Dienstag, 16. August 2022
[IMI-List] [0615] Großdemo am Samstag / G7 / Erhöhung Schnelle Eingreiftruppe / Neues Territorialkommando
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0615 .......... 25. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,
diese IMI-List beginnt mit dem Hinweis auf die Großdemo gegen die
Aufrüstung und für eine „zivile Zeitenwende“
(http://www.zivilezeitenwende.de/) am kommenden Samstag in Berlin. Mehr
zur Demo und einer entsprechenden Kundgebung in Stuttgart findet sich hier:
https://www.imi-online.de/2022/06/28/aufruf-zu-demonstration-und-kundgebung-am-2-juli/
Außerdem findet sich in dieser Mail
1.) Der Hinweis auf eine Analyse zum neuen „Territorialen
Führungskommando“ der Bundeswehr;
2.) Ein Standpunkt zur Aufstockung der NATO Response Force auf 300.000
Kräfte;
3.) Ein Beitrag zum G7-Gipfel in Hinblick auf die Ukraine.
1.) Analyse zum neuen „Territorialen Führungskommando“
Das neue Territoriale Führungskommando soll u.a. die Logistik von
NATO-Truppenbewegungen durch Deutschland zentral koordinieren und
absichern. Darüber hinaus ist es für alle Inlandseinsätze der
Bundeswehr, auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall zuständig.
IMI-Analyse 2022/32
Neues Territorialkommando
Truppenaufmarsch, Inlandseinsätze und Reformvorhaben
https://www.imi-online.de/2022/06/23/neues-territorialkommando/
Martin Kirsch (23. Juni 2022)
2.) Aufstockung der NATO Response Force auf 300.000 Kräfte
Bereits vor Beginn des aktuell in Madrid stattfindenden NATO-Gipfels hat
der Generalsekretär Stoltenberg eine massive Erhöhung der Schnellen
Eingreiftruppe der NATO von etwa 40.000 auf 300.000 angekündigt. Woher
Personal, Ausrüstung und Finanzierung kommen sollen, ist aber noch
völlig unklar.
IMI-Standpunkt 2022/024
Nato will Schnelle Eingreiftruppe auf über 300.000 aufstocken
https://www.imi-online.de/2022/06/29/nato-will-schnelle-eingreiftruppe-auf-ueber-300-000-aufstocken/
Jürgen Wagner (29. Juni 2022)
3.) IMI-Standpunkt: G7 und Ukraine
Die G7 haben in Elmau versucht, gegenüber Russland Einigkeit zu
demonstrieren und neue Bündnisse zu schmieden. Sie verfolgen damit einen
Weltkrigs-Kurs, meint Bernhard Klaus.
IMI-Standpunkt 2022/025
Die G7 auf Weltkriegs-Kurs
https://www.imi-online.de/2022/06/29/die-g7-auf-weltkriegs-kurs/
Bernhard Klaus (29. Juni 2022)
Abgeschottet von Protesten und Öffentlichkeit haben die G7 im
bayerischen Schloss Elmau u.a. eine gemeinsame Erklärung abgestimmt, die
sich zum größten Teil um den Krieg in der Ukraine und dessen weltweite
Folgen dreht.1 Die Maßnahmen, die darin zu ihrer Bewältigung angekündigt
werden, offenbaren, dass man unter den G7 davon ausgeht, dass der Krieg
und seine globalen Folgen – für die Lebenshaltungskosten, den Zugang zu
Grundnahrungsmitteln und die Energiesicherheit – noch lange anhalten
werden. Von Verhandlungen – zumindest mit Russland – ist hingegen keine
Rede. Von einer „Beendigung dieses Krieges“ ist im Grunde nur an einer
Stelle die Rede und offenbar sieht man dazu nur den einen Weg, „Russland
erhebliche anhaltende Kosten auferlegen“. Außerdem wird angekündigt,
„der Ukraine so lange wie nötig zur Seite [zu] stehen und die
erforderliche finanzielle, humanitäre, militärische und diplomatische
Unterstützung für die mutige Verteidigung ihrer Souveränität und
territorialen Unversehrtheit bereit[zu]stellen“. Man richtet sich auf
einen langen Krieg ein, dessen einziges denkbares Ende der Ruin
Russlands sein kann. Hierzu schmiedet man auf dem G7 auch Bündnisse über
EU und NATO hinaus. Entsprechend waren zu den Arbeitssitzungen tw. auch
„bewusst einflussreiche Vertreter des Globalen Südens nach Elmau
eingeladen“.2 Konkret habe man sich mit den „Staats-und Regierungschefs
von Argentinien, Indien, Indonesien, Senegal und Südafrika sowie der
Ukraine ausgetauscht“, so die Abschlusserklärung.3
Vermeintlich spontan haben die G7 noch eine weitere Erklärung
veröffentlicht, die sich auf den mutmaßlichen russischen Luftangriff auf
ein Einkaufszentrum in Krementschuk befasste. Auch hier wird bekräftigt:
„Wir werden weiterhin finanzielle, humanitäre sowie militärische Hilfe
für die Ukraine bereitstellen, so lange es nötig ist“. Außerdem wird
dort festgestellt: „Willkürliche Angriffe auf unschuldige Zivilistinnen
und Zivilisten sind Kriegsverbrechen. Der russische Präsident Putin und
die Verantwortlichen werden dafür Rechenschaft ablegen müssen“.4 So sehr
das unserem Gerechtigkeitsempfinden entsprechen mag, ist es eine weitere
Absage an eine Verhandlungslösung und Bekräftigung der Absicht, den
Krieg bis zur völligen Niederlage Russlands anhalten zu lassen –
unabhängig davon, wie viele ukrainische Zivilist*innen und Soldaten und
Freiwillige aus aller Welt darin noch umkommen werden. Zudem sind
Angriffe auf Zivilist*innen ein Verbrechen, das in nahezu jedem Krieg
stattfindet, auch jenen, welche die G7 (Japan vielleicht ausgenommen) in
der Vergangenheit (Ex-Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen) vom Zaun
gebrochen oder – z.B. im Jemen – unterstützt haben. Mit am Tisch saß
schließlich auch der französische Staatspräsident Macron, dessen
Luftwaffe am 3. Januar 2021 in Mali eine Hochzeitsgesellschaft
bombardiert und dabei 19 Zivilisten getötet hatte. Auf eine
parlamentarische Anfrage zu diesem Vorfall hatte die Bundesregierung
seinerzeit übrigens geantwortet, sie nehme „grundsätzlich keine Stellung
zu den Operationen ausländischer Streitkräfte“5 – offensichtlich eine
dreiste Lüge.
„Im Krieg versuchen Staaten, ihren Streit gewaltsam mit Soldaten und
Waffen zu lösen. Oft sind daran nur zwei Staaten beteiligt. Von einem
‚Weltkrieg‘ spricht man, wenn die Kämpfe zwischen vielen Staaten
stattfinden und sich über die ganze Welt erstrecken“.6 Mit diesen Sätzen
beginnt der Eintrag „Weltkrieg“ im „junge[n] Politik-Lexikon“ der
Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Bislang findet in der
Ukraine ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine statt. Die
Bemühungen der NATO und der G7 gehen dahin, die Kriegshandlungen zwar
auf die Ukraine zu begrenzen, den Kreis der indirekten Kriegsbeteiligten
jedoch durch Waffenlieferungen, Sanktionen und gemeinsame Festlegungen
auf eine russische Niederlage als einziges akzeptables Ergebnis
möglichst groß zu halten. Dabei erscheinen im Moment drei Szenarien denkbar:
(1) Ziemlich unwahrscheinlich erscheint, dass Russland sich tatsächlich
zurückzieht und auch die Krim aufgibt, wie von den G7 gefordert. Im
Grunde müsste zusätzlich das Regime um Putin zusammenbrechen und dieser
ausgeliefert werden, damit er – wie eingefordert – zur Verantwortung
gezogen werden kann. Das könnte in Russland tatsächlich als so
grundlegende Gefährdung der eigenen Sicherheit wahrgenommen werden, wie
es in der russischen Nuklearstrategie als Voraussetzung für den Einsatz
von Atomwaffen definiert wurde.
(2) Deutlich wahrscheinlicher ist, dass es früher oder später doch zu
einer Verhandlungslösung kommt, in der die Ukraine Teile ihres
Territoriums abgeben muss oder der Konflikt – vergleichbar zur Situation
2014 bis 2022 – einfriert. Dieser Weg wird gerade von NATO und den G7
kategorisch ausgeschlossen und mit jeder neuen, gemeinsamen Erklärung
weiter verbaut. Falls es doch zu diesem Ergebnis kommt, müssten sich die
westlichen Politiker fragen lassen, wofür so viele ukrainische (und
russische) Soldaten ihr Leben haben lassen und so viele Menschen
weltweit Entbehrungen in Kauf nehmen mussten.
(3) Der Krieg eskaliert und internationalisiert sich weiter. Dieses
Szenario wird im Moment durch das Handeln der NATO und der G7 immer
wahrscheinlicher. Es ist ein Weltkriegs-Kurs.
Das nicht explizit auf ein junges Publikum ausgerichtete Politiklexikon
der BpB definiert Weltkrieg als „militärische Auseinandersetzungen, 1)
die aufgrund des geografischen Ausmaßes und des unbegrenzten Einsatzes
aller verfügbaren Mittel (Menschen, Waffen u. a.) von weltweiter
Bedeutung sind und 2) deren Resultat eine grundsätzliche Neuordnung der
Beziehungen und Gewichte zwischen den Staaten der Welt ist…“.7
Die erste Bedingung ist bislang nicht erfüllt. Zwar ist der Krieg in der
Ukraine v.a. auch aufgrund der westlichen Sanktionen und
Waffenlieferungen zweifellos von weltweiter Bedeutung. Ein
„unbegrenzte[r] Einsatz aller verfügbaren Mittel (Menschen, Waffen u.
a.)“ lässt sich allerdings noch nicht feststellen. Auch jenseits von
Atomwaffen besteht z.B. in den Domänen Cyber und Weltraum noch
erhebliches Eskalationspotential. Bei aller Bestialität des von Russland
entfesselten Krieges ist auch zu konstatieren, dass auch die Luftwaffe
noch eher zurückhaltend eingesetzt wird und es z.B. bislang zu keinen
Flächenbombardements kam. Beide unmittelbar beteiligten Länder
rekrutieren zwar längst Kämpfer(innen?) aus Drittstaaten, haben aber
bislang auf eine Generalmobilmachung verzichtet.
Es ist das zweite Kriterium, das zu Denken gibt. Zumindest von Seiten
der G7 und der NATO wird eine grundsätzliche Neuordnung der Welt, ein
„Bündnis der Demokratien gegen die Autokratien der Welt“ relativ offen
angestrebt. Die G7 haben entsprechend in Elmau angekündigt. in den
nächsten fünf Jahren 600 Mrd. US$ für seine „Partnerschaft für Globale
Infrastruktur und Investitionen“ zu mobilisieren – in Anlehnung an
Chinas „neue Seidenstrasse“. Russland seinerseits hat mit dem Angriff
auf die Ukraine die Bereitschaft signalisiert, sich weiter von China
abhängig zu machen und in offener Feindschaft zum Westen neue Bündnisse
zu schmieden. Es scheint, als wären beide Seiten bereit, das genannte
Ergebnis eines Weltkrieges – eine Neuordnung der Welt – hinzunehmen und
der Westen dies sogar offen anzustreben. Dazu passt auch die völlige
Marginalisierung und Ignoranz gerade auch des Westens gegenüber der UN,
die als Grundlage dieser Weltordnung gilt (und vom„junge[n]
Politik-Lexikon“ der BpB auch als Folge des Zweiten Weltkrieges
hervorgehoben wird).
Die Frage, welche NATO und G7 damit aufwerfen, lautet also: Kann man das
Ergebnis eines Weltkrieges erreichen, ohne den Krieg in der Ukraine zum
Weltkrieg zu eskalieren? Und wie weit will man noch gehen, um das
herauszufinden?
Die an den Katzentisch geladenen Drittstaaten jedenfalls scheinen diesen
Weg nicht weiter mitgehen zu wollen. Zwischen vielen Floskeln von der
„Geschlossenheit des Westens und Stärkung des globalen Südens“
(Deutschlandfunk)8 geht fast unter, dass diese Staaten keine
Bereitschaft zu (weiteren) Sanktionen erklärt haben.
Anmerkungen
1) G7 2022 Germany: Kommuniqué der Staats-und Regierungschefs der G7
–Zusammenfassung, Elmau, 28. Juni 2022.
2) Die G7 steht geschlossen an der Seite der Ukraine,
https://www.g7germany.de/g7-de/g7-gipfel.
3) S. FN 1.
4) G7 2022 Germany: Erklärung der G7 Staats-und Regierungschefszum
Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk, Elmau, 27. Juni
2022.
5) Bundestags-Drucksache 19/26065.
6) Christiane Toyka-Seid, Gerd Schneider: „Weltkrieg“, in: Das junge
Politik-Lexikon (Bundeszentrale für politische Bildung,
https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/321418/weltkrieg/.
7) Klaus Schubert, Martina Klein: Das Politiklexikon. 7. Auflage (2020),
https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/18475/weltkrieg/.
8) Stephan Detjen: Geschlossenheit des Westens und Stärkung des globalen
Südens, in: Deutschlandfunk: Informationen am Morgen vom 27. Juni 2022,
https://www.deutschlandfunk.de/treffen-der-g7-staaten-in-elmau-dlf-dd7dbeeb-100.html
.
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