Freitag, 28. März 2014

Pulverfaß Krim

Umkämpfte Halbinsel im Schwarzen Meer: Historische und geopolitische Dimensionen eines komplexen Konflikts Von Willi Gerns jungeWelt vom 04.03.2014 Nachdem die prowestlichen Parlamentsparteien in der Ukraine mit Hilfe bewaffneter faschistischer Kräfte und massiver Unterstützung aus Berlin, Brüssel und Washington durch einen Putsch die Macht an sich gerissen haben, kommt es in den eher auf Rußland orientierten Regionen des Landes zu massiven Protesten. Das gilt vor allem für die Autonome Republik Krim (ARK). In Sewastopol, der Hauptstadt Simferopol und anderen Städten haben Zehntausende, vor allem Angehörige der russischen Bevölkerungsmehrheit, ihren Protest gegen die Putschisten auf die Straßen und Plätze getragen. Selbstverteidigungseinheiten wurden gebildet, Verwaltungen und strategische Einrichtungen besetzt. Die Grenze zur übrigen Ukraine wird von Angehörigen der Sonderpolizeieinheit Berkut und Selbstverteidigungskräften kontrolliert. Das Parlament, die Werchowna Rada (Oberster Rat) der ARK, hat den bisherigen Ministerpräsidenten abgelöst und Sergej Aksjonow zum neuen Premier ernannt. Dieser hat die Truppen des Innenministeriums und des Sicherheitsdienstes SBU sowie die Streitkräfte, den Zivilschutz, die Zollbehörde und den Grenzschutz seinen Befehlen unterstellt. Aksjonow ersuchte Rußland um Hilfe bei der Gewährleistung von Frieden und Ruhe auf dem Territorium der Autonomen Republik Krim. Die russische Duma hat Präsident Putin aufgefordert, der Bitte nachzukommen. Am Samstag ersuchte der Präsident daraufhin den Föderationsrat, den Einsatz russischer Truppen auf dem Territorium der Ukraine, »bis zur Normalisierung der gesellschaftspolitischen Lage in diesem Land« für den Fall zu genehmigen, daß das Leben russischer Bürger und Landsleute sowie die Sicherheit der russischen Truppen, die gemäß einem internationalen Vertrag auf der Halbinsel Krim stationiert sind, in Gefahr ist. Dem Ersuchen des Präsidenten hat der Föderationsrat entsprochen. Von der Vollmacht des Präsidenten ist bisher allerdings noch kein Gebrauch gemacht worden. Schon vordem war die russische Militärpräsenz zum Schutz der Stützpunkte auf der Krim in Übereinstimmung mit den zwischen der Ukraine und Rußland bestehenden Verträgen in begrenztem Maß verstärkt worden. Das Parlament der ARK hat eine Volksabstimmung über den künftigen Status der Halbinsel beschlossen. Sie sollte zunächst am 25. Mai stattfinden, wurde dann aber angesichts der sich zuspitzenden Ereignisse auf den 30. März vorverlegt. Abgestimmt wird über die Frage: »Sind Sie für die staatliche Selbständigkeit der AR Krim im Bestand der Ukraine auf der Grundlage von Verträgen und Abkommen?« Es geht folglich nicht um die Lostrennung der Krim von der Ukraine und ihre Angliederung an Rußland, wie die Putschisten in Kiew und ihre Nachbeter im Westen kolportieren, sondern um die Sicherung und Erweiterung des Autonomiestatus und dessen Garantie. Deutschland, die EU, die USA und die NATO – d. h. Staaten und Organisationen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten viele Male die territoriale Souveränität anderer Staaten mißachtet, sie militärisch überfallen und ihre Regierungen gestürzt haben – fordern jetzt von Rußland die Achtung der territorialen Souveränität der Ukraine, Zurückhaltung und die Nichtanwendung militärischer Gewalt. Sie hätten gut daran getan, darauf zu verzichten, ihnen genehme prowestliche Politiker und faschistische Banden bei deren Putsch zu unterstützen, dessen Ergebnis die aktuellen Probleme auf der Krim sind. Und sie täten ebenso gut daran, ihre Appelle zur Zurückhaltung nunmehr nicht an Rußland, sondern an ihre Zöglinge in Kiew zu richten, die mit aufgeblasenen Backen Drohungen gegen Moskau ausstoßen, die Kampfbereitschaft der ukrainischen Armee ausgerufen sowie die Mobilisierung der Reservisten angeordnet haben und von der NATO militärische Unterstützung fordern. Da kann die Welt nur froh sein, daß es Juschtschenko und Timoschenko seinerzeit nicht gelungen ist, die Ukraine zum NATO-Mitglied zu machen. Die heutigen Abenteurer in Kiew hätten die Welt in Brand stecken können. Brandgefährlich bleibt die Lage dennoch. Im Widerspruch zu den historischen Fakten skandieren die Putschisten: »Die Krim ist, war und wird ein Teil der Ukraine sein«. Um den Hintergründen und Zusammenhängen der vielfältigen Probleme auf der Krim näher zu kommen, wollen wir einen kurzen Blick auf die tatsächlichen geschichtlichen Fakten und den derzeitigen Status der Halbinsel werfen. Geschichte und heutiger Status Nachdem die Krim in ihrer bis weit vor unsere Zeitrechnung zurückreichenden wechselvollen Geschichte nacheinander unter mehr als einem Dutzend verschiedener Herrschaftsformen gestanden hatte, geriet sie Ende des 18. Jahrhunderts unter die Oberhoheit des zaristischen Rußlands. Während des Bürgerkrieges und der Intervention der 14 imperialistischen Staaten nach dem Sieg der Oktoberrevolution 1917 war sie zeitweilig von weißen Truppen besetzt. Nach der Befreiung durch die Rote Armee wurde sie 1921 eine Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) innerhalb Sowjetrußlands. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Halbinsel von der faschistischen deutschen Wehrmacht okkupiert. Nach ihrer Befreiung 1944 wurde der Status einer ASSR nicht wiederhergestellt. Die Krim wurde zu einem gewöhnlichen administrativen Territorium der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). Der Grund dafür dürfte in dem kollektiven Vorwurf an die Krimtataren (nach Angaben für 1936 fast ein Viertel der Bevölkerung der Krim) zu suchen sein, mit den deutschen Besatzern kollaboriert zu haben. Sie wurden nach Zentralasien verbannt und durften erst ab 1988 zurückkehren. Unter Nikita Chruschtschow (von 1953 bis 1964 Erster Sekretär der KPdSU) wurde die Halbinsel dann 1954 unter Bruch der Verfassung der RSFSR aus der RSFSR ausgegliedert und an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik übertragen. Es war dies ein »Geschenk« des für seine voluntaristischen Eskapaden bekannten Ukrainers Chruschtschow an seine Heimat aus Anlaß des 300. Jubiläums der Rada von Perejaslaw, bei der sich der von Polen bedrängte Kosakenstaat dem Russischen Reich anschloß. Während dies 1954 trotz des Umstands, daß die Bevölkerungsmehrheit der Krim aus ethnischen Russen bestand, in dem einheitlichen Vielvölkerstaat UdSSR keine größere Rolle spielte, liegt darin nach der Zerschlagung der Sowjetunion – wie wir im weiteren sehen werden – eine bedeutende Quelle von Konflikten. Die jüngere Geschichte der Krim hat ihren Niederschlag auch in deren heutiger Bevölkerungsstruktur gefunden. Die ethnischen Russen stellen mit rund 60 Prozent die große Mehrheit der etwa zwei Millionen Bewohner, gefolgt von den Ukrainern mit etwa 24 Prozent und den Krimtataren mit zwölf Prozent. Hinzu kommen Angehörige vieler anderer Ethnien. Noch eindeutiger ist die Dominanz des Russischen in Sprache und Kultur. So bezeichneten 2001 bei einer Volkszählung 77 Prozent der Krimbewohner Russisch als ihre Muttersprache, elf Prozent Krimtatarisch und zehn Prozent Ukrainisch. Im Januar 1991 hat sich die große Mehrheit der Krimbewohner in einem Referendum für eine autonome Krimrepublik innerhalb der Sowjetunion ausgesprochen. Diese Entscheidung wurde jedoch sehr bald von der Auflösung der UdSSR und der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine eingeholt. Daraufhin verabschiedeten die Abgeordneten des Parlaments der Krim im Mai 1992 eine Verfassung der Republik Krim. Diese wurde von den Machtorganen der Ukraine nicht akzeptiert. Es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen um die Verfassung und den Status der Krim innerhalb der Ukrainischen Republik, die sich mehr als sechs Jahre hinzogen. Erst im Oktober 1998 wurde dann eine Verfassung der Autonomen Republik Krim (ARK) beschlossen, die von beiden Seiten akzeptiert wurde.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen