Donnerstag, 7. Oktober 2021

Karls Erdbeerhof: Ausbeutung in der Erdbeere

Im Juni beginnt die Saison für den Erdbeerverkauf, diese dauert normalerweise ungefähr zwei Monate. Pünktlich dazu sprießen in Berlin, und auch in anderen Städten, knallrote Erdbeerbutzen aus dem Boden. Diese gehören zu „Karls Erdbeerhof“, dem Erdbeer-Imperium von Robert Dahl, seiner Schwester Ulrike und weiteren Familienmitgliedern. Karls Erdbeeren gibt es nur an diesen Ständen zu kaufen. Doch das allein reicht natürlich nicht aus, um im Jahr 2017 geschätzt 44 Millionen Euro Umsatz zu machen: Sieben Hofladen-Standorte mit eigener Manufaktur, fünf davon inmitten eines Erdbeer-Freizeitparks, über 15.000 Erdbeer-Artikel im Angebot und rund 2800 Beschäftigte im Jahr, Saisonarbeiter eingeschlossen. Und wie nicht anders erwartet, die Ausbeutung von saisonalen Verkäufern und Erntehelfern. Zusammen mit einer Werbeagentur hat sich Karls ein angestrebtes Image zurechtgelegt: „familiär, authentisch, kreativ, natürlich, großzügig, augenzwinkernd & liebevoll“. Wie sich Karls dabei schlägt, diese Dinge zu repräsentieren, wollen wir einmal untersuchen. Grosszügig Saisonarbeit; für viele Studenten, Geringverdiener oder Rentner ein wichtiges Nebeneinkommen. Sucht man in Berlin also so einen 450€-Job, trifft man früher oder später auf Karls. Die sogenannten „Karlsianer“, die meisten von ihnen Frauen, arbeiten für 10€, also knapp über Mindestlohn, in den 4m² großen Metallerdbeeren, häufig mitten in der prallen Sonne aufgestellt, ohne dass auf die eigentlich gesetzlich vorgegebenen Arbeitsbedingungen geachtet wird. Wenn wenn es draußen 35 Grad sind, ist es in der „Erdbeere“ noch heißer. Kreativ Was Karls als „der eigene Chef sein“ betitelt, ist in Wahrheit quasi eine Aufgabe für zwei, bei der man sich auch noch per App selbst ausspioniert. Alles, was man tut, muss mit der App, die man auf sein privates Smartphone laden muss, „dokumentiert“ werden. Wer sich weigert, bekommt 50 Cent weniger Stundenlohn. Konkret bedeutet das Schichtbeginn und -ende melden, Fotos der Warenpräsentation und der täglich wechselnden Angebotsschilder (die man natürlich zu Arbeitsbeginn selbst gestalten soll) bei jeder Schicht hochladen, den Dienstplan von zwei bis vier Kollegen selbstständig ausarbeiten und die Abrechnungen der Barkasse erstellen. Eine Verkäuferin erzählt: „Oft graust es mich, zur Arbeit zu gehen, weil ich jedes Mal weiß, ich sitze fünf von sieben Stunden nur dort bis 20 Uhr und langweile mich, weil keine Kunden kommen.“ Lesen oder am Handy sein ist absolut tabu. Sie ergänzt zu den Arbeitszeiten: „Mein Kollege hat angegeben, es steht im Arbeitsvertrag, er kann nur vier Tage arbeiten und arbeitet trotzdem öfter sechs Tage die Woche. Man hat kaum Freizeit, an freien Tagen kommt es öfter vor, dass man angerufen wird, ob man arbeiten kann.“ Liebevoll Zusätzlich wird man mit überaus peniblen Arbeitsvorschriften gepiesackt: „Diese Erdbeer-Nazis sind unerträglich“, ätzt eine andere, „die tun […] auf total nett und regeln dann haarklein, wie man die Körbe hält oder dass man nicht die Beeren, sondern nur die Stiele anfassen darf.“ Kontrolliert wird das, indem alle paar Tage ein Standbetreuer vorbeikommt und Fotos macht. Unangekündigt und heimlich. Bei den Online-Schulungen werden den Verkäufern Dinge wie „zu viele abgerechnete Reklamationen, unüblich viele Toilettengänge oder abgesammelte Erdbeeren aus den reichlich gefüllten Schalen“ vorgehalten. Eine der Frauen erwidert auf die Frage, ob sie die Bezahlung für die Arbeit gerecht finde: „Totale Ausbeutung!“ Die Hälfte des Entgeltes erhält man erst am Ende der Verkaufssaison. Ähnlich anspruchsvolle Jobs werden deutlich besser vergütet, und es ist eine Frechheit, dass Karls beim Verstoß gegen all diese Regeln von „gebrochenem Vertrauen“ spricht, wenn es von ihrer Seite von Anfang an keines gab. Und wenn jemand aufmuckt, fliegt die Person raus. Gewerkschaftlich organisiert sind die Meisten in den Verkaufsständen nicht, das schränkt die Möglichkeit der Arbeitnehmervertretung ein. Laut Robert Dahl gebe es kaum Beschwerden, er weist die Kritik in Interviews zurück: „Wir sind ein sehr liebevoll geführtes Familienunternehmen.“ Eine nützliche Aussage will er nicht treffen. Authentisch Ulrike Dahl hat die Personalschulungen entworfen. Darin lernen die „Karlsianer“, wie sie für die „Fans“ „Kontakt-Götter“, „Herz-Eroberer“ oder „Goldstücke“ werden. „Fan“ sagt Ulrike Dahl zu Kunden, Gästen oder Besuchern. „Ein Verkäufer ist auch ein Seelentröster oft oder ein Psychologe. […] Und die wissen von denen alles. Ob der Dackel Durchfall hat. […] – alles! […]Mit ‘ner guten inneren Haltung kann ich nämlich auch ein brillanter Verkäufer sein. Und das gehört zu ‘nem guten Goldstück dazu.“ Insgesamt sind das mehr als 1500 Arbeitsplätze als „Karlsianer“. Nicht mit eingeschlossen sind die 1300 Erntehelfer. Die bekommen allerdings keine Schulung und heißen nicht Goldstück, sondern Arbeiter. Natürlich In einem Interview von 2017 mutmaßt Robert Dahl, dass deutsche Pflücker die Arbeit erst ab 40€ Stundenlohn verrichten würden. Er denkt also sogar selbst, dass eine Bezahlung, die der Belastung entspricht, mindestens das Vierfache der tatsächlichen wäre. Dafür wären aber die finanziellen Möglichkeiten nicht da. Davon abgesehen, dass er drei Jahre später in einem anderen Interview erzählte, dass er nun 100 Millionen in seinen Erlebnispark Elstal bei Berlin investieren möchte, hat so ein fuchsiger Unternehmer natürlich auch dafür eine „rentable“ Lösung: Saisonarbeiter aus Polen und der Ukraine. Dahl unterstreicht dazu die „Ironie der Geschichte“: Was Vater Karl-Heinz 1990 wirtschaftlich das Genick gebrochen hat, nutzt Sohn Robert. Denn als nach der „Wende“ günstigere Erdbeeralternativen aus Polen kamen, verloren die Dahls ihre Zuliefer-Stelle bei Schwartau. Für Mindestlohn fahren die Erntehelfer um 4:30 Uhr in der Früh aufs Feld, beginnen um 5 Uhr und arbeiten bis 15 Uhr. Mittagessen gibt es auf dem Feld. Erst, wenn man schon einmal auf einem Feld gearbeitet hat, kann man die Anstrengung dabei einschätzen. Doch das ist den Dahls egal. Wer keine 10 kg in der Stunde pflückt, verliert den Job. Auch beim Pflücken gibt es wieder ganz genaue Arbeitsanweisungen, die zeitaufwendiger sind. Familiär Die Erntesaison geht von Ende Mai bis August, jedoch bleiben die Meisten nur 50 bis 60 Tage. Die Leute hätten Familien und Verpflichtungen, da sei es den wenigsten möglich länger zu bleiben, erzählte Dahl. Es scheint also nur ein Zufall zu sein, dass zur Zeit der Aussage kurzfristig Beschäftigte, die länger als 70 Tage bleiben, sozialversicherungspflichtig wurden. Unattraktiv für Arbeitgeber. Als ein Versuch, die aktuelle Überproduktionskrise einzudämmen, wurde nun übrigens ein sozialversicherungsfreier Zeitraum von 115 Tagen vom Gesetzgeber durchgedrückt. Abgesehen von diesem Verbrechen an unseren Klassenschwestern und -brüdern konnte man auch in den bürgerlichen Medien das Ausmaß an menschenunwürdigen Arbeits- und Unterkunftsbedingungen sehen. Unternehmen wie dieses sind ein klares Beispiel dafür, wie die Imperialisten nicht nur Massen in den unterdrückten Nationen selbst unterdrücken und ausbeuten, sondern sie auch als billige Arbeitskräfte „importieren“. Augenzwinkernd Hinzu kommt, dass die kurzfristige Beschäftigung nur eine untergeordnete wirtschaftliche Bedeutung für den Arbeitnehmer haben darf. Doch sieht man sich das Lohnniveau der Herkunftsländer der Arbeiter an, kann es den Anschein erwecken, dass diese Voraussetzung nicht erfüllt wird, die Arbeitgeber aber trotzdem keine Sozialversicherungsbeiträge verrichten wollen. Geprüft wird das natürlich auch nicht ausreichend. Ihnen schadet es nicht, aber später stehen die Arbeitnehmer in diesem nicht funktionierenden System ohne Krankenversicherung und Rentenansprüche da. Und noch ein kleines Problem hat Dahl, genauso wie andere Bauern: Durch den steigenden Lohndurchschnitt in Polen lohnt sich der Aufwand für die Leute nicht mehr, um hierherzukommen. Außerdem würde ja die Arbeitsmoral sinken, die Leute hätten falsche Vorstellungen und kein Verständnis für feste Arbeitsbedingungen. Während diese Ausbeutung für einige vielleicht etwas ist, das sie eine kurze Zeit als Student oder Schüler als Ferienjob „aushalten“, sind so ausbeuterische und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen Normalität für große Teile unserer Klasse. Daran ändern auch die falschen Versprechen des Arbeitgebers nichts, oder ob der lockere Chef beim hippen, jungen Kaffee-Verkaufsstand einen in Kumpelmanier doch noch zu unbezahlten Überstunden überredet. Das alles kennen wir zu Genüge als Versprechen der Sozialpartnerschaft. Ob sie uns nun „Karlsianer“, „Siemensianer“ oder sonst wie nennen, wir wissen, diese Leute sind nicht auf unserer Seite. Und das wissen sie auch. Weshalb sonst werden Personen, die sich dagegen wehren, gefeuert? https://rotepresse.noblogs.org/rote-post-41/

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