Donnerstag, 19. Mai 2022
DD:45 Verhandlungstage im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren
In der letzten Woche fanden der 44. und 45. Verhandlungstag am Oberlandesgericht Dresden (OLG) gegen insgesamt vier Beschuldigte statt, denen durch die Generalbundesanwaltschaft (GBA) die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Nach den ursprünglichen Plänen des OLGs sollte der Prozess bereits beendet sein. Da der Prozessumfang jedoch kontinuierlich zunahm, wurden zunächst noch mindestens bis in den Juni hinein Verhandlungen angesetzt.
Wasserstandsmeldungen aus dem Gerichtssaal
Das Solidaritätsbündnis Antifa Ost veröffentlichte im März einen Zwischenbericht und versuchte ein erstes Resumee. Die Anklage setzt sich aus mehreren Punkten zusammen: einerseits den neun einzelnen Tatkomplexen, für die jeweils eine Beteiligung der Angeklagten nachgewiesen werden muss. Andererseits ist der zentrale Punkt die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB selbst. Bei letzterem muss lediglich die Mitgliedschaft, Werbung oder Unterstützung nachgewiesen werden, ohne dass einer der weiteren Anklagepunkte zwangsläufig erfüllt sein müsste.
Den Schilderungen des Solidaritätsbündnisses zu Folge ist die Beweislast in mehreren Tatkomplexen bislang sehr schwach. Obwohl anscheinend die gesamte Palette möglicher Ermittlungsmethoden ausgeschöpft wurde, kann bisher den Angeklagten nur in einem Fall eine Tatbeteiligung sicher nachgewiesen werden. Dies ist der Angriff auf den Eisenacher Neonazi Leon Ringl im Dezember 2019.
In allen anderen Fällen stützt sich die Anklage auf Indizien, die von der Konstruktion einer kriminellen Vereinigung zusammengehalten werden: Etwa die Interpretation von abgehörten Gesprächen im Auto eines Beschuldigten, Bilder, welche die Planung eines Angriffs belegen sollen und die Aussage der geschädigten Nazis. Auch taucht immer wieder die Beziehung zwischen einer Angeklagten und einem weiteren, derzeit nicht angeklagten Menschen auf, welche als Beweismittel herhalten soll. In seinem Fall gehen Gericht und GBA von einer Tatbeteiligung aus, da ihm eine DNA-Spur vor Ort zugeordnet wurde, auch eine Beteiligung seiner Beziehungspartnerin steht nun im Raum.
Ein Alibi
In der 36. Hauptverhandlung wurde durch die Verteidigung eines der Angeklagten ein Beweisantrag gestellt: Demnach habe ihr Mandant ein Alibi für den Angriff auf die rechte Kneipe „Bull’s Eye“ in Eisenach.
Aufzeichnungen einer Observation, die in einem anderen Verfahren durch dieselbe GBAin wie im Dresdner Verfahren angeordnet wurde, sollen das Alibi belegen. So sei der Angeklagte etwa vier Stunden vor dem Angriff in Berlin aus seiner Wohnung gekommen und mit dem Fahrrad weggefahren. Anschließend habe er sich eine Stunde vor dem Angriff telefonisch in einer Berliner Kneipe verabredet. Vier Stunden nach dem Angriff in Eisenach soll er sichtlich angetrunken wieder nach Hause gekommen sein.
Die Verteidigung hat verschiedene entlastende Beweise zusammengetragen, die allesamt den Akten der ermittelnden Polizei entstammen. Das Solidaritätsbündnis Antifa Ost warf der GBA daher in einer Pressemitteilung falsche Verdächtigung vor. Sie sei ihrer Pflicht nicht nachgekommen, auch entlastendes Beweismaterial zu sammeln, welches sich aus ihren eigenen Akten heraus ergeben habe.
Neonazis und Polizei
Am 42. Verhandlungstag in Dresden klingelte es am Morgen wohl bei mehreren der rechten Zeugen, die im Prozess bereits ausgesagt hatten. Der Grund waren Razzien der Polizei in mehreren Bundesländern wegen Vorwürfen der Bildung einer kriminellen und einer terroristischen Vereinigung, sowie der Fortführung einer nach dem Vereinsgesetz verbotenen Organisation.
Der Nazi und Wirt des „Bull’s Eye“ Leon Ringl ist dabei ebenso wie sein Kamerad Andreas Ackermann zentraler Beschuldigter dieses groß angelegten Verfahrens. In der Anklageschrift im Dresdner Verfahren wird hingegen die besondere Bedeutung der linken Gruppierung damit begründet, sie habe den demokratischen Diskurs in Eisenach erschwert und gefährdet. Das Solidaritätsbündnis Antifa Ost stellte anlässlich der Razzien klar: „Ohne dieses Pseudo-Argument einer ‚Gefährdung der Demokratie‘ durch die Beschuldigten Linken hätte die Bundesanwaltschaft ihre Zuständigkeit nicht begründen können.“
Am Tag darauf ging es dann erneut um Verstrickungen zwischen Polizei und der Naziszene. In Bezug auf Presseveröffentlichungen rechter Medien wie etwa Compact, wurde bereits mehrfach über solche gemutmaßt. Auch wurde im Verfahren offensichtlich, dass die Polizei mehrfach die Ausarbeitungen von Nazis über die Leipziger linke Szene als Ermittlungsgrundlage genommen hatte. Nun wurde zusätzlich bekannt, dass mindestens ein Beamter eines Mobilen Einsatzkommandos (MEK), welcher an der Observation der Beschuldigten beteiligt war, selbst Beschuldigter im so genannten Munitionsskandal ist.
Beamte des sächsischen MEKs hatten 7.000 Schuss Munition entwendet und bei einem Schießtraining als Bezahlung eingesetzt. Der Besitzer der Schießanlage bei Güstrow, Frank Thiel, soll Mitglied der rechten Gruppierung „Nordkreuz“ sein. Die Gruppe soll Vorbereitungen zum Mord an politischen Gegner:innen für einen Tag X getroffen haben. Was bisher noch eine Mutmaßung war, ist nun Gewissheit: mindestens ein Beamter des MEK, der Verbindungen zu dieser rechten Gruppe hatte, war beteiligt an Einsätzen im Leipziger Stadtteil Connewitz. Ans Licht fördern musste das die Verteidigung der Antifaschist:innen vor dem Dresdner OLG.
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