Donnerstag, 30. Juni 2022

Pflegebedürftig im Alter - oder “Was kostet eine Polin?”

Eine Betroffene berichtet: Meine Mutter ist seit 2017 pflegebedürftig und alleinlebend im Eigenheim mit damals Pflegegrad 2. Zur Unterstützung und Entlastung wurde zu diesem Zeitpunkt ein Pflegedienst beauftragt, der bei meiner Mutter täglich das Frühstück richtete, sich um die Morgenhygiene kümmerte und die vorsortierten Medikamente verabreichte. Mittagessen lieferte ein externer Dienst. Hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Putzen, Waschen, Einkaufen übernahmen wir Angehörige. Pflegende Angehörige erhalten bei Pflegegrad 2 zurzeit ein Pflegegeld in Höhe von 316 Euro sowie 724 Euro Pflegesachleistungen - diese jedoch nur bei professioneller Versorgung, also durch einen Pflegedienst, der seine Tätigkeiten über Kombinationsleistungen direkt mit der Pflegekasse abrechnet. Mittlerweile hat sich der Pflegebedarf meiner Mutter so stark erhöht, dass sie nicht mehr alleine leben kann. Da sie eine Heimunterbringung ablehnte, haben wir uns für eine 24-Stunden-Betreuung entschieden. Seit nunmehr eineinhalb Jahren wird sie von polnischen Pflegekräften versorgt, die die Tätigkeiten, die ehemals der Pflegedienst und wir Angehörigen geleistet haben, übernehmen und noch vieles mehr. An die polnische Agentur sind monatlich 2.750 Euro zu zahlen, die der Pflegebedürftige aufbringen muss. 2.434 Euro müssen also selbst finanziert werden - zuzüglich Kosten für An- und Abreise der jeweiligen Pflegekraft sowie einen monatlichen Beitrag an die Vermittlungsagentur in Deutschland. Die einzige Refinanzierungsmöglichkeit besteht über die Verhinderungspflege mit maximal 2.418 Euro im Jahr. Eine Finanzierung über Pflegesachleistungen ist nicht möglich, da gemäß § 36 SGB XI (4) diese ausschließlich von “geeigneten Pflegekräften erbracht werden, die entweder von der Pflegekasse oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, angestellt sind. Auch durch Einzelpersonen mit denen die Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 Absatz 1 abgeschlossen hat, kann häusliche Pflegehilfe als Sachleistung erbracht werden”. Ähnlich verhält es sich mit den Ersatzleistungen von 125 Euro monatlich, die auch nur von “geeigneten Pflegekräften” oder von Menschen mit einem entsprechenden Zertifikat im Rahmen der Nachbarschaftshilfe erbracht und direkt mit der Pflegekasse abgerechnet werden können. Es ist ein Unding, dass der Pflegedienst seine Tätigkeiten über die Pflegesachleistungen abrechnen kann und die polnischen Betreuungskräfte, die die gleiche Arbeit mit der gleichen Qualität verrichten, nicht darüber abzurechnen sind. Außerdem möchte ich in diesem Zusammenhang auf ein weiteres No-Go hinweisen - Menschenhandel in der Pflege. Um eine polnische 24-Stunden-Pflegekraft zu bekommen, muss man mit einer Agentur in Deutschland einen “Vermittlungsvertrag” abschließen - monatliche Kosten 75 Euro. Deren Aufgabe besteht darin, Pflegekräfte zu generieren, um die Pflege ohne Unterbrechung sicherzustellen. Diese Agentur nimmt ihrerseits Kontakt mit einem polnischen Arbeitsvermittlungsdienst auf, mit dem dann ein weiterer Vertrag über die Entsendung der Pflegekräfte abgeschlossen werden muss. Für ihre Arbeit erhalten diese Pflege- und Betreuungskräfte lediglich 60 Prozent des an den polnischen Arbeitsvermittler gezahlten Betrages (2.750 Euro), 40 Prozent streicht er selber ein. Bei einer zugrunde gelegten täglichen Arbeitszeit von acht Stunden sind wir von einem Mindestlohn mehr als meilenweit entfernt.

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