Sonntag, 2. März 2014
Ukraine: Gegensätzliche Interessen des Volkes und der Herrschenden
21. Februar 2014
Das Volk ist im Aufruhr gegen die gewählte Regierung und die österreichischen Medien begrüßen die Erstürmung von Regierungsgebäuden, Brandlegungen, bewaffnete Angriffe auf Polizeieinheiten – und das in Europa? Sowas erlebten die älteren von uns zuletzt beim Zusammenbruch des Ostblocks nach 1990. Offensichtlich sehen die bei uns Herrschenden die Situation in der Ukraine ganz anders als etwa in Griechenland, Bosnien oder gar Österreich. Seit die Regierung Janukowitsch das „Angebot“ der EU auf einen Freihandelsvertrag Ende November 2013 abgelehnt hat, verschärfen die EU-Imperialisten den Druck auf die Ukraine auf allen Ebenen. Dazu gehört auch die Unterstützung faschistischer Parteien und Banden, die derzeit in Kiew und anderen Städten der Westukraine den militanten Stoßtrupp der Oppositionsbewegung bilden.
Die Empörung der ukrainischen Arbeiter/innenklasse und Volksmassen über die herrschenden Zustände einschließlich der aktuellen Regierung ist durchaus berechtigt. Eine kleine Clique von superreichen Finanzkapitalisten beherrscht das Land und presst das letzte aus den Arbeiter/innen heraus. Die Superprofite werden ins Ausland verschoben, der Lebensstandard der großen Bevölkerungsmehrheit liegt am untersten Ende Europas. Der statistische NettoStundenlohn in Kiew (für diejenigen, die ihre Löhne überhaupt ausbezahlt bekommen) liegt mit 2,2 € um 10 Cent unter dem von Kairo und deutlich niedriger als in Budapest, Bukarest oder Sofia. Die Hälfte der Beschäftigten in der Ukraine bekommen weniger als 300 € im Monat.
Die politischen und wirtschaftlichen Grundlagen für dieses Massenelend finden wir in den Umbrüchen der 1990er Jahre, als die staatskapitalistische Sowjetunion aufgelöst wurde. Nicht die Arbeiter/innen und Volksmassen ergriffen die Macht, sondern bürokratischen Kapitalisten und Bonzen der ehemaligen KPdSU blieben an den Schaltstellen der Macht und organisierten sich neu. Die aus der Ukrainischen Sowjetrepublik stammende bürokratische Kapitalistenklasse täuschte die Arbeiter/innen und Volksmassen mit ihrer Unabhängigkeitserklärung und allgemeinen Versprechungen über Demokratie, Freiheit und Öffnung in jeder Hinsicht.
Tatsächlich begannen sie aber sofort damit, möglichst profitable Teile der verstaatlichten Wirtschaft an sich zu reißen. Anders als nach der Niederschlagung des Faschismus 1945 gab es 1991 keine einflussreichen revolutionären kommunistischen und Arbeiterparteien in der Ukraine und Osteuropa und keine Orientierung des Kampfes auf eine Volksrepublik unter Führung des Proletariats. Ganz im Gegenteil: Die alte-neue KP Ukraine verherrlichte das alte revisionistisch-kapitalistische System als „Sozialismus“ und desorientierte die Bewegung. So brauchten die alten und neuen Kapitalisten keine Angst vor der Arbeiter/innenklasse haben und konnten völlig ungehindert eine Privatisierungswelle und Verschmelzung der neuen privatkapitalistischen Bourgeoisie mit der alten staatskapitalistischen Bourgeoisie vorantreiben.
Heute – 20 Jahre später – gibt es mehrere große ukrainischer Finanzkapitalisten, die auf einigen Gebieten monopolistische Positionen errungen haben. Sie verfügen nicht nur über große ökonomische und politische Macht in der Ukraine, sondern spielen inzwischen auch eine gewisse Rolle im Konzert des internationalen Finanzkapitals. Die Regierung Janukowitsch ist ebenso wie die “Opposition” Teil dieser Oligarchie und bildet eine ihrer Fraktionen.
Das ukrainische Finanzkapital ist international gesehen ungewöhnlich hoch konzentriert und zentralisiert: Etwa 100 Leute kontrollieren nach diversen Schätzungen 80-85% der Wirtschaft. Heute gibt es 4 bedeutende Monopolgruppierungen („Oligarchen-Clans“) in der Ukraine, die engstens mit dem Staatsapparat verschränkt sind: Janukowitsch, Kljujew, Achmetow und Firtasch. Um diese vier größten Monopolgruppen scharen sich die anderen paar Dutzend “Oligarchen”.
Bisher verfolgten die ersten beiden Gruppen gegenüber der “Maidan-Bewegung” und überhaupt gegenüber der EU eher einen “harten” Kurs, die beiden letzteren, wiewohl ebenfalls engstens mit dem Janukowitsch-Regime verbandelt (insbesondere Achmetow), bevorzugten eine friedliche Lösung, um feindselige Maßnahmen der EU und der USA zu begrenzen (z.B. schärferes Vorgehen gegen Steuerhinterziehung und Schwarzgeld, Erschweren von Geldtransfers und -fluß und des “freien” Zugangs zum internationalen Bankensystem, Verschlechterung der Investitionsmöglichkeiten im “Westen”, Behinderung des “westlichen” Technologietranfers in die Ukraine u.a.m.). Andererseits gibt es aber die enge und immer enger werdende Verflechtung der ukrainischen mit der russischen und neuerdings auch mit der chinesischen Wirtschaft, und Störungen hier wären genauso schlimm, wenn nicht schlimmer für die Profite der ukrainischen Finanzbourgeoisie.
Die obenstehende Grafik zeigt die Entwicklung des Einflusses der „westlichen“ und der „östlichen“ Imperialisten in der Ukraine (wobei EU/USA als “Transformationstreiber” und Russland/China als “Nicht-Transformationstreiber” bezeichnet werden). Dabei zeigt sich, dass in den letzten 10 Jahren die Bedeutung der russischen und chinesischen Imperialisten wesentlich zugenommen hat.
Österreich liegt bezüglich des Kapitalexports in die Ukraine mit 3,2 Mrd. $ oder 5,7% auf beachtlichem Platz 5, in einer wegen Zypern bereinigten Statistik sogar auf Platz 4. Österreichisches Kapital hat in der Ukraine 15 Produktionsstätten und rund 100 sonstige Niederlassungen. Ein Schwerpunkt des österreichischen Kapitalexports war und ist der Bankensektor: Die Raiffeisen Bank Aval ist die viertgrößte, die Ukrsotsbank der Unicredit/Bank Austria die sechstgrößte Bank der Ukraine. Die Erste Bank hat 2013 ihre Niederlassung an einen ukrainischen Finanzkapitalisten verkauft, die Volksbank die ihre 2012 an die russische Sberbank. Über eventuelle Verkaufsabsichten der Unicredit/Bank Austria wird gemunkelt, aber sie werden bisher dementiert.
Es geht politisch derzeit um die Frage: Freihandelsabkommen mit der EU oder Zollunion mit Russland und der GUS? Kredite von Russland (750 Mio. € Ende September schon “blind” eingeräumt, 15 Mrd. € zugesagt!) oder vage Zusagen der EU und des IWF, garniert von Beginn an mit unerwünschten Auflagen? Niedrigere (nämlich unter Weltmarktniveau) oder höhere Gaspreise, letztere mit der vagen Perspektive der Erschließung von Alternativen in der Energieversorgung? Aus ukrainisch-”oligarchischer” Sicht wäre es natürlich das Beste, aus beidem zu profitieren und zwischen den beiden imperialistischen Seiten zu lavieren, aber das wollen diese beiden Seiten eben gerade nicht.
Im Gegenteil haben sowohl die EU als auch Russland die Gangart vor dem Vilnius-Gipfel verschärft und die Ukraine stand vor einem “Entweder- Oder”. Für die ukrainische Finanzbourgeoisie eine Scheißlage. Wobei sich der Konflikt zwischen Russland und der EU darstellt als Konflikt zwischen ökonomischer “Rationalität” (wenn auch erpresster) und politischem “Demokratie”-Geschwafel ohne erkennbaren Nutzen.
Im August und nochmals Ende Oktober 2013 gab es einen regelrechten Handelskrieg Russlands mit der Ukraine, d.h. Blockaden des Handels aus zollrechtlichen Gründen, eine Woche lang wurde sogar jeglicher Transport gestoppt. Von russischer Seite wurde gedroht, die Ukraine aus der GUS-Freihandelszone überhaupt auszuschließen, falls sie das Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichne, von der Zollunion sowieso keine Rede. Im Sommer 2013 hatte Russland einen anderen “Handelskrieg” mit Armenien, das sich ein bisschen von der russischen Oberherrschaft lösen wollte, gewonnen (durch Erhöhung der Gaspreise, angedrohte Waffenlieferungen an Aserbaidschan …); Armenien ist inzwischen der Zollunion beigetreten.
Die Volksopposition gegen die Regierung ist schwach, weil sie bisher keine kampfstarken Organisationen hervorgebracht hat. So werden Arbeiter/innenklasse und Volksmassen zum Spielball bewaffneter Kämpfe zwischen verschiedenen Kapitalgruppen bzw. ihren imperialistischen Hintermännern. Ein Hintergrund ist die massive Arbeitslosigkeit und das Massenelend, wodurch Tausende Menschen sich gerne am Maidan versorgen lassen, statt in ihren Wohnungen zu hungern und frieren. Gratisbusse bringen sie aus verschiedenen Städten zu den Massendemonstrationen in Kiew. Allein die Versorgung der Demonstrant/innen mit Zelten, Heizgeräten, Schlafsäcken, Feldbetten, Essen usw. kostet täglich ca. 10.000 € und wurde wochenlang von Großkapitalisten wie Firtasch, Poroschenko und anderen bezahlt, die mit Janukowitsch konkurrieren. Ähnliche „Unterstützungsmaßnahmen“ für die pro-EU-Bewegung gab es schon vor 10 Jahren während der sogenannten „orangen Revolution“ der Gashandels-Milliardärin Timoschenko.
Im Dezember und Jänner spielte die von der CDU-Adenauer-Stiftung aufgebaute Partei UDAR (mit dem Boxergesicht Klitschko als Markenzeichen) am Maidan eine führende Rolle in der Organisierung der Proteste. Nachdem der Milliardär Firtasch (der mit Janukowitsch verbandelt ist, aber für eine stärkere Annäherung an die EU eintritt) die finanzielle Unterstützung für den „Euro-Maidan“ stoppte, hat im Jänner und Februar der Einfluss faschistischer Kräfte massiv zugenommen hat. Die wichtigste Kraft dabei ist die „Swoboda“ (Freiheit), eine auch im Parlament vertretene Faschisten-Partei, die ihre Ursprünge auf die Bandera-Faschisten der 1920er Jahre und die ukrainische Waffen-SS unter Hitler zurückführt.
Sowohl „Borotba“ (Kampf) als auch KSRD (Koordinierungsrat der Arbeiterbewegung) – zwei revolutionäre kommunistische Organisationen in der Ukraine – betonen, dass die Faschisten am Maidan immer wieder linke Organisationen angreifen. So wurde z.B. Mitte Februar von einer Bande aus 30 Nazi-Faschisten das Zelt der „Konföderation Freier Gewerkschaften“ angegriffen und dabei drei Aktivisten von Borotba schwer verletzt; außerdem wurden die Zeltplanen zerschnitten, die Lautsprecher zerstört und der Generator geraubt. In der dritten Februar-Woche haben die faschistischen und rechtsextremen Kräfte am Maidan die Macht vollständig übernommen.
Der KSRD berichtet jetzt über die spontane Gründung von mindestens 10 antifaschistischen Basis-Initiativen in Kiew, die sich sowohl gegen die Regierung als auch gegen die faschistische Maidan-Opposition ausrichten, ohne sich von der reaktionären prorussischen Anti-Maidan-Bewegung vereinnahmen zu lassen, die vor allem von der revisionistischen KPU unterstützt wird. Borotba ruft jetzt Ende Februar dazu auf, dass sich das Volk nicht in den Krieg zwischen verfeindeten Oligarchen-Gruppen hineinziehen lassen soll, und nicht sein Blut für die Interessen der Oligarchen vergießen soll. (www.borotba.org)
Wir verbreiten seit 1995 Flugblätter, mit denen wir uns vor allem an klassenbewusste Arbeiter/innen wenden. Die Texte werden auch in der seit 2001 erscheinenden Zeitung ‚Proletarische Revolution’ abgedruckt. Unser Ziel ist eine Gesellschaftsordnung ohne Klassen, ohne Unterdrückung und Ausbeutung. Dazu muss die Klasse der Arbeiterinnen und Arbeiter eine eigene Kampfpartei aufbauen, die Macht erobern, die Besitzer der Produktionsmittel enteignen und den Klassenkampf fortsetzen, bis alle Reste der bürgerlichen Ordnung verschwunden sind. Wir stellen uns in die Tradition der internationalen revolutionär-kommunistischen Bewegung, die Mitte der 1960er Jahre in Auseinandersetzung mit den Fehlern der KPdSU und in scharfem Kampf gegen die Wegbereiter des bürokratischen Staatskapitalismus in der Sowjetunion eine marxistisch-leninistische Generallinie verteidigt hat und zur Gründung neuer kommunistischer Parteien führte. Wir sind revolutionäre Kommunist/innen und deshalb nicht in der KPÖ organisiert.
IA«RKP
Initiative für den Aufbau einer
Revolutionär-Kommunistischen Partei
Stiftgasse 8, A-1070 Wien, ia.rkp2017@yahoo.com
iarkp.wordpress.com
Proletarische Revolution
Revolutionär-kommunistische Zeitung in Österreich
prolrevol.wordpress.com
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