Freitag, 9. August 2024

[IMI-List] [0656] Broschüre: AFD: Keine Friedenspartei / Analyse: EU-Kriegswirtschaft

---------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0656 – 27. Jahrgang ---------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) der Hinweis auf die soeben erschienene Broschüre „Warum die AFD keine Friedenspartei ist“, die gratis (gegen Porto) bestellt werden kann; 2.) eine IMI-Analyse zur Umstellung auf eine EU-Kriegswirtschaft. 1.) Broschüre: Warum die AfD keine Friedenspartei ist In Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg Stiftung ist soeben die Broschüre „Warum die AFD keine Friedenspartei ist“ erschienen. Sie kann wie immer gratis von der IMI-Seite heruntergeladen oder (gerne auch in größeren Mengen) gratis gegen Porto bei uns bestellt werden: imi@imi-online.de IMI-Studie 2024/02 Broschüre: Warum die AfD keine Friedenspartei ist https://www.imi-online.de/2024/04/24/warum-die-afd-keine-friedenspartei-ist/ Alexander Kleiß und Merle Weber (24. April 2024) INHALTSVERZEICHNIS Einleitung Verteidigungspolitische Positionen der AfD Aufrüstung Rüstungsindustrie Wehrpflicht Auslandseinsätze Die AfD – eine Soldatenpartei Soldaten und Rüstungslobbyisten im Verteidigungsausschuss Selbstdarstellung als Soldatenpartei AfD und Militär in rechten Netzwerken Einordnung der Gesamtstrategie Zurück zur eigenen Kraft Fluchtursachen bekämpfen Geopolitik einer Mittelmacht Schulterschluss mit Russland Blinder Fleck: Ostimperialismus Keine Friedenspartei Interview mit Tobias Pflüger Ganze Broschüre: https://www.imi-online.de/2024/04/24/warum-die-afd-keine-friedenspartei-ist/ Einleitung Die extrem rechte Alternative für Deutschland (AfD) inszeniert sich seit Beginn des Ukrainekriegs immer vehementer als Friedenspartei – ja zum Teil sogar als die vermeintlich einzige Friedenspartei. So schreibt beispielsweise der AfD-Landesverband Nordrhein-Westfalen auf seiner Homepage: „Die AfD ist die einzige Partei im Bundestag, die sich für Frieden einsetzt und ein Konzept vorgelegt hat, wie er zu erreichen ist und was Deutschland dazu beitragen kann.“ Auf den Social-Media-Kanälen der AfD-Abgeordneten finden sich immer häufiger Friedenstauben. Die AfD bemüht sich um Friedensbewegte als potenzielle Wähler*innen und versucht, in der Friedensbewegung Fuß zu fassen. Für ihre Selbstinszenierung als Friedenspartei bezieht sich die AfD vor allem auf den Krieg in der Ukraine. Die AfD setzt sich für Verhandlungen mit Russland und gegen Waffenlieferungen und Sanktionen gegen die russische Wirtschaft ein. Auch bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr gibt es eine gewisse Skepsis, wenn auch keine grundlegende Ablehnung, seitens der AfD. Diese Positionierung allein macht die AfD jedoch noch nicht zu einer Friedenspartei. Eine echte Friedenspartei müsste sich konsequent und generell gegen militärische Problemlösungen, Aufrüstung, Rüstungsexporte, die Wehrpflicht und das Militär positionieren. Diese Studie prüft in einem ersten Schritt die Behauptung der AfD, Friedenskraft zu sein. Dazu wird die Programmatik (anhand des Grundsatzprogramms und des aktuellen Europawahlprogramms), die Reden im Bundestag und das Abstimmungsverhalten der AfD in diesen Politikfeldern untersucht. Hierbei wird klar, dass die AfD sich klar für eine Aufrüstung der Bundeswehr positioniert. Anschließend werden die grundlegenden sicherheits- und außenpolitischen Positionen der AfD aus den Programmen und Strategiepapieren der Partei und öffentlichen Äußerungen von AfD-Politiker*innen herausgearbeitet. Auf dieser Grundlage wird der Frage nachgegangen, warum eine deutschnationale Aufrüstungspartei die Friedensfahne schwenkt. Hinter der vermeintlich widersprüchlichen Politik der AfD von Friedensdemo bis Aufrüstung kommt eine machtpolitische Gesamtstrategie zum Vorschein: mit den russischen Ressourcen und neuer militärischer Stärke raus aus der Abhängigkeit von den USA. Die Behauptung der AfD, Friedenspartei zu sein, entpuppt sich als haltlos. Hinter der oberflächlichen Friedenspolitik der AfD stehen Rassismus und antiamerikanische Bündnispolitik. Eine Friedenspartei braucht weder eine starke Armee, noch eine nationale Rüstungsindustrie – beides zentrale Forderungen der AfD. Ganze Broschüre: https://www.imi-online.de/2024/04/24/warum-die-afd-keine-friedenspartei-ist/ 2.) Analyse: EU-Kriegswirtschaft IMI-Analyse 2024/23 Umschalten auf Kriegswirtschaft Die EU-Kommission legt eine Industriestrategie (EDIS) und ein Industrieprogramm (EDIP) für den Rüstungsbereich vor https://www.imi-online.de/2024/04/24/umschalten-auf-kriegswirtschaft/ Özlem Alev Demirel und Jürgen Wagner (24. April 2024) Anfang März 2024 legte die Europäische Kommission zwei neue Papiere vor, mit denen die Union einen weiteren großen Schritt in Richtung Kriegswirtschaft unternimmt. Dabei formuliert die „European Defence Industrial Strategy“ (EDIS) recht konkrete Ziele, während das „European Defence Industry Programme“ (EDIP) ergänzend die entsprechenden Maßnahmen zur Umsetzung vorschlägt.[1] Es geht dabei um nicht weniger als die Fähigkeit zur „Massenproduktion“ von Rüstungsgütern und den forcierten Aufbau eines europäischen Rüstungskomplexes, um international stärker in Konkurrenz treten und die eigenen Interessen „besser“ durchsetzen zu können. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die ansonsten neoliberal bis ins Mark daherkommende EU-Kommission damit Befugnisse erhalten will, um „Eingriffe in die Grundrechte der Unternehmen“ (EDIP: Artikel 61) vornehmen zu können – augenscheinlich stoßen die vielbeschworenen Freiheiten des Marktes bei Aufrüstungsfragen inzwischen an ihre Grenzen. Parallel dazu betont der zuständige Industriekommissar Thierry Breton, es gehe darum, dass sich die EU schrittweise einer Kriegswirtschaft nähern und bei Bedarf der militärischen Produktion ein Vorrang vor ziviler Produktion einräumen müsse. Kriegswirtschaft, das bedeutet nichts weiter als alle Bereiche der Produktion und Wirtschaft dem Bedarf des Krieges unterzuordnen. Diese Programme sind also eine vorauseilende Maßnahme, die deutlich machen, wohin die Reise in der EU geht. 1. EDIS: Fähigkeit zur Massenproduktion Weil es der EU-Vertrag verbietet, militärische Ausgaben der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus dem EU-Haushalt zu bestreiten, tarnt die EU-Kommission entsprechende Vorhaben mittlerweile als industriepolitische Maßnahmen. Auf dieser – rechtlich mehr als fragwürdigen – Grundlage wurde 2021 der Europäische Verteidigungsfonds ins Leben gerufen, über den die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern zwischen 2021 und 2027 mit zunächst rund 8 Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt unterstützt wird.[2] Voriges Jahr kamen dann noch die Programme zur Ankurbelung der europäischen Munitionsproduktion (engl. ASAP) und zur Finanzierung länderübergreifender Rüstungskäufe (engl. EDIRPA) dazu. Obwohl der EU-Haushalt damit – erneut unter dem Banner der Industriepolitik – auch erstmals für die Finanzierung der Produktion und den Ankauf von Rüstungsgütern aufgehebelt wurde, haben beide Programme noch den „Schönheitsfehler“, dass sie sowohl zeitlich (bis 2025) als auch finanziell mit 500 Mio. Euro (ASAP) bzw. 300 Mio. Euro (EDIRPA) limitiert sind. Nun soll mit der am 5. März 2024 veröffentlichten „European Defence Industrial Strategy“ also der nächste große Wurf gelingen. Dabei handelt es sich um eine gemeinsame Kommunikation der EU-Kommission und des EU-Außenbeauftragten an das EU-Parlament und den Rat, die einen allgemeinen Rüstungsrahmen absteckt. Hierfür werden zunächst vermeintliche Defizite identifiziert und anschließend Ziele formuliert, was künftig in Sachen Rüstungspolitik unternommen werden soll. Dringender Handlungsbedarf in Sachen Aufrüstung sei dabei allein schon aus dem Grund angezeigt, weil sich die Europäische Union von anderen Akteuren direkt bedroht sehe: „Die regelbasierte internationale Ordnung wird in ihrem Kern bedroht, und in der Nachbarschaft der Union und darüber hinaus gibt es Länder, die zunehmend von Spannungen, Instabilität, hybriden Bedrohungen und bewaffneten Konflikten betroffen sind. Strategische Wettbewerber investieren massiv in militärische Fähigkeiten, Kapazitäten der Verteidigungsindustrie und kritische Technologien, während die Integrität unserer Lieferketten und der ungehinderte Zugang zu Ressourcen nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden können.“ (EDIS: S. 2) Vor diesem Hintergrund seien die massiven Zuwächse der Rüstungsbudgets zwar zu begrüßen, als zentrales Problem wird aber identifiziert, dass die daraus resultierenden Aufträge vor allem ins Ausland gingen: Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine stammten 78 Prozent aller neuen Rüstungsgüter aus Ländern außerhalb der EU, allein 63 Prozent der Aufträge würden die USA einstreichen (EDIS: S. 3f.). Als zentrale Ursache hierfür wird – im Übrigen schon seit vielen Jahren – der fragmentierte europäische Rüstungssektor gesehen, der sich auf zahlreiche Einzelstaaten und viele kleine bis mittlere Unternehmen verstreue: „Die anhaltende industrielle Fragmentierung entlang nationaler Trennlinien ist ebenfalls ein Hemmnis für die optimale Effizienz der Verteidigungsinvestitionen. Diese Tendenzen haben eine vergleichsweise deutlich geringere Größe und Präsenz des EU-Verteidigungsmarkts auf der Weltbühne sowie verstärkte Abhängigkeiten von Drittländern zur Folge, wodurch die Fähigkeit der EDTIB [rüstungsindustrielle Basis], ihr Gewicht zur Geltung zu bringen, beeinträchtigt wird. […] Da unsere Industrie in begrenzten Mengen für kleinere nationale Märkte produziert, leidet sie unter einem Wettbewerbsnachteil gegenüber Akteuren aus Drittländern.“ (EDIS: S. 6 und 16) Um hier Abhilfe zu schaffen, sollen mit EDIS künftig „die Bemühungen der Mitgliedstaaten, mehr, besser, gemeinsam und in Europa zu investieren, verstärkt und unterstützt werden“ (EDIS: S. 2). Weniger gilt hier als mehr: Eine Reduzierung der zahlreichen einzelstaatlichen Aufträge auf wenige länderübergreifende Großvorhaben soll die gewünschten hohen Stückzahlen liefern, um so vor allem mit der US-Konkurrenz auf Augenhöhe um Wettbewerbsanteile ringen zu können. Gleichzeitig muss dann aber die Industrie in die Lage versetzt werden, die entsprechenden Auftragsmengen auch bedienen zu können: „Die Verteidigungsbereitschaft erfordert also mehr Zusammenarbeit und gemeinsames Handeln. In Zeiten von Kriegshandlungen mit hoher Intensität bedarf dies der Fähigkeit, Verteidigungsgüter wie Munition, Drohnen, Luftabwehrraketen und -systeme, Tiefschlag- sowie Nachrichtengewinnungs-, Überwachungs- und Aufklärungsfähigkeiten in großem Umfang herzustellen und ihre rasche und ausreichende Verfügbarkeit zu gewährleisten. Um diese Massenproduktion zu ermöglichen, muss die Organisation der Verteidigungsindustrie weiterentwickelt werden. […] Eine Industrie, die in neue Kapazitäten investiert und bereit ist, bei Bedarf zu einem für Kriegszeiten geeigneten Wirtschaftsmodell überzugehen, ist von entscheidender Bedeutung.“ (EDIS: S. 4 und 8) Allerdings sei man von dem bereits 2007 ausgegeben Ziel, mindestens 35 Prozent der Rüstungsgüter durch länderübergreifende Programme zu beschaffen, mit derzeit 18 Prozent meilenweit entfernt. Vor allem aber müsse der Anteil innereuropäisch vergebener Rüstungsaufträge von derzeit 22 Prozent massiv ansteigen: „Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, stetige Fortschritte bei der Beschaffung zu erzielen, um bis 2030 mindestens 50 % und bis 2035 60 % ihrer Verteidigungsinvestitionen in der EU zu tätigen.“ (EDIS: S. 18) Dies alles soll bewusst zu Konzentrationsprozessen und einer verstärkten Monopolbildung im Rüstungsbereich führen. Wie eingangs bereits angedeutet, gilt dies als Königsweg, um im Zeitalter der „Wiederkehr der Konkurrenz großer Mächte“ (Ursula von der Leyen) den eigenen Interessen unter Rückgriff auf „einheimische“ Waffen „besser“ Nachdruck verleihen zu können. 2. Beschaffung: Rüstung ohne Mehrwertsteuer Wie ebenfalls bereits angedeutet, dockt das am selben Tag erschienene Industrieprogramm EDIP an diesen allgemeinen EDIS-Rahmen an und legt konkrete Vorschläge vor. In Form einer Verordnung würden diese nach der noch ausstehenden Zustimmung des Parlaments und des Rats mit sofortiger Wirkung geltendes Recht in allen EU-Mitgliedsstaaten werden. Was die angestrebten europäischen Großprogramme anbelangt, stellt sich augenscheinlich aber das Problem, dass viele Köche den Rüstungsbrei verderben. Das zeigt allein schon ein Blick in die Rüstungsberichte des Verteidigungsministeriums, in denen über Verspätungen und Kostensteigerungen informiert wird. In ihnen nehmen europäische Kooperationsprogramm regelmäßig Spitzenplätze ein, so weist das Transportflugzeug Airbus A400 eine Verspätung von 195 Monaten und Kostensteigerungen von 1,6 Mrd. Euro aus – nicht viel besser sieht es beim Eurofighter (mit AESA) aus, der zwar „nur“ 63 Monate zu spät, dafür aber 9 Mrd. Euro teurer als geplant ist.[3] Diese Liste ließe sich nahezu beliebig fortsetzen, worin auch das Industrieprogramm ein wesentliches Hindernis für die Anbahnung europäischer Großprogramme sieht. „Kooperationsprogramme im Rüstungsbereich“ seien mit „Komplexität, Verzögerungen und Kostenüberschreitungen behaftet“, weshalb es eines neuen Ansatzes bedürfe, „einen neuen Rechtsrahmen - die Struktur für das Europäische Rüstungsprogramm (SEAP) […], um die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich zu unterstützen und zu stärken.“ (EDIP: Artikel 31) Diese Struktur für das Europäische Rüstungsprogramm (engl. SEAP) soll künftig länderübergreifende Beschaffungsprojekte harmonisieren und vereinfachen, vor allem aber sollen darüber finanzielle Anreize gesetzt werden, sich überhaupt mit mindestens drei anderen EU-Mitgliedern (oder der Ukraine oder assoziierten Staaten) beim Einkauf zusammenzutun: „Im Rahmen dieser Struktur für das europäische Rüstungsprogramm sollte es für die Mitgliedstaaten standardisierte Verfahren für die Einleitung und Verwaltung von Kooperationsprogrammen im Verteidigungsbereich geben. Bei einer Zusammenarbeit innerhalb dieses Rahmens sollten für die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen auch ein erhöhter Finanzierungssatz, vereinfachte und harmonisierte Beschaffungsverfahren und – wenn die Mitgliedstaaten gemeinsam Eigentümer der beschafften Ausrüstung sind – eine Mehrwertsteuerbefreiung vorgesehen werden.“ (EDIP: Artikel 32) Während sich direkte Bezuschussungen aufgrund des – zunächst einmal – noch relativ kleinen EDIP-Budgets von 1,5 Mrd. Euro noch in finanziell halbwegs überschaubaren Dimensionen abspielen dürften, ist die Option zur Befreiung von der Mehrwertsteuer von großer Tragweite, besonders da sie den gesamten Lebenszyklus eines Rüstungsgutes umfassen soll. So wurde in der kürzlich veröffentlichten Greenpeace-Studie „Flug ins Ungewisse“ am Beispiel des Luftkampfsystems FCAS auf Berechnungen hingewiesen, denen zufolge die Erforschung und Entwicklung (7%) nur einen vergleichsweise geringen Teil der Gesamtkosten verursachten, während die Beschaffung (28%) sowie Betrieb und Unterhalt (64%) deutlich höher zu Buche schlagen würden. Daraus würden sich bei geschätzten Entwicklungskosten zwischen 50 und 100 Mrd. Euro und unter Berücksichtigung einiger weiterer Faktoren Gesamtkosten („Lebenszykluskosten“) zwischen 1.100 und 2.000 Mrd. Euro ergeben.[4] Vor diesem Hintergrund könnte sich die Mehrwertsteuerbefreiung als überaus attraktiver Hebel für die Anbahnung europäischer Beschaffungsprogramme erweisen, was wiederum Konzentrationsprozesse und die Herausbildung eines europäischen Rüstungskomplexes forcieren soll. Während also eine Mehrwertsteuerreduzierung auf Lebensmittel oder elementare Bereiche der Daseinsvorsorge ausgeschlossen werden, möchte man eine indirekte Subvention auf den Erwerb und Betrieb von Rüstungsgütern gewähren, indem die Mehrwertsteuer hier entfallen soll. 3. Produktion: Eingriffe in die „Grundrechte“ der Unternehmen Was die Herstellung von Rüstungsgütern anbelangt, sollen unter anderem finanzielle Anreize zur Ausweitung und zum Vorhalten großer Produktionskapazitäten gegeben werden – und im Gegensatz zu ASAP soll sich dies nun nicht mehr allein auf die Munitionsherstellung beschränken: Aus dem Programm sollte […] finanzielle Unterstützung für Maßnahmen bereitgestellt werden, die zur zeitnahen Verfügbarkeit und Lieferung von Verteidigungsgütern beitragen, […] einschließlich Reservierung und Lagerung von Verteidigungsgütern, Zugang zu Finanzmitteln für an der Herstellung maßgeblicher Verteidigungsgüter beteiligte Unternehmen, das Vorhalten von Fertigungskapazitäten (ständig einsetzbare Einrichtungen), industrielle Verfahren zur Aufbereitung veralteter Produkte, die Ausweitung, Optimierung, Modernisierung, Verbesserung oder Umwidmung vorhandener oder die Schaffung neuer Produktionskapazitäten in diesem Bereich sowie die Schulung von Personal.“ (EDIP, Artikel 19[5]) Allerdings gehen die Pläne der Kommission noch weit hierüber hinaus. Ganz entgegengesetzt zu ihren üblichen Gepflogenheiten scheint sie bereit zu sein, im Rüstungssektor die Freiheit des Marktes und die der auf ihm operierenden Unternehmen empfindlich einzuschränken: „Die Vermeidung von Engpässen bei maßgeblichen Verteidigungsgütern ist von wesentlicher Bedeutung, um das im Allgemeininteresse liegende Ziel der Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu wahren, und rechtfertigt erforderlichenfalls verhältnismäßige Eingriffe in die Grundrechte der Unternehmen, die krisenrelevante Güter bereitstellen, wie die unternehmerische Freiheit gemäß Artikel 16 der Charta und das Eigentumsrecht gemäß Artikel 17 der Charta nach Maßgabe des Artikels 52 der Charta.“ (EDIP: Artikel 61) Die Kommission will künftig alle Daten erheben, um mögliche Engpässe frühzeitig erkennen und möglichst beheben zu können. Sollte dies misslingen, will die Kommission – bei Ausrufung eine Versorgungskrise – den Unternehmen faktisch vorschreiben können, was sie wie für wen zu produzieren haben: „Um sicherzustellen, dass die Betriebskontinuität kritischer Sektoren in Krisenzeiten gewährleistet bleibt, und nur wenn dies für diesen Zweck erforderlich und verhältnismäßig ist, könnten als letzte Möglichkeit einschlägige Unternehmen von der Kommission dazu verpflichtet werden, Aufträge für krisenrelevante Güter anzunehmen und vorrangig zu behandeln. […] Die Verpflichtung zur Priorisierung sollte jeder anderen Erfüllungsverpflichtung nach privatem oder öffentlichem Recht vorgehen, ausgenommen Verpflichtungen, die direkt mit Militäraufträgen verbunden sind […].“ (EDIP: Artikel 62) Eine Art Vorfahrt für die Rüstungsproduktion ist symptomatisch für den Schwenk Richtung einer Kriegswirtschaft, in der Staat, Krieg und Wirtschaft immer enger miteinander verschmelzen: "Aktiviert der Rat diese Maßnahme […] kann ein Mitgliedstaat, der aufgrund von bestehenden oder ernstlich drohenden Knappheiten bei krisenrelevanten Gütern entweder bei der Erteilung eines Auftrags zur Versorgung mit Verteidigungsgütern oder bei dessen Ausführung mit gravierenden Schwierigkeiten konfrontiert ist oder konfrontiert sein könnte, wenn diese Schwierigkeiten die Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten untergraben können, die Kommission ersuchen, ein Unternehmen aufzufordern, bestimmte Aufträge über krisenrelevante Güter anzunehmen oder vorrangig zu behandeln (im Folgenden ‚vorrangige Ersuchen‘). Diese Ersuchen dürfen nur Verteidigungsgüter betreffen.“ (EDIP: Artikel 50) Was diese Passagen in letzter Konsequenz bedeuten könnten, bringt Spiegel Online folgendermaßen auf den Punkt: „Mit anderen Worten: Notfalls sollen EU-Firmen gezwungen werden können, ihre Produktion umzustellen. Selbst die Beschlagnahme von Rüstungsgütern erscheint unter diesen Umständen nicht ausgeschlossen.“[6] 4. 2028ff.: „Ehrgeizige Finanzausstattung“? Zweifellos sind die neuen Kommissionspläne überaus ambitioniert – besonders die zunächst einmal überschaubaren Finanzmittel dürften dem ganzen einstweilig allerdings noch gewisse Grenzen setzen. Doch auch dies soll sich bald ändern: "Im Hinblick auf das Ausmaß der Anstrengungen, die erforderlich sind, um die industrielle Bereitschaft im Verteidigungsbereich in der gesamten Union sicherzustellen, sind diese Mittel als eine – vom Umfang her begrenzte – Brücke zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen [MFR] zu betrachten. In Anbetracht dessen, dass die sicherheitspolitischen Herausforderungen, mit denen Europa konfrontiert ist, wahrscheinlich bestehen bleiben werden, ist es umso wichtiger, dass der nächste MFR für den Zeitraum ab 2028 eine ambitionierte Finanzausstattung für die Verteidigung mit entsprechenden Haushaltsmitteln für die Nachfolgeinstrumente des Europäischen Verteidigungsfonds und des EDIP umfasst.“ (EDIS: S. 29.) Schon länger geistert die Idee eines umfangreichen EU-Rüstungsbudgets durch die Gegend.[7] Prominent wurde sie bereits im Januar 2024 von Industriekommissar Thierry Breton im Zusammenhang mit der geplanten Vorstellung von EDIS und EDIP aufgegriffen: „Um sicherzustellen, dass die gesamte Industrie mehr und mehr zusammenarbeitet, brauchen wir Anreize […]. Ich glaube, dass wir einen riesigen Verteidigungsfonds brauchen, um zu helfen, ja sogar zu beschleunigen. Wahrscheinlich in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro.“[8] 5. Übergriffig? Gerade weil die Ambitionen der Kommission recht weitgehend sind, ist es noch fraglich, ob es überhaupt zur Verabschiedung der EDIP-Verordnung kommt, was vor allem von der Zustimmung der im Rat versammelten Staats- und Regierungschefs abhängt. Dass die Vorhaben der Kommission nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen, zeigt sich allein schon daran, dass deren ursprünglich für November 2023 geplante Veröffentlichung gleich mehrfach mutmaßlich aufgrund von Einwänden der Mitgliedsstaaten, verschoben werden musste. Die kleinen und mittleren Mitgliedsstaaten befürchten die Dominanz deutscher und französischer Rüstungsinteressen, während die wiederum einen zu starken Einfluss der Kommission wittern. Schließlich fällt die Außen- und Sicherheitspolitik in den Verantwortungsbereich der Staaten, Versuchen der Kommission, Kompetenzen auf diesem Feld zu ergattern, wird traditionell äußerst misstrauisch begegnet: „Tatsächlich gibt die Kommission in ihrer Rüstungsindustrie-Strategie sich selbst eine zentrale Rolle. So will sie eine Art Oberaufsicht über die Rüstungsindustrien in den Mitgliedsländern führen, indem sie ein »Mapping« der Rüstungslieferketten in den Staaten durchführt. […] Zwar will die Kommission mit den EU-Staaten in einem Ausschuss zusammenkommen und dessen »Rat und Meinung« einholen. Allerdings beansprucht sie dort selbst den Vorsitz – gemeinsam mit dem EU-Staat, der gerade die halbjährlich rotierende Ratspräsidentschaft innehat. In Berlin etwa lehnt man die »Mapping«-Idee der Kommission strikt ab. […] Die Krise in der Versorgung mit kritischen Rüstungsgütern soll, man ahnt es, die Kommission ausrufen dürfen – auch wenn die Mitgliedsländer dann das letzte Wort haben. […] »Übergriffig« sei es, was die Behörde von Ursula von der Leyen plane, sagen mehrere Diplomaten. Verteidigung sei Sache der EU-Staaten, die Kommission habe ihnen nicht hineinzureden.“[9] So stehen hinter der abschließenden Verabschiedung der ehrgeizigen Kommissionsvorschläge noch einige Fragezeichen, die generelle Richtung, in die sich die Europäische Union bewegt, ist aber eindeutig: In eine Kriegswirtschaft! Das bedeutet auch, dass wir auf eine kriegerische Zeit vorbereitet werden, die weder Europa noch die Welt sicherer machen wird. Wenn wir nicht wollen, dass Europa ein Kontinent der permanenten Aufrüstung und Kriegsgefahr wird, sollten wir die Lehre aus zwei Weltkriegen verteidigen. Und diese lautet, dass wir keine Militärunion brauchen, sondern dass wir den Einsatz für Abrüstungsverträge und Friedensverhandlungen erhöhen müssen. Diese Analyse ist eine erweiterte und aktualisierte Fassung eines Beitrags, der zuerst in zwei Teilen bei Telepolis erschien. Anmerkungen [1] Konkret geht es um folgende Dokumente: GEMEINSAME MITTEILUNG AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN: Eine neue europäische Industriestrategie für den Verteidigungsbereich: Erreichen der Verteidigungsbereitschaft der EU durch eine reaktionsfähige und resiliente europäische Verteidigungsindustrie, JOIN(2024) 10 final, Brüssels, den 5.3.2024 und Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Einrichtung des Programms für die europäische Verteidigungsindustrie und eines Rahmens für Maßnahmen zur Gewährleistung der zeitnahen Verfügbarkeit und Lieferung von Verteidigungsgütern (EDIP), COM(2024) 150 final, Brüssel, den 5.3.2024. [2] Siehe hierzu das im Auftrag der damaligen Linksfraktion am 30. November 2018 veröffentlichte „Rechtsgutachten zur Illegalität des Europäischen Verteidigungsfonds“ von Andreas Fischer-Lescano. [3] Bundesministerium der Verteidigung: 18. Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung zu Rüstungsangelegenheiten, Januar 2024. [4] Pletsch, Marius: FCAS: Flug ins Ungewisse. Die teure Odyssee des Future Combat Air Systems, Greenpeace, 21.12.2023. [5] Allem Anschein nach sollen auch Vorschriften aller Art außer Kraft gesetzt werden können: „Um das allgemeine Gemeinwohlziel der Sicherheit zu verfolgen, ist es erforderlich, dass Produktionsanlagen für die Herstellung maßgeblicher Verteidigungsgüter so schnell wie möglich errichtet werden, wobei der Verwaltungsaufwand so gering wie möglich gehalten werden muss. Aus diesem Grund sollten die Mitgliedstaaten Anträge im Zusammenhang mit der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Produktionsstätten und -anlagen für maßgebliche Verteidigungsgüter so zügig wie möglich bearbeiten. Diesen Anträgen sollte bei der Abwägung rechtlicher Interessen im Einzelfall Vorrang eingeräumt werden.“ (EDIP: Artikel 46) [6] Wie die Kommission die EU auf Kriegswirtschaft umstellen will, Spiegel Online, 4.3.2024. In Frankreich wird der Rüstungsindustrie bereits ganz direkt mit Verstaatlichung gedroht: „Frankreich droht seinen Rüstungskonzernen: Wenn sie nicht schneller produzieren, werden sie vom Staat beschlagnahmt. Das hieße: Kriegswirtschaft.“ (Brändle, Stefan: Rüstungsfirmen verstaatlichen: Frankreich erwägt Kriegswirtschaft, Der Standard, 29.3.2024) [7] Koenig, Nicole / Schütte, Leonard: Verteidigungswende jetzt! Internationale Politik, 28.8.2023. [8] Pugnet, Aurélie EU-Verteidigungsindustrie: Breton schlägt 100-Milliarden-Euro-Fonds vor, euractiv.com, 10.1.2024. [9] Wie die Kommission die EU auf Kriegswirtschaft umstellen will, Spiegel Online, 4.3.2024. IMI-List - Der Infoverteiler der Informationsstelle Militarisierung Hechingerstr. 203 72072 Tübingen imi@imi-online.de Redaktion: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka ISSN: 1611-2563 https://www.imi-online.de/mailingliste/ Sie können die IMI durch Spenden unterstützen oder indem Sie Mitglied werden (http://www.imi-online.de/mitglied-werden/). Spendenkonto: IMI e.V. DE64 6415 0020 0001 6628 32 (IBAN) bei der KSK Tübingen (BIC: SOLADES1TUB)

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