Montag, 3. Mai 2021
Auspressung leicht gemacht – Corona im Supermarkt
Zwischen halb sechs und zehn vor trudelt die Frühschicht ein. Wir versammeln uns im Pausenraum. Der Filialleiter trägt vorbildlich eine Maske, der Rest scheißt drauf. Es gibt eine Ansage zu Corona. Wir dürfen jetzt nur noch alleine Pause machen. Wenn zwei gleichzeitig Pause machen, dann in unterschiedlichen Räumen. Eine Kollegin fragt sarkastisch: „Aber arbeiten dürfen wir schon noch zusammen?“ Das klingt sehr hygienisch; nebenbei wird uns die einzige Möglichkeit genommen, uns untereinander auszutauschen auf der Arbeit und mal ein längeres zusammenhängendes Gespräch zu führen.
Dann geht‘s los. Einstempeln und ran. Alle holen sich Headsets. Angezogen ist man schon, denn Umziehen gehört nicht zur Arbeitszeit. Diejenigen, die an die Tiefkühlware gehen, holen sich den Lieferschein, um zu wissen, was ihre Truhen sind. Eine Truhe soll man in maximal dreißig Minuten weghauen, sodass eine Person bis zur Öffnung des Ladens zwei Truhen verräumt und am besten auch schon die Zeitungen fertig hat. Truhe auf dem Hubwagen, raus aus dem Lager, zu den Tiefkühltruhen. Tür öffnen, Karton rausheben, zur Tiefkühltruhe laufen, aufschneiden, schütten oder sortieren. So geht das die ganze Zeit, bis was nicht passt. Dann hast du den Salat. Dann musst du das auf Rest packen. Je mehr nicht passt, desto schwieriger wird es, die Zeit einzuhalten. Im Vergleich zu Obst und Gemüse ist das aber nicht so anstrengend.
Dann holen sich alle nach und nach ihre Kassen. Vier-Augen-Prinzip. Ein Schicht- oder Filialleiter ist dabei, während man seine Kasse einwiegt. Wenn sie stimmt, geht man raus. Wenn man erste Kasse machen muss, freut man sich, wenn man vorher Obst und Gemüse gepackt hat. So hat man sich wenigstens ein bisschen bewegt, bevor man an den Stuhl gekettet wird.
An der Kasse muss man bei den meisten Läden ein festes Prozedere einhalten. „Guten Tag, einmal den Wagen rum bitte, einmal alles anheben bitte.“ Dann rüberziehen. Die Warenkennnummern (PLU) müssen sitzen, ansonsten ist man viel zu langsam. „Haben Sie Payback?“ Dabei muss man ständig abwägen, wie sklavisch man sich an das Prozedere hält. Denn den Kunden geht das teilweise auf den Sack, und dann gehen die einem auf den Sack. Aber es ist auch immer möglich, dass ein Mystery-Shopper kommt und eine Tafel Schokolade hinter der Selter versteckt oder eine teure Konserve in einem Kolli billiger versteckt.
In Corona-Zeiten sollen wir gleichzeitig auch noch Ordnungsamt spielen und die Kunden zum korrekten Tragen der Masken anhalten und an ihren Einkaufswagen erinnern. Darauf hat von uns nun wirklich keiner Bock. Security gibt es aber nur, wenn sich der Regionalverantwortliche das leisten will.
Durch Corona sind die Umsätze extrem gestiegen. Home Office heißt, niemand kauft sein Frühstück auf dem Weg zur Arbeit beim Bäcker, niemand kauft sein Mittagessen in der Kantine, Mensa, niemand geht nach der Arbeit ins Restaurant. Alle gehen zum Supermarkt oder Discounter. Das heißt natürlich mehr Verräumen. Man möchte meinen, dass mehr Leute eingestellt werden, und mehr Leute pro Schicht eingeteilt werden. Das stimmt aber nur sehr bedingt. Denn für die Einzelhandel-Monopole ist das vor allem eine Chance, aus der einzelnen Lohnstunde mehr Leistung rauszuholen. Acht Stunden arbeiten heißt hier wirklich acht Stunden arbeiten. Selbst Kollegen, die vorher als Aushilfen auf dem Bau Fenster geschleppt haben, sagen, dass das die härteste Arbeit ist, die sie je gemacht haben. Denn da muss man vielleicht schwerere Sachen tragen, aber man kann auch zwischen durch mal durchatmen oder eine rauchen. Hier nicht.
In Kombination mit den Schulschließungen sorgt diese Belastung natürlich auch für Krankheitstage. Oder sagen wir besser freie Tage. Denn Filialleiter machen gerne Druck, dass man sich nicht krank meldet oder sagen gönnerhaft, dass man sich ja nicht krank melden müsse. Wohlwissend, dass man dann auch keine Kohle bekommt.
Bei den großen Monopolen wird öfter eine „offene Gesprächskultur“ gepflegt, wo man Raum bekommt, seine Perspektive zu schildern oder sowas. Da sitzt man dann mit der Filialleitung, oder der Regionalleitung oder so ominösen Figuren wie „Personalbeauftragten“. Die stellen einem dann Fragen, die ganz empathisch wirken, aber vor allem Unzufriedenheiten ausloten sollen, um zu wissen, wer im Team ein Problem werden könnte. Der „Personalbeauftragte“ ist sowas wie ein Fake-Betriebsrat. Der gehört zur Personalabteilung und gaukelt den Angestellten vor, ihre Interessen zu vertreten. So werden Widersprüche zwischen der Filialleitung als Repräsentant des Interesses des Unternehmen und der Belegschaft von einem „Außenstehenden“ „geschlichtet“, der selbst das Interesse des Unternehmen vertritt. Die Arbeiter stehen so immer als Individuen im Klassenkampf ohne eigene Organisation. Als wären Betriebsräte von gelben Gewerkschaften nicht schon schlimm genug!
Was hierbei auch deutlich wird, ist dass die Filialleitung ähnlich wie Kleinbürger „gespaltene Persönlichkeiten“ sind. Einerseits arbeiten sie mit uns, und auch nicht weniger hart als wir. Andererseits kriegen sie Druck und Belohnungen, damit sie das Interesse des Unternehmens vertreten. So sind sie hin und her gerissen zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Deshalb gibt es die Regionalleitungen und die „Personalbeauftragten“, die den Filialleitungen auf die Finger schauen und hauen.
Als Dankeschön, dass der Dienst am Kapital im Einzelhandel relativ streikfrei vonstatten ging, und man die Kampfmaßnahmen der Bourgeoisie brav hat über sich ergehen lassen, wurde zeitweise auf Balkons geklatscht. Danke für nichts. Was bringt es uns, dass angeblich an uns „gedacht“ wird, wenn die Arbeit gleichzeitig immer anstrengender wird und wir uns zusätzlich der immensen Gefahr aussetzen, uns an der Kasse mit Corona zu infizieren. Da der Bourgeoisie klar wurde, dass so ein Schmarrn vielleicht nicht ausreicht, um den relativen sozialen Frieden aufrecht zu erhalten, hat die Regierung beschlossen, dass Arbeitgeber bis zu 1500€ auszahlen dürfen. Die Rewe Group war bei ihrem Unternehmen Penny besonders spendabel. Die haben ihren Angestellten einen Gutschein für das eigene Reise-Unternehmen geschenkt. Einen Reisegutschein, während einer weltweiten Epidemie. Ernsthaft. Weniger eine ernsthafte Kompensation für unsere Mühe, mehr ein schlechter Witz ist das. Zynisch ist das, uns von unserer nächsten Reise träumen zu lassen, wenn nicht mal absehbar ist, dass wir nach der Rückreise nicht zwei Wochen unbezahlten Urlaub nehmen müssen, ganz zu schweigen von den Einreisebeschränkungen in vielen Ländern.
Als in Hamburg im Nahverkehr gestreikt wurde, wurde uns von der Filialleitung angesagt, dass wir uns gefälligst selbst darum kümmern sollen, wie wir zur Arbeit kommen. Daraufhin meinte ein Kollege: „Streiken? Können wir doch eigentlich auch mal machen!“
https://rotepresse.noblogs.org/rote-post-37/
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