Handelsblatt, 01.05.2010
von Klaus Ehringfeld
Gerade hatte Mexikos Präsident Felipe Calderón mit bitterer Mine die Behandlung seiner Landsleute im US-Bundesstaat Arizona beklagt, da gerät seine Regierung selbst auf die Anklagebank in Sachen Menschenrechtsverletzungen. Amnesty international (AI) warf Mexiko jetzt vor, die Rechte zentralamerikanischer Migranten massiv zu verletzen.
In einem Bericht kritisiert die Menschenrechtsorganisation, Polizei und Behörden nähmen Zentralamerikaner willkürlich fest und misshandelten sie. AI-Berichterstatter Rupert Knox verlangte von Präsident Calderón den gleichen Respekt gegenüber Einwanderern in Mexiko, den sein Land jetzt bei der Regierung in Arizona für die mexikanischen Migranten einfordert. Der Staatschef hatte Anfang der Woche mit harten Worten das verschärfte Einwanderungsgesetz in Arizona kritisiert, das es der Polizei künftig erlaubt, jeden festzunehmen, gegen den sie den Verdacht der illegalen Einwanderung hegen. Als Strafe drohen dabei sechs Monate Gefängnis. „Das Gesetz öffnet dem Hass und der Intoleranz Tür und Tor“, sagte Calderón. In Arizona leben rund 500.000 Latino-Einwanderer ohne Papiere, die große Mehrzahl von ihnen sind Mexikaner.
Amnesty erinnerte die mexikanische Regierung jetzt daran, dass man nicht mit Steinen werfen sollte, wenn man im Glashaus sitzt. Laut der Menschenrechtsorganisation ist Mexiko nicht nur Opfer, sondern zugleich Täter. Demnach rauben die verschiedenen Polizeieinheiten die Migranten nach der Festnahme aus, erpressen sie und belästigen oder vergewaltigen die Frauen. Oftmals machten die Behörden mit den Banden dabei gemeinsame Sache, betonte AI-Berichterstatter Knox. Besonders litten die Frauen. Dem Bericht zufolge werden sechs von zehn Migrantinnen auf dem Weg durch Mexiko Opfer sexueller Belästigung oder Vergewaltigung. Manche Frauen lassen sich vor dem Weg in den Norden empfängnisverhütende Spritzen verabreichen, um eine Schwangerschaft zu vermeiden. Amnesty hält der mexikanischen Regierung zwar Fortschritte bei der Eindämmung der Missbrauchsfälle zugute. „Aber noch immer genießen die Vergehen und Verbrechen der Polizei bei den lokalen und Bundesbehörden eine sehr niedrige Priorität”, heißt es in dem Bericht.
Mexiko ist weltweit eines der wenigen Länder, das gleichzeitig Ziel und Ausgangspunkt für Migranten ist. Während rund eine halbe Million Mexikaner jedes Jahr versucht, mit oder ohne Papiere in die USA auszuwandern, überschreiten unterschiedlichen Schätzungen zufolge jährlich 200.000 bis 400.000 Zentralamerikaner die mexikanische Südgrenze. Die Menschen kommen vor allem aus Honduras, El Salvador und Guatemala und nutzen Mexiko in aller Regel nur als Transitland auf dem Weg in die Vereinigten Staaten.
In einer wochenlangen waghalsigen Reise auf Güterzügen versuchen sie, die rund 3000 Kilometer entfernte US-mexikanische Grenze zu erreichen. Dabei werden sie vor allem auf dem ersten Stück im Süden Mexikos Opfer von Behörden und Banden, weil die Züge langsam fahren und oft halten. „Alles was uns die Kriminellen lassen, nehmen uns die Polizisten weg und umgekehrt“, sagte ein honduranischer Migrant. Die staatliche mexikanische Menschenrechtskommission CNDH hat in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 9000 Fälle von Misshandlungen registriert. Die Dunkelziffer dürfte um ein mehrfaches höher liegen.
Kaum ein Fall werde aufgeklärt, sagte Rupert Knox. Die Opfer seien aufgrund ihres Status als Migrant jeder Möglichkeit beraubt, rechtliche Schritte einzuleiten. „Sie sind verdammt zu einem Leben in der Marginalität, als Opfer von Banden und korrupten Beamten“.
URL: http://blog.handelsblatt.com/global-reporting/2010/05/01/amnesty-wirft-mexiko-misshandlung-von-migranten-aus-zentralamerika-vor/
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