Mittwoch, 17. Februar 2010

VR China: Unfaires Urteil gegen Menschenrechtler

Freitag, 12. Feber 2010

UA 91/09-1 AI-Index: ASA 17/008/2010 10. Februar 2010

Weitere Informationen zu UA 91/09 (ASA 17/014/2009, 2. April 2009)

Herr TAN ZUOREN

Der politisch aktive Schriftsteller Tan Zuoren wurde am 9. Februar 2010 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Anklage lautete auf „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“. Dem Chinesen drohen Folter und andere Misshandlungen.

Tan Zuoren aus der Provinz Sichuan wurde für schuldig befunden, die 1989 von der Kommunistischen Partei Chinas und den Regierungsbehörden angeordnete militärische Niederschlagung der pro-demokratischen Bewegung in Peking kritisiert zu haben. Im Urteil hieß es, Tan Zuoren sei „unzufrieden mit der Art und Weise, in der die chinesische Regierung die Zwischenfälle vom 4. Juni gehandhabt hat, und hat über die Jahre hinweg üble Nachrede gegen die chinesische Regierung betrieben, beispielsweise in Form von Aufrufen zur Blutspende am 4. Juni zum Gedenken an den Jahrestag und durch Verfassen von Artikeln wie z.B. The last beauty – A witness’s diary on Tiananmen Square im Jahr 2007, der auf der ausländischen Website The Fire of Liberty erschienen war.” Weiterhin wurde er im Urteil beschuldigt, „einen Feind in Übersee kontaktiert“ zu haben, weil er an Wang Dan, einen im Exil lebenden Anführer der StudentInnenproteste von 1989, eine E-Mail mit dem Titel „Vorschläge für Aktivitäten zum 20. Jahrestag“ geschrieben hatte.

Tan Zuorens Gerichtsverfahren fand am 12. August 2009 vor dem mittleren Volksgericht in Chengdu statt. Das Urteil wurde jedoch erst am 9. Februar 2010, d.h. über fünf Monate später, verkündet. Dies verstößt gegen die chinesische Strafprozessordnung. Neben der Haftstrafe wurde Tan Zuoren zu einer dreijährigen Aberkennung seiner politischen Rechte nach seiner Freilassung verurteilt. Während dieser Zeit wird er weder wählen noch zur Wahl stehen dürfen; außerdem darf er keine Position in einer staatlichen Behörde oder einem Staatsbetrieb innehaben und muss sich Überwachung gefallen lassen.

Das Gerichtsverfahren setzte sich über die chinesische Strafprozessordnung hinweg. Tan Zuorens AnwältInnen zufolge konnten diese zu seiner Verteidigung weder ZeugInnen in den Zeugenstand rufen noch das vorbereitete Videomaterial einsetzen. JournalistInnen wurden drangsaliert und von einer Berichterstattung über die Verhandlung oder die Urteilsverkündung abgehalten.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Tan Zuoren ist ein bekannter Umweltschützer. Er hat bereits einen Bericht veröffentlicht, in dem er vor möglichen Gefahren für Gesundheit, Sicherheit und Umwelt durch staatliche Projekte mit Chemikalien in der Provinz Sichuan warnte. Nach dem Erdbeben von 2008 in Sichuan verteilte er ehrenamtlich Nahrungsmittel und Bekleidung an die Überlebenden. Gemeinsam mit mehreren WissenschaftlerInnen versuchte er außerdem, die Gründe für die Todesfälle im Zuge des Erdbebens zu ermitteln und Baustandards zu verbessern, um ein Wiederauftreten zu verhindern.

Tan Zuoren wurde am 28. März 2009 von der Polizei in Chengdu in der Provinz Sichuan wegen Verdachts auf „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ in Haft genommen. Man hielt ihn fünf Monate lang fest, bevor seine Verhandlung stattfand. Momentan ist er in der Hafteinrichtung Wenjiang inhaftiert. Er hat Rechtsmittel eingelegt.

In Tan Zuorens Verhandlung am 12. August 2009 hätte der international anerkannte Künstler Ai Weiwei zu seiner Verteidigung aussagen sollen. Am Tag der Verhandlung kamen jedoch Personen, die sich als Angehörige der Polizei ausgaben, in Ai Weiweis Hotelzimmer, verprügelten ihn und hielten ihn stundenlang bis nach Ende der Verhandlung rechtswidrig fest. Zwei JournalistInnen aus Hongkong wurden von Angehörigen der regionalen Polizei in ihrem Hotelzimmer festgehalten und vorgeblich auf Besitz von Drogen durchsucht und so an einer Berichterstattung gehindert. Die Polizei verwehrte UnterstützerInnen von Tan Zuoren den Zutritt zum Gerichtssaal und erlaubte lediglich seiner Frau und einer seiner Töchter, dem Prozess beizuwohnen. Angehörige des Gerichts füllten die restlichen Sitze.

Die Anklage konzentrierte sich sowohl auf Tan Zuorens Kritik an der Rolle der chinesischen Regierung in der Niederschlagung der Proteste von 1989 als auch auf seine Ermittlungen hinsichtlich getöteter Kinder im Erdbeben von 2008 aufgrund von Korruption und dem Einsturz mangelhaft konstruierter Schulgebäude. Die Verteidigung konzentrierte sich hauptsächlich auf Tan Zuorens Bürgerrechte, diesen Todesfällen nachzugehen und Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Im Urteil hieß es jedoch, die Argumente der Verteidigung seien „irrelevant“ gewesen. Bei der Urteilsverkündung am 9. Februar 2010 wurden JournalistInnen erneut bei ihrem Versuch einer Berichterstattung drangsaliert. Seiner Frau Wang Qinghua und seinen beiden Töchtern wurde der Zutritt zum Gerichtssaal verwehrt mit dem Argument, der Raum sei voll.

Lokalen Quellen zufolge hieß es in der Anklageschrift, dass Tan Zuoren ursprünglich wegen seines Vorhabens festgenommen worden war, sensible Informationen über das Erdbeben von 2008 in Sichuan zu veröffentlichen. Am ersten Jahrestag des Erdbebens hatte er offensichtlich vorgehabt, eine Liste der dabei getöteten Kinder zu veröffentlichen. Daneben wollte er einen unabhängig recherchierten Bericht über den Einsturz vieler Schulgebäude herausgeben. Bei der Urteilsverkündung war von den Anklagepunkten in Verbindung mit dem Erdbeben jedoch nicht mehr die Rede.

MenschenrechtlerInnen, die versuchen, in China über Menschenrechtsverletzungen zu berichten, die eine Politik in Frage stellen, die die Behörden für politisch brisant halten, oder die sich bemühen, andere für ihre Überzeugungen zu gewinnen, sind häufig selbst Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Viele werden nach politisch motivierten Verfahren als gewaltlose politische Gefangene inhaftiert, während eine wachsende Zahl unter Hausarrest gestellt wird, die Polizei dabei übergriffige Überwachungsmethoden einsetzt und vor dem Haus Posten aufstellt.

EMPFOHLENE AKTIONEN: SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE

* Fordern Sie die Behörden auf, Tan Zuoren umgehend und bedingungslos freizulassen.
* Drängen Sie darauf, dass Tan Zuoren Zugang zu einer rechtlichen Vertretung, seiner Familie und jeglicher benötigter medizinischer Versorgung erhält.
* Fordern Sie von den Behörden die Garantie, dass er weder gefoltert noch anderweitig misshandelt wird.
* Rufen Sie die Behörden dazu auf, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass alle MenschenrechtsverteidigerInnen ihre friedliche Arbeit ohne Angst vor willkürlichen Festnahmen, Gefängnisstrafen, Behinderung oder Einschüchterung und gemäß der UN-Erklärung zum Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen ausüben können.

APPELLE AN:
VORSITZENDER DES HÖHEREN VOLKSGERICHTES IN SICHUAN
Liu Yushun Yuanzhang
Sichuansheng Gaoji Renmin Fayuan
108 Zhengfujie, Qinyangqu
Chengdushi 610017
Sichuansheng, VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Dear Director)
Email: yuanzhangmailbox(at)sina.com

LEITER DES AMTES FÜR ÖFFENTLICHE SICHERHEIT IN CHENGDU
LI Kunxue Juzhang
Chengdushi Gonganju, 144 Wenwulu, Chengdushi 610016
Sichuansheng, VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Dear Director)

KOPIEN AN:
MINISTERPRÄSIDENT VON CHINA
WEN Jiabao Guojia Zongli
The State Council General Office
2 Fuyoujie, Xichengqu, Beijingshi 100017
VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 86) 10 65961109
(c/o Ministry of Foreign Affairs)

S.E. Herr Ken WU, ao. u. bev. Botschafter
Botschaft der Volksrepublik China
Metternichgasse 4; A-1030 Wien
Fax: 0043-1-713 68 16
E-Mail: chinaemb_at(at)mfa.gov.cn


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 24. März 2010 keine Appelle mehr zu verschicken.

Textvorschlag:

(Der Textvorschlag ist nur als Anregung gedacht. Falls Ihre Fremdsprachenkenntnisse ausreichen, dann verfassen Sie das Appellschreiben bitte selbst! Je individueller die Briefe sind, desto besser!)

(Entsprechende Anrede)

I refer to the case of TAN ZUOREN, the environmental activist who was sentenced to five years imprisonment on 9 February, for ”inciting subversion of state power”. He is believed to be at risk of torture and other ill-treatment.

I have been informed that Tan Zuoren´s trial disregarded China’s criminal procedure: His lawyers reported that they were unable to call their witnesses to testify in court, show the video footage they had prepared, or present their defence.

Therefore and because it appears that Tan Zuoren is a prisoner of conscience who has not committed any recognizably criminal offence, I call on you to release him immediately and unconditionally. Pending his release, I urge you to allow Tan Zuoren access to his lawyer, his family and any medical treatment he may require and to guarantee that he will not be tortured or otherwise ill-treated.

I take this opportunity to ask you to take effective measures to ensure that all human rights defenders can carry out their peaceful activities without fear of arbitrary detention, imprisonment, hindrance or intimidation, in line with the UN Declaration on Human Rights Defenders.

I trust that you will act in a prompt and effective manner on this case.

Yours sincerely,

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