Mittwoch, 31. August 2016

Wer war die Zielscheibe des Diversionsaktes auf der Krim?

In dem heute ausgeprägten Dreieck „Ukraine-USA-Europa“ für ist es die Amerikaner wichtig, daß in der Ukraine ein Nationalist an der Spitze steht, wünschenswert wäre ein Militär, ein „ukrainischer Militärpatriot“.


 

Übersetzung: Florian Geißler, Jena

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht zurzeit der mißlungene Versuch des ukrainischen Militärs, zum Zwecke eines Diversionsaktes auf die Krim vorzudringen. Der Westen gibt sich den Anschein, als ob nichts geschehen sei, und auch die ukrainische Seite schweigt. Warum? Die Chefredakteurin von Pravda.Ru Inna Nowikowa hat dem russischen Philosophen, Historiker und Publizisten, dem Präsidenten des Zentrums für strategische Forschungen Rußland und die Islamische Welt Schamil Sultanow diese Frage gestellt.
Wie wird der Versuch der ukrainischen Diversanten, einen Terrorakt auf der Krim durchzuführen, die russisch-ukrainischen Beziehungen beeinflussen?
Man muß das Gescheh im Kontext des gegen unser Land geführten systematischen hybriden Krieges betrachten. Er nähert sich unerbittlich der „heißen Phase“, und die heftige Verschärfung der Beziehungen zwischen Rußland und der Ukraine soll eine seiner Komponenten werden. Die Ideologen dieses Krieges wollen unsere Länder unbedingt gegeneinander aufhetzen. Und daß, zum Beispiel, die Ukraine ihre Streitkräfte schon in erhöhte Alarmbereitschaft gebracht hat, ist eines der Symptome. Die Krim wurde als „Aufhänger“ ausgewählt, weil westliche Analytiker damit gerechnet hatten, daß das Putin zu einer noch härteren Antwort, wie zum Beispiel einen Überfall auf Donbass, veranlassen würde.
Symptomatisch ist, daß von den obersten ukrainischen Führern außer Präsident Poroschenko niemand dazu etwas erklärt hat, obwohl sich die Ukraine nicht wie Rußland, für eine parlamentarische Republik hält. Aber der Ministerpräsident schweigt, und auch die Oberste Rada schweigt. Auch der Sicherheitsdienst der Ukraine [1] hat in seinem Kommentar davon nichts bemerkt, im übrigen ist es für niemanden ein Geheimnis, daß er sich seit Anfang der 2000er Jahre unter den „Fittichen“ der Amerikaner befindet.
Und noch ein interessantes Detail: Poroschenko hat nicht sofort eine Erklärung abgegeben. Das heißt, er hat zuerst wohl überhaupt nicht verstanden, was geschehen ist und wozu das alles führen kann. Folgt man dem Gedanken, daß die Aktion im Voraus geplant war, so wird auch ihre informative Unterstützung geplant, weil man den Informationsraum auf jeden Fall so schnell wie möglich „besetzen“ muß. In einer solchen Situation muß man sich bemühen, so schnell wie möglich mit offiziellen Erklärungen aufzutreten. Und hier war der Bruch fast um zwei Stunden.
Daraus schlußfolgere ich: Das Geschehen war eine Neuigkeit für Poroschenko. Und das wiederum sagt etwas über die Gespaltenheit innerhalb der höchsten ukrainischen „Elite“, und darüber, was für ein doppeltes, ja sogar dreifaches Spiel dort geführt wird. Und Poroschenko ist nicht die Hauptfigur in diesem Spiel. Außerdem, da der Angriff auf Krim nicht ohne „Zustimmung“ seitens der Washingtoner „Heeresführung“ geschehen konnte, bedeutet das, daß Poroschenko bei den Amerikanern aus dem Vertrauen schied, und möglicherweise schon irgendeine Operation zu seiner Ablösung vorbereitet wird. Deshalb und wegen verschiedener anderer innerukrainischer Skandale, der großen Zahl ihrer Veröffentlichungen in den lokalen Massenmedien, „zieht“ Poroschenko auf seinem Posten irgendwie nicht mehr so richtig.
Aus meiner Sicht ist die Provokation das Werk eines bestimmten Kraftzentrums, das zwei Ziele verfolgt: Erstens: die Beziehungen zu Rußland extrem zu verschärfen. Zweitens: die Position Poroschenkos extrem zu schwächen, der ungeachtet seiner scharfen Erklärungen, doch irgendwie versucht, die Kontakte zu Rußland aufrechtzuerhalten. Doch die Amerikaner brauchen jetzt an der Spitze der Ukraine einen extremen Nationalisten, der mit Rußland über gar nichts mehr sprechen würde.
In dem heute ausgeprägten Dreieck „Ukraine-USA-Europa“ für ist es die Amerikaner wichtig, daß in der Ukraine ein Nationalist an der Spitze steht, wünschenswert wäre ein Militär, ein „ukrainischer Militärpatriot“. Das ist für die Amerikaner auch deshalb wichtig, weil in Europa verschiedene Tendenzen zu beobachten sind. Da gibt es diejenigen, die versuchen, ein Gleichgewicht zwischen Amerika und der Russischen Föderation zu wahren suchen, die sagen, daß man keinesfalls die Türen der Beziehungen zu Rußland zuschlagen darf. Den Amerikanern kommt es darauf an, einen bestimmten Rubikon drastisch zu überschreiten, die Situation zu verschärfen, um diese Europäer „aus dem Rennen zu werfen“. In diesem Sinne sind auch die rußlandfeindlichen, ukrainischen Provokationen von großer Bedeutung, um zu den Europäern sagen zu können: „Bei Fuß!“
Im Kontext dieser Degradation des jetzigen ukrainischen Regimes würde ich auch die Geschichte mit der Absage betrachten, einen neuen russischen Botschafter in diesem Land einzuführen. In der Ukraine geht den Prozeß vor sich, bei dem die Radikalen immer stärkere Positionen einnehmen. Wann sie endgültig an die Macht kommen, ist nur eine Frage der Zeit.
Surabow [2] hat sowohl zu Putin, als auch zu Poroschenko befriedigende Beziehungen. Doch Poroschenko erweist sich aus Sicht der USA zunehmend als unangemessen, er könnte schließlich  irgendein doppeltes Spiel spielen, und sich dem Kreml „angedient“ haben. Deshalb ist das, was auf auf der Krim geschah, ein Schlag nicht nur gegen Moskau, nicht nur gegen die russisch-ukrainischen Beziehungen, sondern auch ein Schlag gegen Poroschenko.
Das Wichtigste für uns ist, sich nicht in die Schlägerei einzumischen. Obwohl die Organisatoren der Provokation gerade damit gerechnet hatten, da sie ja glauben, den Charakter Wladimir Putins zu kennen. Deshalb ist jedes beliebige Mittel als Antwort gut:  die diplomatischen Beziehungen bis „zur Scheuerleiste“ herunterzufahren, und strenge Visakontrolle bei den Ukrainern durchzuführen. Aber keine Kriegsoperationen, weil die Amerikaner ja gerade darauf warten.
Diese Geschichte hat im Vergleich zu dem einst auf das russische Territorium steckengebliebenen ukrainischen Panzer oder dem Beschuß eines Ortes im Gebiet von Rostow einen völlig anderen Charakter. Da das aus Dummheit oder im Suff passiert geschah, war das keine langfristige Politik. Das Problem wurde auf unterster Ebene geklärt, sie haben einfach die entsprechenden Leute angerufen und gesagt: „Wir haben uns geirrt“. Dabei war in den Handlungen der ukrainischen Militärs keine strategische Linie zu erkennen, es war nicht irgendeine zielgerichtete Bestrebung, Spannungen zu erzeugen. Das ist auch der Grund, warum die Krimereignisse einzigartig sind. Es handelt sich hier offenbar um eine langfristige Operation gewisser Kräfte innerhalb der ukrainischen Führung, hinter denen die Amerikaner stehen. Sie wollen herausfinden, wie wir reagieren. Und in Abhängigkeit davon, wie wir reagieren, werden sie ihre nächsten Schritte unternehmen.
Sie meinen, daß die Machtübernahme durch Halbfaschisten in der Ukraine völlig real ist?
Erinnern Sie sich daran, wie Hitler an die Macht kam. Die Verarmung der mittleren Schichten, die Arbeitslosigkeit, die Abwesenheit der Energieressourcen war groß, und da erscheint ein Mensch, der sagt: Leute, ich werde euch helfen. Er kam 1933 an die Macht und 1935 war das ökonomische Wachstumstempo in Deutschland das höchste in der Welt. Das bedeutet, nach dem Nationalismus gibt es eine gewisse Komponente der Effektivität, besonders wenn ein solcher  Führer durch die Amerikaner unterstützt wird. Deshalb ist eine solche Variante nicht ausgeschlossen.
Doch im Unterschied zu anderen Ländern ist das, was heute in der Ukraine geschieht, wird durch zwei Schlüsselpositionen charakterisiert, die eine positive Entwicklung der Ereignisse nicht erwarten lassen. Erstens sind in der Ukraine weithin keine starken charismatischen Führers zu sehen. Und zweitens gibt es in der Ukraine 12 bis 14 elitäre Gruppierungen, die gespalten sind, und bereit sind, sich gegenseitig zu erwürgen. Das bedeutet, daß die innere Spaltung, die Deformation, die Degradation der Ukraine andauern wird.
Folglich wird sich die Rolle jener Machtzentren verstärken, die mit unmittelbar mit irgendeinem starken ausländischen Vormund verbunden sind. Und dieser wird sich über den Wohlstand der einfachen Ukrainer keine Gedanken machen. Die Aufgabe des Vormundes ist es, in großen geopolitischen Spielen mitzuspielen. Und was die einfachen Leute? Wie haben doch die Klassiker gesagt, das menschliche Blut ist das Hauptschmiermittel der Geschichte.
Lesen Sie auf Pravda.Ru
http://www.pravdareport.com/world/ussr/ukraine/22-08-2016/135401-russia_ukraine-0/
(Sergej Walentinow bereitete den Beitrag zur Publikation vor. Übersetzung: Florian Geißler.)
[1] Служба безопасности Украины (СБУ) — eine Art ukrainische Gestapo.
[2] Michail Jurjewitsch Surabow (*3.10.1953), russ.Politiker, Gesundheitsminister, ab 2009 außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Russischen Föderation in der Ukraine 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen