Dienstag, 16. August 2022
BERLIN Von wegen Landesmindestlohn und Tarifvertrag in der Pflege!
Die Arbeitskämpfe der Arbeiter in den Krankenhäusern des letzten Jahres, über die wir bereits berichteten, haben schon gegen Ende des Jahres zu Tarifverhandlungen geführt:
„Berlin, 12. Oktober 2021 – Bei den Tarifverhandlungen über die Entlastung der Beschäftigten bei Vivantes, dem größten kommunalen Klinikkonzern in Deutschland, haben sich die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und die Arbeitgeber auf Eckpunkte für einen Tarifvertrag geeinigt. […] Die Streikmaßnahmen werden ausgesetzt.“
Weiter heißt es in der Pressemitteilung, eine Entlastung der Angestellten soll durch eine sogenannte „Patienten-Personal-Ratio“ herbeigeführt werden. Beispielsweise darf eine Intensivpflegekraft maximal 1,7 Patienten versorgen. Kann das nicht eingehalten werden, gibt es einen „Vivantes-Freizeitpunkt“. Pro Schicht. Hat man neun Punkte gesammelt gibt es einen Tag frei oder 150 Euro Entgeltausgleich. Bis 2024 soll die Anzahl der benötigten „Vivantes-Freizeitpunkte“ auf fünf sinken und die maximale Anzahl an freien Tagen auf fünfzehn steigen. Momentan sind es maximal sechs. Alle Punkte, die nicht in freie Tage umgewandelt werden können, werden als Entgeltausgleich ausgezahlt. Wie motiviert der Arbeitgeber Vivantes ist, im Übrigen zu 100 Prozent ein Beteiligungsunternehmen des Landes Berlin, dieses lustige Freizeitpunkte-System umzusetzen, zeigt sich nun: Nämlich anscheinend gar nicht. Der Tarifvertrag gilt ab dem 1. Januar 2022. „Die Kollegen erwarten jetzt, dass dieser Tarifvertrag endlich umgesetzt wird – und zwar in Gänze und nicht nur stückchenweise. Darauf haben sie verdammt nochmal das Recht.“, so die Intensivpflegerin Anja Voigt im rbb. Beim anderen landeseigenen Klinikkonzern, der Charité, wird der Tarifvertag bereits seit Anfang des Jahres umgesetzt. Doch der Vivantes-Konzern kann angeblich leider nicht schneller, da muss noch diese neue Software implementiert werden, da trifft die keine Schuld. Aber keine Sorge, ab dem 1. April gilt: „Wer Vollzeit arbeitet, bekommt jetzt schon pauschal, ohne dass Mehrbelastung nachgewiesen werden muss, etwa einen Tag zusätzlich frei im Monat“, so der Vivantes-Sprecher Christoph Lang. Klasse, wie hier mit vagen Pauschalregelungen bei der Umsetzung des erkämpften TVöD rumgeeiert wird. Aber stimmt schon, wieso sollte man eine Mehrbelastung nachweisen, wenn dieser Zustand schon von vornherein klar ist, denn weniger Personalmangel oder irgendeinen anderen Belastungsausgleich gab es nicht.
Berliner Landesmindestlohn – gesetzlich festgelegte Empfehlung?
Ein weiteres Beispiel des dreisten Ignorierens der vermeintlichen Rechte der Arbeiter ist der Landesmindestlohn. Kamila Weiß beispielsweise arbeitet seit zehn Jahren als Reinigungskraft für den Kreißsaal und die Intensivstation in Neukölln für Vivaclean. Gegenüber dem rbb äußerte sie: „Wir bekommen alle 11,11 Euro pro Stunde“. Ein kurzer Ausflug in das „Mindestlohngesetz für das Land Berlin (Landesmindestlohngesetz – LMiLoG Bln) vom 18. Dezember 2013“:
„§ 4 […] Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Landes Berlin soll mindestens ein Anspruch auf den Mindestlohn nach § 9 eingeräumt werden.“
„§ 9 […] (1) Der Mindestlohn beträgt 12,50 Euro (brutto) je Zeitstunde, solange der Senat keinen höheren Mindestlohn nach Absatz 2 festlegt.“
Doch auch für dieses Problem hat der sehr kluge Vivantes-Sprecher Herr Lang eine Antwort: „Es ist tatsächlich so, dass nicht nur der nackte Stundenlohn, wie er in der Entgelttabelle steht, berechnet wird, sondern auch Zuschläge wie Nachtzuschläge, Feiertagszuschläge oder auch Jahressonderzahlungen.“ Es darf natürlich nicht nur die einfache Lohntabelle betrachtet werden. Herr „Zahlenakrobat“ Lang höchstpersönlich hat sich den Lohnzettel von Frau Weiß angeschaut und ist zu dem Schluss gekommen: „Damit kommt auch Frau Weiß über den Landesmindestlohn.“ Es wird ja auch alles nachgezahlt. Jetzt, wo alles teurer geworden ist, hilft das der alleinerziehenden Reinigungskraft nicht besonders, Geld versprochen zu bekommen. „Das ist sehr schwer, die Überstunden haben mir geholfen, da konnte ich ein wenig mehr verdienen. Seit dem Moment, wo alles teurer geworden ist, komme ich gar nicht klar mit meinem Geld.“
In der anfangs zitierten Pressmitteilung hieß es von der ver.di-Verhandlungsführerin Heike von Gradolewski-Ballin: „Erzielen konnten wir dieses Ergebnis nur, weil die Beschäftigten konsequent für ihre Interessen eingetreten sind: mit Aktionen, mit Entschlossenheit, und mit einem langen Atem.“ Genau richtig erkannt, Frau von Gradolewski, geschenkt wird hier keinem etwas. Und auch nach der Einigung in der Tarifverhandlung muss weiter gekämpft werden. Allein, um das bereits Erreichte zu erhalten. Zum anderen wird auch deutlich: Ver.di übt nicht genug Druck auf die Arbeitgeber aus. „Wir sehen auf Arbeitgeberseite bei der Charité ein bisschen mehr Willen, in die schnelle Umsetzung zu kommen. Das sehen wir bei Vivantes nicht“, sagte die Fachbereichsleiterin der Gewerkschaft Verdi, Jana Seppelt. Dann wird noch einmal an die Gesundheitssenatorin appelliert und das war auch schon das höchste der Gefühle. Eine richtige Kampfansage. Und dieses Beispiel zeigt gerade erneut: kämpfen die Arbeiter nicht für sich selbst, passiert nichts. Die Ver.di-Führung lehnt sich zu sehr zurück, genauso wie die Führung des DGB. Wie sonst lässt sich beispielsweise die Haltung zum 1. Mai in den letzten Jahren erklären? Corona kann nicht die Entschuldigung für alles sein. Weder für eine sich schon vorher abzeichnende ökonomische Überproduktionskrise, noch für ein alles übertreffendes Im-Stich-Lassen der Arbeiter. Bei Livestreams mit Mitgliedern des Berliner Senats Liebesbekundungen austauschen und Bratwurstständen nachtrauern, ist eure Form von Kampf? So tretet ihr für Arbeiter ein, indem ihr euch mit Sozialpartnerschaft umgarnen lasst? Vielen dank auch. Diese Haltung auf die Spitze treibend haben sie für ihre diesjährige 1. Mai-Demonstration auch „Schummel-Franzi“ Giffey eingeladen, eine Rede zu halten und versucht, die Rede gegen den laut geäußerten gerechtfertigten Hass der Teilnehmer zu verteidigen. Die Versprechungen vor der Wahl von Giffey und ihrer rot-grün-roten Regierungsclique waren auch im Bereich des Gesundheitswesens groß. Erfüllt haben sie aber keine davon, genauso wenig wie den bei der Wahl beschlossenen Volksentscheid. Entsprechend war auch die Haltung der Gewerkschaftler und Teilnehmer der diesjährigen 1.Mai-Demonstration des DGB. Sowohl die Rede von Giffey als auch von dem Bundesvorsitz der DGB wurden von Sprechchören übertönt und Giffey mit Eiern beworfen. Was wir wollen und brauchen ist es, diesen Verrat der Gewerkschaftsführungen zu durchbrechen und zusammen in revolutionären Gewerkschaften für unsere Interessen zu kämpfen.
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