Dienstag, 4. März 2014

Mietkautionsdarlehen

Seit In-Kraft-Treten von "Hartz-IV" führen wir Verfahren, in denen es um die Frage geht, ob und gegebenenfalls inwieweit die Jobcenter und andere Leistungsträger verlangen dürfen, dass Mietkautionsdarlehen aus dem Regelbedarf oder dem Regelsatz getilgt werden. Im Regelsatz sind Mietkautionsdarlehen nicht berücksichtigt, so dass eigentlich klar sein sollte, dass eine Tilgung aus dem Regelsatz nicht verlangt werden kann. Im Leistungsbereich des SGB II ist die Rechtslage seit dem 1.4.2011 aber leider etwas komplizierter. Bis zur Hartz-IV-Reform, die am 1.4.2011 in Kraft trat, war die Rechtslage klar: Die Tilgung von Mietkautionen aus dem Regelbedarf konnte nicht gefordert werden. Die Behörden haben das zwar regelmäßig versucht und waren dabei insgesamt leider sehr erfolgreich. Wer sich aber dagegen gewehrt hat, war eben auch erfolgreich – auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (LSG Stuttgart, Beschluss vom 6.9.2006, L 13 AS 3108/06 ER-B). Mit der Hartz-IV-Reform hat der Gesetzgeber in § 42 a SGB II eine Regelung getroffen nach deren Wortlaut alle Darlehen, also auch Mietkautionsdarlehen, aufgerechnet werden können. Gleichzeitig hat er die Auffassung, nach der die Aufrechnung durch Verwaltungsakt erfolgt, ebenfalls in § 42 a SGB II ausdrücklich festgeklopft. Nun ist die Verpflichtung, die Mietkaution aus dem Regelbedarf zu tilgen, nach unserer Auffassung ohne Wenn und Aber verfassungswidrig, weil ja kein Zweifel daran besteht, dass Aufwendungen für Mietkautionen in die Berechnung der Regelsätze nicht eingeflossen sind (BVerfG, 9.2.10, 1 BvL 1/09). Wir empfehlen, gegen die Aufrechnung Widerspruch einzulegen. Dieser Widerspruch entfaltet aufschiebende Wirkung (§ 86 a SGG), die nicht von der Ausnahmevorschrift des § 39 SGB II betroffen ist. Das heißt: Der Widerspruch beendet die Aufrechnung schon von ganz alleine. Allerdings machen wir seit Jahren die Erfahrung, dass die aufschiebende Wirkung von den Behörden oft nicht beachtet wird. Dass die Aufrechnung ein Verwaltungsakt ist, hat aber auch einen Nachteil: Wenn die Widerspruchsfrist verstrichen ist, dann kann die aufschiebende Wirkung nicht mehr erwirkt werden, auch nicht mit einem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Ein solcher Antrag ist natürlich trotzdem sinnvoll, aber er führt eben – wenn überhaupt – erst nach sehr langer Zeit zum Ziel. In aller Regel verlangen die Leistungsträger – Jobcenter und Kommunen –, dass ein Darlehensvertrag geschlossen wird, bevor sie ein Mietkautionsdarlehen bewilligen. Die Verträge enthalten meistens eine Aufrechnungsregelung. Die ist eigentlich überflüssig, weil § 42 a SGB II die Aufrechung ohnehin gesetzlich regelt. Aber wenn man den Vertrag unterschreibt, dann wird es jedenfalls schwieriger, Widerspruch einzulegen. Einiges spricht dafür, die Aufrechnungsregelung im Vertrag als Verzicht auszulegen (§ 46 SGB I). Jedenfalls hat die Rechtsprechung das unter der Geltung des alten Rechts (bis 31.3.2011) überwiegend getan. Dann wäre der Verzicht, auch wenn er Teil eines Vertrages ist, für die Zukunft widerrufbar, nicht aber für die Vergangenheit (§ 46 Abs. 2 SGB I). Daraus ergibt sich die erste Handlungsmöglichkeit: Der Hilfeempfänger unterschreibt den Vertrag. Sobald er das Darlehen hat, widerruft er die Verzichtsregelung (=Tilgungsvereinbarung). Wenn die Behörde (was nach unserer Erfahrung der Regelfall ist) trotz des Vertrages noch einen Verwaltungsakt erlässt, durch den Aufrechnung erklärt wird, muss dagegen unbedingt Widerspruch eingelegt werden. In beiden Fällen – Vertrag mit Verwaltungsakt oder Vertrag ohne Verwaltungsakt – wird die Behörde wohl oft weiterhin aufrechnen. Dagegen kann dann nur die sogenannte reine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) erhoben werden, also die Klage auf Auszahlung der (zu Unrecht) aufgerechneten Beträge. In diesem Verfahren wird dann entschieden, ob die Erklärung im Vertrag, durch die Tilgung (Aufrechnung) vereinbart wurde, wirksam widerrufen worden ist. Die Verträge umfassen häufig noch weitere Regelungen, die nach unserer Auffassung nicht zumutbar sind. Zum Beispiel ist es üblich, dass der Vertrag eine Klausel enthält, nach der das Jobcenter berechtigt ist, Nebenkostennachforderungen, die der Vermieter gegen den Hilfeempfänger geltend macht, zulasten des Hilfeempfängers auszugleichen, ohne zu prüfen, ob die Forderung berechtigt ist, und ohne für möglicherweise ohne Rechtsgrund an der Vermieter gezahlte Beträge gegenüber dem Hilfeempfänger zu haften. Das heißt: Es ist nach dieser Regelung möglich, dass a) der Vermieter vom Jobcenter Geld verlangt und bekommt, b) das Jobcenter dieses Geld von der laufenden Hilfe für den ALG-II-Bezieher abzieht und c) der ALG-II-Bezieher das Geld, das er zu Unrecht auf dem Umweg über das Jobcenter und ohne sich dagegen wehren zu können an den Vermieter gezahlt hat, nur vom Vermieter, nicht aber vom Jobcenter, zurückfordern kann. Das hat für den Betroffenen erhebliche Nachteile, weil a) der Vermieter insolvent sein könnte, b) seine Rechtsposition im zivilrechtlichen Verhältnis zum Vermieter im Streitfall schwächer ist als im streitigen Verhältnis zum Jobcenter (Beweislast) und c) die Kostenrisiken im Zivilprozess höher sind als im Sozialgerichtsprozess (nicht gerichtskostenfrei, Prozesskostenhilfe kommt nicht für die Anwaltskosten des Gegners auf). Eine solche Regelung dürfte die Kriterien des § 138 Abs. 2 BGB erfüllen (Sittenwidrigkeit). Das heißt: Es spricht Einiges dafür, dass sie sittenwidrig und damit nichtig ist. Bislang ist das aber nur eine Rechtsmeinung. Rechtsprechung zu dieser Frage ist uns nicht bekannt. Die zweite Handlungsmöglichkeit besteht darin, den Vertrag nicht zu unterschreiben, solange er Regelungen enthält, die – unabhängig von der Frage, ob sie sittenwidrig sind – den Hilfeempfänger unangemessen benachteiligen. Das gilt nach unserer Auffassung sowohl für die Tilgungsvereinbarung, als auch für weitere Regelungen wie die oben dargestellte. Das führt erfahrungsgemäß dazu, dass ein Mietkautionsdarlehen nicht bewilligt wird. Die Frage, ob ein solcher Vertrag zumutbar ist, muss dann im streitigen Verfahren vor dem Sozialgericht entschieden werden. Solche Verfahren sind anhängig, aber soweit wir solche Verfahren führen noch nicht entschieden (und nach unserer Kenntnis auch sonst nicht). Wir sind optimistisch, dass die Regelung, nach der auch Mietkautionsdarlehen aus der laufenden Hilfe getilgt werden, von den Gerichten über kurz oder lang zu Fall gebracht wird. Aktualisierung 11.3.2013: Das SG Berlin hat am 22.2.2013 – Aktenzeichen S 37 AS 25006/12 – entschieden, dass das Mietkautionsdarlehen nicht aus der Regelleistung getilgt werden muss. Das Urteil steht auf der Website von Tacheles eV. zur Verfügung [Download Urteil]. Aktualisierung 19.2.2014: Im Rahmen der Leistungen nach dem SGB II stellen die Jobcenter unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 6 SGB II auch Darlehen für eine Mietkaution zur Verfügung. Da die Mietkaution sich nicht verbraucht, wird in der Regel kein Zuschuss bewilligt, sondern ein Darlehen. Seit In-Kraft-Treten des SGB II zum 1.1.2005 haben die Leistungsträger versucht durchzusetzen, dass diese Darlehen nicht erst bei Auszug oder Ende der Hilfebedürftigkeit zurückgezahlt werden, sondern während des laufenden Bezugs aus dem Regelbedarf. Dem sind die Gerichte schon 2006 entgegengetreten [vgl. zB LSG Stuttgart, 6.9.2006, L 13 AS 3108/06 ER-B]. Im Zuge der Hartz-IV-Reform im Jahr 2011 hat der Gesetzgeber mit § 42a SGB II eine Regelung eingefügt, auf deren Grundlage die Jobcenter seither wieder die Tilgung aus dem Regelbedarf verlangen [weitere Infos]. Ob das richtig ist, ist umstritten [vgl. zB SG Berlin, 30.9.2011, S 37 AS 24431/11 ER]. Wir konnten nun erreichen, dass das BSG die Revision in einem Verfahren zugelassen hat, in dem die folgende grundsätzliche Rechtsfrage zu entscheiden ist: a) Ist § 42a Abs. 2 SGB II (verfassungsgemäß) so auszulegen, dass Mietkautionsdarlehen nach § 22 Abs. 6 SGB II von § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht erfasst werden? Wenn nein: b) Ist § 42a Abs. 2 SGB II insofern verfassungswidrig, als die Vorschrift dazu führt, dass Mietkautionsdarlehen durch monatliche Aufrechnung gegen den Regelbedarf getilgt werden müssen? Zu den weiteren Einzelheiten verweisen wir auf unsere [Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde]. Wir werden das Verfahren in unserer Verfahrensdokumentation dokumentieren. (rr)

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