Montag, 28. März 2022

„Bitches brauchen Rap“?

Hip Hop entstand Anfang der 70‘er in den Ghettos von Harlem in New York City, als Teil des Kampfes des Volkes gegen die herrschende Klasse, im Ursprung vor allem der Afroamerikaner, die in diesen Ghettos lebten. Die ersten Frauen, die sich in dieser sehr männlich dominierten Szene durchsetzen, nutzten den Rap auch als Instrument im Kampf gegen ihre spezielle Unterdrückung durch das Patriarchat und zeigten eine zwar bürgerliche, aber dennoch feministische Grundhaltung, in der also tatsächlich eine Gleichstellung von Männern und Frauen dargestellt wurde. Anfang der 80‘er begann sich die Musikindustrie vermehrt für Hip Hop zu interessieren, und Anfang der 90‘er hat sich Hip Hop international etabliert und ist bis heute, vor allem für die Jugend, die wohl relevanteste Kulturform. Mit der Kommerzialisierung des Hip Hops hat sich dieser mehr und mehr von seinem Ursprung entfernt, die Ideen wurden zunehmend abstrakter dargestellt, bis hin zu ihrer vollkommenen Verwirrung, dass es bald nicht mehr darum ging, sich gegen die Herrschenden zu wehren, sondern viel mehr propagiert wird, dass, wenn man aus dem Ghetto kommt, man nur genug Arschloch sein muss, um selbst „Para machen“ zu können. Eine solche Verwirrung ist ebenso im „female Rap“ zu beobachten. Frauen, die selbst rappten, waren lange eher ein Randphänomen im Hip Hop, auch wenn sie in Text und Video häufig sehr präsent waren, spätestens mit der Etablierung des Gangster Raps Mitte der 80er Jahre, welcher ein Drogenboss- und Zuhälterdasein im großen Stil abfeiert, wozu es essenziell scheint, auch ein extrem patriarchales Frauenbild zu vermitteln. Wichtige Beispiele für erste Rapperinnen, welche tatsächlich eine grundlegend feministische Haltung verkörperten, waren Ende der 80‘er unter anderem Queen Latifah oder bald darauf Salt’n’Pepa, auch wenn es bei Salt’n’Pepa bereits Ansätze gibt, den Fokus bei der eigenen Inszenierung primär auf die weibliche Sexualität zu setzen. Diese Tendenz verfestigt sich Anfang der 2000er mit Lil‘ Kim, die sich in Inhalt und Form nahezu darauf beschränkte, ein sexuelles Wesen zu sein und damit extrem erfolgreich war und z.B. mit Magic Stick (feat. 50 Cent) als erste Frau die Spitze der US-Billboard Hot Rap Tracks erreichte. Auch wenn Rapperinnen wie Missy Elliott sich bereits vor ihr „Bitch“ genannt und dies als Selbstbewusstsein bezeichnet haben, hat auch besonders Lil‘ Kim diese Idee weiter popularisiert. Begriffe wie „Bitch“, „Hoe“ usw., welche vor allem auch im Gangster Rap gerne benutzt werden, um „Gegenstände, die man ficken und dann entsorgen“ kann zu beschreiben, sich „zurück zu nehmen und sie positiv besetzten“ zu wollen, ist genauso absurd wie falsch, denn Sprache schafft keine Realität. Genauso, wie sich die Tatsache zunutze zu machen, dass „geile“ Frauenkörper sich gut verkaufen lassen, von recht durchtriebenem Geschäftssinn zeugt – nicht anders als bei den männlichen Kollegen auch –, wird dies aber als feministisch bezeichnet, weil man zu seinem durchoperierten Körper stehe. Das ist pure Heuchelei. Dennoch gab der Erfolg dieser Form des „female Raps“ ihnen „Recht“, und alle, die danach kamen, um erfolgreich zu sein, wie z.B. Nicki Minaj, Cardi B und Megan Thee Stallion, mussten dieses Auftreten und Aussehen grundsätzlich nur noch perfektionieren, bzw. auf die Spitze treiben. Sodass man sich nach jedem neuen Musikvideo wundert, wie dies in Frage der Größe der Ärsche, dem Mangel an Kleidung und der Anstößigkeit der Texte beim nächsten Mal noch zu überbieten ist. Das heißt, diese Frauen reduzieren ihre ganze Existenz darauf, dass sie „geil“ aussehen und unglaublich sexuell aktiv sind. Und das wird dann von manchen als selbstbestimmt und feministisch gefeiert. Auch in Deutschland wollen natürlich immer mehr Frauen nach diesem Vorbild Kariere machen. Das erfolgreichste Beispiel dieser Art ist momentan Shirin David. Sie hat gerade ihr zweites Album „Bitches brauchen Rap“ veröffentlicht und knackt damit Rekorde wie keine ihrer Vorgängerinnen aus Deutschland. In ihrem ersten Album „Supersize“ hat sie sich vor allem darauf konzentriert, ihren Körper in teuren Markenklamotten zu präsentieren und klarzustellen, dass sie deswegen eine selbstbestimmte „Bitch“ sei. Mit dem Hype musste sie aber auch viel Kritik ernten, da sie technisch nicht besonders gut sei, was dank Autotune heute niemand mehr sein muss, allerdings wirft man ihr im Speziellen vor, dass sie vorher bereits anderweitig Karriere gemacht hat und nur Rap macht, um den Goldesel weiter zu melken, und auch keinen ihrer Songs selber schreibe; zudem gebe sie ein schlechtes Vorbild ab, vor allem, da sie ursprünglich aus der Youtube-Szene komme, die sich bekanntlich sehr junger Zuschauer erfreue. So weit, so richtig, auch wenn diese Vorwürfe größtenteils generell auf heutigen Deutschrap zutreffen. In ihrem neuen Album möchte sie nun allen „Hatern“ den Wind aus den Segeln nehmen, indem sie mehrfach betont, dass sie immer dazu gestanden habe, dass ihre Musik „Teamwork“ sei, sie dennoch früh eine musikalische Ausbildung erhalten habe, und – wie es im Hip Hop mittlerweile fast schon zum guten Ton dazu gehört – selbst auch aus dem Hamburger Viertel Bramfeld komme und in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen sei. Des Weiteren bemüht sie sich über das gesamte Album, ihre vermeintlich feministische Idee irgendwie zu verteidigen. In ihrem Song „Ich darf das“ z.B. will sie deutlich machen, dass sie sich vom alten Rollenbild emanzipiert habe, mit Lines wie „Bitch, ich bin kein Housewife – Werfe ihm mein Höschen zu, so schmeiße ich den Haushalt“ oder auch im Refrain: „Ob ich darf? Ja, ich darf das – pech Ob ichs mach? Ja, ich mach das – echt Ob ichs hab? Ja, ich hab das – Recht Immer zu tun und zu lassen, was ich will, yeah.“ Was also auch hier in Video und Text sehr deutlich vermittelt wird, ist statt der tatsächlichen Gleichstellung von Männern und Frauen in allen Rechten und Pflichten, dass die Frau ihre Emanzipation erlange, in dem sie ihre Sexualität als ihre hauptsächliche Qualifikation annehme, und je mehr sie diese Qualifikation zu optimieren wisse, desto erfolgreicher werde sie sein und desto mehr werde sie in der Postion sein, sich genauso verantwortungslos und respektlos verhalten zu können, wie Männer es in dieser patriarchalen Gesellschaft können. In einer anderen Line heißt es: „Selbst, wenn du einen kleinen Arsch hast, Shake Booty, Babygirl, denn du darfst das“, demnach ist man mit einem kleinen Arsch also weniger Frau, bzw. ein Babygirl, aber tolerant, wie Shirin ist, kann sie über diesen „Makel“ hinweg sehen und erlaubt einem, trotzdem bei den „richtigen“ Frauen beim „Booty shaken“ mit zu machen. Damit wird suggeriert, dass der Körper einer Shirin David, von dem man nur ahnen kann wie viel er gekostet hat, um dieses unrealistische Bild eines Männertraums zu werden, von großen Brüsten, riesigem, glatten Arsch, Wespentaille und schlanken Beinen, nicht nur erstrebenswert ist, wenn man erfolgreich sein will, sondern der Norm eines Frauenkörpers entsprechen würde. Dies sind nur wenige Beispiele von einigen Rapperinnen, die ein sehr falsches Verständnis von Feminismus verbreiten, welches aus dem kommerzialisierten Hip Hop der Yankees stammt, die sich mehr oder weniger stark ausgeprägt, aber bei allen erfolgreicheren Frauen im Hip Hop wiederfinden lassen. Wenn man sich bewusst macht, was für einen Einfluss Hip Hop die letzten Jahrzehnte gehabt hat, ist logisch, dass diese Einflüsse auch am Denken von vielen von uns nicht spurlos vorbei gegangen sind. Und natürlich geht es nicht darum, dass es einen zur besseren Feministin macht, wenn man sich gar nicht für sein Äußeres interessiert, sein Leben lang nur einen Sexpartner hat oder gar in Keuschheit lebt, genau wie diese Dinge Männer nicht zu patriarchalen Schweinen machen, sondern darum, dass diese Dinge weder das Dasein einer Frau noch das eines Mannes bestimmen. Um das Patriarchat tatsächlich zu zerschlagen, müssen Frauen Schwestern in Waffen sein, mit gleichen Rechten aber auch Pflichten, keine „Bitches“. Dafür braucht es eine proletarische Frauenbewegung, denn dass Patriarchat lässt sich nicht im Imperialismus einfach abschaffen. Der Versuch kann, wie sich anhand des Beispiels Hip Hop gezeigt hat, nur eine trügerische Illusion des Fortschritts schaffen. Die Hip Hop Kultur in ihrem Ursprung, die aus dem Volk und für das Volk entstanden ist, ist natürlich nicht Ursache der Degeneration, sondern Leidtragende, daher ist es auch höchste Zeit für mehr proletarischen Hip Hop.

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