Montag, 3. Mai 2021
Die Debatte um #allesdichtmachen
Mit ursprünglich über 50 Videos versuchen deutsche Schauspieler:innen, ironisch Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung zu äußern. Gelungen ist dies eher schlecht als recht – die Reaktion spricht trotzdem Bände über die gesellschaftliche Atmosphäre. – Ivan Barker hat alle Videos gesehen und kommentiert sie auf Perspektive.
Über eine Stunde ist notwendig, um sich die originalen 53 Videos verschiedener TV- und Filmschauspieler:innen anzusehen. Es sei also niemandem verübelt, nicht jedes einzelne Video bis zum Schluss zu kennen.
Der Aufbau ist immer gleich: Die Sprecher:innen stellen sich vor und äußern dann offensichtlich überzogene Ängste, Probleme oder Vorschläge zur Corona-Pandemie. Zum Schluss wird dem Publikum Gesundheit gewünscht und es gebeten, sich doch bitte an die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung zu halten.
Der Abspann enthält den Hinweis auf die drei Hashtags #allesdichtmachen, #niewiederaufmachen und #lockdownfürimmer, wobei der erste den Namen der Protestaktion darstellt. In den ein bis zwei Minuten langen Clips soll ironisch Kritik an der Corona-Politik, aber auch an der öffentlichen Debatte geübt werden. Wie gut dies gelungen ist, beschäftigt nun seit Tagen Menschen insbesondere in sozialen Netzwerken und Zeitungsredaktionen.
Wo ihre Form gleich ist, unterscheiden sich die Videos inhaltlich jedoch durchaus. Nadine Dubois und Claudia Rippe zum Beispiel greifen reale Probleme auf, wie den Unterschied der Lebensbedingungen von armen und reichen Menschen, oder die „Wir sitzen alle im gleichen Boot“-Propaganda.
Andere Beiträge reichen dagegen von schlicht unverständlich, was kritisiert werden soll, bis tatsächlich reaktionär. So machen sich mehrere Schauspieler über die Angst, mit Rechten in Verbindung gebracht zu werden, lustig. Insgesamt bleibt die Kritik oft abstrakt und schlecht vermittelt oder benötigt ein sehr wohlwollendes Publikum, das den sachlichen Kern erst entdecken muss.
Sinnvolle Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung werden mit kritikwürdigen Schikanen des Staates in einen Topf geworfen, sodass schlussendlich ein Bild der Ablehnung jeglicher Maßnahmen entsteht. Vor allem weil eigene positive Perspektiven und Forderungen komplett fehlen, überrascht wenig, dass AfD und Querdenker:innen mit Applaus reagieren.
Dass dies nicht die Absicht der Beteiligten war, bleibt dabei glaubwürdig und drückt sich auch darin aus, dass einige Schauspieler:innen nach Veröffentlichung unter dem massiven Druck schnell wieder zurückruderten – momentan sind nur noch 32 Videos übrig geblieben.
Debatten und eine kritische Auseinandersetzungen mit #allesdichtmachen sind also durchaus angebracht und kein Ausdruck von Zensur, wie es in so mancher Kommentarspalte vermutet wird. Gleichzeitig scheinen so manche Protest-Gegner:innen aber ihre Kritikfähigkeit gegen Staatsgläubigkeit eingetauscht zu haben.
Sie werfen den Schauspieler:innen vor, die Arbeiter:innen im Gesundheitswesen, Corona-Erkrankte und ihre Angehörigen durch Zynismus zu verhöhnen, indem sie es sich erlauben, in dieser Situation Witze zu machen. Manche sehen sogar das Problem schon allein darin, dass es überhaupt gewagt wurde, die Bundesregierung zu kritisieren.
Dazu muss klargestellt werden, dass es genau diese Regierung ist, die schon vor der Corona-Pandemie Pfleger:innen, Ärzt:innen und Patient:innen gleichermaßen durch das Kaputt-Sparen und Privatisieren im Gesundheitssektor verhöhnt hat. Seit Beginn der Pandemie wird dieser fatale Zustand immer offensichtlicher – und doch kommt von staatlicher Seite nichts.
Wenn es Schuldige für die zehntausenden Opfer des Corona-Virus‘ gibt, dann sind es nicht verwirrte Schauspieler:innen, sondern der Kapitalismus und der deutsche Staat, dem Profite immer wichtiger sein werden als Menschenleben.
Die Widersprüche dieser Pandemie-Bekämpfung bringen notwendigerweise solche Aktionen sowie die darauffolgenden Reaktionen hervor. Menschen wünschen sich verständlicherweise ihre „Normalität“ zurück, andere wollen ihre Gesundheit so gut es geht schützen – der Staat steht beidem mit seinem schlechten Krisenumgang im Weg. Statt gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft zu kämpfen, wird in Zynismus oder Resignation verfallen und Energie in die völlig falschen Dinge gesteckt.
Viele der Kommentare, Posts, Tweets zu #allesdichtmachen zeigen erneut, wie ein großer Teil der selbsternannten Linken den bürgerlichen Medien, und so dem Staat, auf den Leim geht. Sie sehen ihre Sonntagabend-Helden vom „Tatort“, die anstelle der üblichen Propaganda für den Repressionsapparat nun plötzlich versuchen, die bestehenden Verhältnisse zu kritisiere – und küren sie zum Gesprächsthema No. 1. Schauspieler:innen, deren Gesichter viele Jugendliche vermutlich durch diese Aktion zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen haben, wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt als all denen, die seit Monaten gegen Wirtschaftskrise, Pandemie und Schikane des Staates kämpfen.
Die eigene so nötige Arbeit – zum Beispiel Aktionen gegen die Ausgangssperren, Entlassungen, Impfpatente etc. – wird nicht durch halbgare Satire ersetzt, aber auch nicht durch das Abarbeiten an ihr. Unsere Priorität muss weiterhin sein, zugleich für sinnvollen Gesundheitsschutz und gegen Angriffe auf unsere Klasse zu kämpfen. Weder Schauspieler:innen in Villen noch der Staat mit seinen Politiker:innen wird das für uns erledigen – wir müssen auf die eigene Kraft setzen!
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