Donnerstag, 6. Januar 2011

IMI-Analyse zum Galileo-Satellitennavigationssystem

IMI-Analyse 2010/042 - in: AUSDRUCk (Dezember 2010)
Galileo: Militaristenprojekt als Milliardengrab
http://www.imi-online.de/2010.php?id=2212
http://imi-online.de/download/ML-JW-Dezember10-Galileo.pdf
2.12.2010, Malte Lühmann und Jürgen Wagner

Die Ursprünge des europäischen Satellitennavigationssystems Galileo
reichen zurück bis ins Jahr 1998, in dem eine Machbarkeitsstudie der
EU-Kommission und der Europäischen Raumfahrtagentur angefertigt wurde.
Offiziell eingetütet wurde das Projekt schließlich durch eine
Entschließung des EU-Rates am 5. April 2001. Angekündigt als rein
ziviles -- und wirtschaftlich vernünftiges -- Vorhaben, sollten die
ersten drei Galileo-Satelliten ursprünglichen Planungen zufolge bereits
2006 in Betrieb genommen werden.

Vordergründig hieß es, man wolle sich eine Scheibe vom profitablen
Navigations-Kuchen abschneiden, den sich bislang allein das
amerikanische GPS-System einverleibt. Wie ein Mitte Oktober 2010 der
Presse zugespielter Bericht des Bundesfinanzministeriums zum "aktuellen
Sachstand bei Galileo" nun jedoch einräumt, werden nicht nur die Kosten
für den Aufbau des Systems erheblich höher sein als bislang angenommen,
vielmehr scheint man die Hoffnung aufgegeben zu haben, dass Galileo je
kostendeckend arbeiten wird: das jährliche Defizit wird im Bericht auf
horrende 750 Mio. Euro beziffert!

Dementsprechend deutlich titelte denn die Presse mit Sätzen wie "Fass
ohne Boden" (Frankfurter Rundschau), "Milliardengrab im All"
(Abendzeitung) oder "Dauerhafter Zuschussbetrieb statt Goldesel" (Heise
Online). Allerdings war dies alles absehbar, wie auch denjenigen, die
das Projekt verantwortlich auf den Weg gebracht haben, mehr als bewusst
gewesen sein dürfte. Das einfachste wäre nun, Galileo einfach
abzuschalten und sich so wenigstens die Defizite von jährlich 750 Mio.
zu sparen -- weshalb dies nicht geschieht, hat jedoch einen einfachen
Grund. Bei Galileo geht und ging es nie um ein rein ziviles,
kommerzielles Projekt, sondern stets lag der vorrangige "Nutzen" aus
Sicht seiner Befürworter in seinen militärischen Anwendungsbereichen.
Geradezu zynisch ist aber, dass inzwischen teils offen eingeräumt wird,
dass die von Anfang an geplante militärische Verwendung sogar verhindert
hat, ein kommerziell tragfähiges System aufzubauen.


*Explodierende Kosten
*
Für die Galileo-Entwicklungsphase veranschlagte die EU-Kommission 1,8
Mrd. Euro, für die Aufbauphase weitere 3,4 Mrd. Euro. Ursprünglich
zielte die Europäische Union darauf ab, von diesen 3,4 Mrd. lediglich
ein Drittel selbst aufbringen zu müssen, den Rest sollten private
Investoren beisteuern. Nachdem diese Investoren aber -- wen wundert's --
ausblieben, wurde das Geld aus verschiedenen Töpfen mühsam
zusammengeklaubt: 1 Mrd. aus dem Budget für die Transeuropäischen
Energie- und Verkehrsnetze (TEN), 1,6 Mrd. aus dem
EU-Landwirtschaftsfonds sowie 800 Mio. aus dem Forschungsetat. Brisant
ist dies u.a. auch deshalb, weil es sich bei Galileo auch um ein
militärisches Projekt handelt (siehe unten), der seinerzeit gültige
Vertrag von Nizza jedoch die Finanzierung von "Maßnahmen mit
militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen" aus dem EU-Haushalt
verbot (Art. 28 Abs. 3).

Der nun an die Presse gelangte Bericht des Finanzministeriums offenbart
zudem, dass die Kostenschätzungen -- vorsichtig formuliert -- extrem
optimistisch waren. Allein für die Aufbauphase würden Angaben der
EU-Kommission zufolge "zusätzliche Kosten von 1,5 bis 1,7 Milliarden
Euro" anfallen, die Fertigstellung verschiebe sich auf 2017 oder 2018.
Brisant ist der Bericht aber insbesondere deshalb, weil man von den
ursprünglich angepriesenen wirtschaftlichen Profiten, die das Projekt
abwerfen sollte, heute nichts mehr wissen will: "Die
Einnahmemöglichkeiten werden deutlich niedriger eingeschätzt als
ursprünglich erwartet, weil eine kommerzielle Verwertung der
Galileo-Dienste angesichts eines sich erst noch entwickelnden Marktes
und der kostenlos verfügbaren Dienstleistungen der anderen
Satellitennavigationssysteme schwierig ist." Was sich hier anbahnt,
nämlich dass Galileo ein gigantisches Zuschussprojekt wird, erhärtet der
Bericht schließlich auch mit konkreten Zahlen. Erwarteten Einnahmen von
100 Mio. Euro stehen Betriebskosten in Höhe von 850 Mio. gegenüber, ergo
ergebe sich laut Finanzministerium künftig "ein durchschnittlicher
jährlicher Mittelbedarf aus dem EU-Haushalt in Höhe von 750 Millionen
Euro für den Betrieb."

Nach der Veröffentlichung des Berichtes war die Empörung groß: Laut dem
SPD-Politiker Klaus Hageman, Vorsitzender des EU-Unterausschusses im
Haushaltsausschuss des Bundestages, sei es "ein Hammer, dass erst jetzt
-- nachdem die ersten Teilaufträge für die Satelliten vergeben sind --
ans Tageslicht kommt, dass Galileo kein Goldesel, sondern ein
dauerhafter Zuschussbetrieb werden wird." Tatsächlich sind diese und
andere Aussagen verantwortlicher Politiker jedoch mehr als lachhaft,
seit Jahren ist es mehr als klar, dass die Gesamtrechnung des Projektes
in Richtung der nun präsentierten Zahlen gehen wird. So berichtete der
Spiegel bereits am 12. Januar 2008 unter dem Titel "Europäischem
'Galileo'-Projekt droht Kostenexplosion" davon, die Kosten der
Aufbauphase würden auf mindestens 5 Mrd. Euro steigen. Auch dass Galileo
keinesfalls der angepriesene Goldesel sein würde, war lange bekannt,
sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik. So benannte eine
Mitteilung der EU-Kommission (Galileo am Scheideweg: Die Umsetzung der
europäischen GNSS-Programme) bereits 2007 die Ursache, weshalb sich die
Begeisterung von Privatunternehmen in das Galileo-Projekt zu
investieren, in engen Grenzen hielt: "Zu den Gründen zählen die
Unsicherheiten der kommerziellen Nutzung Galileos aufgrund der
Kostenfreiheit des GPS-Signals."

Nun ist es zwar schwer vorstellbar -- aber immerhin möglich --, dass
diese und andere Quellen, die schon vor Jahren das nun auch offiziell
vom Finanzministerium eingeräumte Finanzdebakel prognostizierten, aus
vollkommener Unfähigkeit nicht bekannt waren oder nicht zur Kenntnis
genommen wurden. Damit erklärt sich jedoch nicht, weshalb es derzeit
keinerlei Stimmen gibt, die sich dafür aussprechen, ein derartig
defizitäres Projekt, das jährlich mit einer Dreiviertelmilliarde zu
Buche schlägt, einfach stillschweigend zu beerdigen. Selbst ggf.
anfallende Konventionalstrafen dürften angesichts der horrenden
jährlichen Betriebskosten eher vernachlässigenswert sein. Die Antwort
ist relativ simpel: it's the military, stupid!


*Kostspieliges Militärprojekt*

Obwohl stets der zivile Charakter des Galileo-Systems hervorgehoben
wird, Galileo ermöglicht explizit auch eine militärische Nutzung und
durch dieses System werden künftig autonome -- d.h. unabhängig von GPS
und damit von den USA erfolgende -- EU-Militäreinsätze überhaupt erst
durchführbar: ein wesentlicher Schritt hin zu einer Militärmacht EUropa.
Insofern wundert es nicht, dass bereits der "Bericht über die
Europäische Sicherheitsstrategie und die ESVP" im Jahr 2008 angab, die
Europäische Union "erachtet es als notwendig, die Nutzung von Galileo
[...] für Sicherheits- und Verteidigungszwecke zu ermöglichen." Auch der
am 10. Juli 2008 vom Europäischen Parlament verabschiedete Bericht
"Weltraum und Sicherheit" (2008/2030(INI) "betont, dass Galileo für
eigenständige ESVP-Operationen, für die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) und für Europas eigene Sicherheit notwendig ist."

Im Endstadium soll Galileo fünf verschiedene Dienste anbieten können,
von einem frei zugänglichen Service bis hin zu einem streng
kontrollierten Öffentlich Regulierten Dienst ("Public Regulated Service"
-- PRS). Für diesen PRS gelten strenge Sicherheitsauflagen und wer eines
letzten Beweises bedurfte, dass Galileo explizit militärisch verwendet
werden soll, der bekam diesen kürzlich. Im Oktober 2010 veröffentlichte
die EU-Kommission ihren "Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen
Parlaments und des Rates über die Regelung des Zugangs zum
öffentlich-staatlichen Dienst" (KOM(2010) 550 endgültig), aus der
eindeutig hervorgeht, dass nahezu jedes EU-Land gedenkt, den PRS für
militärische Anwendungen einzusetzen. Weiter geht aus dem
Kommissionsdokument hervor, dass der PRS zu etwa 50% militärisch genutzt
werden wird (plus weitere 20% für Bereiche der "inneren Sicherheit").
Angesichts dessen ist es geradezu unverschämt, mit welcher Ausdauer der
Mythos gepflegt wird, bei Galileo handele es sich um ein "ziviles System
unter ziviler Kontrolle", zuletzt etwa von der EU-Pressemitteilung
"Galileo: Sichere Satellitennavigation für Notfall- und
Sicherheitsdienste" (IP/10/1301, 8. Oktober 2010).

Ein regelrechter Hammer ist aber, was die Zeitschrift Technology Review
(7/2009) unter Berufung auf Aussagen von Hubert Reile, Programmdirektor
Weltraum beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR),
offenbart. Ein Grund, weshalb Galileo derartig teuer wird, sind die
horrenden Baukosten, der andere ist, dass der kommerzielle Markt
aufgrund von mehr und mehr Anbietern immer unlukrativer wird. Beide
Probleme hätten durch einen Einstieg Chinas erheblich abgemildert werden
können, wenn, ja wenn man nicht unbedingt ein Militärsystem hätte haben
wollen. "Das Reich der Mitte war 2003 mit einem Beitrag von 280
Millionen Euro bei Galileo eingestiegen -- in der Hoffnung, ein
gleichberechtigter Partner zu sein. Als sich abzeichnete, dass Galileo
nicht nur zivil, sondern auch militärisch genutzt werden sollte, hätten
die Europäer aber nicht mehr mit den Chinesen auf allen Ebenen
zusammenarbeiten wollen, sagt DLR-Mann Hubert Reile. Die Reaktion: Die
noch junge Raumfahrtnation beschloss, ein eigenes System aufzubauen."

Kritiker wie Frank Slijper, die angaben, für Galileo sei von Anfang an
eine primär militärische Nutzung vorgesehen gewesen, lagen also richtig.
In seiner Studie "From Venus to Mars", die vom Transnational Institute
veröffentlicht wurde, trifft Slijper zudem folgende düsterere, aber wohl
zutreffende Prognose: "Europas eigenem Satellitennavigationssystem soll
selbstverständlich eine zentrale Rolle bei jeglichen künftigen
Militärinterventionen zukommen, die ein EU-Land involvieren. Es wird
demzufolge nicht die Frage sein, ob, sondern wann Galileo eingesetzt
wird, um Bomben und Raketen auf 'Terroristen' und andere als solche
wahrgenommene Feinde weit außerhalb Europas zu lenken."

Teils werden geradezu groteske argumentative Klimmzüge unternommen, um
dem Projekt dennoch irgendwie einen zivilen Charakter anzudichten. So
antwortete die EU-Kommission im November 2009 auf eine parlamentarische
Anfrage (E-4479/2009), inwieweit eine militärische Nutzung Galileos sich
angesichts des zivilen Charakters ausschließe folgendermaßen: "Der Rat
hat bereits mehrfach erklärt, dass es sich bei dem im Rahmen des
Galileo-Programms errichteten System um ein ziviles System handelt, das
unter ziviler Kontrolle steht. [...] Diese im Wesentlichen zivile
Bestimmung des Systems schließt jedoch nicht aus, dass es auch zu
militärischen Zwecken genutzt werden könnte." Unangefochtener Champion
ist hier aber ein Beitrag in der der Zeitschrift wehrtechnik (IV/2004),
der postulierte, Galileo sei ein ziviles System, denn "die Quelle der
Finanzierung ist dabei der Indikator." Dies quittierte die IMI-Studie
"Aus dem All in alle Welt: Weltraumpolitik für die Militärmacht Europa"
bereits vor über zwei Jahren mit einer Bewertung, die heute aktueller
ist denn je: "Für all jene, die dieser Logik nicht folgen wollen, ist
Galileo eben kein ziviles Projekt und auch nicht nur ein
militärisch-genutztes. Tatsächlich handelt es sich um eine Mischung aus
einem Rüstungsprojekt, das mit einem zivilen Infrastrukturvorhaben
verschmolzen wurde, um die anfallenden Kosten für die militärische
Nutzung auf zivile Budgets abzuwälzen. Es stellt als solches einen
wichtigen Beitrag dar, auf dem Weg zur Schaffung einer unabhängigen
europäischen Militärmacht, die ohne Rücksicht auf internationale Partner
ihre Interessen durchsetzen kann."

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