher_innen sollten für ein entsprechendes Zubrot im Park Laub harken oder andere Tätigkeiten übernehmen. Was Kraft blumig als „Gemeinwohl-orientierten Arbeitsmarkt“ beschreibt, ist letzten Endes nichts anderes als die Forderung nach der Schaffung eines weiteren Niedriglohnsektors für Erwerbslose. Auf diese Weise wird in der Öffentlichkeit ein alles und jede_n umfassendes Wertesystem gefestigt, das (Lohn)arbeit zum höchsten Gut erhebt und Menschen, die nicht arbeiten können oder wollen von sozialer Teilhabe und dem gesellschaftlichem Reichtum ausschließt. Ohne diesen funktionalen Arbeitsethos wäre die staatliche und gesellschaftliche Ausgrenzung nicht Leistungsfähiger/ -bereiter, die alltägliche Konkurrenz aber auch die daraus resultierende Gewaltbereitschaft gegen sozial Ausgegrenzte nicht denkbar. Im Rahmen dieses mehrheitsgesellschaftlichen Diskurses wird es den Mörder_innen so genannter "Asozialer" ermöglicht und erleichtert, ihr Handeln öffentlich zu legitimieren.
Die Vorstellung, dass mensch um jeden Preis arbeiten müsse, so schlecht die Bedingungen auch sein mögen, hat eine lange Durchsetzungsgeschichte. Über Jahrtausende wurde bereitwillig (oder auch durch Zwang) wechselweise für Gott, Vaterland und zur Erhaltung des nationalen Standorts mühselig schwerste Arbeit verrichtet. Dieses Prinzip ist über eine lange Zeit durch und für Menschen geschaffen und erhalten worden – es zu beseitigen liegt darum in der Hand von jedem_jeder selbst. Es ist die Verantwortung von uns allen, Arbeitszwang, Leistungsdruck und soziale Ausgrenzung zu überwinden. So gilt es also auch mit den eigenen Zwangsvorstellungen zu brechen und dem Staat mit all seinen Schikanen, die er gegen vermeintliche „Sozialschmarotzer“ ausübt, eine klare Absage zu erteilen. Am 23. und 25.Mai wollen wir darum für eine Gesellschaft auf die Straße gehen, die den Anspruch in sich trägt, jegliche Form von Diskriminierung und Unterdrückung Geschichte werden zu lassen.
Der Mord an Dieter Eich steht in einer langen Reihe von Morden und Gewalttaten, die seit dem Mauerfall von Neonazis in Deutschland verübt wurden und reiht sich auch in eine seit Jahren nicht endende Welle rechter Morde in Europa ein. Wir wollen Dieter Eich gedenken, so wie allen anderen Opfern rechter und sozial-chauvinistischer Gewalt.
Niemand ist vergessen!
Kommt zur Demonstration und Kundgebung, um in Buch und Umgebung ein deutlich wahrnehmbares antifaschistisches und antikapitalistisches Zeichen zu setzen!
23. Mai 2010, Berlin
Demo: 14.00 Uhr, S-Bhf. Buch
Konzert: 19.30 Uhr, Kurt-Lade-Club, Grabbeallee 33, Pankow (Live: HipHop & Punk)
25.Mai 2010, Berlin
Gedenken am Wohnhaus von Dieter Eich
Treffpunkt: 17.30 Uhr, S-Bhf. Buch
Kranzniederlegung: 18.00 Uhr, Walter-Friedrich-Straße 52
Gedenkdemo anlässlich des 10. Todestages von Dieter Eich
Am 25.Mai 2000 ermordeten vier jugendliche Neonazis Dieter Eich in seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Pankow-Buch. Vor Gericht gaben sie später an, sie hätten den 60-jährigen Sozialhilfeempfänger umgebracht, weil sie einen "Assi klatschen" wollten.
Zehn Jahre nach diesem Mord soll mit einer Gedenkdemonstration und weiteren Veranstaltungen sowohl die Erinnerung an die Tat wach gehalten werden, als auch die gesellschaftlichen Hintergründe aufgezeigt werden, die diese Tat erst ermöglichten.
Die Voraussetzungen für solch einen Mord schaffen nicht in erster Linie gewaltbereite Neonazis, sondern auch ein tief in der Mehrheitsgesellschaft verwurzelter Arbeitsethos, der die Würde von Menschen größtenteils anhand ihrer Verwertbarkeit für den Kapitalismus misst. Die aktuelle Debatte um Hartz IV zeigt den staatlichen Ausdruck der Entwürdigung Erwerbsloser in diesem System. So empfahl beispielsweise Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin Hartz IV-Empfänger_innen öfter kalt zu duschen. Dies schmälere nicht nur die Staatsausgaben, sondern bringe auch die Körper der vermeintlich "Arbeitsscheuen" in Form. Roland Koch legte nach und forderte den sofortigen Arbeitszwang für Erwerbslose. SPD-Vieze Hannelore Kraft hingegen empfahl unter Bezugnahme auf die allgemeine Arbeitsknapppheit, Hartz IV-Bezieher_innen sollten für ein entsprechendes Zubrot im Park Laub harken oder andere Tätigkeiten übernehmen. Was Kraft blumig als „Gemeinwohl-orientierten Arbeitsmarkt“ beschreibt, ist letzten Endes nichts anderes als die Forderung nach der Schaffung eines weiteren Niedriglohnsektors für Erwerbslose. Auf diese Weise wird in der Öffentlichkeit ein alles und jede_n umfassendes Wertesystem gefestigt, das (Lohn)arbeit zum höchsten Gut erhebt und Menschen, die nicht arbeiten können oder wollen von sozialer Teilhabe und dem gesellschaftlichem Reichtum ausschließt. Ohne diesen funktionalen Arbeitsethos wäre die staatliche und gesellschaftliche Ausgrenzung nicht Leistungsfähiger/ -bereiter, die alltägliche Konkurrenz aber auch die daraus resultierende Gewaltbereitschaft gegen sozial Ausgegrenzte nicht denkbar. Im Rahmen dieses mehrheitsgesellschaftlichen Diskurses wird es den Mörder_innen so genannter "Asozialer" ermöglicht und erleichtert, ihr Handeln öffentlich zu legitimieren.
Die Vorstellung, dass mensch um jeden Preis arbeiten müsse, so schlecht die Bedingungen auch sein mögen, hat eine lange Durchsetzungsgeschichte. Über Jahrtausende wurde bereitwillig (oder auch durch Zwang) wechselweise für Gott, Vaterland und zur Erhaltung des nationalen Standorts mühselig schwerste Arbeit verrichtet. Dieses Prinzip ist über eine lange Zeit durch und für Menschen geschaffen und erhalten worden – es zu beseitigen liegt darum in der Hand von jedem_jeder selbst. Es ist die Verantwortung von uns allen, Arbeitszwang, Leistungsdruck und soziale Ausgrenzung zu überwinden. So gilt es also auch mit den eigenen Zwangsvorstellungen zu brechen und dem Staat mit all seinen Schikanen, die er gegen vermeintliche „Sozialschmarotzer“ ausübt, eine klare Absage zu erteilen. Am 23. und 25.Mai wollen wir darum für eine Gesellschaft auf die Straße gehen, die den Anspruch in sich trägt, jegliche Form von Diskriminierung und Unterdrückung Geschichte werden zu lassen.
Der Mord an Dieter Eich steht in einer langen Reihe von Morden und Gewalttaten, die seit dem Mauerfall von Neonazis in Deutschland verübt wurden und reiht sich auch in eine seit Jahren nicht endende Welle rechter Morde in Europa ein. Wir wollen Dieter Eich gedenken, so wie allen anderen Opfern rechter und sozial-chauvinistischer Gewalt.
Niemand ist vergessen!
Kommt zur Demonstration und Kundgebung, um in Buch und Umgebung ein deutlich wahrnehmbares antifaschistisches und antikapitalistisches Zeichen zu setzen!
23. Mai 2010, Berlin
Demo: 14.00 Uhr, S-Bhf. Buch
Konzert: 19.30 Uhr, Kurt-Lade-Club, Grabbeallee 33, Pankow (Live: HipHop & Punk)
25.Mai 2010, Berlin
Gedenken am Wohnhaus von Dieter Eich
Treffpunkt: 17.30 Uhr, S-Bhf. Buch
Kranzniederlegung: 18.00 Uhr, Walter-Friedrich-Straße 52
Freitag, 7. Mai 2010
Trierer Appell
Der Trierer Appell
Bewohner des "Ausreisezentrums" fordern in einem Aufruf dessen
Schließung -- Die AG Frieden, das Multikulturelle Zentrum und Parteien
unterstützen die Bewohner mit einer Kampagne gegen die LuFA
*Pressekonferenz der "Ausreisepflichtige n"*
Seit Jahren steht die Landesunterkunft für Ausreisepflichtige (LuFA)
immer wieder in der Kritik. Am 4. Mai gingen nun erstmals 4 Bewohner des
sog. "Ausreisezentrums" an die Öffentlichkeit. Auf einer von der AG
Frieden und dem Multikulturellen Zentrum organisierten Pressekonferenz
stellten Mohammed Imran, Ashok Kumar, Raja Seerat und Joginder Singh
eine Resolution vor, die von ihnen und 10 weiteren Bewohnern der LuFA
unterzeichnet wurde. In der Resolution schildern sie die unhaltbaren
Zustände im Ausreisezentrum und fordern das Innenministerium des Landes
auf sie zu entlassen und die LuFA zu schließen.
Das Ausreisezentrum wurde 2003 aus Ingelheim nach Trier in die
Dasbachstraße verlegt. In der Einrichtung bringt das Land offiziell
abgelehnte Asylbewerber unter, die aufgrund fehlender oder unklarer
Identität noch nicht abgeschoben werden können. Sie dient dem Zweck die
Bewohner systematisch unter Druck zu setzen, um sie zur Ausreise zu
bewegen, sie sollen "in einen Zustand der Hoffnungs- und
Orientierungslosigk eit" versetzt werden. Momentan sind etwa 35 Menschen
im Ausreisezentrum untergebracht.
Im zweiten Teil der Pressekonferenz bezogen Vertreter der Grünen und der
Linken, von den Jusos und der Bunten Liste, einer Fraktion des Beirates
Migration und Integration, Stellung gegen das Ausreisezentrum. Wolf
Buchmann von den Grünen beschrieb die Zustände im Ausreisezentrum als
Teil eines Systems, das er als eine rechtswidrige Beugemaßnahme
bezeichnete. Fabian Jellonnek von der Bunten Liste beschrieb das
Ausreisezentrum in der Dasbachstraße als Unrechtsraum. Alle politischen
Vertreter sprachen sich für eine Schließung der LuFA, sowie dem
Abschiebeknast in Ingelheim und für die Abschaffung der Residenzpflicht
für Asylbewerber aus.
*Trierer Appell*
"Wir, die UnterzeichnerInnen, drücken unsere Solidarität mit den
BewohnerInnen des Ausreisezentrums von Rheinland-Pfalz aus. Wir
unterstützen ihre Forderung nach einer ersatzlosen Schließung der
Einrichtung. Sinn und Zweck von Ausreisezentren ist es, den Willen von
Menschen zu brechen. Diese Zielsetzung und die Art und Weise der
Unterbringung sind mit dem Menschenrecht nicht vereinbar. Den
Sprachgebrauch der Landesregierungen, die von freiwilliger Ausreise
sprechen, empfinden wir als hochgradig zynisch.
Wir nehmen den Aufruf der BewohnerInnen als Anlass und appellieren an
die Regierungen Deutschlands und Europas, sich für eine menschenwürdige
Flüchtlingspolitik einzusetzen! "
Wer den Trierer Appell unterzeichnen möchte, um sich mit den Bewohnern
des Ausreisezentrums solidarisch zu erklären, kann dies per Mail mit
Name, (evtl Funktion/Beruf) an trierer-appell@ gmx.de.
Den kompletten Appell und aktuelle Infos finden Sie unter
trierer-appell. blog.de
Im Anhang der Aufruf und der Trierer Apell auch als pdf
*
Presseresonanz (ohne Radios):*
SWR Fernsehen in Rheinland-Pfalz 4.5.2010 | 19.45 Uhr | "Bewohner des
Trierer Ausreisezentrums beklagen menschenunwürdige Zustände":
http://www.swr. de/mediathek/ sendungsauswahl/ rp-aktuell/ -/id=4693980/ did=6339888/ pv=video/ nid=4693980/ 1fmtw93/index. html
Trierischer Volksfreund vom 5.5.2010: "Ausreisezentrum steht erneut in
der Kritik" (mit Umfrage!)
http://www.volksfre und.de/totalloka l/trier/Heute- in-der-Trierer- Zeitung-aufm2- Trier;art754, 2434602
Videoportal auf volksfreund. de:
http://www.volksfre und.tv/?bcpid= 7411995001& bclid=7335069001 &bctid=828608920 01
16vor.de vom 5.5.2010: "Das macht die Leute kaputt"
http://www.16vor. de/index. php/2010/ 05/05/ausreiseze ntrum-trier/ #comments
* * * *
*Aufruf der BewohnerInnen der LUFA*
an den Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz
und die Bevölkerung in Deutschland
Wir, die Bewohner der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige (LUFA),
fordern den Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz, Herrn Karl Peter
Bruch, auf, uns aus der LUFA zu entlassen und die Einrichtung sofort und
für immer zu schließen. Die Unterbringung in der LUFA empfinden wir als
unerträglich und menschenverachtend.
Wir sind keine schlechten Menschen. Wir sind keine Kriminellen. Wir
fragen, warum wir keine Rechte haben und keine Gerechtigkeit erfahren?
Wir bekommen kein Geld und dürfen nicht arbeiten. Wir können uns keine
Kleidung kaufen. Wir können uns unsere Haare nicht schneiden lassen. Das
Schlimmste ist, dass wir dadurch gezwungen sind andere Wege zu finden um
an Geld zu kommen, um uns wenigstens ein bisschen Würde bewahren zu können.
Wir bekommen nur ein kleines Frühstück und das ewig gleiche Essen am
Nachmittag. Selber können wir nicht kochen, weil wir kein Geld verdienen
dürfen um uns selbst zu versorgen.
Wir haben keine Privatsphäre. Wir leben über Jahre hinweg zu viert oder
fünft in einem Zimmer. Wie soll man das aushalten? Wie kann es Frieden
zwischen den Bewohnern geben, wenn man so eng aufeinander sitzt? Wir
sind erwachsene Menschen. Wir haben ein Recht auf Privatsphäre.
Wir dürfen die Stadt Trier nicht verlassen. Wenn wir Freunde, unsere
Familien und Kinder besuchen wollen, brauchen wir eine Ausnahmegenehmigung .
Alle zwei Wochen müssen wir zur Behörde und eine Unterschrift abholen.
Wir werden jedes Mal auf der Behörde durchsucht. Als wären wir
Verbrecher. Das ist eine Demütigung. Ohne Grund nimmt uns die Behörde
Handys weg und behält sie für mehrere Wochen oder Monate. Ein
Mitarbeiter der Behörde hat sogar ein Handy von einem LUFA-Bewohner
verkauft und das Geld behalten. Wenn wir ein bisschen Geld bei den
Durchsuchungen dabei haben, wird es uns abgenommen. Sobald jemand einen
50 € Schein in der Tasche hat, wird er ihm weggenommen.
Andauernd wird uns das Gefühl gegeben nichts wert zu sein. Zum Beispiel
ist seit 3 Monaten ein Toilettensitz kaputt. Er wird einfach nicht
repariert. Wenn wir uns beschweren, müssen wir noch öfter zur Behörde.
Ein Mann musste alle zwei Tage zur Behörde. Alle zwei Tage wurde er
durchsucht und gedemütigt. Wir wollen endlich wie Menschen behandelt
werden! Wir können nicht in unsere Heimat zurück und werden hier wie
Verbrecher behandelt!
Sehr geehrter Herr Innenminister, wir ertragen unsere Lebenssituation
nicht länger. Manche von uns leben seit 6 Jahren unter diesen Umständen.
Herr Innenminister - das ist kein Leben! Schließen sie endlich die LUFA!
Wir wenden uns an die Öffentlichkeit um zu erzählen, wie wir mitten in
Deutschland ein Leben ohne Rechte führen müssen. Wir bitten die
Bevölkerung Triers, von Rheinland-Pfalz und ganz Deutschland, uns zu
unterstützen!
Bewohner des "Ausreisezentrums" fordern in einem Aufruf dessen
Schließung -- Die AG Frieden, das Multikulturelle Zentrum und Parteien
unterstützen die Bewohner mit einer Kampagne gegen die LuFA
*Pressekonferenz der "Ausreisepflichtige n"*
Seit Jahren steht die Landesunterkunft für Ausreisepflichtige (LuFA)
immer wieder in der Kritik. Am 4. Mai gingen nun erstmals 4 Bewohner des
sog. "Ausreisezentrums" an die Öffentlichkeit. Auf einer von der AG
Frieden und dem Multikulturellen Zentrum organisierten Pressekonferenz
stellten Mohammed Imran, Ashok Kumar, Raja Seerat und Joginder Singh
eine Resolution vor, die von ihnen und 10 weiteren Bewohnern der LuFA
unterzeichnet wurde. In der Resolution schildern sie die unhaltbaren
Zustände im Ausreisezentrum und fordern das Innenministerium des Landes
auf sie zu entlassen und die LuFA zu schließen.
Das Ausreisezentrum wurde 2003 aus Ingelheim nach Trier in die
Dasbachstraße verlegt. In der Einrichtung bringt das Land offiziell
abgelehnte Asylbewerber unter, die aufgrund fehlender oder unklarer
Identität noch nicht abgeschoben werden können. Sie dient dem Zweck die
Bewohner systematisch unter Druck zu setzen, um sie zur Ausreise zu
bewegen, sie sollen "in einen Zustand der Hoffnungs- und
Orientierungslosigk eit" versetzt werden. Momentan sind etwa 35 Menschen
im Ausreisezentrum untergebracht.
Im zweiten Teil der Pressekonferenz bezogen Vertreter der Grünen und der
Linken, von den Jusos und der Bunten Liste, einer Fraktion des Beirates
Migration und Integration, Stellung gegen das Ausreisezentrum. Wolf
Buchmann von den Grünen beschrieb die Zustände im Ausreisezentrum als
Teil eines Systems, das er als eine rechtswidrige Beugemaßnahme
bezeichnete. Fabian Jellonnek von der Bunten Liste beschrieb das
Ausreisezentrum in der Dasbachstraße als Unrechtsraum. Alle politischen
Vertreter sprachen sich für eine Schließung der LuFA, sowie dem
Abschiebeknast in Ingelheim und für die Abschaffung der Residenzpflicht
für Asylbewerber aus.
*Trierer Appell*
"Wir, die UnterzeichnerInnen, drücken unsere Solidarität mit den
BewohnerInnen des Ausreisezentrums von Rheinland-Pfalz aus. Wir
unterstützen ihre Forderung nach einer ersatzlosen Schließung der
Einrichtung. Sinn und Zweck von Ausreisezentren ist es, den Willen von
Menschen zu brechen. Diese Zielsetzung und die Art und Weise der
Unterbringung sind mit dem Menschenrecht nicht vereinbar. Den
Sprachgebrauch der Landesregierungen, die von freiwilliger Ausreise
sprechen, empfinden wir als hochgradig zynisch.
Wir nehmen den Aufruf der BewohnerInnen als Anlass und appellieren an
die Regierungen Deutschlands und Europas, sich für eine menschenwürdige
Flüchtlingspolitik einzusetzen! "
Wer den Trierer Appell unterzeichnen möchte, um sich mit den Bewohnern
des Ausreisezentrums solidarisch zu erklären, kann dies per Mail mit
Name, (evtl Funktion/Beruf) an trierer-appell@ gmx.de.
Den kompletten Appell und aktuelle Infos finden Sie unter
trierer-appell. blog.de
Im Anhang der Aufruf und der Trierer Apell auch als pdf
*
Presseresonanz (ohne Radios):*
SWR Fernsehen in Rheinland-Pfalz 4.5.2010 | 19.45 Uhr | "Bewohner des
Trierer Ausreisezentrums beklagen menschenunwürdige Zustände":
http://www.swr. de/mediathek/ sendungsauswahl/ rp-aktuell/ -/id=4693980/ did=6339888/ pv=video/ nid=4693980/ 1fmtw93/index. html
Trierischer Volksfreund vom 5.5.2010: "Ausreisezentrum steht erneut in
der Kritik" (mit Umfrage!)
http://www.volksfre und.de/totalloka l/trier/Heute- in-der-Trierer- Zeitung-aufm2- Trier;art754, 2434602
Videoportal auf volksfreund. de:
http://www.volksfre und.tv/?bcpid= 7411995001& bclid=7335069001 &bctid=828608920 01
16vor.de vom 5.5.2010: "Das macht die Leute kaputt"
http://www.16vor. de/index. php/2010/ 05/05/ausreiseze ntrum-trier/ #comments
* * * *
*Aufruf der BewohnerInnen der LUFA*
an den Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz
und die Bevölkerung in Deutschland
Wir, die Bewohner der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige (LUFA),
fordern den Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz, Herrn Karl Peter
Bruch, auf, uns aus der LUFA zu entlassen und die Einrichtung sofort und
für immer zu schließen. Die Unterbringung in der LUFA empfinden wir als
unerträglich und menschenverachtend.
Wir sind keine schlechten Menschen. Wir sind keine Kriminellen. Wir
fragen, warum wir keine Rechte haben und keine Gerechtigkeit erfahren?
Wir bekommen kein Geld und dürfen nicht arbeiten. Wir können uns keine
Kleidung kaufen. Wir können uns unsere Haare nicht schneiden lassen. Das
Schlimmste ist, dass wir dadurch gezwungen sind andere Wege zu finden um
an Geld zu kommen, um uns wenigstens ein bisschen Würde bewahren zu können.
Wir bekommen nur ein kleines Frühstück und das ewig gleiche Essen am
Nachmittag. Selber können wir nicht kochen, weil wir kein Geld verdienen
dürfen um uns selbst zu versorgen.
Wir haben keine Privatsphäre. Wir leben über Jahre hinweg zu viert oder
fünft in einem Zimmer. Wie soll man das aushalten? Wie kann es Frieden
zwischen den Bewohnern geben, wenn man so eng aufeinander sitzt? Wir
sind erwachsene Menschen. Wir haben ein Recht auf Privatsphäre.
Wir dürfen die Stadt Trier nicht verlassen. Wenn wir Freunde, unsere
Familien und Kinder besuchen wollen, brauchen wir eine Ausnahmegenehmigung .
Alle zwei Wochen müssen wir zur Behörde und eine Unterschrift abholen.
Wir werden jedes Mal auf der Behörde durchsucht. Als wären wir
Verbrecher. Das ist eine Demütigung. Ohne Grund nimmt uns die Behörde
Handys weg und behält sie für mehrere Wochen oder Monate. Ein
Mitarbeiter der Behörde hat sogar ein Handy von einem LUFA-Bewohner
verkauft und das Geld behalten. Wenn wir ein bisschen Geld bei den
Durchsuchungen dabei haben, wird es uns abgenommen. Sobald jemand einen
50 € Schein in der Tasche hat, wird er ihm weggenommen.
Andauernd wird uns das Gefühl gegeben nichts wert zu sein. Zum Beispiel
ist seit 3 Monaten ein Toilettensitz kaputt. Er wird einfach nicht
repariert. Wenn wir uns beschweren, müssen wir noch öfter zur Behörde.
Ein Mann musste alle zwei Tage zur Behörde. Alle zwei Tage wurde er
durchsucht und gedemütigt. Wir wollen endlich wie Menschen behandelt
werden! Wir können nicht in unsere Heimat zurück und werden hier wie
Verbrecher behandelt!
Sehr geehrter Herr Innenminister, wir ertragen unsere Lebenssituation
nicht länger. Manche von uns leben seit 6 Jahren unter diesen Umständen.
Herr Innenminister - das ist kein Leben! Schließen sie endlich die LUFA!
Wir wenden uns an die Öffentlichkeit um zu erzählen, wie wir mitten in
Deutschland ein Leben ohne Rechte führen müssen. Wir bitten die
Bevölkerung Triers, von Rheinland-Pfalz und ganz Deutschland, uns zu
unterstützen!
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ZapatistInnen unter Mehrfachbeschuss
In Chiapas spitzt sich die Situation für die zapatistische Bewegung zu
Thomas Zapf
Lateinamerika Nachrichten Nr. 431 // Mai 2010
Im mexikanischen Bundesstaat Chiapas wird der Spielraum für alternative
Bewegungen wie die ZapatistInnen derzeit immer enger.
Diffamierungskampagnen der Medien verbinden sich mit Überfällen auf
AktivistInnen. Auch MenschenrechtsverteidigerInnen geraten dabei
zunehmend in die Schusslinie.
„Marcos demaskiert" titelte die konservative mexikanische Tageszeitung
Reforma in ihrer Ausgabe vom 27. März. Als Beweis diente ein unscharfes
Foto eines bärtigen Mannes, das neben einem der bekannteren Fotos des
Subcomandante mit der gewohnten Maskierung und Pfeife abgedruckt wurde.
Im dazugehörigen Artikel präsentierte die Zeitung einen angeblichen
Deserteur des bewaffneten Teils der Zapatistischen Armee der Nationalen
Befreiung (EZLN), welcher der Reforma ein 83-seitiges Dokument mit einer
Auflistung von Namen, Fotos und Telefonnummern verschiedener
Verantwortlicher innerhalb der zapatistischen Strukturen zugespielt
habe. Zudem behauptet der Informant, über Belege für eine Finanzierung
der EZLN durch die baskische Untergrundorganisation ETA zu verfügen.
Verschiedene mexikanische und europäische Medien reproduzierten diese
vermeintliche Sensation unkritisch. Schon seit Jahren werfen einige der
EZLN eine Verbindung zur ETA vor, ohne dies jemals mit konkreten
Beweisen zu unterfüttern. Die ZapatistInnen selbst hatten bereits 2005
öffentlich erklärt, keine Beziehungen zu anderen bewaffneten Gruppen in
Mexiko oder anderswo zu unterhalten und sich von den Methoden der ETA
distanziert.
Die Demaskierung Marcos' entpuppte sich auch bald als Ente. Bei dem
Abgebildeten handelte es sich um einen italienischen
Menschenrechtsbeobachter namens Leuccio Rizzo, der die Reforma prompt zu
einer Gegendarstellung aufforderte und mögliche rechtliche Schritte
gegen die Zeitung ankündigte. Verschiedene italienische
Solidaritätsgruppen verurteilten die Falschmeldung als offensichtlich
beabsichtigt, die im Zusammenhang mit der „Kriminalisierung der
zapatistischen Bewegung" stehe. Ähnlich äußerten sich mehrere
mexikanische sowie internationale Organisationen und AktivistInnen in
der Erklärung „Die Solidarität ist unser Recht". In dieser stellten sie
eine aktuelle Kampagne in Mexiko und Lateinamerika fest, die versuche,
„den Akt der Solidarität mit den sozialen Bewegungen, und in diesem Fall
speziell mit den zapatistischen Gemeinden, zu stigmatisieren, zu
delegitimieren und letztlich zu kriminalisieren".
Das Hervorheben der Solidarität mit den ZapatistInnen kommt nicht von
ungefähr: Die Kommentatorin Magdalena Gómez erinnerte in der
mexikanischen Tageszeitung La Jornada daran, dass auch die letzte
militärische Großoffensive der mexikanischen Armee gegen die
zapatistische Guerilla im Februar 1995 von Meldungen über die
vermeintliche Identität des militärischen Chefs der EZLN sowie weiterer
Mitglieder ihrer Führungsstruktur begleitet worden war. Damals waren es
die massenhaften Proteste der mexikanischen Zivilgesellschaft, die ein
Ende des Angriffs erreichten.
Die Falschmeldung in der Reforma ist der jüngste Vorfall in einer Reihe
von Berichterstattungen über indigene Bewegungen in Chiapas, bei denen
Tatsachen verdreht oder Meldungen einfach erfunden werden. Bedenklich
stimmt, dass es sich dabei keineswegs nur um regierungsnahe Medien
handelt. So behauptete die als links und bewegungsnah geltende La
Jornada am 25. November 2009, der chiapanekische Kongress hätte auf
Bitte von VertreterInnen der zapatistischen Räte der Guten Regierung,
den regionalen Entscheidungsinstanzen der zapatistischen Autonomie,
einen Aufruf zur Anerkennung der zapatistischen Strukturen an den
Gouverneur des Bundesstaates weitergeleitet. Am nächsten Tag
dementierten alle fünf zapatistischen Räte die Meldung in jeweils
eigenen Erklärungen. Hinzu kommen in der Jornada immer wieder Artikel,
in denen indigene Bewegungen betreffende Initiativen der
Bundesstaatsregierung gelobt werden, ohne die Betroffenen zu
konsultieren. Mitunter werden gar soziale Proteste diffamiert und deren
AnführerInnen kriminalisiert. Ein generelles Problem der mexikanischen
Tageszeitungen ist, dass sie finanziell auf den Abdruck von
Regierungsanzeigen angewiesen sind, die oft erst auf den zweiten Blick
oder gar nicht als solche zu erkennen sind. So begründete Luis Hernández
Navarro, Leiter der Meinungssektion der Jornada, auf einer Konferenz
diese Praxis seiner Zeitung bezüglich Anzeigen der chiapanekischen
Regierung mit der „wirtschaftlichen Notwendigkeit". Zwar bleibe laut
Hernández Navarro die redaktionelle Freiheit davon unberührt. Doch
drängt sich bisweilen der Verdacht auf, dass es sich die Jornada sich
mit ihren Anzeigenkunden nicht verscherzen will.
Die medialen Schüsse gegen die ZapatistInnen und andere oppositionelle
indigene Gemeinden gehen mit realer Repression und Konfrontationen
einher, die in den vergangenen Monaten zugenommen haben. Deren Ursache
ist der Widerstand der Dörfer gegen wirtschaftliche und
infrastrukturelle Projekte, die ihnen ihr Land und damit ihre
Lebensgrundlage entziehen würden. Häufig werden dabei regierungstreue
Organisationen und Gemeinden gegen die Aufständischen instrumentalisiert.
Dies ist Fall der indigenen Gemeinde Bolom Ajaw, die am 6. Februar
Schauplatz eines Übergriffes von Mitgliedern der teilweise
paramilitärisch agierenden Organisation zur Verteidigung der Rechte der
Indigenen und Kleinbauern (OPDDIC) aus dem Nachbardorf Agua Azul auf
zapatistische Gemeindemitglieder war. Laut dem Menschenrechtszentrum
Fray Bartolomé de Las Casas war der Auslöser der Konfrontation die
Kontrolle über noch unberührte Wasserfälle nahe dem zapatistischen Dorf,
neben denen nach Regierungsplänen eine luxuriöse Hotelanlage gebaut
werden soll. Im entsprechenden Bericht des Menschenrechtszentrums zu dem
Vorfall heißt es, die Unterlassungen und mangelnde Untersuchung des
Übergriffs seitens der staatlichen Stellen „lassen die Annahme zu, dass
die bewaffneten Handlungen der Bewohner von Agua Azul von den
mexikanischen Behörden toleriert und gestützt werden, wobei das große
touristisch-kommerzielle Interesse an der Region, in der sich die
zapatistische Gemeinde befindet, und hier unter anderem die Realisierung
des Centro Integralemente Planeado Palenque [ein Infrastrukturprojekt
zur Förderung des Tourismus' in der Region um Palenque und Agua Azul;
Anm. des Autors] als Indiz gelten".
Bolom Ajaw steht dabei in einer Reihe ähnlicher Vorfälle. So erklärt
Marina Pages vom Internationalen Friedensdienst (SIPAZ): „Verschiedene
Ökotourismusprojekte, die von der chiapanekischen Regierung gefördert
werden, befinden sich auf indigenem Gebiet. Aber die betroffenen
Gemeinden werden meist nicht konsultiert und bei Widerstand gegen diese
Projekte Opfer von Repression." Die Koordinatorin des internationalen
Programmes, das seit 15 Jahren in Chiapas im Bereich der
Konfliktschlichtung und der punktuellen Begleitung von sozialen
Prozessen arbeitet, weist auf ein generelles Klima der Spannung in
Chiapas sowie im ganzen Land hin. „Wir befinden uns in einer Situation
extremer Verwundbarkeit in Mexiko. Dies betrifft nicht nur die sozialen
und indigenen Bewegungen, sondern auch die Arbeit von
MenschenrechtsverteidigerInnen", so Pages, die bereits seit 13 Jahren in
Chiapas arbeitet.
Denn nicht nur die indigenen Widerstandsbewegungen sind Zielscheibe der
Regierung und Objekt tendenziöser Berichterstattung. Zunehmend werden
auch die Organisationen und Personen, die soziale Prozesse begleiten,
Opfer von Diffamierung, Drohungen und direkten Angriffen. Mitte 2009 war
das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas wochenlang einer
Diffamierungskampagne diverser lokaler Zeitungen ausgesetzt unter dem
Vorwurf, sie würden Kriminelle verteidigen. Hinzu kam, dass verschiedene
MitarbeiterInnen der Organisation im selben Zeitraum von Unbekannten
überwacht wurden, die sie dem mexikanischen Geheimdienst zurechneten.
Dieses Klima hat dann auch dazu beigetragen, dass einer der Anwälte des
Zentrums, Ricardo Lagunes, nach einem Aufenthalt in einem indigenen Dorf
am 18. September 2009 in einen Hinterhalt gelockt und tätlich
angegriffen wurde. Zwischenzeitlich waren mehrere Personen, die an dem
Angriff auf Lagunes beteiligt waren und der OPDDIC zugerechnet werden,
inhaftiert worden. Sie kamen aber alle recht bald wieder auf freien Fuß,
eine Aufklärung des Falles steht bis heute aus. Der Angriff auf Ricardo
Lagunes ist kein Einzelfall. Drohungen und Gewaltanwendung scheinen auch
ein Mittel zu sein, wenn die Polizei in die Situation gerät, sich für
Amtsmissbrauch rechtfertigen zu müssen. So im Falle der Familie von
Adolfo Guzmán, Mitarbeiter der mit Kleinbauern und -bäuerinnen
arbeitenden Organisation namens Verbindung, Kommunikation und Befähigung
in der Gemeinde Comitán, die am 8. November 2009 Opfer einer gewaltsam
durchgeführten Hausdurchsuchung der Polizei wurde. Nachdem Guzmán und
seine Frau Margarita Martínez dagegen Anzeige erstatten hatten,
erhielten sie mehrfach Morddrohungen mit der Aufforderung, die Anzeige
zurückzuziehen. Am 25. Februar, einen Tag vor der Aufnahme ihrer
Aussagen durch die Sonderstaatsanwaltschaft für den Schutz von
Menschenrechtsverteidigern, wurde Margarita Martínez von Unbekannten um
die Mittagszeit entführt und gefoltert, kurz darauf aber wieder
freigelassen. Allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz machte die
Familie am nächsten Tag ihre Aussagen.
Die jüngsten Entwicklungen in Chiapas stehen in starkem Kontrast zu den
offiziellen Feierlichkeiten der mexikanischen Regierung anlässlich des
hundertsten Jahrestages der Revolution (1910-1919). Paradox mag es
anmuten, dass in dieser Zeit der Erinnerung an die letzte landesweite
soziale Umwälzung der tolerierte Rahmen für friedliche soziale
Veränderungen von unten mehr und mehr beschnitten wird. Selbst der
Vertreter des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten
Nationen bezeichnete die Diffamierung von MenschenrechtsverteidigerInnen
als „VerteidigerInnen von Kriminellen" durch staatliche Stellen als
inakzeptabel. Klar ist, dass sich AktivistInnen in Mexiko derzeit in
einer äußert schwierigen Situation befinden. Viele MexikanerInnen
hoffen, dass dieses symbolträchtige Jahr der Startschuss für einen
erneuten Massenaufstand für sozialen Wandel wird. Umgekehrt erklärt sich
die jüngste Steigerung der Repressionspolitik der Regierung als
Präventionsmaßnahme gegen einen solchen.
http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/artikel/3830.html
(Online nicht zugänglich)
Thomas Zapf
Lateinamerika Nachrichten Nr. 431 // Mai 2010
Im mexikanischen Bundesstaat Chiapas wird der Spielraum für alternative
Bewegungen wie die ZapatistInnen derzeit immer enger.
Diffamierungskampagnen der Medien verbinden sich mit Überfällen auf
AktivistInnen. Auch MenschenrechtsverteidigerInnen geraten dabei
zunehmend in die Schusslinie.
„Marcos demaskiert" titelte die konservative mexikanische Tageszeitung
Reforma in ihrer Ausgabe vom 27. März. Als Beweis diente ein unscharfes
Foto eines bärtigen Mannes, das neben einem der bekannteren Fotos des
Subcomandante mit der gewohnten Maskierung und Pfeife abgedruckt wurde.
Im dazugehörigen Artikel präsentierte die Zeitung einen angeblichen
Deserteur des bewaffneten Teils der Zapatistischen Armee der Nationalen
Befreiung (EZLN), welcher der Reforma ein 83-seitiges Dokument mit einer
Auflistung von Namen, Fotos und Telefonnummern verschiedener
Verantwortlicher innerhalb der zapatistischen Strukturen zugespielt
habe. Zudem behauptet der Informant, über Belege für eine Finanzierung
der EZLN durch die baskische Untergrundorganisation ETA zu verfügen.
Verschiedene mexikanische und europäische Medien reproduzierten diese
vermeintliche Sensation unkritisch. Schon seit Jahren werfen einige der
EZLN eine Verbindung zur ETA vor, ohne dies jemals mit konkreten
Beweisen zu unterfüttern. Die ZapatistInnen selbst hatten bereits 2005
öffentlich erklärt, keine Beziehungen zu anderen bewaffneten Gruppen in
Mexiko oder anderswo zu unterhalten und sich von den Methoden der ETA
distanziert.
Die Demaskierung Marcos' entpuppte sich auch bald als Ente. Bei dem
Abgebildeten handelte es sich um einen italienischen
Menschenrechtsbeobachter namens Leuccio Rizzo, der die Reforma prompt zu
einer Gegendarstellung aufforderte und mögliche rechtliche Schritte
gegen die Zeitung ankündigte. Verschiedene italienische
Solidaritätsgruppen verurteilten die Falschmeldung als offensichtlich
beabsichtigt, die im Zusammenhang mit der „Kriminalisierung der
zapatistischen Bewegung" stehe. Ähnlich äußerten sich mehrere
mexikanische sowie internationale Organisationen und AktivistInnen in
der Erklärung „Die Solidarität ist unser Recht". In dieser stellten sie
eine aktuelle Kampagne in Mexiko und Lateinamerika fest, die versuche,
„den Akt der Solidarität mit den sozialen Bewegungen, und in diesem Fall
speziell mit den zapatistischen Gemeinden, zu stigmatisieren, zu
delegitimieren und letztlich zu kriminalisieren".
Das Hervorheben der Solidarität mit den ZapatistInnen kommt nicht von
ungefähr: Die Kommentatorin Magdalena Gómez erinnerte in der
mexikanischen Tageszeitung La Jornada daran, dass auch die letzte
militärische Großoffensive der mexikanischen Armee gegen die
zapatistische Guerilla im Februar 1995 von Meldungen über die
vermeintliche Identität des militärischen Chefs der EZLN sowie weiterer
Mitglieder ihrer Führungsstruktur begleitet worden war. Damals waren es
die massenhaften Proteste der mexikanischen Zivilgesellschaft, die ein
Ende des Angriffs erreichten.
Die Falschmeldung in der Reforma ist der jüngste Vorfall in einer Reihe
von Berichterstattungen über indigene Bewegungen in Chiapas, bei denen
Tatsachen verdreht oder Meldungen einfach erfunden werden. Bedenklich
stimmt, dass es sich dabei keineswegs nur um regierungsnahe Medien
handelt. So behauptete die als links und bewegungsnah geltende La
Jornada am 25. November 2009, der chiapanekische Kongress hätte auf
Bitte von VertreterInnen der zapatistischen Räte der Guten Regierung,
den regionalen Entscheidungsinstanzen der zapatistischen Autonomie,
einen Aufruf zur Anerkennung der zapatistischen Strukturen an den
Gouverneur des Bundesstaates weitergeleitet. Am nächsten Tag
dementierten alle fünf zapatistischen Räte die Meldung in jeweils
eigenen Erklärungen. Hinzu kommen in der Jornada immer wieder Artikel,
in denen indigene Bewegungen betreffende Initiativen der
Bundesstaatsregierung gelobt werden, ohne die Betroffenen zu
konsultieren. Mitunter werden gar soziale Proteste diffamiert und deren
AnführerInnen kriminalisiert. Ein generelles Problem der mexikanischen
Tageszeitungen ist, dass sie finanziell auf den Abdruck von
Regierungsanzeigen angewiesen sind, die oft erst auf den zweiten Blick
oder gar nicht als solche zu erkennen sind. So begründete Luis Hernández
Navarro, Leiter der Meinungssektion der Jornada, auf einer Konferenz
diese Praxis seiner Zeitung bezüglich Anzeigen der chiapanekischen
Regierung mit der „wirtschaftlichen Notwendigkeit". Zwar bleibe laut
Hernández Navarro die redaktionelle Freiheit davon unberührt. Doch
drängt sich bisweilen der Verdacht auf, dass es sich die Jornada sich
mit ihren Anzeigenkunden nicht verscherzen will.
Die medialen Schüsse gegen die ZapatistInnen und andere oppositionelle
indigene Gemeinden gehen mit realer Repression und Konfrontationen
einher, die in den vergangenen Monaten zugenommen haben. Deren Ursache
ist der Widerstand der Dörfer gegen wirtschaftliche und
infrastrukturelle Projekte, die ihnen ihr Land und damit ihre
Lebensgrundlage entziehen würden. Häufig werden dabei regierungstreue
Organisationen und Gemeinden gegen die Aufständischen instrumentalisiert.
Dies ist Fall der indigenen Gemeinde Bolom Ajaw, die am 6. Februar
Schauplatz eines Übergriffes von Mitgliedern der teilweise
paramilitärisch agierenden Organisation zur Verteidigung der Rechte der
Indigenen und Kleinbauern (OPDDIC) aus dem Nachbardorf Agua Azul auf
zapatistische Gemeindemitglieder war. Laut dem Menschenrechtszentrum
Fray Bartolomé de Las Casas war der Auslöser der Konfrontation die
Kontrolle über noch unberührte Wasserfälle nahe dem zapatistischen Dorf,
neben denen nach Regierungsplänen eine luxuriöse Hotelanlage gebaut
werden soll. Im entsprechenden Bericht des Menschenrechtszentrums zu dem
Vorfall heißt es, die Unterlassungen und mangelnde Untersuchung des
Übergriffs seitens der staatlichen Stellen „lassen die Annahme zu, dass
die bewaffneten Handlungen der Bewohner von Agua Azul von den
mexikanischen Behörden toleriert und gestützt werden, wobei das große
touristisch-kommerzielle Interesse an der Region, in der sich die
zapatistische Gemeinde befindet, und hier unter anderem die Realisierung
des Centro Integralemente Planeado Palenque [ein Infrastrukturprojekt
zur Förderung des Tourismus' in der Region um Palenque und Agua Azul;
Anm. des Autors] als Indiz gelten".
Bolom Ajaw steht dabei in einer Reihe ähnlicher Vorfälle. So erklärt
Marina Pages vom Internationalen Friedensdienst (SIPAZ): „Verschiedene
Ökotourismusprojekte, die von der chiapanekischen Regierung gefördert
werden, befinden sich auf indigenem Gebiet. Aber die betroffenen
Gemeinden werden meist nicht konsultiert und bei Widerstand gegen diese
Projekte Opfer von Repression." Die Koordinatorin des internationalen
Programmes, das seit 15 Jahren in Chiapas im Bereich der
Konfliktschlichtung und der punktuellen Begleitung von sozialen
Prozessen arbeitet, weist auf ein generelles Klima der Spannung in
Chiapas sowie im ganzen Land hin. „Wir befinden uns in einer Situation
extremer Verwundbarkeit in Mexiko. Dies betrifft nicht nur die sozialen
und indigenen Bewegungen, sondern auch die Arbeit von
MenschenrechtsverteidigerInnen", so Pages, die bereits seit 13 Jahren in
Chiapas arbeitet.
Denn nicht nur die indigenen Widerstandsbewegungen sind Zielscheibe der
Regierung und Objekt tendenziöser Berichterstattung. Zunehmend werden
auch die Organisationen und Personen, die soziale Prozesse begleiten,
Opfer von Diffamierung, Drohungen und direkten Angriffen. Mitte 2009 war
das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas wochenlang einer
Diffamierungskampagne diverser lokaler Zeitungen ausgesetzt unter dem
Vorwurf, sie würden Kriminelle verteidigen. Hinzu kam, dass verschiedene
MitarbeiterInnen der Organisation im selben Zeitraum von Unbekannten
überwacht wurden, die sie dem mexikanischen Geheimdienst zurechneten.
Dieses Klima hat dann auch dazu beigetragen, dass einer der Anwälte des
Zentrums, Ricardo Lagunes, nach einem Aufenthalt in einem indigenen Dorf
am 18. September 2009 in einen Hinterhalt gelockt und tätlich
angegriffen wurde. Zwischenzeitlich waren mehrere Personen, die an dem
Angriff auf Lagunes beteiligt waren und der OPDDIC zugerechnet werden,
inhaftiert worden. Sie kamen aber alle recht bald wieder auf freien Fuß,
eine Aufklärung des Falles steht bis heute aus. Der Angriff auf Ricardo
Lagunes ist kein Einzelfall. Drohungen und Gewaltanwendung scheinen auch
ein Mittel zu sein, wenn die Polizei in die Situation gerät, sich für
Amtsmissbrauch rechtfertigen zu müssen. So im Falle der Familie von
Adolfo Guzmán, Mitarbeiter der mit Kleinbauern und -bäuerinnen
arbeitenden Organisation namens Verbindung, Kommunikation und Befähigung
in der Gemeinde Comitán, die am 8. November 2009 Opfer einer gewaltsam
durchgeführten Hausdurchsuchung der Polizei wurde. Nachdem Guzmán und
seine Frau Margarita Martínez dagegen Anzeige erstatten hatten,
erhielten sie mehrfach Morddrohungen mit der Aufforderung, die Anzeige
zurückzuziehen. Am 25. Februar, einen Tag vor der Aufnahme ihrer
Aussagen durch die Sonderstaatsanwaltschaft für den Schutz von
Menschenrechtsverteidigern, wurde Margarita Martínez von Unbekannten um
die Mittagszeit entführt und gefoltert, kurz darauf aber wieder
freigelassen. Allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz machte die
Familie am nächsten Tag ihre Aussagen.
Die jüngsten Entwicklungen in Chiapas stehen in starkem Kontrast zu den
offiziellen Feierlichkeiten der mexikanischen Regierung anlässlich des
hundertsten Jahrestages der Revolution (1910-1919). Paradox mag es
anmuten, dass in dieser Zeit der Erinnerung an die letzte landesweite
soziale Umwälzung der tolerierte Rahmen für friedliche soziale
Veränderungen von unten mehr und mehr beschnitten wird. Selbst der
Vertreter des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten
Nationen bezeichnete die Diffamierung von MenschenrechtsverteidigerInnen
als „VerteidigerInnen von Kriminellen" durch staatliche Stellen als
inakzeptabel. Klar ist, dass sich AktivistInnen in Mexiko derzeit in
einer äußert schwierigen Situation befinden. Viele MexikanerInnen
hoffen, dass dieses symbolträchtige Jahr der Startschuss für einen
erneuten Massenaufstand für sozialen Wandel wird. Umgekehrt erklärt sich
die jüngste Steigerung der Repressionspolitik der Regierung als
Präventionsmaßnahme gegen einen solchen.
http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/artikel/3830.html
(Online nicht zugänglich)
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Donnerstag, 6. Mai 2010
Amnesty wirft Mexiko Misshandlung von Migranten aus Zentralamerika vor
Handelsblatt, 01.05.2010
von Klaus Ehringfeld
Gerade hatte Mexikos Präsident Felipe Calderón mit bitterer Mine die Behandlung seiner Landsleute im US-Bundesstaat Arizona beklagt, da gerät seine Regierung selbst auf die Anklagebank in Sachen Menschenrechtsverletzungen. Amnesty international (AI) warf Mexiko jetzt vor, die Rechte zentralamerikanischer Migranten massiv zu verletzen.
In einem Bericht kritisiert die Menschenrechtsorganisation, Polizei und Behörden nähmen Zentralamerikaner willkürlich fest und misshandelten sie. AI-Berichterstatter Rupert Knox verlangte von Präsident Calderón den gleichen Respekt gegenüber Einwanderern in Mexiko, den sein Land jetzt bei der Regierung in Arizona für die mexikanischen Migranten einfordert. Der Staatschef hatte Anfang der Woche mit harten Worten das verschärfte Einwanderungsgesetz in Arizona kritisiert, das es der Polizei künftig erlaubt, jeden festzunehmen, gegen den sie den Verdacht der illegalen Einwanderung hegen. Als Strafe drohen dabei sechs Monate Gefängnis. „Das Gesetz öffnet dem Hass und der Intoleranz Tür und Tor“, sagte Calderón. In Arizona leben rund 500.000 Latino-Einwanderer ohne Papiere, die große Mehrzahl von ihnen sind Mexikaner.
Amnesty erinnerte die mexikanische Regierung jetzt daran, dass man nicht mit Steinen werfen sollte, wenn man im Glashaus sitzt. Laut der Menschenrechtsorganisation ist Mexiko nicht nur Opfer, sondern zugleich Täter. Demnach rauben die verschiedenen Polizeieinheiten die Migranten nach der Festnahme aus, erpressen sie und belästigen oder vergewaltigen die Frauen. Oftmals machten die Behörden mit den Banden dabei gemeinsame Sache, betonte AI-Berichterstatter Knox. Besonders litten die Frauen. Dem Bericht zufolge werden sechs von zehn Migrantinnen auf dem Weg durch Mexiko Opfer sexueller Belästigung oder Vergewaltigung. Manche Frauen lassen sich vor dem Weg in den Norden empfängnisverhütende Spritzen verabreichen, um eine Schwangerschaft zu vermeiden. Amnesty hält der mexikanischen Regierung zwar Fortschritte bei der Eindämmung der Missbrauchsfälle zugute. „Aber noch immer genießen die Vergehen und Verbrechen der Polizei bei den lokalen und Bundesbehörden eine sehr niedrige Priorität”, heißt es in dem Bericht.
Mexiko ist weltweit eines der wenigen Länder, das gleichzeitig Ziel und Ausgangspunkt für Migranten ist. Während rund eine halbe Million Mexikaner jedes Jahr versucht, mit oder ohne Papiere in die USA auszuwandern, überschreiten unterschiedlichen Schätzungen zufolge jährlich 200.000 bis 400.000 Zentralamerikaner die mexikanische Südgrenze. Die Menschen kommen vor allem aus Honduras, El Salvador und Guatemala und nutzen Mexiko in aller Regel nur als Transitland auf dem Weg in die Vereinigten Staaten.
In einer wochenlangen waghalsigen Reise auf Güterzügen versuchen sie, die rund 3000 Kilometer entfernte US-mexikanische Grenze zu erreichen. Dabei werden sie vor allem auf dem ersten Stück im Süden Mexikos Opfer von Behörden und Banden, weil die Züge langsam fahren und oft halten. „Alles was uns die Kriminellen lassen, nehmen uns die Polizisten weg und umgekehrt“, sagte ein honduranischer Migrant. Die staatliche mexikanische Menschenrechtskommission CNDH hat in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 9000 Fälle von Misshandlungen registriert. Die Dunkelziffer dürfte um ein mehrfaches höher liegen.
Kaum ein Fall werde aufgeklärt, sagte Rupert Knox. Die Opfer seien aufgrund ihres Status als Migrant jeder Möglichkeit beraubt, rechtliche Schritte einzuleiten. „Sie sind verdammt zu einem Leben in der Marginalität, als Opfer von Banden und korrupten Beamten“.
URL: http://blog.handelsblatt.com/global-reporting/2010/05/01/amnesty-wirft-mexiko-misshandlung-von-migranten-aus-zentralamerika-vor/
von Klaus Ehringfeld
Gerade hatte Mexikos Präsident Felipe Calderón mit bitterer Mine die Behandlung seiner Landsleute im US-Bundesstaat Arizona beklagt, da gerät seine Regierung selbst auf die Anklagebank in Sachen Menschenrechtsverletzungen. Amnesty international (AI) warf Mexiko jetzt vor, die Rechte zentralamerikanischer Migranten massiv zu verletzen.
In einem Bericht kritisiert die Menschenrechtsorganisation, Polizei und Behörden nähmen Zentralamerikaner willkürlich fest und misshandelten sie. AI-Berichterstatter Rupert Knox verlangte von Präsident Calderón den gleichen Respekt gegenüber Einwanderern in Mexiko, den sein Land jetzt bei der Regierung in Arizona für die mexikanischen Migranten einfordert. Der Staatschef hatte Anfang der Woche mit harten Worten das verschärfte Einwanderungsgesetz in Arizona kritisiert, das es der Polizei künftig erlaubt, jeden festzunehmen, gegen den sie den Verdacht der illegalen Einwanderung hegen. Als Strafe drohen dabei sechs Monate Gefängnis. „Das Gesetz öffnet dem Hass und der Intoleranz Tür und Tor“, sagte Calderón. In Arizona leben rund 500.000 Latino-Einwanderer ohne Papiere, die große Mehrzahl von ihnen sind Mexikaner.
Amnesty erinnerte die mexikanische Regierung jetzt daran, dass man nicht mit Steinen werfen sollte, wenn man im Glashaus sitzt. Laut der Menschenrechtsorganisation ist Mexiko nicht nur Opfer, sondern zugleich Täter. Demnach rauben die verschiedenen Polizeieinheiten die Migranten nach der Festnahme aus, erpressen sie und belästigen oder vergewaltigen die Frauen. Oftmals machten die Behörden mit den Banden dabei gemeinsame Sache, betonte AI-Berichterstatter Knox. Besonders litten die Frauen. Dem Bericht zufolge werden sechs von zehn Migrantinnen auf dem Weg durch Mexiko Opfer sexueller Belästigung oder Vergewaltigung. Manche Frauen lassen sich vor dem Weg in den Norden empfängnisverhütende Spritzen verabreichen, um eine Schwangerschaft zu vermeiden. Amnesty hält der mexikanischen Regierung zwar Fortschritte bei der Eindämmung der Missbrauchsfälle zugute. „Aber noch immer genießen die Vergehen und Verbrechen der Polizei bei den lokalen und Bundesbehörden eine sehr niedrige Priorität”, heißt es in dem Bericht.
Mexiko ist weltweit eines der wenigen Länder, das gleichzeitig Ziel und Ausgangspunkt für Migranten ist. Während rund eine halbe Million Mexikaner jedes Jahr versucht, mit oder ohne Papiere in die USA auszuwandern, überschreiten unterschiedlichen Schätzungen zufolge jährlich 200.000 bis 400.000 Zentralamerikaner die mexikanische Südgrenze. Die Menschen kommen vor allem aus Honduras, El Salvador und Guatemala und nutzen Mexiko in aller Regel nur als Transitland auf dem Weg in die Vereinigten Staaten.
In einer wochenlangen waghalsigen Reise auf Güterzügen versuchen sie, die rund 3000 Kilometer entfernte US-mexikanische Grenze zu erreichen. Dabei werden sie vor allem auf dem ersten Stück im Süden Mexikos Opfer von Behörden und Banden, weil die Züge langsam fahren und oft halten. „Alles was uns die Kriminellen lassen, nehmen uns die Polizisten weg und umgekehrt“, sagte ein honduranischer Migrant. Die staatliche mexikanische Menschenrechtskommission CNDH hat in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 9000 Fälle von Misshandlungen registriert. Die Dunkelziffer dürfte um ein mehrfaches höher liegen.
Kaum ein Fall werde aufgeklärt, sagte Rupert Knox. Die Opfer seien aufgrund ihres Status als Migrant jeder Möglichkeit beraubt, rechtliche Schritte einzuleiten. „Sie sind verdammt zu einem Leben in der Marginalität, als Opfer von Banden und korrupten Beamten“.
URL: http://blog.handelsblatt.com/global-reporting/2010/05/01/amnesty-wirft-mexiko-misshandlung-von-migranten-aus-zentralamerika-vor/
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