Die USA und das Erdöl bestimmen über das Wohlergehen des Landes
Mexikos Wirtschaft hat sich nach dem dramatischen Einbruch im vergangenen Jahr aufgefangen. Doch ausgerechnet die Motoren der Erholung machen das Aztekenland für Rückschläge anfällig.
Alex Gertschen, Mexiko-Stadt
Mexiko sei im März hinter Kanada der zweitwichtigste Handelspartner der USA gewesen, so die von Vizewirtschaftsministerin Beatríz Leycegui Anfang Juni vor dem hiesigen Aussenhandels-Ausschuss verkündete frohe, eben vom US Census Bureau eingetroffene Botschaft. Die gute Placierung ging schnell verloren: Seit April übertrifft das Volumen des Handels Amerikas mit China jenes mit Mexiko erneut, und die seit Oktober 2006 bestehende Hierarchie ist wieder hergestellt. Dennoch steht der März 2010 aus mexikanischer Sicht für mehr als eine blosse statistische Abweichung: Er bedeutet, dass die Wirtschaft besonders dank den kräftig gewachsenen Exporten in die USA das Annus horribilis 2009 überwunden hat.
Boomende Autoindustrie
Mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 6,5% wurde Mexiko im vergangenen Jahr wie nur wenige Volkswirtschaften von der weltweiten Krise getroffen. Obwohl die Bank HSBC Ende Juli ihre Wachstumsprognose für das zweite Quartal 2010 auf 7,1% nach oben korrigierte, warnte sie vor Euphorie: Das Quartals- sowie das unverändert bei 4,3% erwartete Jahreswachstum seien den tiefen Vorjahreswerten geschuldet. Andere Prognosen wie jene der Rating-Agentur Fitch oder der monatlich von der Zentralbank befragten Experten lassen ebenso vermuten, dass das BIP nur um 4,0 bis 4,5% wachsen und damit den letztjährigen Absturz nicht kompensieren wird. Der Einwand, die Gegenwart leuchte bloss vor dem düsteren Hintergrund des Vorjahres, gilt jedoch nicht für alle Branchen. Besonders der Autoindustrie geht es so gut wie noch nie. Im ersten Halbjahr hat sie mehr als 1 Mio. Fahrzeuge produziert und Güter für über 30 Mrd. $ exportiert. Aufs Jahr gesehen dürfte sie den Rekordumsatz
vom Jahr 2007 knapp übertreffen.
Neben den amerikanischen Unternehmen General Motors, Ford und Chrysler haben Nissan und Volkswagen grosse Werke in Mexiko stehen, die vorab für den US-Markt produzieren. Im Mai gab Fiat bekannt, in Toluca in der Nähe von Mexiko-Stadt 550 Mio. $ in die Fabrikation des neuen Cinquecento zu investieren. Vornehmlich der Autobranche ist es zuzuschreiben, dass der mexikanische Anteil an den gesamten Einfuhren der USA von 10,3% (2008) und 11,3% (2009) im ersten Halbjahr 2010 auf 12,3% gestiegen ist.
Auch der staatliche Erdölkonzern Pemex liefert positive Nachrichten. Er hat die seit 2005 rückläufige Rohölförderung bei knapp unter 3 Mio. Fass pro Tag stabilisieren können. Dank dem gegenüber dem Vorjahr von $ 57.44 auf $ 70.71 gestiegenen Durchschnittspreis pro Fass kann Pemex weiterhin seine traditionelle Rolle als Beschaffer von Devisen- und Steuereinnahmen spielen. Im ersten Semester haben die Erdölexporte fast 14% der Gesamtausfuhren von 141 Mrd. $ ausgemacht, und je nach Erdölpreis wird Pemex 30 bis 40% des Staatshaushaltes finanzieren.
Doch die Export- wie auch die Erdölwirtschaft verweisen zugleich auf Mexikos Anfälligkeit. Weil rund vier Fünftel der Ausfuhren in die USA gehen, ist das Land nicht nur auf Gedeih und Verderb vom nördlichen Nachbarn abhängig, sondern beraubt sich darüber hinaus der Möglichkeit, von der Dynamik Chinas, Indiens oder Brasiliens zu profitieren. Die mexikanische Regierung ist sich dessen bewusst und befindet sich mit Brasilien zurzeit in Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. Solche Abkommen bedeuten jedoch noch keine Diversifizierung des Aussenhandels, hat Mexiko doch bereits mit 44 Staaten solche Freihandelsverträge geschlossen.
Pemex' Renaissance wiederum droht von kurzer Dauer zu sein. Die gesicherten Reserven dürften bei gleichbleibender Produktion in gut sieben Jahren erschöpft sein. Erste Erfahrungen zeigen, dass der 2008 reformierte gesetzliche Rahmen die Kooperation zwischen dem Staatskonzern und Privaten unergiebig macht. Eine solche ist aber für die Erforschung und Ausbeutung von Erdölfeldern in tiefen Gewässern unerlässlich. Damit steht auch fest, dass der Staat über kurz oder lang gegen die Wand fahren wird, sollte er seine schmale Steuerbasis nicht verbreitern können.
Grosser Pendenzenberg
Doch die Chancen für entsprechende Reformen sind gleich null. Der Fluch des einfachen Geldes hat die Regierung vom unmittelbaren fiskalischen Handlungsdruck befreit, und der oppositionelle Partido Revolucionario Institucional (PRI) wird es unterlassen, Präsident Felipe Calderón vor Ende von dessen Amtszeit 2012 in einem relevanten Geschäft zu einer Parlamentsmehrheit zu verhelfen. Der PRI revanchiert sich an der Regierungspartei Partido Acción Nacional, weil diese in den Gouverneurswahlen vom 4. Juli gemeinsam mit ihrem ideologischem Todfeind, dem linken Partido de la Revolución Democrática, gegen ihn angetreten ist.
Ungelöste Strukturprobleme werden immer wieder als grösstes Hemmnis für Mexikos Wachstum genannt, sei es von der Weltbank, der OECD oder der Regierung selbst. Dazu gehören neben den erwähnten Faktoren der starre Arbeitsmarkt, die privaten Monopole in strategischen Märkten und die endemische Unsicherheit. Mindestens bis zu den Wahlen 2012 dürfte dieser Pendenzenberg keinen Millimeter schrumpfen.
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