Freitag, 10. November 2023

2023-11-01_Sahra Wagenknecht und das Bündnis der Unwahrheit

Dresden, 01.11.2023 Sehr geehrter Herr Hebel, da Sie den Diskurs auch mit der Bekanntgabe Ihrer E-Mail-Adresse eröffnet haben, nutze ich die Möglichkeit. Danke hierfür! Manche Journalisten legen ja keinen Wert mehr auf einen Diskurs. Ihr Beitrag zu Sahra Wagenknecht eröffnet den Reigen, Irgendetwas zu Sahra Wagenknecht in die Welt zu setzen, das als Negativum an ihr kleben bleiben wird, ohne daß ein sachlicher Diskurs auch nur im Ansatz eröffnet wird. Schlagworte sind dabei gut für schwache Denker mit labiler Meinung, wobei sie für deren Erfolg in der Meinungsproduktion nach Meinung von Experten gar nicht oft genug wiederholt werden können: UNWAHRHEIT, OPFERDISKURS (der überhaupt kein Diskurs ist), ERSCHRECKEND, "RECHTS", ANTI-WOKE ("woke" ist also schon mal in Ordnung), EMANZIPATION (diese bleibt bei Ihnen mangels Kontext als "hübsche" Worthülse), SOLIDARITÄT (ein Wort, welches in der Corona-Kampagne polemisch täglich durch falschen Gebrauch zum Gegenteil hin umgedreht wurde; auch Sie benutzen es mangels Kontext lediglich als "schöne" Worthülse). Bereits die von Ihnen gewählte Überschrift ist offensichtlich polemisch - wie der Rest Ihres Artikels in der Gesamtwertung auch. Sie versuchen dabei, sich offensichtlich als Sahra-"Kritiker" (ich setze Anführungszeichen, weil es nicht um echte, sachliche Kritik geht) in Position zu bringen, entsprechenden "Qualitätsmedien" als Journalist zu empfehlen. Dabei gibt es doch viele sachliche Punkte zu recherchieren und zu diskutieren, die Ihre journalistische Tätigkeit schmücken könnten, wenn Sie denn an sachlichem Journalismus interessiert sind. Bei vielen Menschen, die nur noch Schlagzeilen konsumieren, wird die von Ihnen bemühte "Unwahrheit" an Sahra Wagenknecht schön klebenbleiben, Sahra dauerhaft ohne jeden sachlichen Bezug disqualifizieren. Ist das (auch) Ihr Ziel? - Als Mitglied der Partei DIE LINKE darf ich Ihnen im übrigen bescheinigen, daß Sie den "zahlreichen Pressemitteilungen des Vorstandes (DIE LINKE)" schön auf den Leim gegangen sind und diese nicht als reines Wahlkampfmanöver, schlicht als Ankündigungspolitik, wie sie allerorten bei den großen Parteien im Schwange ist, begriffen haben. Daraus eine "unwahrhaftige" Sahra herleiten zu wollen, ist schlichtweg absurd. Ihre vermeintliche Argumentationskette verliert sich so im Nichts. Abschließend darf ich Ihnen versichern, daß auf die uns täglich gelieferte Qualitätspresse alias Mainstreamaktivpropaganda zwar viele Menschen abfahren ohne es zu merken, längst aber nicht alle Pressekonsumenten ihr Hirn nur im Schlafmodus mit Aufmerksamkeit nur auf echte oder vermeintliche Skandale betreiben. Ein schönes Ziel auch für den deutschsprachigen Journalismus wäre endlich wieder: zurück zur sorgfältigen Analyse (Wer? hat denn nun wirklich Nordstream I u. II gesprengt?), zum Diskurs, zurück zur Dialektik, weg von der auch das soziale Klima vergiftenden Propaganda, die sich auf Disqualifizierung von Menschen unter vollständiger Respektlosigkeit gegenüber deren Menschenwürde durch Schlagworte ("Coronaleugner") beschränkt, die sie Menschen des öffentlichen Interesses täglich anhängt, mit deren (zu schützender!) Meinung man sich nicht wirklich auseinandersetzen will. Wunderschön bei Ihnen übrigens im Stile der sog. Yellow Press "Regenbogenpresse" Ihre frei erfundene Ankündigung, daß sich demnächst Herr Ministerpräsident des Freistaates Sachsen Kretschmer und Frau Wagenknecht auf Hochzeitstour begeben werden. Hatte Frau Wagenknecht nicht vielmehr erklärt, keine Vorbehalte gegenüber einer demokratisch legitimierten AfD zu haben (womit sie sich wieder wunderbar als "rechtsoffen" diffamieren läßt, ein Grundstein für weitere Schmähungen)? Ach ja, Sie haben es nicht vergessen, Frau Wagenknecht in Übereinstimmung mit einem öden Pressemainstream das Wort "rechts" wenn auch äußerst vorsichtig anzuhängen. "Rechts" ist bekanntlich das Codewort der täglichen Presseschlammschlacht in Bezug auf Denkfaule für das Wort "böse", genauso übrigens wie "rechtsoffen". Solche netten Bett-Geschichten Wagenknecht-Kretschmer kann man ja - fernab jeder Realität - täglich von Stars und Sternchen, Königen, Showmastern, Entertainer usw. usw. lesen. Die Regenbogenpresse schläft nicht, ist aber auch nicht besonders fantasievoll im Geschichtenerfinden. Sie haben es versucht. Mit freundlichen Grüßen aus Dresden Ihr Johannes Heemann Sahra Wagenknecht und das Bündnis der Unwahrheit (msn.com) www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/sahra-wagenknecht-und-das-bündnis-der-unwahrheit/ar-AA1j9Wcm?ocid=winp1taskbar&cvid=4248d6e08af34c0d864a8fbd796e8e21&ei=15 Sahra Wagenknecht und das Bündnis der Unwahrheit Artikel von Stephan Hebel • 23 Std. Hebel Meint Sahra Wagenknecht und das Bündnis der Unwahrheit Eine friedliche Trennung war es sicher nicht. Doch wie Sahra Wagenknecht seit ihrem Weggang mit der Linken umgeht, zeigt wie sehr sie linke Werte gegeneinander ausspielt - und den Rechten in die Hände. Frankfurt – Es ist schon erstaunlich, was alles gleichzeitig in einen kurzen Text passt. Zum Beispiel, einerseits, das hier: „Die Geschichte der LINKEN seit der Europawahl 2019 ist die Geschichte eines politischen Scheiterns. Die jeweiligen Parteiführungen und die sie stützendenden Funktionäre auf Landesebene waren entschlossen, dieses Scheitern auf keinen Fall kritisch zu diskutieren. Es wurde weder eigene Verantwortung dafür übernommen, noch wurden inhaltliche Konsequenzen daraus gezogen.“ So steht es in dem Schreiben von Sahra Wagenknecht und zehn anderen Bundestagsabgeordneten, mit dem sie vor gut einer Woche ihren Austritt begründeten. Ziemlich harte Worte gegenüber einem Verein, dem man noch vor Stunden angehört hat, oder? „Nachtreten“, sagt der Volksmund. Umso erstaunlicher ist, was, andererseits, ein paar Absätze weiter unten steht: „Wir gehen ohne Groll und ohne Nachtreten gegen unsere alte Partei.“ Es wirkt ein bisschen wie ein Fußballspieler, der dem Gegner erst einen Tritt verpasst und sich dann selbst wie ein Schwerverletzter am Boden wälzt. Das wäre nicht so sehr der Rede wert, wenn es sich nur um eine Stilfrage handelte. Aber es geht um mehr. Zum einen um Schuldzuweisungen, wie sie in der Attacke gegen: „die jeweiligen Parteiführungen und die sie stützendenden Funktionäre auf Landesebene“ stecken. Das ist der Opferdiskurs, der nicht nur im linken Spektrum erschreckend gut funktioniert: Deutschlands bekannteste Linke, Liebling der Talkshows und Bestseller-Autorin, erzählt die Geschichte ihrer „Ausgrenzung“ durch „die fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden“. Dabei, klagen die Ausgetretenen, hätten sie doch „angemahnt, dass die Fokussierung auf urbane, junge, aktivistische Milieus unsere traditionellen Wähler vertreibt“. Sahra Wagenknechts Opferdiskurs funktioniert erschreckend gut Das wird nicht besser dadurch, dass die andere Seite mit Vorwürfen kaum weniger geizt als Wagenknecht. Der springende Punkt ist ein anderer: Wagenknechts Anklagen gegen die eigene Ex-Partei und die Selbststilisierung als Opfer der dort herrschenden „Lifestyle-Linken“ sind vor allem ein Mittel zum Zweck. Im Grunde geht es um eine grundlegende Auseinandersetzung über die Frage, wo sich die politische und die gesellschaftliche Linke in diesem Land positioniert. Sehen wir für einen Moment von den persönlichen Ambitionen der Sahra Wagenknecht ab, und lassen wir für diesen Moment auch die Frage außer Acht, ob das noch links sei, was sie da treibt. Gehen wir davon aus, dass sie aus tiefer Überzeugung und ehrenwerten Motiven handelt. Nehmen wir außerdem an, es sei eines ihrer Motive, den Rechtstrend zu brechen und die AfD so klein wie möglich zu machen. Dann ließe sich ihr Kurs in etwa so zusammenfassen: Es ist der Versuch, für eine sozialere und eine (nach Wagenknecht-Manier) „friedlichere“ Politik zu werben, indem man sich auf diese beiden Punkte konzentriert – und gar nicht erst versucht, die „normalen“ Leute mit den Themen der „urbanen Milieus“ (Klimaschutz, Minderheitenrechte, Asyl) zu belästigen. Das muss man nicht „rechts“ nennen, aber es ergibt sich daraus eine gefährliche Nähe zu einer derzeit zentralen Erzählung der konservativen bis extremen Rechten, die da lautet: Für das Unwohlsein der Menschen in einer Zeit der Veränderung seien nicht etwa der Klimawandel, sondern Vorschläge zu seiner Bekämpfung verantwortlich, nicht etwa die Diskriminierung von Minderheiten, sondern deren Aufbegehren, nicht etwa eine gescheiterte Migrationspolitik, sondern die Geflüchteten selbst. Nein, so sagt es eine Sahra Wagenknecht natürlich nicht, aber sie spielt ganz offen mit diesem Motiv. Das hat sie erst kurz vor ihrem Parteiaustritt wieder getan, diesmal in der „Badischen Zeitung“: „Als links gilt heute vor allem dieser woke Diskurs über immer abstrusere Sprachregeln, die übergriffige Anmaßung, Menschen vorzuschreiben, was sie essen, wie sie heizen, welches Auto sie fahren sollen. Wenn das links ist, habe ich damit nichts zu tun.“ Wundert sich jemand, dass sie auch schon die Möglichkeit eines Bündnisses mit der CDU in Ostdeutschland angedeutet hat, beispielsweise in Sachsen, wo der Partei-Rechte Michael Kretschmer ihr Partner wäre? Emanzipation und Solidarität sind nicht teilbar. Kollektive gegen individuelle Rechte auszuspielen: Das hat, um an Wagenknecht anzuschließen, wirklich mit „links“ nichts zu tun. Stephan Hebel Sahra Wagenknecht bedient das anti-woke Muster sicher nicht genauso wie rechte Kräfte mit dem Ziel, die verständliche Skepsis vieler Menschen gegenüber einschneidenden Veränderungen zu nutzen, um von der täglichen Bevormundung durch Arbeitsstress, Auszehrung staatlicher Daseinsvorsorge und Infrastruktur oder ungerechte Verteilung von Reichtum abzulenken. Sie will die Benachteiligten und Verunsicherten, das darf man ihr glauben, für eine ökonomisch und sozial eher linke Politik gewinnen. Aber sie zahlt dafür einen hohen Preis. Nein, sie zahlt ihn nicht, sie nimmt ihn in Kauf. Der Preis nämlich besteht darin, humanitäre und freiheitliche Werte wenn nicht zu opfern, so doch zugunsten von materiellen Verteilungsfragen hintanzustellen. Und das wird, ob das neue Bündnis es will oder nicht, den Rechtstrend in Politik und Gesellschaft am Ende verstärken: Noch eine Partei, die darauf verzichtet, die Vision einer sowohl sozial gerechten als auch individuellen Freiheit für alle sichernden Gesellschaft zu entwickeln, hat nun wirklich nicht gefehlt. Und sie würde einen der wichtigsten Grundsätze verletzen, auf denen linke Politik zu beruhen hätte: Emanzipation und Solidarität sind nicht teilbar. Kollektive gegen individuelle Rechte auszuspielen: Das hat, um an Wagenknecht anzuschließen, wirklich mit „links“ nichts zu tun. Die Serie FR-Autor Stephan Hebel kommentiert an dieser Stelle alle 14 Tage aktuelle politische Ereignisse. Wenn Sie Kritik, Lob oder Themenhinweise haben, schreiben Sie an stephan.hebel@fr.de. Bitte merken Sie dabei auch an, ob Sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären. Live erleben können Sie den Autor bei „Hebels aktueller Stunde“ mit Vortrag und Diskussion zu aktuellen Themen am Donnerstag, 9. November, 19 Uhr, Club Voltaire, Kleine Hochstraße 5 in Frankfurt. www.club-voltaire.de, Livestream hier. All das heißt nicht, dass die Linkspartei und ihre Führung alles richtig gemacht hätten, wirklich nicht. Sie haben die Vision der gerechten und freiheitlichen Gesellschaft nie greifbar gemacht, für die sie stehen wollen. Und sie verharren oft in einer Sprache plakativen Protests, die weder bei sozial Benachteiligten ankommt noch bei identitätspolitisch Engagierten. Aber dass sie, wie Wagenknecht und Co. insinuieren, die soziale Frage der „Wokeness“ geopfert hätten, ist schlicht nicht wahr. Ein Blick in die zahlreichen Pressemitteilungen des Vorstands genügt. Insofern steht das Bündnis Sahra Wagenknecht nicht nur für ein sehr riskantes Experiment. Es beruht auch auf einer – um es freundlich auszudrücken – Unwahrheit. (Stephan Hebel)

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