Dienstag, 16. August 2022
[IMI-List] [0614] Studie: Ertüchtigung Jordanien / Ausdruck Schwerpunkt Weltraum / Analyse: Giftgas in Syrien
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0614 .......... 25. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser Mail findet sich
1.) Studie: Ertüchtigung und Liberalisierung in Jordanien;
2.) Ausdruck (Juni 2022): Schwerpunkt Weltraum;
3.) IMI-Analyse: OVCW und Chemiewaffen in Syrien.
1.) Studie: Ertüchtigung und Liberalisierung in Jordanien
IMI-Studie 2022/5
Brüchige Stabilität – Ertüchtigung und „militärische Liberalisierung“ in
Jordanien
https://www.imi-online.de/2022/06/13/bruechige-stabilitaet-ertuechtigung-und-militaerische-liberalisierung-in-jordanien/
Jan Sander (13. Juni 2022)
Die Entstehung Jordaniens im Kontext europäischer Kolonialpolitik und
die anhaltenden neo-kolonialen Strukturen prägen das Land bis heute.
Besonders wichtig ist vor diesem Hintergrund das jordanische Militär und
der Sicherheitsapparat im Allgemeinen, welcher nicht nur unter der
direkten Kolonialherrschaft aufgebaut wurde, sondern auch heute noch von
zentraler Bedeutung ist für die Durchsetzung der wirtschaftlichen
Umstrukturierung und der Herrschaftssicherung des Haschemitischen
Königshauses.
Diese Studie soll erste Einblicke in die außen- und innenpolitischen
Konflikte eines Landes geben, welches durch einen militarisierten
Neoliberalismus gezeichnet ist und stellt wichtige Akteur*innen und
Entwicklungen in diesem Umfeld vor. Ein Fokus bildet dabei die Rolle des
Militärs und der von außen beförderten Militarisierungspolitik im
Kontext der neoliberalen Umbrüche in Jordanien aber auch in der Region.
Die ganze Studie kann hier runtergeladen werden.
https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2022-Jordanien.pdf
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Kolonie, Monarchie und das Militär – ein Überblick
3. Die europäische Nachbarschaft
3.1 Neoliberale Eingliederung
3.2 Ertüchtigung für den „Stabilitätsanker“ in der Region
3.3 Krieg gegen den Terror – die Bundeswehr in Al-Azraq
4. Jordanische Waffen im Jemen und Libyen
5. Militärische Stabilität – eine Monarchie unter Druck
5.1 Demokratisierung und leere Versprechen
5.2 Menschenrechte
5.3 Die Rolle des Militärs als Stütze der Monarchie
6. Fazit
7. Anmerkungen
Die ganze Studie kann hier runtergeladen werden.
https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2022-Jordanien.pdf
2.) AUSDRUCK (Juni 2022): Schwerpunkt Weltraum
Soeben ist die Juni-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK erschienen, die
sich im Schwerpunkt mit dem Thema Weltraum beschäftigt.
Die Beiträge des Magazinteils drehen sich nahezu alle aufgrund der
brisanten Lage um unterschiedliche Aspekte des Ukraine-Krieges.
Das Magazin kann wie immer gratis hier heruntergeladen werden:
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-Juni2022-web.pdf
Mitglieder und Fördernde erhalten das Magazin auf Wunsch auch in Print,
wer uns unterstützen möchte:
https://www.imi-online.de/mitglied-werden/imi-mitglied-werden/
SCHWERPUNKT: WELTRAUM
-- Editorial (Christoph Marischka)
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-Juni2022-Editorial.pdf
-- Raketen und Weltraumwaffen (Ben Müller)
https://www.imi-online.de/download/BM-Raketen.pdf
-- Satelliten-Internet im Ukraine-Krieg (Ben Müller)
https://www.imi-online.de/download/BM-Satelliten.pdf
-- Weltraumschrott-Abfuhr-Bataillon (Pablo Flock)
https://www.imi-online.de/download/PF-Schrott.pdf
-- Weltraumprogramme als Technologiepolitik (Christoph Marischka)
https://www.imi-online.de/download/CM-Technologiepoliitk.pdf
-- Goldener Schweif: Geld verdienen mit militärischer Raumfahrt (Andreas
Seifert)
https://www.imi-online.de/download/AS-SChweif.pdf
-- Unendliche Weiten: Weltraum als Militärshow (Andreas Seifert)
https://www.imi-online.de/download/AS-unendlich.pdf
-- Weltraummanöver: Schriever Wargame (Aaron Lye)
https://www.imi-online.de/download/AL-Schriever.pdf
-- Quantenschlüsselverteilung: Von Glasfaser zu Satelliten (Aaron Lye)
https://www.imi-online.de/download/AL-Quanten.pdf
-- Migrationskontrolle aus dem All (Matthias Monroy)
https://www.imi-online.de/download/MM-Migration.pdf
-- Klima- und Umweltkosten der Weltraumnutzung (Jacqueline Andres)
https://www.imi-online.de/download/JA-Klima.pdf
-- Männliche All-Macht: Was Catcalling, Kolonialismus und Raketen
gemeinsam haben (Emma Fahr)
https://www.imi-online.de/download/EF-All-Macht.pdf
MAGAZIN
WAFFEN IM UKRAINE-KRIEG
-- Eskalationsspiralen: Berlin gibt schwere Waffen für Ukraine frei
(Martin Kirsch)
https://www.imi-online.de/download/MK-Eskalationsspiralen.pdf
-- „Raus aus der Eskalationslogik“: Ukraine braucht Diplomatie (Jürgen
Wagner)
https://www.imi-online.de/download/JW-Eskalatinslogik.pdf
-- Drohnen im Ukraine-Krieg: Zusammenfassung (Christoph Marischka)
https://www.imi-online.de/download/CM-Drohnen.pdf
BRD, NATO UND EU IM UKRAINE-KRIEG
-- Gastgeber wider Willen? NATO setzt vier neue Battlegroups durch
(Martin Kirsch)
https://www.imi-online.de/download/MK-Battlegroups.pdf
-- Strategischer Kompass weist den Weg zur Militärmacht EU (Özlem Alev
Demirel und Jürgen Wagner)
https://www.imi-online.de/download/OD-Kompass.pdf
-- Jugendoffizier*innen erklären den Krieg (Jan Sander)
https://www.imi-online.de/download/JS-Jugendoffiziere.pdf
-- Einigung auf Kriegskredit für die Bundeswehr (Jürgen Wagner)
https://www.imi-online.de/download/JW-Kriegskredit.pdf
-- Ja zur NATO? Finnland und Schweden nähern sich Beitritt (Christina Boger)
https://www.imi-online.de/download/CB-Neutrale.pdf
AUSWIRKUNGEN AUF ANDERE REGIONEN
-- Arktische Ratlosigkeit: Krieg in der Ukraine stört die Kooperation in
der Arktis (Ben Müller)
https://www.imi-online.de/download/BM-Ratlos.pdf
-- Hunger am anderen Ende der Welt: Eine globale Folge des Krieges in
der Ukraine (Peter Clausing)
https://www.imi-online.de/download/PC-Hungr.pdf
-- Und wer spricht noch von Jemen? (Jacqueline Andres)
https://www.imi-online.de/download/JA-Jemen.pdf
PROTESTE
-- Blockaden in Ost und West: Protest und Widerstand gegen die Logistik
des Krieges (Jan Hansen)
https://www.imi-online.de/download/JH-Blockade.pdf
SONSTIGE ARTIKEL
-- Chemiewaffen im syrischen Duma: Das gefährliche Spiel mit der
Wahrheit (Hans-C. von Sponeck)
https://www.imi-online.de/download/Sponeck-Syrien.pdf
3.) IMI-Analyse: OVCW und Chemiewaffen in Syrrien
IMI-Analyse 2022/31 - in: AUSDRUCK (Juni 2022)
Chemiewaffen im syrischen Duma
Das Gefährliche Spiel mit der Wahrheit
https://www.imi-online.de/2022/06/13/chemiewaffen-im-syrischen-duma/
Hans-C. von Sponeck (13. Juni 2022)
Am 5. Februar 2003 präsentierte der amerikanische Außenminister Colin
Powell dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen CIA-Bilder aus dem
Irak, die bezeugen sollten, dass die irakische Regierung weiterhin im
Besitz von Massenvernichtungswaffen gewesen sei. Aussagen von UNMOVIC,
der Überwachungs-, Verifikations- und Inspektionskommission der
Vereinten Nationen, dass es hierfür bisher keine Beweise gab, wurden
ignoriert. Sechs Wochen später begann die ‚Operation Iraqi Freedom‘, der
von den USA und Großbritannien geführte, völkerrechtswidrige Krieg.
Ähnliches gibt es über Syrien zu berichten, mit dem Unterschied, dass
hier keine Regierung angebliche Beweise erbringt, sondern die OVCW, die
Organisation für das Verbot chemischer Waffen, eine internationale
Einrichtung mit Sitz in Den Haag.
Am 7. April 2018 war Duma, eine Stadt von 100.000 Menschen unweit von
Damaskus gelegen, angeblich mit chemischen Waffen angegriffen worden.
Die OVCW entsandte daraufhin ein Team von Wissenschaftlern, die in ihrem
Untersuchungsbericht zu dem Schluss kamen, dass 43 Menschen, die
Berichten zufolge bei diesem Angriff getötet wurden, wohl nicht durch
chemische Waffen ihren Tod gefunden hatten. Experten des OVCW-Duma-Teams
entdeckten, dass das OVCW Management anstelle dieses Berichts einen
gefälschten Bericht herausgeben wollte, der besagte, dass chemische
Waffen im Einsatz gewesen seien. Diese Täuschung wurde von OVCW
Wissenschaftlern verhindert. Schließlich enthielt der Endbericht aber
trotzdem manipulierte Darstellungen des Angriffs und unwissenschaftliche
Schlussfolgerungen bezüglich der vorgefundenen chemischen Substanzen,
der nachgewiesenen Toxikologie und der Ballistik.
Weiterhin berief sich die OVCW auf die Aussagen von nur einer der zwei
Gruppen von Zeitzeugen, die identifiziert worden waren. Dabei handelte
es sich um eine Gruppe syrischer Flüchtlinge, die mit Hilfe von den
White Helmets (1) in der Türkei befragt worden waren. Bei der zweiten
Gruppe von Zeugen handelte es sich hauptsächlich um medizinisches
Personal in Damaskus, die angaben, dass sie in dem Krankenhaus zu der
Zeit arbeiteten, als Opfer des angeblichen Chemiewaffen-Angriffs
medizinische Hilfe suchten. Die Aussagen dieser Zeugengruppe deuteten
darauf hin, dass die Inhalation von Staub und Rauch, nicht aber eine
chemische Vergiftung, die Ursache des Unwohlseins der Patienten gewesen
war. Auf diese wichtigen Aussagen wurde in dem OVCW-Bericht nicht
hingewiesen. Der Bericht über die von den White Helmets befragten Zeugen
wird in dem OVCW-Bericht hingegen hervorgehoben dargestellt. Diese
wiedergegebenen Zeugenaussagen wurden ohne Prüfungsmöglichkeiten
akzeptiert, obwohl die Aussagen oft widersprechend waren, besonders auch
im Hinblick auf die Frage der chemischen Vergiftung.
Unregelmäßigkeiten und Blockaden
Wegen dieser verschiedenen ernsten Unregelmäßigkeiten wandten sich
mehrere OVCW-Experten schriftlich an den OVCW-General-Direktor (DG)
Fernando Arias mit dem Ersuchen, dass die offizielle Duma-Darstellung
mit dem ursprünglichen OVCW-Duma-Team dringend diskutiert werden müsse.
Die Öffentlichkeit wurde auf diesen gravierenden Widerspruch aufmerksam,
als interne OVCW Dokumente (2) bekannt wurden und durch Aussagen von
OVCW-Wissenschaftlern, die zu dem OVCW-Untersuchungsteam gehörten. (3)
Die Stimmen, die eine transparente Aufdeckung verlangten, mehrten sich.
Gefordert wurde, dass alle an der Duma-Untersuchung beteiligten
OVCW-Wissenschaftler vom OVCW-General-Direktor eingeladen werden
sollten, um in einer gemeinsamen Prüfung jeden Verdacht auf
Berichtsfälschungen auszuräumen. Das geschah nicht, im Gegenteil. Ob im
UNO-Sicherheitsrat, im EU-Parlament oder in Gesprächen mit Politikern,
wo immer er konnte, unterstrich DG Arias, dass er die Schlussfolgerungen
des (manipulierten) Duma-Berichts voll unterstütze. (4)
Westliche Regierungen, besonders die von den Vereinigten Staaten,
Großbritannien und Frankreich, die am 18. April 2018 die Luftangriffe
gegen Syrien durchgeführt hatten, beteuerten im UNO-Sicherheitsrat und
in öffentlichen Stellungsnahmen, dass sie von der professionellen
Glaubwürdigkeit der OVCW und ihres General-Direktors voll überzeugt
seien. Diese Angriffe hatten sie als Bestrafung für den angeblichen
Einsatz Syriens von chemischen Waffen in Duma deklariert. Unerwähnt
blieb allerdings die Tatsache, dass die Luftangriffe vor (!) der
OVCW-Untersuchung stattgefunden hatten.
Jeder Versuch von Wissenschaftlern und Kennern des Mittleren Ostens, die
Erkenntnisse über mögliche (Ver-)Fälschungen der OVCW-Berichte innerhalb
der OVCW zu diskutieren, wurde vom OVCW-Management und von westlichen
Regierungen boykottiert. Auch im Rahmen der regelmäßigen
Syrien-Aussprachen im UN-Sicherheitsrat war eine Diskussion darüber
nicht möglich. Überraschend war das nicht, schließlich sollte verhindert
werden, dass die Berechtigung der Luftangriffe auf Duma öffentlich in
Frage gestellt werden könnte. Die Tatsache, dass solche Luftangriffe
völkerrechtswidrig waren, spielte ohnehin kaum eine Rolle.
Selbst die Teilnahme des ehemaligen DG der OVCW, Botschafter José
Bustani, an einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrates wurde auf Druck
westlicher Sicherheitsratsmitglieder verhindert, obwohl er zu einer
Stellungnahme eingeladen worden war. Die Weigerung wurde damit
begründet, „Bustani hätte die Organisation zehn Jahre vor Duma verlassen
und könnte daher keinen Diskussionsbeitrag leisten“. (4) In seiner
Stellungnahme, die schließlich vom Botschafter der Russischen Föderation
Vassily Nebenzia vorgetragen wurde, sprach Bustani u.a. über die
Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Professionalität der OVCW und über
den Druck, der von ‚einigen‘ Mitgliedsstaaten auf die Organisation
ausgeübt wurde. Er fügte hinzu: „If the OPCW is confident in the
robustness of its scientific work on Douma and the integrity of its
investigation, then it has little to fear in hearing out its inspectors.
However, OPCW continues to hide behind an impenetrable wall of
silence…making dialogue impossible.” (5) [Wenn die OPCW von der
Robustheit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu Duma und der Integrität
ihrer Arbeit überzeugt ist, sollte sie von einer Anhörung ihrer
Inspektoren nichts zu befürchten haben. Stattdessen versteckt sie sich
hinter einer undurchdringlichen Mauer des Schweigens … und verunmöglicht
Dialog“]
Die BerlinGroup21 wird aktiv
Auf Grund der beschriebenen Ereignisse um Duma bildete sich Ende 2020
die ‚BerlinGroup21‘ (BG21). Dabei handelt es sich um eine kleine Gruppe
von Personen, die das Ziel verfolgt, die Öffentlichkeit über die
Kontroverse um den angeblichen Einsatz von Chemiewaffen in Duma (6)
weiter zu informieren. BG21 veröffentlichte im März 2021 eine ‚Erklärung
der Besorgnis‘ (Statement of Concern), die von 28 international
respektierten Personen unterschrieben und veröffentlicht wurde.
Zu den Unterzeichnern gehören u.a. vier leitende OVCW Mitarbeiter sowie
der ehemalige OVCW-Generaldirektor Botschafter Bustani, Lord West,
Erster See Lord und Stabschef der britischen Marine a.D., und andere
Personen mit langjährigen juristischen, militärischen,
nachrichtendienstlichen und diplomatischen Erfahrungen. (7)
Diese Erklärung weist hin auf die ernsthaften wissenschaftlichen
Unregelmäßigkeiten und inhaltlichen Auslassungen in den herausgegebenen
OVCW-Duma-Berichten, fordert Transparenz, die Anhörung von
OVCW-Inspektoren und die Rechenschaftspflicht aller Beteiligten. Gewarnt
wird vor einer Diskreditierung der Organisation, sollte keine Anhörung
stattfinden. Hingewiesen wurde auch darauf, dass die OVCW-Handhabung der
Duma-Untersuchung, die Verlässlichkeit anderer OVCW-Berichte über Syrien
in Frage stellen könnte. Zum Beispiel die Untersuchung über den Angriff
von 2017 in Khan Shaykhun.
Die Erklärung wurde von der BG21 an alle 193 UNO- und
OVCW-Mitgliedsstaaten, die Präsidenten der UNO-Generalversammlung, des
UNO-Sicherheitsrates sowie des Menschenrechtsrates geschickt.
Generalsekretär António Guterres, die Hochkommissarin für Menschenrechte
Michelle Bachelet und der Vorsitzende der UNO-Kommission für Syrien,
Paolo Sergio Pinheiro, wurden ebenfalls unterrichtet und alle wurden um
eine Stellungnahme gebeten. OVCW-DG Arias wurde brieflich in Kenntnis
gesetzt.
UNO und OVCW schweigen
Die Reaktion der kontaktierten multilateralen Einrichtungen kann nur als
erschütternd bezeichnet werden. Alle ‚politischen‘ Teile der UNO, d.h.
die Generalversammlung und der Sicherheitsrat in New York sowie der
Menschenrechtsrat in Genf, reagierten überhaupt nicht. Beamte, als
Vertreter der ‚operationalen‘ UNO, d.h. der Generalsekretär, die
Hochkommissarin für Menschenrechte und die Unter-Generalsekretärin für
Abrüstungsfragen, reagierten ebenfalls nicht. Nur der Leiter der
UNO-Syrien Untersuchungskommission bestätigte den Empfang mit einem
kurzen Hinweis, dass Duma nicht zu den von der Kommission untersuchten
Orten gehörte. Der General-Direktor der OVCW bezeugte den Empfang der
Erklärung damit, dass er das Schreiben ungeöffnet (!) an die BG21
zurücksandte.
Stellung zu nehmen in einer Auseinandersetzung darüber, ob der
OVCW-Auftrag zur Untersuchung eines möglichen Einsatzes von Chemiewaffen
in Duma möglicherweise verletzt wurde, ist fraglos eine schwere Aufgabe
für den Verwaltungsrat der Organisation. Aber auch für die Vereinten
Nationen, besonders für Führungspersonen der UNO, wie Guterres,
Bachelet, Pinheiro und Nakamitsu ist es eine Herausforderung, zumal es
zu deren Grundverantwortung gehört, sich für Frieden und Sicherheit
einzusetzen. Dazu gehört auch das Thema Massenvernichtungswaffen und
damit auch das Geschehen in Duma.
Die Öffentlichkeit erwartet von solchen Führungspersonen die
Bereitschaft, Unrecht aufzudecken und dazu beizutragen, dass
wissenschaftliche Erkenntnisse entpolitisiert werden. Einrichtungen der
Vereinten Nationen, die mit Abrüstung, Mediation und dem Schutz der
Bevölkerung zu tun haben, verlieren ihre Daseinsberechtigung, wenn sie
diese Grundverpflichtungen nicht ernst nehmen.
Die Bedeutung verfälschter OVCW-Duma-Berichte, die westliche
militärische Angriffe in Syrien legitimieren sollen, wiegt noch
schwerer, wenn die Informationen zu Duma in einem größeren historischen
Kontext beurteilt werden. Im Rahmen dieses Beitrags möge das Beispiel
des Nachbarlandes Irak genügen, um deutlich zu machen, welche Gefahren
für Menschen, Organisationen und auch für das internationale Recht
entstehen, wenn das ‚Große Spiel‘ systematisch mit falschen Karten
gespielt wird.
Erinnerungen an den Irak
In den späten 1990iger Jahren wurde im UNO-Sicherheitsrat intensiv
diskutiert, ob die Regierung von Saddam Hussein ihre
Abrüstungsbedingungen erfüllt hatte oder nicht. Die einen meinten, der
Irak sei abgerüstet, andere, zu denen Scott Ritter gehörte - in der Zeit
einer der führenden UNO-Abrüstungsexperten - sagten, dass der Irak, wenn
nicht quantitativ so doch qualitativ abgerüstet war und damit keine
Gefahr mehr darstellen konnte.
Nachdem das gesamte UNO Abrüstungsteam am 16. Dezember 1998 aus Bagdad
evakuiert worden war und das Büro von UNSCOM mit seinen chemischen und
biologischen Labors geschlossen wurde, begann die ‚Operation Desert
Fox‘, die vier Nächte dauernde völkerrechtswidrige Bombardierung von
Bagdad durch die amerikanische Luftwaffe. Washington hatte zuvor den
damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan kurzfristig über diesen
militärischen Einsatz informiert. Gleichzeitig hatte dieser die
politisch richtige Entscheidung getroffen, UN-Mitarbeiter nach Jordanien
zu evakuieren, aber gleichzeitig ein Team von 28 internationalen
UNO-Mitarbeitern des humanitären Öl-für-Nahrungsmittel-Programms im Irak
zu belassen.
Dieser Hinweis ist relevant, weil in den folgenden Monaten die Sorge der
UNO-Mitarbeiter in Bagdad zunahm, ob möglicherweise von den Substanzen,
die in den geschlossenen UNO-Abrüstungslabors gelagert waren, Gefahren
ausgehen könnten. Das traf vor allem auf die irakischen UNO-Mitarbeiter
zu, die mehr wussten als ihre ausländischen Kollegen, da sie
zweifelsohne mit dem irakischen Geheimdienst, dem Muhaberat, in Kontakt
standen. (8)
Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen
Abteilungen der Vereinten Nationen in New York entschied Kofi Annan im
Juni 1999, der OVCW den Auftrag zu geben, eine Untersuchungsmission nach
Bagdad zu schicken. Sie hatte den Auftrag, die toxischen Substanzen der
chemischen und biologischen Abrüstungslabors zu zerstören. Die
Untersuchungsmission sollte alle Räume der UNO-Abrüstungsbehörde in
Bagdad untersuchen, mit Ausnahme der Zimmer 252 und 253A, „da in diesen
Räumen Dinge gelagert waren, die einer ausländischen Regierung gehörten“!
Es war kein Geheimnis, dass damit die amerikanische Regierung gemeint
war. Diese Einschränkung bedeutete, dass UNO-Mitarbeiter amerikanischer
Nationalität über einen privilegierten Sonderstatus im UNO-Gebäude in
Bagdad verfügten. Und dass obwohl genau im UNO-Gebäude die
Abrüstungsuntersuchungen unparteilich und mit äußerster
wissenschaftlicher Sorgfalt durchgeführt werden sollten. Was für ein
Missbrauch einer internationalen Einrichtung!
Man muss sich auch fragen, warum die Vereinten Nationen der OVCW mit dem
einzigen Auftrag Substanzen zu zerstören, einen so engen Bezugsrahmen
für ihre Irak-Mission gegeben haben? War dieser Rahmen gedankenlos oder
bewusst gewählt worden? Warum war die UNO nicht daran interessiert, den
Ursprung der in den Laboratorien gelagerten Substanzen zu ergründen?
Dr. Amer al-Sa’adi, ein erfahrener irakischer Wissenschaftler, der nicht
der Baath-Partei der Regierung angehörte, wollte von der OVCW-Mission
genau dies wissen. Als Vertreter des irakischen
Verteidigungsministeriums traf Al-Sa’adi die vier OVCW-Wissenschaftler,
drei Chemieexperten und einen Biologie-Experten, im UNO Gebäude in
Bagdad. Als er hörte, dass die Experten nur gekommen waren, um
vorgefundene Substanzen zu zerstören, sagte er: „Damit nehmen Sie dem
Irak die letzte Möglichkeit zu beweisen, dass das VX nicht aus
irakischem Besitz, sondern von außen eingeführt worden ist!“ (9) Bis
heute ist diese Frage nicht geklärt.
Diese wichtige Begebenheit passt wie ein Backstein in das Irak-Gebäude,
das die US-Regierung der damaligen Zeit versuchte mit wiederholten
Falschinformationen und Destabilisierung aufzubauen.
Primäres Ziel dabei war ein Regimewechsel (regime change), um das Land
von seinem Diktator zu befreien.(10) Weltweit bekannt sind die
vorgetäuschten ‚Beweise‘, die Außenminister Colin Powell am 5. Februar
2003 dem UNO Sicherheitsrat vorlegte. Er beharrte darauf, dass der Irak
weiterhin im Besitz von Massenvernichtungswaffen sei, die es aber gar
nicht gab. Weniger bekannt ist ein amerikanischer Luftangriff vom April
1999 nördlich von Mosul, bei dem laut einer Presseerklärung irakische
‚Radar- und Artillerieanlagen‘ angeblich zerstört worden waren.
Tatsächlich verloren bei diesem Angriff sechs Schäfer und ihre Herde von
101 Schafen ihre Leben. (11)
BG21 fordert Aufklärung statt Einschüchterung
Was hat all dies mit OVCW und Duma zu tun? Zunächst einmal hat es nichts
mit einer Verteidigung der gegenwärtigen syrischen Regierung von Bashar
al-Assad zu tun oder der damaligen irakischen Regierung von Saddam
Hussein. Bei den Bemühungen der BerlinGroup21 geht es ausschließlich
darum, die Wahrheit, die wissenschaftliche Arbeit, das internationale
Recht und die Integrität der OVCW und der Vereinten Nationen zu
schützen. Nur aus diesen Gründen hat die BG21 Zeit und Energie
aufgewandt, um auf die Strategie westlicher, besonders amerikanischer
Politik hinsichtlich der Diktaturen in Syrien und vormals im Irak
hinzuweisen. Dazu gehörten im Irak und gehören in Syrien neben der
Manipulation von Fakten andere ‚Zutaten‘ wie die folgenden:
• einzelne Experten und Gruppen werden daran gehindert, in
internationalen und nationalen Gremien zu sprechen und
Falschinformationen zu berichtigen;
• Einrichtungen, wie der OVCW und der UNO, wird mit Beitragskürzungen
gedroht; (12)
• Computer werden gehackt, um den Austausch von kritischen
Informationen zu behindern;
• Sabotagen und Operationen unter falscher Flagge werden durchgeführt;
• Nationale Minderheiten und oppositionelle Gruppen werden verdeckt
finanziell unterstützt;
• Beamte der OVCW und der UNO werden bedroht. (13)
BG21 ist sich voll bewusst, dass diese Aussage von mancher Seite mit
harten Worten und Häme zurückgewiesen wird. Allen, die sich dafür
einsetzen, die Wahrheit über das Geschehen in Duma ans Licht zu bringen,
wird Inkompetenz, Naivität und Bestechlichkeit vorgeworfen und dass sie
Handlanger seien. Das wird allerdings die international respektierten
Persönlichkeiten, die die „Erklärung der Besorgnis“ unterzeichnet
haben, nicht davon abhalten, auf ihren berechtigten Forderungen zu
bestehen. (14)
Abgeordnete eines Parlaments in Europa haben einen Bericht über Duma
angefordert. Dieser ist von der BG21 im Entwurf fertiggestellt worden
und wird in Kürze diesem Parlament vorgelegt werden. Dieser umfassende
und analytische Bericht, der auf authentischen Dokumenten beruht, die im
Besitz der Öffentlichkeit sind, stellt detailliert dar, wie Beweise
unterdrückt wurden, wissenschaftlicher Betrug und Regelwidrigkeit
stattfanden.
Es ist zu hoffen, dass das OVCW-Management den Bericht der BerlinGroup21
ernsthaft in Betracht zieht, indem es einer transparenten und inklusiven
Beteiligung aller Inspektoren, die an der Duma- Untersuchung
teilgenommen haben, zustimmt, um den veröffentlichten OVCW-Bericht neu
beurteilen zu können.
Fußnoten
(1) Die sog. ‚White Helmets‘ operierten hauptsächlich in Gebieten der
syrischen Opposition. Wie aus Wikileaks Beiträgen zu ersehen ist, haben
die ‚White Helmets‘ eine äußerst fragwürdige Reputation;
(2) Brian Whitaker, ehemaliger Middle East Editor, The Guardian, “OPCW
and the leaked Douma Documents: What we Know so far.” (21 May 2019)
(3) z.B. in seinem Gespräch mit UNO Generalsekretär Guterres am
6.November 2019 in New York;
(4) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (GPIL);
(5) UN/S/Pv.8764 (5 Oct. 2020);
(6) Gründungsmitglieder der BG21 sind Botschafter José Bustani, ehem.
General Direktor der OVCW; Dr. h.c. Hans-C. von Sponeck, Beigeordneter
UNO General-Sekretär a.D. und Professor Richard Falk, Professor Emeritus
für internationales Recht, Princeton University;
(7) siehe: www.BerlinGroup.org;
(8) Irakische UNO-Mitarbeiter mussten in regelmäßigen Abständen dem
irakischen Geheimdienst über ihre Arbeit in der UNO berichten.
(9) Der Autor hatte an dieser Besprechung teilgenommen. Siehe auch: H.C.
von Sponeck „A Different Kind of War – The UN Sanctions Regime in
Iraq”, Seite 230;
(10) Der „Iraq Liberation Act“ von 1998 besagt: „It should be the policy
of the United States to support efforts to remove the regime headed by
Saddam Hussein from power in Iraq.” Das Gesetz wurde am 31. Oktober 1998
von US Präsident Bill Clinton unterschrieben;
(11) siehe: Presseerklärung des US European Command (USEUCOM) vom 30.
April 1999;
(12) Die amerikanische Regierung bezahlt 20% des OVCW Jahresbudgets;
(13) US Botschafter John Bolton erklärte anlässlich eines Besuchs der
OVCW in Den Haag gegenüber DG Bustani: „We know where your children live!“
(14) Am 12.Mai 2021 erklärte die dt. Botschafterin bei der OVCW, Gudrun
Lingner, in einem internationalen Webinar mit Hinweis auf die „Erklärung
der Besorgnis“ und der Aussagen der 28 Persönlichkeiten, zu denen auch
vier deutsche Personen gehören, u.a. der Mitgründer der deutschen
Sektion von IPPNW, Professor U. Gottstein: ‚They are throwing mud again
and again, even when clear answers have been given,.…throwing mud hoping
that something might stick…“.
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