»Das ist eine Art
Zwei-Klassen-Justiz«
BGH-Urteil bestätigt Strafe für Waffenschmiede Heckler & Koch.
Freisprüche für oberste Führungsebene. Ein Gespräch mit Jürgen Grässlin
Interview: Gitta Düperthal
junge Welt v. 06.04.2021
Jürgen Grässlin ist Sprecher der »Aktion Aufschrei – Stoppt den
Waffenhandel!«, Vorsitzender des »Rüstungsinformationsbüros« (RIB e. V.)
und Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
Im Fall der illegalen Rüstungsexporte von Heckler & Koch, H & K, nach
Mexiko hatten Sie Strafanzeige gestellt. Dem Konzern wurden nun nach dem
Urteil des Bundesgerichtshofs, BGH, in Karlsruhe am Dienstag (siehe jW
vom 31.3.) mehr als drei Millionen Euro aus dem Geschäft eingezogen.
Aber wurden auch die Entscheider im Rüstungskonzern und im
Wirtschaftsministerium zur Verantwortung gezogen?
Erstmalig in der mehr als 70jährigen Konzerngeschichte des größten
Exporteurs sogenannter Kleinwaffen konnten wir eine Verurteilung wegen
widerrechtlichen Waffenhandels erreichen. Dass H & K aufgrund der
illegalen Exporte nicht nur den Gewinn, sondern den gesamten Umsatz des
Geschäftes verliert, signalisiert: Diese Vergehen können teuer werden.
Ein Schritt in die richtige Richtung ist auch die Verurteilung der
beiden Mitverantwortlichen, einer ehemaligen Sachbearbeiterin und eines
Exvertriebsleiters. In diesem Sinne haben sich die immensen Recherchen
und die Strafanzeige gelohnt. Wir kritisieren aber, dass das unsägliche
Urteil des Landgerichts Stuttgart teilweise Bestand hat. Die oberste
Führungsebene kam mit Freisprüchen davon, so auch der damalige
H-&-K-Geschäftsführer Peter Beyerle, ehemals Präsident des Landgerichts
Rottweil. Das ist eine Art Zwei-Klassen-Justiz.
Waren es denn nur Bauernopfer?
Nein, die beiden Verurteilten waren Part des Exportdeals, der dazu
führte, dass von 2006 bis 2009 rund 10.000 »G 36«-Gewehre an das
Verteidigungsministerium Mexikos verkauft wurden – davon mehr als 4.200
widerrechtlich in die Unruheprovinzen Chiapas, Chihuahua, Jalisco und
Guerrero. Insgesamt hatte ich über meinen Rechtsanwalt Holger Rothbauer
rund 15 Leute bei H & K angezeigt. Aus meiner Sicht gab es nicht
nachvollziehbare Freisprüche. In Baden-Württemberg landen solcheFälle
immer vor der Wirtschaftsstrafkammer in Stuttgart, die offenbar eine
geistige Nähe zu Rüstungsproduzenten zu haben scheint.
Wie genau gelangten die Gewehre von Oberndorf ins mexikanische Krisengebiet?
Anton Saefkow Haus - Kollektiv e.V.
Der ehemalige H-&-K-Handelsvertreter Markus Bantle soll
Endverbleibserklärungen ausgetauscht haben, so dass die gelieferten
Waffen die Unruheprovinzen trotz des Verbotes erreichten. Aber solange
er als mexikanischer Staatsbürger das Land nicht verlässt, ist für die
deutsche Justiz kein Zugriff möglich.
Was müsste sich im Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesamt für
Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ändern? Es soll Kumpanei zum
Waffenkonzern, wenn nicht Korruption gegeben haben.
Die Verantwortlichen der Kontrollbehörden wurden im Lauf des Stuttgarter
Verfahrens vom damals zuständigen Staatsanwalt Peter Vobiller entlastet.
Ungeachtet deren enger Kooperation mit H & K stellte er die Ermittlungen
ein.
Es ging auch dabei um die Verletzung von Menschenrechten, um
verschleppte und hingerichtete Lehramtsstudenten in Mexiko. Wie war der
Umgang mit Betroffenen?
Wir kritisieren scharf, dass Opfer beziehungsweise deren Angehörige
nicht zur Nebenklage zugelassen wurden. Seit 2006 wird in mexikanischen
Unruheprovinzen mit »G 36«-Sturmgewehren von H & K geschossen und gemordet.
Wir drängen darauf, dass Heckler & Koch einen Opferfonds gründetund die
Firma zumindest versucht, Betroffenen zu helfen – schließlichhat das
Unternehmen weltweit Millionen Kleinwaffen in Umlauf gebracht. Täglich
werden durchschnittlich mehr als 100 Menschen mit H-&-K-Waffen getötet.
Der Vorsitzende Richter des BGH, Jürgen Schäfer, insistierte, dass es
Aufgabe des Gesetzgebers sei, die Rechtslage zu ändern. Waffenexportean
menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten müssen sofort
verboten werden. Bis jetzt gelten Waffenexporte an NATO-Mitglieder wie
die Türkei als positiv, obgleich deren Streitkräfte Kurdinnen und Kurden
im eigenen Land ermorden und exterritorial im Irak und Syrien
intervenierten. Wir fordern seitens unserer Kampagne »Aktion Aufschrei«
ein extrem striktes Rüstungsexport-Kontrollgesetz.
https://www.jungewelt.de/artikel/399930.illegale-waffenexporte-nach-mexiko-das-ist-eine-art-zwei-klassen-justiz.html
_______________________________________________BGH-Urteil bestätigt Strafe für Waffenschmiede Heckler & Koch.
Freisprüche für oberste Führungsebene. Ein Gespräch mit Jürgen Grässlin
Interview: Gitta Düperthal
junge Welt v. 06.04.2021
Jürgen Grässlin ist Sprecher der »Aktion Aufschrei – Stoppt den
Waffenhandel!«, Vorsitzender des »Rüstungsinformationsbüros« (RIB e. V.)
und Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
Im Fall der illegalen Rüstungsexporte von Heckler & Koch, H & K, nach
Mexiko hatten Sie Strafanzeige gestellt. Dem Konzern wurden nun nach dem
Urteil des Bundesgerichtshofs, BGH, in Karlsruhe am Dienstag (siehe jW
vom 31.3.) mehr als drei Millionen Euro aus dem Geschäft eingezogen.
Aber wurden auch die Entscheider im Rüstungskonzern und im
Wirtschaftsministerium zur Verantwortung gezogen?
Erstmalig in der mehr als 70jährigen Konzerngeschichte des größten
Exporteurs sogenannter Kleinwaffen konnten wir eine Verurteilung wegen
widerrechtlichen Waffenhandels erreichen. Dass H & K aufgrund der
illegalen Exporte nicht nur den Gewinn, sondern den gesamten Umsatz des
Geschäftes verliert, signalisiert: Diese Vergehen können teuer werden.
Ein Schritt in die richtige Richtung ist auch die Verurteilung der
beiden Mitverantwortlichen, einer ehemaligen Sachbearbeiterin und eines
Exvertriebsleiters. In diesem Sinne haben sich die immensen Recherchen
und die Strafanzeige gelohnt. Wir kritisieren aber, dass das unsägliche
Urteil des Landgerichts Stuttgart teilweise Bestand hat. Die oberste
Führungsebene kam mit Freisprüchen davon, so auch der damalige
H-&-K-Geschäftsführer Peter Beyerle, ehemals Präsident des Landgerichts
Rottweil. Das ist eine Art Zwei-Klassen-Justiz.
Waren es denn nur Bauernopfer?
Nein, die beiden Verurteilten waren Part des Exportdeals, der dazu
führte, dass von 2006 bis 2009 rund 10.000 »G 36«-Gewehre an das
Verteidigungsministerium Mexikos verkauft wurden – davon mehr als 4.200
widerrechtlich in die Unruheprovinzen Chiapas, Chihuahua, Jalisco und
Guerrero. Insgesamt hatte ich über meinen Rechtsanwalt Holger Rothbauer
rund 15 Leute bei H & K angezeigt. Aus meiner Sicht gab es nicht
nachvollziehbare Freisprüche. In Baden-Württemberg landen solcheFälle
immer vor der Wirtschaftsstrafkammer in Stuttgart, die offenbar eine
geistige Nähe zu Rüstungsproduzenten zu haben scheint.
Wie genau gelangten die Gewehre von Oberndorf ins mexikanische Krisengebiet?
Anton Saefkow Haus - Kollektiv e.V.
Der ehemalige H-&-K-Handelsvertreter Markus Bantle soll
Endverbleibserklärungen ausgetauscht haben, so dass die gelieferten
Waffen die Unruheprovinzen trotz des Verbotes erreichten. Aber solange
er als mexikanischer Staatsbürger das Land nicht verlässt, ist für die
deutsche Justiz kein Zugriff möglich.
Was müsste sich im Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesamt für
Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ändern? Es soll Kumpanei zum
Waffenkonzern, wenn nicht Korruption gegeben haben.
Die Verantwortlichen der Kontrollbehörden wurden im Lauf des Stuttgarter
Verfahrens vom damals zuständigen Staatsanwalt Peter Vobiller entlastet.
Ungeachtet deren enger Kooperation mit H & K stellte er die Ermittlungen
ein.
Es ging auch dabei um die Verletzung von Menschenrechten, um
verschleppte und hingerichtete Lehramtsstudenten in Mexiko. Wie war der
Umgang mit Betroffenen?
Wir kritisieren scharf, dass Opfer beziehungsweise deren Angehörige
nicht zur Nebenklage zugelassen wurden. Seit 2006 wird in mexikanischen
Unruheprovinzen mit »G 36«-Sturmgewehren von H & K geschossen und gemordet.
Wir drängen darauf, dass Heckler & Koch einen Opferfonds gründetund die
Firma zumindest versucht, Betroffenen zu helfen – schließlichhat das
Unternehmen weltweit Millionen Kleinwaffen in Umlauf gebracht. Täglich
werden durchschnittlich mehr als 100 Menschen mit H-&-K-Waffen getötet.
Der Vorsitzende Richter des BGH, Jürgen Schäfer, insistierte, dass es
Aufgabe des Gesetzgebers sei, die Rechtslage zu ändern. Waffenexportean
menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten müssen sofort
verboten werden. Bis jetzt gelten Waffenexporte an NATO-Mitglieder wie
die Türkei als positiv, obgleich deren Streitkräfte Kurdinnen und Kurden
im eigenen Land ermorden und exterritorial im Irak und Syrien
intervenierten. Wir fordern seitens unserer Kampagne »Aktion Aufschrei«
ein extrem striktes Rüstungsexport-Kontrollgesetz.
https://www.jungewelt.de/artikel/399930.illegale-waffenexporte-nach-mexiko-das-ist-eine-art-zwei-klassen-justiz.html
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