von Miguel Urbano Rodrigues, FARC (Kolumbien)
übersetzt von Jens-Torsten Bohlke, Brüssel
Caracas, 13. August 2010, Tribuna Popular TP. - Auf ein Mal ergoss sich ein Regen voller Lobhudeleien aus Washington, London und Paris über Kolumbien. In den Schlagzeilen der bürgerlich-westlichen Einheitspresse und aus dem Munde imperialistischer Politiker der USA und Europas wurde dieser nur dürftigst bürgerlich-demokratisch verbrämte faschistische Terror- und Polizeistaat namens Kolumbien zum Modell für ganz Lateinamerika verklärt.
Kolumbiens politischer Interessenvertreter der dortigen Drogenmafiabosse Alvaro Uribe beendete seine zweite Amtszeit als Präsident und wurde zum Co-Präsidenten der von der UNO geschaffenen Internationalen Kommission ernannt, welche die Untersuchung über den verbrecherischen israelischen Überfall auf die Flottille der Freiheit durchführen soll. Zur gleichen Zeit lud die renommierte Georgetown University in Washington den getreuen US-Gefolgsmann Uribe dazu ein, dort einen Lehrgang für die Ausbildung von politischen Führungsleuten als Lehrkraft zu leiten.
Bei der Amtseinführung von Uribes Nachfolger Juan Manuel Santos als neuem Präsident Kolumbiens waren 16 Staatschefs zugegen. Sie kamen mehrheitlich aus Lateinamerika. Aber auch der spanische Kronprinz fehlte nicht. Tagelang wurde der neue Präsident Kolumbiens von der bürgerlichen Einheitspresse der westlichen Welt als talentierter demokratischer Politiker mit einem angeblichen Erneuerungsprojekt angepriesen. Er sei dazu entschlossen, Kolumbien anders als unter Uribe durch tiefgreifende Reformen eine Umorientierung zu geben. Angeblich. Denn sie alle wussten genau, dass sie da logen.
Die Tonart von Santos ist anders als jene von Uribe. Aber die Politik des Staatsterrorismus wird unter dem Beifall der reaktionärsten Kreise der Oligarchien Lateinamerikas, der USA und Europas weitergehen. Das Weiße Haus gibt sich geradezu euphorisch und sieht im derzeitigen Kolumbien eine beinahe schon beispielgebende Demokratie. Mit ganz besonderer Begeisterung feierte auch der enge Verbündete Israel den neuen Präsidenten von Kolumbien. Unverhüllt beklatschen die Kapitalmagnaten den Erben von Uribe. Und mal eben ganz plötzlich tun sie so, als sei der Lebenslauf von Juan Manuel Santos längst vergessen.
Der Nachfolger von Uribe ist ein politischer Abenteurer und Schwerverbrecher, dessen wohl tönende Worte eine finstere Vergangenheit bemänteln.
Juan Manuel Santos war als Verteidigungsminister der politische Hauptverantwortliche für den Piratenüberfall der Luft- und Landstreitkräfte Kolumbiens auf das Lager bei Sucumbios in Ekuador. Komplizen dieses Verbrechens vom 1. März 2008 waren der US-Imperialismus in Gestalt von CIA und Pentagon sowie Israel in Gestalt des Mossad. Bei jenem Bombardement kamen der Comandante Raúl Reyes, verantwortlich für die Außenbeziehungen der FARC, sowie Dutzende Kämpfer dieser revolutionären Guerilla-Organisation und vier vor Ort gewesene jungen Mexikaner ums Leben. Der Präsident von Ekuador Rafael Correa brach als Antwort auf dieses barbarische Kriegsverbrechen die Beziehungen zur Regierung in Bogotá ab. Die ekuadorianische Justiz forderte die Auslieferung von Juan Manuel Santos, damit er als Hauptverantwortlicher für dieses Verbrechen vor Gericht gestellt wird. Dazu kam es dann jedoch nicht, denn Uribe erklärte das ekuadorianische Gericht für unzuständig, um über seinen Minister zu richten.
Es verging ein Jahr. Ich hatte die Gelegenheit, in Caracas mit einem jungen Mexikaner zu sprechen, der in Ekuador bei jenem Bombardement und der anschließenden Landung von Fallschirmspringern und Lufttransport-Truppenangehörigen aus Kolumbien dabei gewesen war. Ich vergesse nicht die Schilderung, welche er vom Gemetzel an den schwerverletzten Guerrilleros machte, die das Bombardement überlebt hatten. Entgegen dem, was die bürgerliche Einheitspresse vorlog, starben sie im Kampf und wehrten sich bis zuletzt.
Der Ermittlungsprozess wurde jetzt zu den Akten gelegt, denn als Staatschef Kolumbiens genießt Juan Manuel Santos Immunität. Aber ich erinnere daran, dass er sich mit Stolz äußerte, geistiger Urheber des Massakers von Sucumbios gewesen zu sein. Das Ziel jenes Kriegsverbrechens war die FARC-Guerrilla.
Erwartet wurden bei der Amtseinführung von Juan Manuel Santos Lobgesänge seitens der reaktionären Präsidenten von Mexiko, Peru und Chile. Merkwürdigerweise jedoch reihten sich gemäßigte bürgerlich-demokratische Präsidenten wie Lula, Cristina Kirchner, Mauricio Funes und Fernando Lugo nicht nur in den Chor der Lobeshymnen auf Juan Manuel Santos ein. Sie äußerten auch noch ihre Unterstützung für die von Uribe einst begonnene sogenannte „Politik der demokratischen Sicherheit“, deren Fortsetzung der neue Präsident Santos verteidigte. Und darüber hinaus noch nutzten sie die Gelegenheit, um die Aufstandsorganisationen zu kritisieren. Sie ergingen sich in Vorschlägen, dass die FARC und ELN mit dem Kampf aufhören sollten, sich in das System integrieren sollten und mit Santos unter dessen Bedingungen sprechen sollten.
Besonders unerwartet fiel die von Hugo Chávez vertretende Position aus. Der Präsident Venezuelas begab sich nach Santa Marta an der Kolumbianischen Karibikküste. Und in jenem Haus, wo Bolívar starb, tauschte Hugo Chávez Umarmungen mit Santos aus. Er unterzeichnete Vereinbarungen und ging Verpflichtungen ein, die von Form und Inhalt her schockierend sind.
Begreifbar ist, dass Hugo Chávez beabsichtigt, die Beziehungen mit Kolumbien nach dem aus der letzten Provokation von Uribe herrührenden Abbruch wieder zu normalisieren. Aber Hugo Chávez benutzte eine sehr unglückliche Sprache, insbesondere als er sich auf die revolutionären Organisationen in Kolumbien bezog, die den faschistischen Terrorstaat bekämpfen. Hugo Chávez schlug faktisch vor, dass sie sich den Forderungen von Juan Manuel Santos beugen sollten. Er stellte die FARC und die ELN mit den Verbrecherbanden der Paramilitärs und den Drogenkartellen auf dieselbe Stufe.
Die FARC hat wiederholt ihre Bereitschaft bekräftigt, mit der Regierung über die Notwendigkeit von Frieden im Land zu sprechen.
Aber welches Konzept für einen Dialog mit der FARC hat Juan Manuel Santos in seinem Wahlkampf und bei seiner Antrittsrede als neuer Präsident Kolumbiens vorgestellt?
Santos nannte drei Bedingungen für den Dialog mit der FARC:
- Niederlegen der Waffen;
- sofortige Freilassung aller Gefangenen;
- „Absage an den Drogenhandel“.
Was bedeuten diese Forderungen?
Sie bedeuten, dass Santos gar nicht reden will. Ohne es ausdrücklich zu sagen, forderte er die bedingungslose Kapitulation von der FARC. Denn gäbe die Guerilla-Organisation ihre Waffen vor Aufnahme des Dialogs ab, dann stünde sie in der Gewalt des Oligarchenregimes.
Es reicht, an den politischen Völkermord aus den 80er Jahren zu erinnern.
Im März 1984 akzeptierte die FARC den Vorschlag des Präsidenten Belisario Betancourt, im Rahmen der Institutionen zu kämpfen, die sich demokratisch nennen, und zugleich auf den bewaffneten Kampf zu verzichten.
Und was geschah?
Es wurde eine fortschrittliche Partei namens Patriotische Union (UP) gegründet, die an den Wahlen teilnahm. Die UP erhielt viele Mandate für Senatoren, Abgeordnete, Bürgermeister.
Die Antwort der Machthaber in Kolumbien bestand in einer barbarischen politischen Unterdrückung. Innerhalb von nur drei Jahren wurden über 3.000 Parlamentsmitglieder, Richter, Bürgermeister, Gewerkschaftsführer ermordet. Angeblich waren sie mit der FARC verknüpft. Jener Völkermord war schlimmer als alle vorhergehenden in der Geschichte Kolumbiens.
Die FARC nahm den bewaffneten Kampf wieder auf, um lediglich zu überleben.
Bis hin zur Frage der politischen Gefangenen ist alles seitens Santos mit Fallstricken ausgestattet. Er fordert alles und bietet gar nichts.
Ich persönlich lehne Entführungen ab. Aber ich kann nicht die Augen davor verschließen, dass das faschistische Staatsterror-Regime von Kolumbien in seinen üblen Haftanstalten unter menschenunwürdigsten Bedingungen etliche tausende Guerrillakämpfer eingekerkert hat. Und jeder humanitäre Gefangenenaustausch seitens des Regimes wird abgelehnt. Dadurch kommt es nicht einmal zur Freilassung eines Teils jener politischen Gefangenen gegen sogenannte „Geiseln“, die in ihrer Mehrzahl im Feuergefecht von der FARC gefangengenommene Militärangehörige sind.
Erst vor sehr kurzer Zeit wurden die Massengräber von La Macarena im Amazonasgebiet entdeckt. Dort haben internationale Ermittler die Überreste von über tausend Leichen gefunden. Sie stammen aus der Zeit, als die Armee der Oligarchie Kolumbiens gegen alle der Verbindung mit der UP verdächtigten Menschen vorging.
Wie soll dem Wort eines Juan Manuel Santos Vertrauen geschenkt werden? Des Verantwortlichen für das Massaker von Sucumbios.
Ich bin mir sicher, dass Hugo Chávez sehr bald bereuen wird, an das Versprechen einer „transparenten, demokratischen und respektvollen“ Beziehung geglaubt zu haben, welches von einem korrupten und verbrecherischen Politiker gegeben worden ist. Dieser Schwerverbrecher und jetzige Präsident Kolumbiens wird unvermeidlich die aggressive und ultrareaktionäre Strategie fortsetzen, die von einer Oligarchie vorgegeben ist, deren Interessen er stets vertreten hat.
Es überrascht auch, dass Hugo Chávez als Pionier und in seiner Person fast schon Motor des Widerstandes gegen den Imperialismus (wofür er die Unterstützung und Bewunderung der fortschrittlichen Kräfte Lateinamerikas verdient,) in Santa Marta nicht das Thema der Einrichtung der 7 neuen US-Militärstützpunkte in Kolumbien angesprochen hat. Er hat vergessen, dass er in der UNASUR erklärte, dass jene US-Militärstützpunkte eine unzulässige Bedrohung für die Unabhängigkeit der Völker Lateinamerikas darstellen. Er erklärte in Santa Marta, dass jedes Land das souveräne Recht hat, über Probleme wie dieses selbst zu entscheiden.
Die Helden Lateinamerikas
Ich lehne ganz entschieden und grundsätzlich die von Regierung und Militärs in Kolumbien für die FARC verwendeten Begriffe ab, welche darüber hinaus von der UNO, der EU und den bürgerlichen Einheitsmedien in den USA und in Europa übernommen worden sind.
Nicht nur als Terroristen, auch als Drogenhändler wird die FARC abgestempelt.
Das Etikett von der „Guerilla des Drogenhandels“ ist ein vom ehemaligen US-Botschafter in Kolumbien Louis Stamb forcierter Totschlagsbegriff. Stamb ist eng verknüpft mit dem Pentagon und der CIA. Derartige Verleumdungen sollen die FARC diskreditieren.
Jetzt gehen die Folgen dieser massiven Verteufelungskampagne gegen die FARC schon so weit, dass sogar einige kommunistische Intellektuelle darauf reinfallen. Routinemäßig käuen die bürgerlichen Einheitsmedien dieser Welt das Konstrukt von „Kokainfabriken“ wieder, welche ausgerechnet die FARC im amazonischen Urwald eingerichtet haben soll.
Hätte die FARC Millionen Dollars mit Drogengeschäften angehäuft, dann würde die FARC über Raketenwerfer verfügen, wie die Widerstandsorganisationen in Afghanistan und Irak sie haben. Aber selbst das scheinheilige und verlogene Regime in Bogotá muss anerkennen, dass die FARC-Einheiten nicht über Waffen jener Art verfügen.
Nicht nur jene wie ich, die die ärmlichen Lebensbedingungen der im Untergrund agierenden FARC-Angehörigen einschließlich ihrer Vertreter im Ausland kennen, wissen, dass die Schauermärchen von der „Guerilla des Drogenhandels“ eine perverse Erfindung des Imperialismus ist.
Das Leben gab mir die Gelegenheit, viele Wochen in einem Lager der FARC zu verbringen. Das war im Amazonasgebiet von Meta. In jenen Tagen lernte ich großartige kommunistische Kämpfer kennen. Darunter auch Simón Trinidad. Er wurde von Uribe an die USA ausgeliefert. Er ist derzeit dort eingekerkert. Zwei Gerichtsverfahren in den USA gegen ihn erwiesen sich als Farce und scheiterten kläglich. Dann verurteilten sie ihn wegen Anschuldigungen des Drogenschmuggels. Ihn, einen einstigen Bankier, Mitglied einer reichen aristokratischen Familie in Kolumbien.
Damals entwickelte ich auch eine von Hochachtung und Bewunderung gekennzeichnete sehr freundschaftliche Beziehung mit dem FARC-Comandante Raúl Reyes. Wir hielten unseren Kontakt stets aufrecht, bis sie ihn in Sucumbios ermordeten, südlich des Putumayo, beim verbrecherischen Bombenangriff nach dem Konzept von Juan Manuel Santos.
Mit Manuel Marulanda, dem Gründer der FARC, sprach ich einige Male und jeweils nur wenige Minuten. Aber ich bewahre eine unvergessliche Erinnerung an diesen Revolutionär, diesen beispielhaften Kommunisten und militärischen Strategen, welchen es möglicherweise nur ein einziges Mal in der Geschichte Lateinamerikas gibt.
Angesichts der üblen Verleumdungen gegen die Kämpfer der FARC erinnere ich besonders an Rodrigo Granda alias Ricardo González, meinen brüderlichen Freund und einen der wahrhaftigsten und reinsten Revolutionäre, die mein Leben mir gestattete kennenzulernen.
Wenn ich mich an die Kämpfer der FARC erinnere, an ihre Märtyrer, an die eingekerkerten FARC-Guerrrilleros, an die in den Bergen und Urwäldern ihres Landes aktiv kämpfenden FARC-Angehörigen, dann überkommt mich ganz natürlich ein Abscheu ohnegleichen angesichts der falschen Lobgesänge auf den Schwerverbrecher Juan Manuel Santos.
Trotz dieses niederträchtigen Wesens von Juan Manuel Santos konzentriert die internationale Bourgeoisie ihre Anstrengungen derzeit darauf, Verleumdungen gegen die Comandantes der FARC zu verbreiten, die lediglich für ein freies und demokratisches Kolumbien kämpfen.
Ganz sicher gehören die Namen von Uribe und Santos und deren Anhängern zu jenen, die von künftigen Generationen vergessen sein werden.
Unvergesslich aber bleiben die Namen von Manuel Marulanda, Jacobo Arenas, Raúl Reyes.
Mit der Zeit werden die Verleumdungen niemanden mehr überzeugen können. Unsere Helden und Märtyrer trugen zur tief verwurzelten Geschichte bei. Sie standen in Treue zu den ewigen Werten der Menschlichkeit. Sie vertraten die Ideale, für die sie lebten. Sie kämpften heldenhaft für Lateinamerika wie Bolívar, Artigas, Martí.
Quelle: http://www.tribuna-popular.org/
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