Montag, 22. April 2024
[IMI-List] [0643] IMI-Kongress / Projekt Sondervermögen / Analyse VPR
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0642 – 26. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
der IMI-Kongress „Deutschland im Kriegszustand?!“ am 25/26. November
2023 (mit Auftaktveranstaltung am Freitagabend) naht. Letzte
Informationen finden sich hier (u.a. auch die Links zum Livestream):
https://www.imi-online.de/2023/09/20/deutschland-im-kriegszustand/
Außerdem findet sich in dieser IMI-List:
1.) Die neu aufgestellte Sonderseite „Das Sondervermögen der Bundeswehr:
Finanzen – Projekte – Kritik: Ein antimilitaristisches ‚living document‘“;
2.) Eine neue IMI-Analyse zu den kürzlich veröffentlichten
„Verteidigungspolitischen Richtlinien“.
1.) Sonderseite: Sondervermögen
IMI-Mitteilung: Sonderseite
Das Sondervermögen der Bundeswehr
Finanzen – Projekte – Kritik: Ein antimilitaristisches „living document“
https://www.imi-online.de/2023/11/15/das-sondervermoegen-der-bundeswehr/
Martin Kirsch / Jürgen Wagner (15. November 2023)
Wer schon einmal versucht hat, sich durch das Dickicht des
Bundeswehr-Sondervermögens zu quälen, weiß, dass vieles – insbesondere,
was schlussendlich konkret daraus finanziert wird – überaus verwirrend
sein kann. Wir haben uns bemüht, das Ganze hoffentlich deutlich
verständlicher als die offiziellen Dokumente aufzudröseln. Dafür haben
wir eine Sonderseite erstellt, die sich mit den verschiedenen Aspekten
des Sondervermögens befasst.
Weil der „Wirtschaftsplan“ mit den Projekten, die aus dem Sondervermögen
finanziert werden, ständig angepasst wird (vor allem, weil alles teurer
wird, als ursprünglich geplant), wird er auch als „living document“
bezeichnet, das ständigen Veränderungen unterworfen ist.
Dementsprechend haben wir auch aus unserer Sonderseite ein „living
document“ gemacht, die versucht mit neuen Entwicklungen in Sachen
Sondervermögen Schritt zu halten und in regelmäßigen Abständen
aktualisiert zu werden.
Hier die einzelnen Themen, zu denen sich auf der Sonderseite
Informationen finden:
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[Vorgeschichte]; [Zeitenwende-Rede]; [Gesetzliche Grundlagen];
[Grundstruktur]; [Wirtschaftsplan]; [Finanzen]; [Sondervermögen &
Sozialabbau]; [Cartoons]
———————————–
PROJEKTE LUFT: [Kampfjets] [F-35; ECR Eurofighter; Future Combat Air
System]; [Hubschrauber] [Schwerer Transporthubschrauber; Leichter
Unterstützungshubschrauber]; [Luftverteidigung] [Arrow 3; Patriot; Nah-
und Nächstbereichsschutz]; [Drohnen] [Bewaffnung HERON TP; Eurodrohne];
[Weitere Flugzeuge] [C-130J; Pegasus; P8A-Poseidon]; [Weitere Projekte]
PROJEKTE LAND: [Schwere Kräfte] [Schützenpanzer Puma (Nachrüstung);
Schützenpanzer Puma (Beschaffung); Main Ground Combat System]; [Mittlere
Kräfte] [Schwerer Waffenträger; Nachfolge Marder]; [Leichte Kräfte]
[Überschneefahrzeuge; Nachfolge luftverlegbare Fahrzeuge]; [Weitere
Projekte]
PROJEKTE SEE: [Kriegsschiffe] [Fregatte 126; Korvetten Klasse 130];
[U-Boote] [U-Boot Klasse 212]; [Waffensysteme] [Naval Strike Missile
Block 1A]; [Weitere Projekte] [Future Naval Strike Missile; U-Boot
Flugabwehrflugkörper; Mehrzweckkampfbote; Nachfolge
Festrumpfschlauchboot; Unterwasserortung]
PROJEKTE DIGITALISIERUNG: [wird nachgereicht]
Sonderseite Sondervermögen:
https://www.imi-online.de/2023/11/15/das-sondervermoegen-der-bundeswehr/
2.) IMI-Standpunkt: „Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime“
IMI-Standpunkt 2023/042
„Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime“
Die Verteidigungspolitischen Richtlinien der Zeitenwende
https://www.imi-online.de/2023/11/11/kriegstuechtigkeit-als-handlungsmaxime/
Jürgen Wagner (11. November 2023)
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„Die Struktur der Bundeswehr wird konsequent auf Einsätze ausgerichtet.
[…] Sie sind strukturbestimmend und prägen maßgeblich Fähigkeiten,
Führungssysteme, Verfügbarkeit und Ausrüstung der Bundeswehr.“ (Weißbuch
der Bundeswehr 2006)
„Der Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung ist in allen
Planungskategorien handlungsleitend für die Bundeswehr. Er ist zudem
bestimmend für Selbstverständnis, Struktur, Funktionalität,
Multinationale Kooperationen, Ausbildung und Übungen.“
(Verteidigungspolitische Richtlinien 2023)
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Am 9. November 2023 wurden die neuen „Verteidigungspolitischen
Richtlinien“ (VPR) des Verteidigungsministeriums erlassen.[1] In dem
nunmehr wichtigsten Bundeswehr-Dokument werden Truppe und Bevölkerung
mit markigen Worten darauf eingeschworen, sich für anstehende Kriege mit
gegnerischen Großmächten (zuvorderst natürlich Russland, aber auch
China) zu rüsten. Die unsägliche Begrifflichkeit aufgreifend, die
Verteidigungsminister Boris Pistorius in einer nicht allzu lang davor
gehaltenen Rede in die Debatte einführte[2], rückt das Dokument die
„Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime“ in den Mittelpunkt der
Bundeswehrplanungen (VPR: 27). Die VPR haben damit die Aufgabe, „die
Weichen für eine Bundeswehr in der Zeitenwende“ zu stellen, wie
Pistorius und Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer in einem
begleitenden Artikel betonten.[3]
Führungsmacht der bedrohten Ordnung
Bis kürzlich war das „Weißbuch der Bundeswehr“ das ranghöchste
sicherheitspolitische Dokument, in dem allgemeine Ziele und Interessen
des Landes beschrieben wurden. Diese Aufgabe hat inzwischen die im Juni
2023 veröffentlichte „Nationale Sicherheitsstrategie“ übernommen, die
sich nun an der Spitze der Dokumentenhierarchie sonnt. Als nächstes auf
der Dokumentenleiter leiten die VPR aus der der NSS (früher aus dem
Weißbuch) immer noch relativ allgemein gehaltene militärische Aufgaben
und daraus resultierende Erfordernisse für die Bundeswehr ab, die dann
im Fähigkeitsprofil mit konkreten Zahlen unterlegt werden.[4]
Richtungweisend ist also die am 14. Juni 2023 erschienene Nationale
Sicherheitsstrategie „Integrierte Sicherheit für Deutschland. Wehrhaft.
Resilient. Nachhaltig“, die sich vor allem darum dreht, wie alle
gesellschaftlichen Teilbereiche zur „Verteidigung“ der – westliche und
nicht zuletzt deutsche Interessen sichernden – „Regelbasierten
Internationale Ordnung“ beitragen können. Auf diese Ordnung erfolge ein
Angriff seitens autoritärer Staaten, der zurückgeschlagen müsse, so die
Kernaussage des Dokumentes.[5] Folgerichtig lassen sich schon seit
Jahren auf allen möglichen Gebieten (Handel, Technologie, Aufrüstung…)
immer schärfere Großmachtkonflikte beobachten.[6]
Hier setzen dann auch die VPR ein, wenn Pistorius und Breuer in ihrem
Vorwort betonen: „Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Deutschland
und seine Verbündeten müssen sich wieder mit einer militärischen
Bedrohung auseinandersetzen. Die internationale Ordnung wird in Europa
und rund um den Globus angegriffen. Wir leben in einer Zeitenwende.“
(Vorwort VPR: 4[7]) Deutschland sei hier als „Rückgrat der Abschreckung“
gefordert, dieser Herausforderung buchstäblich an vorderster Front zu
begegnen – und damit dem seit langem erhobenen Anspruch als weltweite
Führungsmacht[8] auch endlich gerecht zu werden: „Diese Zeitenwende
verändert die Rolle Deutschlands und der Bundeswehr fundamental. Als
bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich starkes Land in der Mitte
Europas tragen wir Verantwortung.“ (Vorwort VPR: 4)
Strukturbestimmende Großmachkriege
Nachdem die Bundeswehr jahrzehntelang auf einen Krieg gegen die
Sowjetunion ausgerichtet war, änderte sich ihr Auftrag in den 1990er
Jahren recht grundlegend – fortan rückten Militäreinsätze gegen kleinere
Gegner ins Zentrum der Planungen. Folgerichtig wurde schnell nach dem
vermeintlichen Ende des Kalten Krieges damit begonnen, schwere
Großverbände durch leichtere und schnell verlegbare Einheiten zu
ersetzen. In den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ des Jahres 2003
hieß es dazu: „Ausschließlich für die herkömmliche Landesverteidigung
gegen einen konventionellen Angreifer dienende Fähigkeiten werden
angesichts des neuen internationalen Umfelds nicht mehr benötigt. […]
Für die Bundeswehr stehen Einsätze zur Konfliktverhütung und
Krisenbewältigung sowie zur Unterstützung von Bündnispartnern, auch über
das Bündnisgebiet hinaus, im Vordergrund. […] Die internationale
Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, einschließlich des Kampfs gegen
den internationalen Terrorismus, ist an die erste Stelle des
Aufgabenspektrums gerückt.“
Das Weißbuch von 2006 setzte diese Entwicklung fort, erst mit der
Neufassung von 2016 wurden die Prioritäten wieder geändert: Von da ab
wurden Auslandsinterventionen und Großmachtkriegen dieselbe Bedeutung
beigemessen. Nun verschiebt die Nationale Sicherheitsstrategie von 2023
die Konstellation erneut „zugunsten“ der Aufrüstung für
Auseinandersetzungen mit anderen Großmächten (die etwas freundlicher als
„Landes- und Bündnisverteidigung“ tituliert wird), der
unmissverständlich Priorität eingeräumt wird: „Der Kernauftrag der
Bundeswehr ist die Lan¬des- und Bündnisverteidigung, alle Aufgaben
ordnen sich diesem Auftrag unter.“[9] Dementsprechend heißt es auch in
den VPR: „Der Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung ist in
allen Planungskategorien handlungsleitend für die Bundeswehr. Er ist
zudem bestimmend für Selbstverständnis, Struktur, Funktionalität,
Multinationale Kooperationen, Ausbildung und Übungen […] Damit ist
zeitgemäße Landes- und Bündnisverteidigung für die Bundeswehr
strukturbestimmend.“ (VPR: 24 und 9[10])
Russland, Russland, Russland (und auch China und darüber hinaus)
Wie ebenfalls schon in der NSS vorgebracht und angesichts der aktuellen
Lage auch wenig überraschend, wird Russland mit großem Abstand als der
Hauptgegner identifiziert: „Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der
Russischen Föderation gegen die Ukraine hat den Krieg nach Europa
zurückgebracht. Der damit verbundene Angriff auf die europäische
Sicherheitsarchitektur und die internationale regelbasierte Ordnung ist
eine Zeitenwende mit Auswirkungen weit über den europäischen Kontinent
hinaus. Die Russische Föderation bleibt ohne einen fundamentalen inneren
Wandel dauerhaft die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im
euroatlantischen Raum.“ (VPR: 9)
Aufgrund dieser Bedrohungsanalyse liegt es nahe, die NATO, deren Aufgabe
seit eh und je die Bekämpfung Russlands ist, und ihre Kapazitätsplanung
als wesentlichen Orientierungspunkt für die Bundeswehr heranzuziehen.
Der Umfang der Fähigkeiten, die von den Einzelstaaten eingebracht werden
sollen, wird in einem relativ komplizierten Verteidigungsplanungsprozess
erhoben, dessen Ergebnisse dann wiederum maßgeblich auf die Bundeswehr
zurückwirken: „Glaubwürdige Abschreckung und Landesverteidigung ist im
Bündnisrahmen eingebettet. Die strategischen Vorgaben und Ergebnisse des
NATO-Verteidigungsplanungsprozesses (NATO Defence Planning Process
(NDPP)) samt dem daraus abgeleiteten Gesamtfähigkeitsdispositiv der
Allianz sind daher von grundlegender Bedeutung für das Fähigkeitsprofil
der Bundeswehr.“ (VPR: 23)
Das letzte Fähigkeitsprofil stammt aus dem Jahr 2018 und gab das überaus
ambitionierte Ziel aus, der NATO bis 2027 einen und bis 2031 drei voll
ausgestattete Großverbände mit jeweils 15.000 bis 20.000 Soldat*innen
zur Verfügung zu stellen. Diese anspruchsvolle Zielvorgabe wurde
inzwischen noch einmal verschärft, nachdem die NATO im Juni 2022 auf
ihrem Gipfeltreffen in Madrid ein neues Streitkräftemodell verabschiedet
hat. Es sieht vor, ab 2025 innerhalb von 10 Tagen 100.000 und bis Tag 30
weitere 200.000 Soldat*innen abmarschbereit vorzuhalten. Die Bundeswehr
hat in diesem Zusammenhang schnell zugesagt 35.000 Soldat*innen zum
neuen Streitkräftemodell beisteuern zu wollen und im Zuge dessen den
Start des ersten Großverbandes von 2027 auf 2025 vorverlegt.[11]
Zu diesen 35.0000 Soldat*innen werden auch die dauerhaft in Litauen
stationierten Bundeswehr-Truppen gehören. Erst Ende Juni 2023 kündigte
Verteidigungsminister Pistorius an, die dortige Präsenz von
Bataillonsstärke (1.000 bis 1.500 Soldat*innen) auf Brigadestärke
ausbauen zu wollen. Am 6. November 2023 gab das Verteidigungsministerium
weitere Details bekannt: Heißen soll die Truppe künftig „Panzerbrigade
42“ – ihre 4.800 Soldat*innen (plus 200 Zivillist*innen) sollen aus drei
Bataillonen gebildet werden, dem Panzerbataillon 203 (Augustdorf) und
dem Panzergrenadierbataillon 122 (Oberviechtach), ein drittes Bataillon
soll scheinbar in Deutschland vorgehalten und durch niederländische und
norwegische Kräfte ergänzt werden.[12]
Die Litauen-Brigade sei das Vorzeigeprojekt für Deutschlands
„Führungswillen und Führungsverantwortung“ (Vorwort VPR: 4). Man sei
nicht mehr wie im Kalten Krieg „Frontstaat“ – stattdessen begibt man
sich nun an die Front, Dauerstationierungen im Ausland (mitsamt Familien
und allem was dazugehört) werden zum neuen Normal erklärt: „Gerade die
Bundesrepublik Deutschland hat im Kalten Krieg als ‚Frontstaat‘
umfassend von der Präsenz der Verbündeten der Nordatlantischen Allianz
(NATO) auf ihrem Territorium über Jahrzehnte profitiert. Umso mehr
stehen wir heute in der Verantwortung, wesentliche Beiträge für den
Schutz und die Sicherheit unserer Verbündeten zu leisten. Dies umfasst
auch eine verstetigte Präsenz an der NATO-Außengrenze in neuer Qualität.
Die permanente Stationierung einer Brigade in Litauen ist in der
Geschichte der Bundeswehr ohne Präzedenz und ein wichtiges Signal für
die gemeinsame Kraft der Allianz. Vornepräsenz wird künftig für die
Angehörigen der Bundeswehr die Norm. Diese neue Rolle ist Ausdruck der
strategischen Neuorientierung der Bundeswehr.“ (VPR: 9f)
Wie gesagt, das aus dem Jahr 2018 stammende Fähigkeitsprofil soll
aktualisiert werden, ob es dabei aber zu einer erneuten Anhebung der
Zielgrößen oder einer weiteren Beschleunigung der Zeitpläne kommt, ist
mehr als fraglich, schließlich ist die Bundeswehr jetzt schon kaum in
der Lage, die bereits gemachten Zusagen einzuhalten. Das rührt vor allem
daher, dass einerseits der über Russland begründete Mehrbedarf nicht
dazu führt, dass anderswo Aufgaben zurückgefahren würden und sogar
zusätzlich neue Eisätze für die Bundeswehr hinzukommen.
So wird auch China immer offener als (militärischer) Gegner bezeichnet,
auch in den VPR: „China ist gleichzeitig Partner, Wettbewerber und
systemischer Rivale. Es versucht, die regelbasierte internationale
Ordnung nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Dabei beansprucht China
zunehmend offensiv eine regionale Vormachtstellung und handelt immer
wieder im Widerspruch zu unseren Werten und Interessen.“ (VPR: 10f.)
Schon längere Zeit ist die Bundeswehr darum bemüht, mit Blick auf China
ihre Präsenz im Indopazifik auszubauen[13], eine Region, der auch in den
VPR große Bedeutung beigemessen wird. „Mit Blick auf den Erhalt und die
Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung kommt dem
Indopazifik ein zunehmender Stellenwert zu.“ (VPR: 22) Aus diesem Grund
sei es erforderlich, die „weltweite verteidigungspolitische
Zusammenarbeit mit bewährten Partnern, insbesondere im Indopazifik,
vorrangig mit Mitteln der Verteidigungsdiplomatie, regelmäßiger
militärischer Präsenzen, verlässlicher Rüstungskooperation und
Fähigkeitsbildung zu vertiefen“ (VPR: 14).
Während also Einheiten und Gerät für kommende Großmachtkriege
herangeschafft werden sollen, bedeutet das aus Sicht von Bundesregierung
und Bundeswehr aber noch lange nicht, auf Auslandseinsätze gegen
kleinere Gegner künftig zu verzichten. Das eine tun, ohne das andere zu
lassen, heißt die Devise: „Aufgrund der komplexen und dynamischen
Entwicklung unseres Sicherheitsumfelds muss unser internationales
Engagement über die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit hinausgehen –
ganz im Sinne des 360-Grad Ansatzes des Strategischen Konzepts der NATO
und des Strategischen Kompasses der EU. […] Unser
verteidigungspolitisches Engagement im östlichen Mittelmeer, im Nahen
und Mittleren Osten und auf dem afrikanischen Kontinent dient vorrangig
dazu, den transnationalen Terror und Ursachen und Folgewirkungen
staatlicher Fragilität zu bekämpfen sowie regionale Stabilität und das
friedliche Zusammenleben der Menschen zu befördern.“ (VPR: 14[14])
Taktgeber Kriegstüchtigkeit: Knete und Kanonenfutter
Wie beschrieben gilt nun die „Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime“,
was laut VPR folgendes bedeute: „Die neue Qualität der Bedrohung unserer
Sicherheit und die brutale Realität des Krieges in der Ukraine
verdeutlichen, dass wir unsere Strukturen und Prozesse am Szenario des
Kampfes gegen einen mindestens ebenbürtigen Gegner ausrichten müssen:
Wir wollen diese Auseinandersetzung nicht nur gewinnen, sondern wir
müssen. Dies gibt den Takt vor. (VPR: 27)
Vor allem zwei Dinge würden benötigt, um künftige Auseinandersetzungen
siegreich bestehen zu können: „Die Bundeswehr ist ein Kerninstrument
unserer Wehrhaftigkeit gegen militärische Bedrohungen. Hierzu muss sie
in allen Bereichen kriegstüchtig sein. Das bedeutet, dass ihr Personal
und ihre Ausstattung auf die Wahrnehmung ihrer fordernden Aufträge
ausgerichtet sind. Maßstab hierfür ist jederzeit die Bereitschaft zum
Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht.“ (VPR: 9)
Was das Personal anbelangt, kämpft die Bundeswehr derart mit
Rekrutierungsproblemen, dass die eigentlich vorgesehene Planung, den
Umfang der Truppe von aktuell ca. 180.000 auf 203.000 Soldat*innen zu
vergrößern, auch von bundeswehrnahen Akteuren immer häufiger offen in
Frage gestellt wird.[15] Die Bedeutung von ausreichend Personal wird in
den VPR dennoch deutlich betont, gleichzeitig aber auch auf die Probleme
hingewiesen: „Unsere Auftragserfüllung hängt wesentlich davon ab, dass
die erforderlichen personellen Voraussetzungen geschaffen werden. […]
Das Erreichen der erforderlichen personellen Zielumfänge wird auf
absehbare Zeit eine der zentralen Herausforderungen der Bundeswehr
sein.“ (VPR: 24 und 28) Eigentlich deutet dabei die Formulierung, man
strebe „bestandserhöhende Maßnahmen“ (VPR: 29) an, dass der Umfang der
Truppe weiterhin erhöht werden soll. Auf der anderen Seite wird gleich
an mehreren Stellen auf das Potenzial der Reserve verwiesen, was
bedeuten könnte, dass sie noch verstärkter herangezogen werden soll.[16]
Wohin hier die Reise schlussendlich gehen wird, bleibt noch abzuwarten.
Was das Geld für die Ausstattung der Bundeswehr anbelangt, so bedient
auch die VPR die Falschmeldung von der chronisch kaputtgesparten Truppe,
wenn etwa eine „jahrzehntelange Unterfinanzierung“ (VPR: 27) und
„Jahrzehnte der Einsparungen“ (VPR: 30) beklagt werden. Abhilfe habe
erst das Sondervermögen der Bundeswehr geschaffen, mit dem ab kommendem
Jahr erstmals Militärausgaben von 2% des Bruttoinlandsproduktes erreicht
werden. Jetzt geht es interessierten Kreisen, u.a. den Autor*innen der
VPR, darum, dass dieses Ausgabenniveau auch nach dem voraussichtlichen
Ende des Sondervermögens 2027 oder 2028 beibehalten wird: „Zur
Gestaltung der Zeitenwende bedarf es dafür dauerhaft mindestens 2% der
nationalen Wirtschaftsleistung, die in die Verteidigung und insbesondere
in die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr investiert werden. […] Das
Sondervermögen Bundeswehr ist ein wesentlicher Beitrag auf dem Weg, die
NATO-Fähigkeitsziele zu erreichen. Deren vollumfängliche Erfüllung hängt
allerdings davon ab, dass auch nach Verausgabung des Sondervermögens
Bundeswehr weiterhin die erforderlichen Mittel aus dem Bundeshaushalt
bereitgestellt werden.“ (VPR: 10 und 31)
Fazit
Im Endeffekt warten die Verteidigungspolitischen Richtlinien aufgrund
ihrer engen Anlehnung an die Nationale Sicherheitsstrategie mit wenigen
Überraschungen auf. Das macht es allerdings auch nicht besser, zumal
auch noch extrem martialische Töne wie „Kriegstüchtigkeit“,
„Wehrhaftigkeit“, „Szenario des Kampfes“ und dergleichen die
Begleitmusik liefern.
Anmerkungen
[1] Die letzte VPR stammt aus dem Jahr 2011 (vorherige Versionen: 1972,
1979, 1992 und 2003). https://crp-infotec.de/bundeswehr-grundlagendokumente/
[2] Einen „Mentalitätswechsel in der Gesellschaft“ mahnte
Verteidigungsminister Boris Pistorius in einem ZDF-Interview
(29.10.2023) an: „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass
die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir
müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr
und die Gesellschaft dafür aufstellen.“
[3] Pistorius, Boris/Breuer, Carsten: Die Bundeswehr definiert ihre
Rolle neu: Wir müssen Rückgrat der Abschreckung in Europa sein,
Tagesspiegel, 09.11.2023.
[4] „Die strategisch-konzeptionellen Vorgaben bilden den wesentlichen
Rahmen für die Weiterentwicklung der Bundeswehr und die Nationale
Ambition, die mit dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr definiert wird.“
(VPR: 23)
[5] Wagner, Jürgen: Deutschlands Nationale Sicherheitsstrategie.
Wehrhaft! Wertebasiert? Interessengeleitet! IMI-Standpunkt 2023/022.
[6] „Den Versuchen, die Welt in Einflusssphären einzuteilen, stellen wir
das positive Modell einer solchen regelbasierten Ordnung entgegen. […]
Geprägt von ihrer Auffassung von systemischer Rivalität streben einige
Staaten jedoch an, diese Ordnung zu untergraben und so ihre
revisionistischen Vorstellungen von Einflusssphären durchzusetzen.“
(Nationale Sicherheitsstrategie: Integrierte Sicherheit für Deutschland.
Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig, 14.06.2023, S. 16 und 23)
[7] „Wir müssen unsere Freiheit und Sicherheit gemeinsam mit unseren
Verbündeten verteidigen können. Unsere Bereitschaft zur Verantwortung
und unser Wille zur Gestaltung begründen unser starkes Engagement für
die europäische Sicherheitsarchitektur und die internationale
regelbasierte Ordnung – auch militärisch. (VPR: 9)
[8] „Die Rolle Deutschlands als Anlehnungspartner für Verbündete ist
weiter auszugestalten. Dabei ist die Übernahme von Führungsverantwortung
so mit Fähigkeiten zu hinterlegen, dass sie anschlussfähig für
Verbündete ist.“ (VPR: 25)
[9] Nationale Sicherheitsstrategie: Integrierte Sicherheit für
Deutschland. Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig, 14.06.2023, S. 32.
[10] „Wir richten die Bundeswehr wieder auf ihren Kernauftrag aus:
Zeitgemäße Landes- und Bündnisverteidigung. (Vorwort VPR: 4)
[11] Wagner, Jürgen: „Wir gehen de facto all in“. Deutschland Beitrag
zum neuen NATO-Streitkräftemodell, IMI-Standpunkt 2023/037.
[12] Entscheidungen zur Brigade Litauen, bmvg.de, 06.11.2023.
[13] Wagner, Jürgen: Indopazifik: Verstetigung der deutschen
Militärpräsenz, IMI-Standpunkt 2022/035.
[14] Der hier im Zitat erwähnte Strategische Kompass sieht die Bildung
einer EU-Eingreiftruppe im Umfang von 5.000 Soldat*innen vor, mit der
mittlere Einsätze auch unabhängig von der NATO durchgeführt werden können.
[15] So zum Beispiel die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD): Wehrbeauftragte
glaubt nicht an Aufstockungsziel der Bundeswehr, Spiegel Online, 09.09.2023.
[16] Schon die bislang geplante Erhöhung auf 203.000 Soldat*innen sah
einen Aufwuchs der Reserve auf 4.500 Reservist*innen vor. Siehe Haschke,
Thomas: Zeitenwende ohne Personal, in: AUSDRUCK (März 2023), S. 9-12, S. 10.
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