Dienstag, 19. April 2022
[IMI-List] [0606] Ukraine-Krieg: 100 Mrd. / Sonderseite / China / Truppenbewegungen
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0606 .......... 25. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,
der Krieg in der Ukraine geht weiter und mit jedem weiteren Tag wird er
weitere Opfer fordern – und vermutlich auch an Brutalität zunehmen. Wir
versuchen weiterhin auch andere Konfliktgebiete und -felder im Auge zu
behalten. Beiträge im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine werden
wir künftig auch auf dieser Sonderseite dokumentieren:
https://www.imi-online.de/2022/02/28/sonderseite-ukraine-krieg/
Außerdem finden sich in dieser IMI-List
1.) der Hinweis auf eine Darstellung der aktuellen NATO-Truppenbewegungen;
2.) ein Beitrag zur Perspektive Chinas und
3.) eine erste Analyse zum angekündigten 100-Mrd-Euro-Sondervermögen für
die Rüstung.
1.) NATO-Truppenbewegungen in Deutschland
IMI-Analyse 2022/05
Die NATO macht mobil
Deutschland als Aufmarschgebiet
https://www.imi-online.de/2022/03/01/die-nato-macht-mobil/
Martin Kirsch (1. März 2022)
2.) Chinesische Perspektive auf den Krieg in der Ukraine
IMI-Standpunkt 2022/009
Auf zur Blockbildung … mit oder ohne China?
https://www.imi-online.de/2022/03/01/auf-zur-blockbildung-mit-oder-ohne-china/
Andreas Seifert (1. März 2022)
3.) (Mehr als) 100 Mrd. Zusätzlich für die Rüstung
IMI-Standpunkt 2022/008 (Update: 1.3.2022)
Zeitenwende beim Rüstungshaushalt
https://www.imi-online.de/2022/02/28/zeitenwende-beim-ruestungshaushalt/
Jürgen Wagner (28. Februar 2022)
Von einer „Zeitenwende“ sprach Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner
Regierungserklärung zum Ukraine-Krieg am 27. Februar 2022. Und in der
Tat übersteigt das, was er darin angekündigt hat, alles, was bis
kürzlich auch nur ansatzweise für möglich gehalten worden wäre. Der
russische Angriff auf die Ukraine ebnet so auch den Weg für eine
beispiellose Militarisierung Deutschlands, die eine Reihe von Bereichen
betrifft, besonders aber die Rüstungsausgaben.
Chronisch unterfinanziert?
Dem angesichts der aktuellen Eskalation häufig und bewusst erweckten
Eindruck, die Bundeswehr sei in den letzten Jahren und Jahrzehnten
systematisch kaputtgespart worden, muss entschieden entgegengetreten
werden. Seit der Eskalation um das Assoziationsabkommen der EU mit der
Ukraine stieg das Budget der Bundeswehr von 32,5 Mrd. Euro (2014) auf
46,9 Mrd. (2021) steil an – und das sind nur die offiziellen Zahlen,
hinter denen sich noch einmal etliche Milliarden versteckte
Militärausgaben verbergen (siehe IMI-Standpunkt 2019/058).
Wenn die Truppe nun etwa in Person von Heeresinspekteur Alfons Mais
argumentiert, sie stehe „blank“ da, so ist das nicht auf eine mangelnde
Finanzierung, sondern auf chronisch verschwenderische Strukturen
zurückzuführen. Noch 2014 kritisierte die damalige Staatssekretärin für
Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung, Katrin Suder:
„Waffensysteme kommen um Jahre zu spät, Milliarden teurer als geplant –
und dann funktionieren sie oft nicht richtig oder haben Mängel.“
Im ersten Bericht über das Rüstungswesen aus dem Jahr 2015, dessen
Aufgabe es ist, die Defizite im Beschaffungswesen offenzulegen, hieß es,
die untersuchten Rüstungsgroßprojekte wiesen eine durchschnittliche
Verspätung von 51 Monaten auf und lägen insgesamt 12,9 Mrd. Euro über
dem ursprünglich geplanten Preis. Trotz aller Beteuerungen mehrerer
folgender VerteidigungsministerInnen ist es offenbar nicht gelungen,
hier eine „Verbesserung“ (sofern eine effizientere Beschaffung von
Waffen als solche bezeichnet werden kann) zu erreichen.
Im nunmehr 14. Bericht zu Rüstungsangelegenheiten vom Dezember 2021 ist
nachzulesen: „Aktuell beträgt die Verzögerung im Mittel 52 Monate
gegenüber der ersten parlamentarischen Befassung und neun Monate
gegenüber den aktuellen Verträgen. Die Veranschlagung der betrachteten
Projekte im Haushalt 2021/54 […] liegt rund 13,8 Mrd. Euro über der
Veranschlagung zu Projektbeginn.“
Vor Kriegsbeginn: Finanz- vs. Verteidigungsministerium
Noch unter Kanzlerin Angela Merkel gab die damalige Bundesregierung die
ambitionierte Zusage, bis 2023 eine voll ausgestattete schwere Brigade
(ca. 5.000 SoldatInnen), bis 2027 eine Division (15.000-20.000
SoldatInnen) und bis 2032 drei Divisionen in die NATO einzuspeisen. Die
Ampel übernahm diese äußerst kostspielige Zusage in ihrem
Koalitionsvertrag: „Die NATO-Fähigkeitsziele wollen wir in enger
Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen und entsprechend investieren.“
Noch Anfang Februar 2022 klaffte aber zwischen dem, was das
Finanzministerium im Finanzplan bis 2026 für die Bundeswehr vorgesehen
hatte und dem, was das Verteidigungsministerium zu benötigen meinte, um
die NATO-Fähigkeitsziele umsetzen zu können, eine gewaltige Lücke – eine
rund 38 Mrd. Euro große Lücke, um genau zu sein. Während für 2022 noch
einmal eine deutliche Erhöhung auf 50,33 Mrd. Euro vorgesehen ist,
gingen anschließend die Vorstellungen von Finanz- und
Verteidigungsministerium ganz erheblich auseinander, wie die Oldenburger
Zeitung am 12. Februar 2022 berichtete: „Danach benötigt die Bundeswehr
im Jahr 2023 statt der vom Finanzministerium bislang in der
mittelfristigen Planung vorgesehenen 47,3 Milliarden Euro 53,7
Milliarden Euro. Dieses Delta wächst jährlich: 2024 werden statt 47,1
Milliarden Euro 55,4 gebraucht, 2025 57,2 statt 46,7 Milliarden. Und
2026 beträgt der Bedarf statt 46,7 stolze 59,1 Milliarden Euro. Der
Fehlbetrag summiert sich insgesamt auf 37,6 Milliarden Euro. […] In
einer ersten Reaktion hatte das Finanzministerium die Forderungen
zurückgewiesen.“
Noch Anfang Februar 2022 stand die Bundeswehr unter erheblichem Druck –
schließlich ermahnte der Staatssekretär im Finanzressort, Werner Gatzer,
das Verteidigungsministerium Anfang Februar 2022, es sei deutlich zu
großzügig mit den sogenannten Verpflichtungsermächtigungen umgegangen
worden. Was das hieß, erläuterte der Blog Augengeradeaus: „Mit den so
genannten Verpflichtungsermächtigungen kann das Verteidigungsministerium
Verträge für Rüstungsgüter abschließen, deren Kosten erst in den
nächsten Jahren fällig werden. […] Die Forderung nach realistischer
Planung enthält den dezenten Hinweis, dass das Wehrressort in den
vergangenen Jahren, laienhaft gesprochen, ungedeckte Schecks auf die
Zukunft erhalten hat.“
Damit diese ungedeckten Schecks nicht platzen, nahm der Druck auf eine
Erhöhung des Rüstungshaushaltes bereits vor dem russischen Angriff
deutlich zu. Doch was nun angekündigt wurde, übersteigt alle Erwartungen
bzw. Befürchtungen.
Nach Kriegsbeginn: Scholz öffnet die Geldschleuse
In seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 kündigte Kanzler Olaf
Scholz eine Reihe von Maßnahmen an, besonders drastisch sind die
Aussagen zu den künftigen Militärausgaben, die die Einrichtung eines
einmaligen „Sondervermögens“ sowie dauerhaft deutlich höhere
Militärausgaben betreffen.
Während die Bundeswehr selbst vorrechnete, zur Erreichung der
NATO-Planziele würden ihr in den Jahren 2022 bis 2026 rund 38 Mrd. Euro
fehlen, soll sie nun deutlich mehr als das erhalten: „Wir werden dafür
ein Sondervermögen ‚Bundeswehr‘ einrichten“, kündigte Scholz in seiner
Regierungserklärung an. „Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses
Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel
werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen.“
Das Geld werde mit dem Bundeshaushalt 2022 bereitgestellt, der am 9.
März 2022 vorgelegt werden soll. Dies schaffe die Möglichkeit, ab 2023
wieder die Schuldenbremse einhalten zu können, heißt es dazu in der FAZ.
Die Dimension dieses Sondervermögens wird beispielsweise in der
Europäischen Sicherheit und Technik erläutert: „Mit den beabsichtigten
100 Milliarden Euro verdoppelt der Bund seine Sondervermögen, zu denen
unter anderem der Energie- und Klimafonds und die Rücklagen für die
Flüchtlingshilfe gehören.“
Doch damit nicht genug: „Wir werden von nun an – Jahr für Jahr – mehr
als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung
investieren“, so Scholz ebenfalls in seiner Regierungserklärung. Der
Bundeswehrverband bestätigt, dass diese Gelder zusätzlich zu den bereits
ausgelobten Sondervermögen hinzukommen werden: „Bundesvermögen werden
außerhalb des Bundeshaushaltes bewirtschaftet – für die Bundeswehr heißt
das, dass die nun angekündigten 100 Milliarden Euro nicht mit dem
Verteidigungsetat für das laufende Jahr verrechnet werden, sondern
tatsächlich „on top“ kommen.“
Laut Statista belief sich das deutsche Bruttosozialprodukt im Jahr 2021
auf 3.570 Mrd. Euro, wäre für ihn bereits die Scholzsche Formel
angewandt worden, hätte sich der Militärhaushalt statt der tatsächlich
eingestellten 46,9 Mrd. Euro auf mindestens 71,4 Mrd. Euro belaufen
müssen. Unklar ist gegenwärtig noch, ob die Erhöhungen bereits 2022 oder
2023 bzw. 2024 umgesetzt werden. Klar ist aber, dass mit einem
sprunghaften Anstieg der Ausgaben zu rechnen sein wird, der sich durch
eine Kopplung ans Bruttoinlandsprodukt bei fortgesetztem
Wirtschaftswachstum auch verstetigen wird.
Wer von diesen Mehrausgaben profitieren wird, beschrieb die Welt:
„Während vor kurzem die Lobbyisten der Rüstungskonzerne noch alles
unternahmen, um bei einer sich abzeichnenden Lücke im Wehretat mit ihrem
Projekt zum Zuge zu kommen, scheint die Geldfrage jetzt gelöst. Von
einem neuen Super-Verteidigungsetat profitieren nicht nur größere
deutsche Rüstungskonzerne wie Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann,
Hensoldt, Diehl und Heckler & Koch oder europäische Hersteller wie
Airbus und der Lenkwaffenkonzern MBDA. Milliardenbeträge werden auch an
US-Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin und Boeing fließen.“
Wieviel ist genug?
Mehr als fraglich ist, ob die Bundeswehr-Strukturen überhaupt „sinnvoll“
derartige Gelder verarbeiten könnten, was durchaus auch von
BefürworterInnen höherer Ausgaben bezweifelt wird. Zudem hat die NATO
als Ganzes ihre Militärausgaben in den letzten Jahren bereits deutlich
erhöht: sie stiegen nach NATO-Angaben von 895 Mrd. Dollar (2015) auf
1106 Mrd. (2020) an. Demgegenüber sanken die russischen Ausgaben laut
SIPRI von 85 Mrd. Dollar (2015) auf 61,7 Mrd. Dollar (2020).
Die NATO-Militärausgaben sind also heute bereits rund 18mal höher als
die Russlands. Augenscheinlich haben die militärischen
Ausgabensteigerungen bislang in keiner Weise zu mehr Sicherheit geführt,
wie derzeit leider offensichtlich wird. Im Gegenteil, diese Ausgaben und
die mit ihr zusammenhänge Politik sind sicher auch ein Teil des Problems
und nicht der Lösung.
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