DIE §129 b Verfahren in Düsseldorf
In den Medien nicht präsent
Weitgehend unbemerkt von der kritischen Öffentlichkeit laufen am Oberlandesgericht Düsseldorf gleich zwei Verfahren gegen Linke aus dem nicht EU-Land Türkei. Am 15.1.2009 begann der Prozess vor dem 2. Staatsschutzsenat gegen Faruk Ereren und seit 11.3.2010 stehen Nurhan Erdem, Cengiz Oban und Ahmet Istanbullu vor dem 6. Staatsschutzsenat im Düsseldorfer Prozessbunker. Dieser Prozessbunker an der Außenstelle Kapellweg wurde eigens für Staatsschutzverfahren errichtet.
Alle vier in Düsseldorf Beschuldigten werden mit einer rechtlich umstrittenen Anklage verfolgt. Die Anklage stützt sich auf das Außenwirtschaftsgesetz sowie auf die EU-Terrorliste; ihnen wird also vermeintliche Mitgliedschaft in der verbotenen linken türkischen Befreiungsbewegung DHKP-C vorgeworfen, gemäß §129 b Strafgesetzbuch (StGB).
Fest steht: Die Beschuldigten haben an Veranstaltungen gegen Nazis teilgenommen. Sie veranstalteten mit der Anatolischen Föderation, deren Mitglieder die Angeklagten sind, Protestaktionen, Infostände und sonstige rechtmäßige Aktionen zu nahezu allen wichtigen Themen der Gesellschaftspolitik in Deutschland, in der Türkei und weltweit. Alle diese Protestaktionen, Infostände und sonstigen Aktionen fanden stets mit Genehmigung der zuständigen deutschen Behörden statt.
Die von der Bundesanwaltschaft gegen sie erhobenen Vorwürfe betreffen also ausschließlich legale Aktivitäten wie die Solidaritätsarbeit zu Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. In Bezug auf die Türkei werden seit Jahren (zum Teil seit Jahrzehnten) gravierende Verstöße gegen Menschenrechte und das Völkerrecht beklagt. Sie sind regelmäßig dokumentiert in den Menschenrechtsberichten von Amnesty International und weiteren NGO.
VERSTOß GEGEN DAS GEWALTENTEILUNGSPRINZIP
Die Anwält_innen der Angeklagten sehen darüber hinaus in den Verfahren einen "Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip". Denn in Verfahren dieser Art wird die Bundesanwaltschaft nur auf Antrag des Bundesministeriums der Justiz aktiv.
Demnach unterliegt die Strafverfolgung einer politischen Vorprüfung durch die Exekutive. Sie entscheidet, ob im Einzelfall eine strafrechtliche Verfolgung opportun ist oder nicht. Die Entscheidung ist von tages- und bündnispolitischen Erwägungen abhängig: Gilt eine bestimmte Gruppe als "terroristisch" oder wird sie als Freiheitskämpfer betrachtet, je nachdem wer gerade Bündnispartner ist?
Welche diplomatischen Folgen hat eine Strafverfolgung in Deutschland?
Weiterhin kritisieren Anwält_innen und Prozessbeobachter_innen die widrigen Haftbedingungen und die Verfahrenspraxis. „Wir befürchten, dass hier ein neues Mittel der Kriminalisierung unliebsamer politisch tätiger Menschen erprobt werden soll, das kaum mehr einer juristischen Kontrolle unterliegt“, erklärt Rechtsanwältin Britta Eder.
Das Zustandekommen der Terrorismus-Listen ist denkbar intransparent.
Die EU-Terrorliste wird durch ein Gremium des EU Rats, meist auf unhinterfragten
Geheimdienstinformationen aus einem beantragenden Staat erstellt. Privatpersonen, die von den Vereinten Nationen oder der EU auf der jeweiligen Liste als Terroristen geführt werden, unterliegen einer weitgehenden Rechtlosigkeit.
Den gelisteten Personen dürfen keine Gelder und wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die Konten der Betroffenen werden eingefroren und sogar Jobcenter stellen ihre Zahlungen ein. Neben Reisebeschränkungen drohen straf- und ausländerrechtliche Konsequenzen, beispielweise die Auslieferung. Der Sonderermittler der Parlamentarischen Versammlung im Europarat, Dick Marty, sprach in Bezug auf eine Listung von einer zivilen Todesstrafe und einem rechtsstaatlichen Skandal unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung.
UNTER FOLTER ENTSTANDENE GESTÄNDNISSE
Der politische Charakter der Verfahren wird auch in der Verhandlungsführung deutlich. Gekennzeichnet sind die Verfahren einerseits durch Prozessverschleppung, zum Beispiel beim 2.Staatsschutzsenat. Im 6. Staatsschutzsenat ist es außerdem üblich, dass Aussagen nicht von Zeugen selbst getätigt, sondern von den Richtern vorgelesen werden. Dabei handelt es sich um Zeugen des Bundeskriminalamts (BKA). BKA-Beamte überwachten Nurhan Erdem, Cengiz Oban und Ahmet Istanbullu über lange Zeiträume hinweg und machten sich Notizen zu den Überwachungen. Ihre Vermerke unter anderem zu diesen Notizen werden während des Prozesses in Anwesenheit der BKA-Zeugen verlesen. Anschließend werden die Zeugen vom Vorsitzenden Breidling befragt, ob sie noch etwas hinzuzufügen haben, was meist nicht der Fall ist. Diese Vorgehensweise erklärt der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling als ordentliche Beweisaufnahme. Und so lesen die Richter des OLG Düsseldorf ganze Verhandlungstage lang nur Vermerke vor. Gelegentlich schlummern dabei Justizbeamte oder Richter, die im Moment nicht vorlesen, auf der Richterbank des 6. Staatsschutzsenats.
Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke DIE LINKE. mahnte in einem Brief an das NRW Justizministerium: "(...) Mir ist dabei klar, dass die Justiz unabhängig ist und Sie als Justizministerin nicht einfach in ein laufendes Verfahren eingreifen können. (...)
So beruht die Anklage der Bundesanwaltschaft offenbar weitgehend auf türkischem Beweismaterial. Obwohl darin auch mutmaßlich unter Folter entstandene Geständnisse enthalten sind, wird dieses Material vom Gericht als Beweismittel anerkannt. Die völlig unkritische Haltung der BAW gegenüber Folter und Polizeigewalt in der Türkei wird auch auf Seite 123 der Anklageschrift deutlich. Hier wird ein Gefängnis-Massaker, mit dem die Polizei am 19. Dezember 2000 einen Hungerstreik politischer Gefangener gegen ihre Verlegung in Isolationszellen beendete, als eine "gewöhnliche polizeiliche Maßnahme" bezeichnet. Bei diesem Massaker wurden 29 Gefangene getötet und Hunderte verletzt!
Wie Sie, Frau Justizministerin, wissen, ist das Verwertungsverbot für Beweismittel, bei denen auch nur der Verdacht auf Folter besteht, vor deutschen Gerichten absolut."
AUSSAGEVERWEIGERUNG UND ABSCHIEBUNG IN DIE TÜRKEI
In einer Anfrage vom 6.4.2010 an die Bundesregierung verlangen die Abgeordneten des Bundestages Ulla Jelpke und Sevim Dağdelen Auskünfte zur Situation von Gefangenen in der Türkei. Sevim Dağdelen war Prozessbeobachterin im Verfahren gegen Faruk Ereren und besuchte Faruk Ereren auch in der JVA Düsseldorf. Ihm droht die Abschiebung in die Türkei, nachdem er von seinem Aussageverweigerungsrecht umfangreich Gebrauch gemacht hatte und auch auf keinen vom 2.Staatsschutzsenat angebotenen Deal eingegangen war. Faruk Ereren selbst sagt dazu: "Was mich erwartet wenn ich in die Türkei ausgeliefert werden sollte, ist Repression, Folter und Haft bis zum Tod. Der faschistische Staat in der Türkei hat eh schon zur Sprache gebracht, mich bis zu meinem Tod ins Gefängnis stecken zu wollen“.
"Die Bundesrepublik ist in ihrem Kampf gegen Folter in anderen Weltgegenden unglaubwürdig, wenn sie es mit diesen rechtstaatlichen Grundsätzen in Strafverfahren nicht mehr so genau nimmt und auf durch Folter erzwungene Aussagen zurückgreift", erklärt Sevim Dağdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Bundestagsfraktion DIE LINKE. und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, anlässlich ihres Besuches bei Faruk Ereren in der JVA Düsseldorf. Sevim Dağdelen war es kurz vor der Osterpause gelungen eine Besuchserlaubnis zu erhalten. Ein weiterer Skandal in dem sich beweislos dahin schleppenden Verfahren vor dem 2. Staatsschutzsenat: Seit 8. April 2007 befindet sich Faruk Ereren in Untersuchungshaft
Zu Zeiten der Militärjunta ab 12. September 1980 wurde Faruk Ereren in der Türkei festgenommen, mehrere Wochen gefoltert und anschließend inhaftiert. Er musste verschiedene Foltermethoden erleben, z.B. Aufhängen an der Decke, sog. Falaka, d.h. Schläge auf die Fußsohle, Bespritzen mit kaltem und warmen Druckwasser, Stromschläge, mit ungeladener Waffe an den Kopf zielen, Beschuss an der Wand stehend mit geladener Waffe, wobei seine Körperumrisse mit den Kugeln an der Wand nachgezeichnet wurden, Fesseln an den brennenden Heizungskörper, nackt unter Kälte warten lassen und psychologische Folter. Auch während der Haftzeit setzte sich die Folter fort. Im Jahr 1984 nahm er am Todesfastenwiderstand gegen Einheitskleidung teil. 6 Jahre und 8 Monate später wurde er entlassen und danach noch mehrmals verhaftet, bis er nach Deutschland geflohen war.
Obwohl in der Türkei seit 1983 formal wieder demokratische Wahlen stattfinden, ist der nationalistische und rechtsextreme Einfluss des Militärs auf die Politik und die Gesellschaft weiterhin sehr stark. Gegen seine Auslieferung klagt Faruk Ereren nun vor dem Bundesverfassungsgericht.
MdB HUNKO ZUM EuGH URTEIL: "SCHALLENDE OHRFEIGE" FÜR DEN
6. STAATSSCHUTZSENAT
Am 29.6.210 erhielt die Verteidigung von Nurhan Erdem, Cengiz Oban und Ahmet Istanbullu vor dem Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg dann Recht.
Wie schon in zahlreichen Urteilen zuvor spricht der EuGH von der Verletzung gravierender Verfahrensgarantien, bei der Erstellung der so genannten EU-Terrorliste (Verordnung EG Nr.2580/2001). Weder hätten gelistete Organisationen bis Juni 2007 eine Begründung für die Aufnahme in die Liste erhalten können noch wäre es möglich gewesen, dass einer der Angeklagten die Listung der Organisation hätte vorgehen können, da ihnen dazu eine erkennbare Befugnis fehlte.
Der EuGH äußert sich dazu: „Das Fehlen einer Begründung für die Aufnahme der DHKP-C in die Liste ist zudem geeignet, eine angemessene gerichtliche Kontrolle ihrer materiellen Rechtmäßigkeit zu vereiteln. Die Möglichkeit einer solchen Kontrolle ist aber unerlässlich (...)“
Anlässlich des Urteils vom 29.06.2010 vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg sprach MdB Andrej Hunko (DIE LINKE.) von einer "schallenden Ohrfeige" für den 6. Staatsschutzsenat von Ottmar Breidling.
Entgegen der Ansicht der Bundesanwaltschaft ist laut dem EuGH-Urteil eine strafrechtliche Verurteilung der drei auf Grundlage der EU-Terrorliste im Zusammenhang mit dem Außenwirtschaftsgesetz bis Juni 2007 nicht möglich, da eben bei der Erstellung dieser Listen gegen elementare Verfahrensgarantien verstoßen wurde.
Anna Conrads, MdL NRW ergänzte: „Mit der Entscheidung des EuGH entfällt der Vorwurf nach § 34 Abs. 4 des Außenwirtschaftsgesetz weitgehend als Anklagepunkt. Die Angeklagten befinden sich seit fast 20 Monaten in Untersuchungshaft, unter Isolations- Bedingungen. Sie sind bis zu 23 Stunden am Tag alleine, dürfen in Teilen Ehepartner/innen und Verwandte nicht sehen und haben nur eingeschränkten Zugang zu Zeitungen und Medien. Die durchschnittliche maximale U-Haftzeit beträgt 6 Monate. Die Angeklagten sollten nach dieser Schlappe für die Bundesanwaltschaft endlich aus der unverhältnismäßigen Untersuchungshaft entlassen werden.“
Dem Antrag der Verteidigung auf unverzügliche Entlassung von Nurhan Erdem, Cengiz Oban und Ahmet Istanbullu entsprach Ottmar Breidling jedoch nicht.
Zu der EU-Terrorliste äußerte sich Hunko: „Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die EU-Terrorliste rechtstaatlich nicht akzeptabel ist und sofort abgeschafft werden muss: Die von Vertreter/innen der Exekutive beschlossenen Listen haben unmittelbar legislative Folgen und sind weder demokratisch legitimiert noch kontrolliert. Der Bericht der parlamentarischen Versammlung des Europarates aus dem Jahr 2007 ist leider unverändert aktuell: Die EU-Terrorlisten bleiben ein rechtsstaatlicher Skandal unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung und zielen auf eine zivile Todesstrafe.“
FREMDWORT: COMPUTER-FORENSIK
Besorgniserregend unbesorgt gehen der der 2. und 6. Senat auch mit so genannten Asservaten um (beschlagnahmte Gegenstände, die als Beweismittel im Prozess dienen; in diesem Fall Festplatten), die bei mehreren Hausdurchsuchungen in den Niederlanden sichergestellt worden sein sollen. Dabei soll es sich um Teile eines angeblichen digitalen Archivs der linken türkischen Befreiungsbewegung DHKP-C handeln. Mit ihm sollen die Strukturen der Organisation in Europa belegt werden. Allerdings sind weder die Sicherung und Gewinnung noch die Entschlüsselung dieser Daten, die angeblich aus besagten Festplatten gewonnen wurden, forensisch hinreichend dokumentiert und nachgewiesen.
Hier kommt das erste 129b-Verfahren gegen die migrantische Linke ins Spiel, das in Stuttgart-Stammheim stattfand.
In diesem Pilotverfahren kam es am 8.7.2009 zu einem verhängnisvollen Urteil, das sich nun auf die Düsseldorfer Prozesse auswirkt.
Die in Stuttgart Beschuldigten hatten bereits begonnen, auf das dubiose Zustandekommen der digitalen Beweisdaten aufmerksam zu machen. In einem Deal waren die Angeklagten dann gezwungen worden, alle Bedenken bezüglich der niederländischen Asservate zurückzustellen. Dafür hatten die drei Stuttgarter Verurteilten einem verkürzten Verfahren zugestimmt, damit der Prozess endlich zu einem Ende kam. Einer erklärte, dass er zugestimmt habe, weil er sich seiner Genesung widmen müsse und seine Gesundheit im Gefängnis nicht wieder hergestellt werden könne. Er ist ein linker Journalist, der in der Türkei 17 Jahre im Gefängnis saß und gefoltert wurde. Dort wurde seine Gesundheit irreparabel ruiniert. Er floh nach Deutschland, um seine schwere Herzkrankheit auszukurieren. Kurz nach einer Bypass-Operation, er war noch auf Kur, wurde er verhaftet. Er hatte erkannt, dass die Solidaritätsbewegung in Deutschland nicht stark genug war, um zu erreichen, dass er aus Krankheitsgründen freigelassen wird. Ein Schwerkranker musste einen Deal eingehen und sich teilweise schuldig bekennen, um aus dem Gefängnis zu kommen. Ruhe wird deshalb noch nicht für ihn einkehren, weil er nun als Zeuge im Düsseldorfer Verfahren aussagen muss.
Im Düsseldorfer Verfahren wird nun das durch besagten Deal zustande gekommene Stuttgarter Urteil immer wieder zur Beweisführung herangezogen. In diesem Zusammenhang sprachen die Verteidigerinnen vom "Handel mit der Gerechtigkeit". Da ein ausgehandeltes Urteil vorliege, in dem abgesprochene Geständnisse eine Rolle spielten, sei die Beweiskraft dieser Geständnisse doch sehr untergeordnet. "Die indizielle Bedeutung ist beschränkt!" unterstrich die Verteidigung. Angesichts der kargen Beweislage sieht der 6.Staatsschutzsenat dies wohl nicht ein. Durch pausenloses Verlesen eben dieses Urteils dokumentiert das Gericht seinen Verurteilungswillen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29.6.210 wurde bislang nicht verlesen.
SCHIKANEN GEGEN ZEUG_INNEN UND PROZESSBEOBACHTER_INNEN
Die Mitglieder der Landtagsfraktion DIE LINKE. Hamide Akbayir, Anna Conrads und Ali Atalan gehören zu den regelmäßigen Prozessbeobachter_innen. In ihrer Pressemitteilung zum Prozess heißt es: „Es ist ein wichtiger Bestandteil des Rechtsstaats, dass Prozesse unter Einbeziehung der Öffentlichkeit stattfinden. Wir haben bei unserem Besuch den Eindruck bekommen, dass die Teilnahme der interessierten Öffentlichkeit bei diesem Prozess nicht gewünscht ist."
Auch die MdBs Inge Höger und Andrej Hunko beobachten die Verfahren in regelmäßigen Abständen. Zum Umgang mit öffentlich geäußerter Kritik an den Prozessen erklärt MdB Inge Höger: "Die unfairen Bedingungen für die Angeklagten sind ja bereits in aller Munde. Die drei Angeklagten werden seit anderthalb Jahren in Untersuchungshaft festgehalten. Das ist unangemessen und muss stärker öffentlich kritisiert werden. Zudem darf die grundlegende Kritik an der EU-Terrorliste in diesem Verfahren nicht einfach ignoriert werden".
Unfair geht es in der Tat zu - es kam im vergangenen Jahr zu Übergriffen vom Justizpersonal auf Prozessbeobachter_innen. Rabiat gingen Polizei- und Justizbeamte Ende Mai 2009 gegen die interessierte Öffentlichkeit vor: Beim Verlassen des Gerichtssaales zu Beginn der Mittagspause hatten die Besucher_innen gerufen „Freiheit für Faruk“. Daraufhin wurden sie von Justizvollsteckungsbeamten auf richterliche Anordnung zurück in den Gerichtssaal geführt und dort über eine Stunde festgehalten. Anschließend wurden sie in eine Zelle im Kellerbereich gebracht. Auf die Forderung nach einem Kontakt zum Anwalt hatten die Beamten mit dem Löschen des Lichts reagiert. Anschließend wurde die Zelle von mindestens 15 Justiz- und Polizeibeamten gestürmt. Prozessbeobachter_ innen wurden mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen, an den Haaren gerissen und durch den Raum geschleudert, heißt es in dem Bericht der Roten Hilfe. Eine Frau sei durch Schläge ins Gesicht verletzt worden. Später wurden die weiblichen Prozeßbeobachterinnen mit Handschellen gefesselt in anderen Zellen auf den Boden geworfen. Als die neun schließlich dem Richter vorgeführt wurden, verurteilte dieser sie ohne Kommentierung der offensichtlichen Verletzungen zu jeweils 100 Euro Ordnungsgeld wegen angeblicher Störung des Prozesses.
Ein weiteres Beispiel zeigt, wie unwillkommen öffentliches Interesse an den Prozessen ist: Ein Prozessbericht zu den Verfahren wurde mit einer Verleumdungsklage und dem astronomischen Strafbefehl von 12 000 Euro überzogen. Es war nicht der Bericht zu den Übergriffen der Justiz auf Prozessbeobachter_innen - diese Übergriffe wurden nie abgestritten. Es war ein Bericht zur Beugehaft des Zeugen Nuri Eryüksel. „Die Verleumdungsklagen gegen uns scheinen das politische Ziel zu verfolgen, die Presse mittelbar von der Prozessberichterstattung abzuhalten. Es handelt sich damit um einen Schlag gegen die Pressefreiheit“, betonen die Betroffenen in einer Erklärung.
Inzwischen endete die Verhandlung vor dem Amtsgericht Krefeld gegen das Onlineportal ‚scharf-links' mit Freispruch - neben der linken Internetseite ist auch das Hamburger Gefangeneninfo von einer Verleumdungsklage durch das OLG Düsseldorf betroffen. Die Verhandlung gegen das Gefangeneninfo steht im August noch an.
Alle Berichte betrafen die von Richter Bertold Klein verhängte Beugehaft gegen Nuri Eryüksel, der Zeuge im Verfahren gegen Faruk Ereren war. Der Bundesgerichtshof kassierte den Beugehaftsbeschluss vier Wochen später als rechtswidrig. Da hatte der durch Folter in der Türkei erblindete Nuri Eryüksel allerdings schon vier Wochen in Beugehaft verbracht.
Im Prinzip handelt es sich bei all dem um einen extremen Justizskandal. Wie unerwünscht Öffentlichkeit ist, dokumentieren auch die Worte, mit denen eine junge Justizbeamtin eine Prozessbeobachterin begrüßte:
"Wir legen keinen Wert darauf, dass Sie kommen!".
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen