Nafta: Neuverhandeln oder verlassen? Ein Kommentar
Von Alejandro NadalMexiko-Stadt, 28. Juni 2017, la jornada).- Während seiner Wahlkampagne hatte Trump vielfach die Notwendigkeit betont, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA neu zu verhandeln oder sogar zu verlassen. Einmal im Weißen Haus installiert, hat die Rhetorik Anpassungen und kleine Änderungen erlitten, aber die Botschaft blieb im Wesentlichen gleich.
Der US-Präsident benutzte die Rhetorik gegen
NAFTA und andere Handelsabkommen als demagogische Wahlstrategie,
die auf dem Thema des Verlustes von US-Arbeitsplätzen beruhte.
Trump schaffte es, mit einer stark rassistischen Zutat
Sündenböcke zu kreieren.
Über einige allgemeine Erklärungen hinaus hat
die mexikanische
Regierung nicht bekanntgegeben welches ihre Strategie sein wird,
falls es zu Verhandlungen kommt, die den Vertrag revidieren.
Fest steht, dass die demagogische Abfuhr Trumps die mexikanischen Funktionär*innen auf dem kalten Fuß
erwischte. Sie waren daran gewöhnt, NAFTA als den Anker zu
sehen, der das neoliberale Modell in Mexiko festhalten würde.
Handelsöffnung brachte Handelsdefizit
Die NAFTA-Verteidiger*innen weisen gerne
darauf hin, dass die Handelsbilanz mit den USA systematisch
einen Überschuss für Mexiko erbracht hat. Doch dieser positive
Saldo war nicht ausreichend, den negativen Saldo der
Handelsbilanz mit dem Rest der Welt aufzuwiegen. Im Gegenteil,
die tölpelhaft Handelsöffnung, die nur einigen wenigen
Großkonzernen nützte, war stets von einem chronischen
Handelsdefizit begleitet.
Der positive Saldo der Bilanz mit den USA hat
sich auf die Ergebnisse der Teilfertigungsindustrie und die
Ölexporte gestützt. Wenn das Ergebnis der
Teilfertigungsindustrie (das per Definition positiv ist) und der
Ölexporte außer
Acht gelassen wird, verschwindet der Überschuss oder wird sehr
klein. Anders ausgedrückt: Das positive Ergebnis der bilateralen
Handelsbilanz hängt vom Export billiger Arbeitskraft und natürlichen
Ressourcen ab.
Der mexikanischen Regierung gefällt es zu sagen, nun hätte
die Fertigungsindustrie den Platz der Ölexporte eingenommen.
Letztere haben sich wertmäßig aufgrund des Absturzes des
internationalen Ölpreises in den vergangenen Jahre verringert,
während die Ausfuhren der Fertigungsindustrie sich beträchtlich
erhöhten. Aber ein bedeutender Teil dieses Wachstums im
Fertigungssektor ist mit Branchen verbunden, die unter dem
„Teilfertigungssyndrom“ leiden (Einfuhr von Komponenten, um sie
mit billiger Arbeitskraft zusammenzusetzen und zu exportieren).
Der nationale oder Binnenanteil an der absoluten Mehrheit der
Teilfertigungsunternehmen ist ziemlich gering, denn diese
Industrie ist vom Rest der Wirtschaft abgekoppelt.
NAFTA hat Mexiko in die Rolle des
Vasallen gebracht
Ab 2006 erlauben es die offiziellen
Statistiken nicht mehr, die Ausfuhrperformance der
Teilfertigungsindustrie zu identifizieren und von der übrigen
Fertigungsindustrie zu trennen. In diesem Jahr wurden die
Förderprogramme für die Teilfertigung mit den Programmen für die
vorübergehende Einfuhr vereint. Darum kann derzeit die wirkliche
Rolle der Teilfertigungsindustrie nicht ausgemacht werden.
Das Teilfertigungssyndrom gedieh im Schutz von
NAFTA und prägte dem Werdegang des Fertigungssektors eine
pathologische Tendenz auf. Dazu muss der absurde
industriepolitische Ansatz genommen werden, den die
Funktionär*innen des ehemaligen Ministeriums für Handel und
Industrieförderung hatten. Dieser Ansatz lässt sich in ihrem
fast religiösen Glaubensbekenntnis zusammenfassen, dass „die
beste Industriepolitik die ist, die nicht existiert“. Mit
anderen Worten, der Markt sollte die „Gewinner“-Branchen
identifizieren und belohnen.
Wenn Mexiko heute weltweit zur siebtgrößten
Exportwirtschaft für Fahrzeuge aufgestiegen ist, dann, weil die
Globalisierung das Land in eine multinationale
Wertschöpfungskette der Fahrzeugindustrie eingebunden hat. Aber
die Daten zeigen ein enormes absolutes Defizit für die
Fertigungsindustrie insgesamt bereits vor der Krise von 2008.
Von 2005 bis 2016 übersteigt das Defizit der Fertigungsbranche
ein akkumuliertes Defizit von 194 Milliarden Dollar.
Das Teilfertigungssyndrom hat außerdem zur
Folge, dass die Fertigungsindustrie kein Auslöser für eine
dynamische Wirtschaft sein kann, weil sie vom Rest des
Produktionsschemas abgekoppelt ist. Damit nicht genug:
Verschiedene Untersuchungen zeigen den an die multinationalen
Wertschöpfungsketten geknüpften Außenhandel als den Sektor, der
am meisten unter dem Kollaps der Märkte aufgrund der Krise von
2008 gelitten hat.
In seiner Demagogie erklärt Trump, sich um den
Arbeitsplatzverlust in den USA zu sorgen. Die mexikanische
Regierung hat nicht einmal ein halbes Wort über die zwei
Millionen verlorener Arbeitsplätze in der Landwirtschaft als
direkte NAFTA-Auswirkung über die Lippen gebracht. Die üble
mexikanische Regierung weiß sehr wohl, bei diesem Vertrag
handelt es sich nicht um irgendein gewöhnliches Handelsabkommen.
Es handelt sich um eine Abmachung transnationaler Eliten, mit
der die mexikanische Wirtschaft dem Geschäftszyklus der USA
untergeordnet wird. Sie reduzierte in beträchtlichem Masse die
Autonomie der mexikanischen Wirtschaftspolitik und vertiefte die
erneuerte Rolle des mexikanischen Wirtschaftsraums als
Rohstofflieferant. Das Resultat ist eine Situation, die dem
Vasallentum gleichkommt und in der Mexiko von den Richtlinien
abhängt, die der mächtige Nachbar im Norden vorgibt. NAFTA zu
verlassen, wäre die beste Option, die übel zugerichtete
mexikanische Wirtschaft neu aufzubauen.
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