Freitag, 4. Februar 2011

IMI-Analyse zum Sezessionsreferendum im Sudan

IMI-Analyse 2011/02 - in: AUSDRUCK (Februar 2011)
Südsudan: Neue Heimat des AFRICOM?
Westliche Planspiele für eine dauerhafte Militärpräsenz
http://www.imi-online.de/2011.php?id=2238
3.2.2011, Jürgen Wagner


Vom 9. bis zum 15. Januar 2011 fand im Süden des Sudan ein Referendum
statt, in dem sich die Bevölkerung mit großer Mehrheit für die
Unabhängigkeit und damit die Abspaltung vom Norden aussprach.[1] Die
Abstimmung erfolgte auf Grundlage eines am 9. Januar 2005
unterzeichneten „Friedensabkommens“ (Comprehensive Peace Agreement, CPA)
zwischen den Bürgerkriegsparteien im Norden und Süden (die
westsudanesische Provinz Darfur war explizit ausgeklammert). Es sah vor,
sechs Jahre nach Unterzeichnung das nun durchgeführte Referendum
abzuhalten, bei dem allein die Bevölkerung des Südens über die
Abspaltung vom Norden entscheiden konnte. Da sich der Großteil der
Ölvorkommen des Landes im Süden befindet und der Regierung in Karthum
durch eine Abspaltung der Verlust nahezu sämtlicher Staatseinnahmen
droht, ist es wenig verwunderlich, dass sie erst mittels massivster
westlicher Interventionsdrohungen „überzeugt“ werden musste, den
„Friedensvertrag“ zu unterzeichnen.

In vielerlei Hinsicht hat sich die Regierung in Karthum die Suppe selbst
eingebrockt: die jahrzehntelange Unterdrückung des Südens und der
Versuch der Herrscherclique, sich möglichst große Teile des Ölreichtums
unter den Nagel zu reißen, bildeten den Nährboden für das jetzige
Ergebnis des Unabhängigkeitsreferendums. Nach gegenwärtigem Fahrplan
soll die Unabhängigkeit Anfang Juli 2011 in Kraft treten und damit ein
neuer afrikanischer Staat namens „Republic of South Sudan“ entstehen.
Doch auch im Südsudan hat sich mit der dort herrschenden Sudanesischen
Volksbefreiungsbewegung (SPLM) und deren Chef, Salva Kiir, eine korrupte
Herrscherelite herauskristallisiert, deren Augenmerk primär auf den
eigenen Profiten liegt und die ebenfalls extrem repressiv gegen
Oppositionelle vorgeht.[2] Auch wenn sie im Falle des Sudan stets
buchstäblich ins Feld geführt werden: Menschenrechtsragen dürften somit
wohl kaum die Ursache für die vollkommen einseitige Parteinahme des
Westens zugunsten der südsudanesischen Seite sein.

Vielmehr stellte das Referendum den bisherigen Höhepunkt eines seit
Jahren zielstrebig auf den Weg gebrachten Planes dar. Hauptziel dabei
ist es, mit der Abspaltung des Südens die dort lagernden Ölvorkommen
unter westliche Kontrolle zu bringen und damit dem chinesischen Einfluss
zu entziehen. Doch trotz des abgehaltenen Referendums bleiben weiterhin
zahlreiche wichtige Fragen ungeklärt. So beanspruchen etwa beide
Parteien sowohl der Norden als auch der Süden die Kontrolle der
ölreichen Abyei-Region, die aus dem Referendum ausgeklammert worden war.
Vor allem gibt es bislang noch keine Einigung, in welchem Umfang – und
ob überhaupt – der Norden an den künftigen Erlösen aus dem Ölverkauf
beteiligt wird. Nicht wenige Beobachter warnen deshalb davor, dass es zu
einem erneuten Bürgerkrieg kommen könnte.[3] Um deshalb den
Abspaltungsprozess abzusichern und die Präsenz auf dem afrikanischen
Kontinent auszubauen, werden in den USA derzeit Pläne entworfen, sich
dauerhaft militärisch im Südsudan festzusetzen. Auch in der Europäischen
Union wird gegenwärtig über den Einsatz von EU-Kampftruppen
(Battlegroups) nachgedacht, sollten die Entwicklungen nicht den
gewünschten Verlauf nehmen.

Im schlimmsten Falle könnten die Ereignisse im Sudan sogar der
Startschuss für eine neue Ära neokolonialer Politik darstellen, in der
der Westen erneut nach Gutdünken afrikanische Grenzen zurechtrückt –
selbstredend aber nur dort, wo sich dies mit den eigenen Interessen
deckt. Schon jetzt fordern hochrangige EU-Politiker, das Prinzip der
Unverletzlichkeit der Grenzen müsse im Falle Afrikas überdacht werden.


US-Sezessionshilfe

In den USA gibt es seit Jahren sowohl innerhalb als auch außerhalb der
Regierungszirkel einflussreiche Förderer einer südsudanesischen
Unabhängigkeit. Die meisten von ihnen setzen sich gleichzeitig für harte
Maßnahmen bis hin zu Militäreinsätzen gegen den Norden ein. Sollte die
Regierung in Karthum den Referendumsprozess und die anschließende
Abspaltung nicht klaglos hinnehmen, müsste sie eben dazu gezwungen
werden, so die Kernforderung der wichtigsten Lobbygruppen, etwa des
„Enough Project“ und der „Save Darfur Campaign“. Diese Hardliner können
sich vor allem auch deshalb viel Gehör verschaffen, weil ihr – aufs
gröbste verkürztes – Bild eines vermeintlich
christlich-arabisch/islamischen Konflikts in den USA viel Unterstützung
mobilisieren kann.[4] Schlüsselfiguren sind u.a. Dave Eggers,
regelmäßiger Kommentator für „Save Darfur“ sowie John Prendergast, der
Mitbegründer des „Enough Project”, die seit Jahren, u.a. Mitte 2010 in
der „New York Times“, eine deutlich härtere Gangart forderten: „Wir
schlagen Drohmaßnahmen vor, einschließlich Sanktionen gegen die
regierende Partei, die Blockade von Schuldenerlassen beim
Internationalen Währungsfond […] und der Gewährung weiterer
Unterstützung für den Süden.“[5]

Nicht wenige Hardliner finden sich auch in Obamas Regierungsmannschaft
und haben Berichten zufolge auch einen sehr guten Zugang zum
Präsidenten, auch und gerade in der Sudan-Frage.[6] So etwa Gayle Smith,
ebenfalls Mitbegründerin des „Enough Project“ und im Nationalen
Sicherheitsrat für Entwicklungsfragen verantwortlich. Vor allem aber
Obamas außenpolitische Chefberaterin während des Wahlkampfes, Susan
Rice, mittlerweile US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen; macht
seit Jahren Stimmung für ein bewaffnetes Eingreifen: "Die Geschichte
zeigt, dass Karthum nur eine Sprache versteht: die glaubwürdige
Androhung oder Anwendung von Gewalt." Eine UN-Resolution solle eine
Militärintervention autorisieren, die laut Rice folgendermaßen ablaufen
würde: "Die USA, vorzugsweise mit NATO-Beteiligung und afrikanischer
politischer Unterstützung, würden sudanesische Flughäfen, Flugzeuge und
andere militärische Anlagen bombardieren. Sie würden Port Sudan
blockieren, durch das die sudanesischen Ölexporte fließen. Anschließend
würden die UN-Truppen stationiert – mit Gewalt, sollte dies nötig sein
und mit Unterstützung seitens der USA und der NATO. Sollten die USA
keine UN-Autorisierung erhalten, sollten sie auch ohne sie handeln."[7]

Konsequenterweise flossen deshalb nicht nur unter George W. Bush,
sondern auch unter seinem Nachfolger Barack Obama beträchtliche Summen
in den Aufbau eines unabhängig funktionsfähigen Südsudan – und damit
zumindest mittelbar in die Unterstützung der Sezessionsbestrebungen. So
zitierte die „Washington Times“ Ezekiel Lol Gatkuoth, den Chef der
südsudanesischen Niederlassung bei den Vereinten Nationen, Ende 2009 mit
den Worten: „Eines der Ziele der US-Regierung ist es nun
sicherzustellen, dass der Südsudan 2011 ein lebensfähiger Staat ist.“[8]
In dieses Ziel wurde erheblich investiert, wie ein Beitrag in „Newsweek“
enthüllt: „Auch in der besonneneren Obama-Ära pumpen die USA jährlich
mehr als 300 Mio. Dollar in den Südsudan – dies ist Teil der intensiven
Anstrengungen, Kiirs Regierung vor dem Unabhängigkeitsreferendum zu
stärken. […] Die USA haben in den letzten Jahren mehr als 100 Mio.
Dollar für die Ausbildung und Unterstützung der südsudanesischen Armee
ausgegeben.“[9] Allein im Haushaltsjahr 2011 sind für diese Zwecke laut
einem Bericht des US-Außenministeriums 42 Mio. Dollar eingestellt. Sie
sollen für „den Aufbau und die Umgestaltung der SPLM-Armee im Südsudan
von einer Guerillaarmee in eine professionelle militärische Truppe
verwendet werden.“[10] Für den Aufbau staatlicher Strukturen im Südsudan
sind im selben Zeitraum 53,9 Mio. Dollar vorgesehen.[11] Selbstredend
soll sich dieses Engagement auch auszahlen, nämlich in Form einer
dauerhaften US-Präsenz im Südsudan.


Südsudan: Neue Heimat des AFRICOM?

Mit dem erst 2007 geschaffenen Afrika-Kommando (AFRICOM) wurde dem
Kontinent erstmals ein eigenes Regionalkommando zugeordnet, ein
deutlicher Ausdruck für das gestiegene US-Interesse an Afrika. Zwar
unterhalten die USA zahlreiche Militärbasen in Afrika, bis heute gelang
es ihnen jedoch nicht, ein „Gastland“ für das AFRICOM-Hauptquartier zu
finden, das deshalb weiterhin in Stuttgart residiert. Die Gründe,
weshalb sich die Begeisterung, das US-Kommando zu beherbergen, in
Grenzen hält, fasst ein Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des
US-Kongresses bündig zusammen: „Es gibt einige Besorgnis hinsichtlich
der US-Motivation hinter der Schaffung von AFRICOM. Viele Afrikaner
fürchten, dass der Schritt einen neokolonialen Versuch repräsentiert,
die Region militärisch beherrschen zu wollen. […] Viele betrachten die
amerikanischen Anti-Terrormaßnahmen in Afrika skeptisch und die Meinung
scheint weit verbreitet zu sein, dass die wesentliche Aufgabe des neuen
Kommandos die Jagd nach Terroristen und die Sicherung des US-Zugangs zu
afrikanischem Öl sein wird. Amerikanische Außenpolitikanalysten haben in
den letzten Jahren der chinesischen Rolle in Afrika zunehmende
Aufmerksamkeit zukommen lassen und diese Aufmerksamkeit führte zu
Fragen, ob ein Afrika-Kommando nicht Teil eines neuen Kampfes um
Einfluss auf dem Kontinent sein könnte.“[12]

In der Tat gibt es zahlreiche Aussagen von US-Regierungsoffiziellen, die
wenig Zweifel aufkommen lassen, dass das neue Kommando nicht zuletzt der
verbesserten Kontrolle afrikanischer Bodenschätze, insbesondere von Öl
dient.[13] Und auch, dass die Zurückdrängung Chinas weit oben auf der
US-Agenda und damit auch auf der des AFRICOM steht, wurde durch die
jüngsten Wikileaks-Veröffentlichungen von höchsten Stellen bestätigt. So
bezeichnete Johnnie Carson, Staatssekretär für afrikanische
Angelegenheiten im US-Außenministerium, China in einer Stellungnahme
zwar – noch – nicht als „militärische, sicherheitspolitische oder
geheimdienstliche Bedrohung“, wohl aber als einen „sehr aggressiven und
schädlichen ökonomischen Rivalen ohne jegliche Moral.“ Anschließend
benannte er „Stolpersteine“ („tripwires“), die definieren, unter welchen
Bedingungen die USA eine härtere Gangart einlegen müssten: „Haben sie
Verträge über Militärbasen unterzeichnet? Bilden sie Armeen aus? Sind
geheimdienstliche Operationen in Gang gesetzt worden? Sobald sich auf
diesen Gebieten etwas tut, werden die Vereinigten Staaten beginnen, sehr
besorgt zu sein.“[14]

Ungeachtet der Tatsache, dass die USA sämtliche dieser Aktivitäten wie
selbstverständlich selbst durchführen, herrscht dort große Besorgnis
darüber, dass sich China immer häufiger und umfangreicher an
UN-Militäreinsätzen in Afrika beteiligt.[15] Von den insgesamt knapp
2000 im Ausland eingesetzten chinesischen Soldaten ist der Großteil auf
dem afrikanischen Kontinent stationiert und hier wiederum die meisten
davon im Sudan. China hat nicht nur erheblich in den sudanesischen
Ölsektor investiert, es ist auch Ziel von 65% der Ölexporte des Landes.
Aus diesem Grund ist Peking der wichtigste Unterstützer der
sudanesischen Regierung und rüstete unter anderem (zusammen mit
Russland) dessen Armee auf.[16]

Es spricht also einiges dafür, dass die USA, vor allem auch um den
chinesischen Einfluss zurückzudrängen, großes Interesse an einer
dauerhaften Präsenz im Sudan haben: "Die USA wollen einen unabhängigen
Staat Südsudan, um ihre politischen Ziele in Afrika zu erreichen",
erklärt Hani Raslan vom ägyptischen „Al-Ahram-Zentrum für Politische und
Strategische Studien“. „In den letzten Tagen der Regierung George W.
Bushs errichtete das US-Verteidigungsministerium das Afrika Kommando,
kurz: AFRICOM, das für Militäreinsätze in Afrika zuständig ist. Und ein
wesentliches Element dieses neuen Regionalkommandos wird eine große
Militärbasis sein, die im Südsudan errichtet werden wird, so die
Hoffnung der USA.“[17]

Offenbar sind hier bereits umfangreiche Absprachen getroffen worden, wie
der den US-Hardlinern nahestehende, gewöhnlich gut informierte
„Jamestown Monitor“ im Mai 2010 zu berichten wusste: „Eine sudanesische
Tageszeitung berichtete kürzlich, dass die SPLM ein Dokument
ausgearbeitet hat, dass einem US-Diplomaten bei seinem Besuch vorgelegt
werden sollte. In ihm bot die SPLM an, im Tausch für logistische
Unterstützung, Militärtraining und Gelder für Waffenankäufe für
regionale Stabilität zu sorgen und Anti-Terror-Operationen in
Zusammenarbeit mit dem AFRICOM durchzuführen. Die Zeitung gab an, das
Dokument sei von einem Komitee hochrangiger SPLA-Offiziere unter Leitung
des Ministers für SPLA-Angelegenheiten angefertigt worden. Der Plan
wurde auf einem Treffen genehmigt, das von General Salva Kiir geleitet
wurde. […] Es hat den Anschein, als erwöge die SPLM eine Rolle als
US-Klient in Afrika anzunehmen und zwar im Tausch gegen amerikanische
Militärhilfe oder den Schutz im Falle eines erneuten Bürgerkrieges mit
dem Norden in Folge des Unabhängigkeitsreferendums.“[18]

Laut einem Bericht der sudanesischen Tageszeitung „Alintibaha“ vom Juni
2010 gab es ferner auch bei einem kurz zuvor erfolgten USA-Besuch von
SPLM-Generalsekretär Pagan Amum weitere Gespräche in dieser
Angelegenheit: „Amum unterstrich bei seinem Treffen mit
AFRICOM-Kommandeur General William Ward die Bedeutung amerikanischer
Militärbasen im Sudan, um die […] Kriege und Spannungen im Gebiet der
Großen Seen überwachen zu können. Amum teilte den Wunsch der
SPLM-Führungsriege mit, eine solche Basis beherbergen zu wollen. Er
sagte, sie wollten Teil des amerikanischen Verteidigungssystems sein. Er
versprach, dass die SPLM den Männern auf dem amerikanischen Stützpunkt
einen sicheren Hafen bieten und die politische Rückendeckung für die
Überwachung der Verhältnisse in verschiedensten Teilen Afrikas liefern
würde.“[19] Die saudische Tageszeitung „Asharq Al-Awsat“ bestätigte
ebenfalls die Existenz von Plänen für eine dauerhafte US-Präsenz: „Es
gibt Berichte, nach denen das US-Afrika-Kommando beabsichtigt, sollte
sich der Süden für eine Sezession entscheiden, eine Basis in Juba zu
errichten.“[20]

Nicht einmal ausgeschlossen ist, dass der Südsudan sogar „Gastland“ für
das AFRICOM selbst werden könnte. Jedenfalls kündigte der neue
AFRICOM-Chef Carter Ham an, erneut auf die Suche nach einem
afrikanischen Land gehen zu wollen, in das das AFRICOM-Hauptquartier
verlegt werden könnte.[21] Einer der wenigen Hinweise darauf, dass die
Mehrheit der Südsudanesen demgegenüber durchaus aufgeschlossen sein
könnte, zumindest aber darauf, dass ein solcher Gedanke nicht völlig
abwegig ist, liefert die „Sudan Tribune“. Das wohl bestbesuchte
englischsprachige Sudan-Internetnachrichtenportal stellte in einer
Umfrage im Sommer 2010 die Frage, ob ein unabhängiger Südsudan künftig
das AFRICOM-Hauptquartier beherbergen solle. Ergebnis: 81,6% der
abgegebenen Stimmen sprachen sich dafür, lediglich 18,4% dagegen aus.[22]


EU und UN: Militärische Absicherung des Abspaltungsprozesses

Auch die Europäische Union und die Vereinten Nationen haben seit Jahren
massiv in den Aufbau des Südsudan und damit in die Vorbereitung der
Sezession investiert.[23] Doch die Unterstützungsleistungen beschränken
sich nicht auf „zivile“ Maßnahmen. So entsendeten die Vereinten Nationen
zur Überwachung des „Friedensabkommens“ die UN-Mission UNMIS in den
Sudan. Gegenwärtig besteht die UNMIS aus knapp 9.500 Soldaten (30
deutsche), 655 Polizeibeamten und 486 Militärbeobachtern und kostet
jährlich ca. 1 Mrd. Dollar. Entgegen ihrem Auftrag ist die UN-Truppe
alles andere als neutral, sie griff bspw. in innersüdsudanesischen
Auseinandersetzungen immer wieder aktiv aufseiten der SPLM ein.[24] Vor
allem soll die Truppe gewährleisten, dass der Abspaltungsprozess
reibungslos über die Bühne geht, weshalb man sich auf eine längere
Präsenz einrichtet: „Das umfassende Engagement von UNMIS im Süden und
der Ausbau des UN-Compounds in Juba deuten darauf hin, dass UNMIS
zumindest im Süden weiterhin eine starke Rolle spielen könnte.“[25]

Sollte es zu neuerlichen Kampfhandlungen im Sudan kommen, scheinen auch
die EU-Kampftruppen als Verstärkung Gewehr bei Fuß zu stehen. So meldete
der „Behörden-Spiegel“ Ende Januar 2011: „Wie aus Sicherheitskreisen in
Brüssel zu hören ist, wird derzeit über die Errichtung einer EU-Battle
Group für den Sudan nachgedacht. Konkrete Planungen existieren noch
nicht, das Vorhaben sei noch im Stadium der ‚internen Diskussion‘.“[26]
Auch der „EUObserver“ gibt an: „EU Battelgroups zur Unterstützung der
UN-Peacekeeping-Truppen ist eine der Ideen, die in Betracht gezogen
werden, auch wenn die Entsendung einer Mission zum Polizeitraining
wahrscheinlicher ist.“[27] Vor diesem Hintergrund ist die Antwort der
Bundesregierung auf eine kleine Anfrage nach den Plänen für einen
solchen Militäreinsatz regelrecht unverschämt, denn sie gab an, sie sehe
„keinen Anlass für eine Diskussion über den Einsatz einer EU Battle
Group.“[28]


Sezessionsspirale in Afrika?

Beobachter warnen davor, dass die Ereignisse im Sudan eine Spirale des
Staatszerfalls in Afrika einläuten könnten: „Das heikle Unterfangen
könnte unabsehbare Folgen für den ganzen Kontinent nach sich ziehen, da
es mit einem Prinzip der Afrikanischen Union bricht. Demnach sind die
einst unter kolonialer Herrschaft gezogenen Grenzen unabänderbar – und
das nicht, weil sie etwa gerecht gewesen wären, sondern weil eine
Abspaltung beispielgebend wirken könnte. ‚Dass die Sezession Südsudans
weitere Sezessionsbewegungen in Afrika ermutigt, ist nicht
auszuschließen‘, kommentierte Professor Rüdiger Wolfrum vom
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
in Heidelberg.“[29] Und tatsächlich mehren sich die Berichte, wonach
zahlreiche separatistische Bewegungen sich nun auf das Beispiel Südsudan
beziehen und ihrerseits damit ihr Recht auf eine Abspaltung begründen.[30]

Ein Papier des von der US-Regierung finanzierten „US Institute for
Peace“ versichert jedoch beruhigend, zwar gäbe es „viele
Sezessionsbewegungen in Afrika, aber die meisten davon sind schwach und
verfügen nicht über die notwendige internationale Unterstützung für ihre
Sache, um erfolgreich zu sein. Dies minimiert die Wahrscheinlichkeit,
dass es eine Welle von Folgesezessionen geben wird, sollte sich der
Süden für eine Abspaltung entscheiden.“[31] Dies trifft den Nagel auf
den Kopf: es geht keineswegs darum, jeder separatistischen Bewegung das
Selbstbestimmungsrecht (westlicherseits) zuzugestehen, sondern darum,
beliebig zu entscheiden, wo dies opportun ist, etwa im Südsudan, und wo
nicht, bspw. in der Westsahara. Des Pudels Kern besteht darin, dass der
Westen bzw. seine Unterstützung der Gradmesser für „legitime“
Sezessionsbestrebungen sein soll und niemand sonst.

Der nahezu beliebigen Neuziehung von Grenzen sind so Tür und Tor
geöffnet, wie etwa Allmachtsfantasien amerikanischer „Strategen“
zeigen.[32] Die Abspaltung des Südsudan könnte somit der Starschuss für
weitere westlich orchestrierte Sezessionen sein, wie etwa von Charles
Tannock, Koordinator der konservativen EVP-Fraktion im Auswärtigen
Ausschuss des Europäischen Parlaments, vorgeschlagen wird. In einem
unmittelbar vor Beginn des Unabhängigkeitsreferendums veröffentlichten
Artikel schrieb er: „Ein unabhängiger Südsudan würde den Westen zwingen,
sich mit der etablierten Orthodoxie bezüglich Afrikas
auseinanderzusetzen, besonders mit der Überzeugung, dass Länder wie
Somalia und Nigeria als Ganzes stabiler seien, als sie es mit zwei oder
mehr Einzelteilen wären.“[33]


Anmerkungen:

[1] Auch wenn das Endergebnis von 98,83 Prozent gewisse Fragen aufwirft,
ist es eindeutig, dass sich die überwältigende Mehrheit der
südsudanesischen Bevölkerung für eine Sezession ausgesprochen hat.

[2] Vgl. Friedrichs, Hauke: Wahl und Referendum rufen Kriegstreiber auf
den Plan, Zeit Online, 08.01.2010; Südsudan vor möglicher
Unabhängigkeit, The African Edition, 22.12.2010:
http://www.african-edition.de/magazin/meldung/datum/2010/12/22/suedsudan-vor-moeglicher-unabhaengigkeit-1.html
(02.02.2011). .

[3] Paech, Norman: Sudan: Öl, Krieg und Spaltung, Ossietzky 1/2011.

[4] Vgl. zur verkürzten Darstellung der “ethnischen” Frage Kröpelin,
Stefan: Spielball der Mächtigen, Frankfurter Rundschau, 14.10.2004.

[5] Eggers, Dave/Prendergast, John: In Sudan, War Is Around the Corner,
New York Times, 12.07.2010.

[6] Goldberg, Mark Leon: Stopping a Genocide Before It Starts, The
American Prospect Online, 06.01.2011.

[7] Rice, Susan E./Lake, Anthony/Payne, Donald: We Saved Europeans. Why
Not Africans?, Washington Post, 02.10.2006.

[8] U.S. aids Sudanese in independence bid, The Washington Times,
25.12.2009.

[9] Peraino, Kevin: Sorry, Sudan, Newsweek, 24.09.2010.

[10] Department of State: Executive Budget Summary, Fiscal Year 2001:
http://www.state.gov/documents/organization/135888.pdf (02.02.2011).

[11] Ebd.

[12] Ploch, Lauren: Africa Command: U.S. Strategic Interests and the
Role of the U.S. Military in Africa, Congressional Research Service,
03.04.2010.

[13] Mitsch, Thomas: AFRICOM: Stuttgart wichtigste US-Basis im Wettlauf
um Afrikas Öl, in: AUSDRUCK (April 2007), S. 27-28.

[14] US embassy cables: US monitors China and its expanding role in
Africa, The Guardian, 08.12.2010.

[15] Shinn, David: Chinese Involvement in African Conflict Zones, The
Jamestown Monitpr, 02.08.2009.

[16] Walters, Denine: Sino-Sudanese Relations: The Importance of Oil and
the 2011 Referendum, Consultancy Intelligence, 30.04.2010; McGregor,
Andrew: Russia's Arms Sales to Sudan a First Step in Return to Africa:
Part One, Jamestown Foundation, 11.02.2009.

[17] Adam Morrow, Adam/Al-Omrani, Khaled Moussa: Sudan Set to Split
Despite Egyptian Moves, IPS, 01.12.2010.

[18] McGregor, Andrew: Renegade generals threaten unity of south sudan’s
spla as independence referendum approaches, Jamestown Monitor, 20.03.2010.

[19] Sudan: Report on Pagan Amum’s US visit, Overt, Secret Talks with US
Officials, Al-Sharq al-Awsat Online, 31.08.2010:
http://www.biyokulule.com/view_content.php?articleid=2979 (02.02.2011).

[20] Asharq Al-Awsat Talks to SPLM Secretary-General Pagan Amum,
14.12.2010: http://www.asharq-e.com/news.asp?section=3&id=23406
(02.02.2011).

[21] General Carter Ham Testifies Before Senate Armed Services Committee
on Nomination as Commander, U.S. Africa Command, 18.11.2010:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57979 (02.02.2011).

[22] Zum Zeitpunkt, an dem die Umfrage eingesehen wurde, waren 2203
Stimmen abgegeben, allerdings war sie damals erst kurz eingestellt.
Später wurde die Umfrage aus dem Netz entfernt.

[23] Vgl. Peter, Marina/LoWilla, Emmanuel: Stabilität, Sicherheit und
Entwicklung in Nachkriegssituationen

Sind Politik und Instrumente der Europäischen Union ein kohärenter
Beitrag? APRODEV, Mai 2008; Vom Nutzen der Sezession,
German-Foreign-Policy.com, 10.01.2011.

[24] Marischka, Christoph: Staatsbildungskrieg im Sudan und die Gefahr
der Sezessionsspirale, in: AUSDRUCK (August 2010), S. 26-29.

[25] Südsudan vor möglicher Unabhängigkeit, The African Edition, 22.12.2010.

[26] EU-Battle Group für den Sudan? Behörden Spiegel, 20.01.2011.

[27] Sudanese consider 'EU model' as solution to oil question,
EUobserver, 17.01.2011.

[28] Drucksache 17/4416, 14.01.2011.

[29] Schumann, Gerd: Republik Sudan am Ende, junge Welt, 31.01.2011.

[30] Separatists watch likely secession closely, Mail & Guardian,
14.01.2011.

[31] Temin, Jon: Secession and Precedent in Sudan and Africa, United
States Institute of Peace, Peace Brief, 17.10.2010, S. 1.

[32] Vgl. Goldberg, Jeffrey: After Iraq: What Will The Middle East Look
Like? The Atlantic, January/February 2008; Peters, Ralph: Blood Borders:
How a better Middle East would look, in: Armed Forces Journal (June 2006).

[33] Tannock, Charles: Independence or War, Project Syndicate,
03.01.2011:
http://www.project-syndicate.org/commentary/tannock24/English (02.02.2011).

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