Montag, 8. Mai 2023

Razzien bei Radio Dreyeckland

Am Morgen des 17. Januar kam es bei mehreren Objekten in Freiburg zu Hausdurchsuchungen durch die Polizei. Im Fokus: Die Zentrale des lokalen Radiosenders „Radio Dreyeckland“ (RDL) und die Wohnungen von zwei Mitarbeitern, eines Redakteurs sowie des Verantwortlichen im Sinne des Presserechts für die Website des Radios. Dabei wurden unter anderem auch mehrere Computer, Mobiltelefone und Datenträger beschlagnahmt. Aber wie kommt die Polizei und Staatsanwaltschaft Karlsruhe dazu, mit so vollkommen überzogenem Aufwand gegen die Betreiber eines lokalen Radiosenders vorgehen? Radio Dreyeckland wurde im Jahre 1977, ursprünglich unter dem Namen „Radio Verte Fessenheim“ gegründet und sendete grenzüberschreitend im Dreiländereck Deutschland – Frankreich – Schweiz. Ursprünglich entstand der Sender aus der Anti-AKW-Bewegung. Ziemlich schnell begann er jedoch auch, über andere Themen wie Arbeitskämpfe in Frankreich oder Hausbesetzungen in Deutschland zu berichten. Dabei sendete er anfangs zunächst ohne eine Genehmigung und wurde dafür von der Polizei in allen drei Ländern verfolgt. Nichtsdestotrotz wurde RDL zum damals bekanntesten politischen Piratensender im deutschsprachigen Raum. Im Jahre 1988 bekam RDL dann in Deutschland eine offizielle Lizenz zum Senden und wurde damit in der BRD legalisiert. Seitdem ist viel Zeit vergangen, und RDL hat sich mittlerweile zu einem gut funktionierenden lokalen Radiosender entwickelt, den man morgens auf dem Weg zur Arbeit im Auto hört. Nichtsdestotrotz hat RDL nie aufgehört, ein politisches Medium zu sein und berichtet weiterhin über politische Missstände, die ihren Weg normalerweise nicht ins Radio finden. Dabei wird nicht bloß über rassistische Polizeiübergriffe, die miserablen Lebens- und Wohnsituationen oder das Treiben der Nazis in Nachrichtenform berichtet, sondern vor allem auch die Betroffenen direkt zu Wort kommen gelassen. Wie häufig kommt es vor, dass man im Radio zwei Syrer, direkt aus dem Studio, über ihre Fluchterfahrung, ihre Inhaftierung, Konfrontation mit Milizen oder Schleppern erzählen hört? Bei RDL ist das ganz alltägliche Programmgestaltung. Darüber hinaus sind die Redakteure von RDL regelmäßig bei Demonstrationen und Protesten anzutreffen, wo sie Interviews mit Menschen führen und anschließend im Radio darüber berichten. Insgesamt gibt es mehr als 17 Sendungen in unterschiedlichen Sprachen mit tagesaktuellen Programmen zur Politik, Kultur, Umwelt, Literatur oder von Gruppen wie dem „Arbeitskreis kritischer JuristInnen“ oder „Radio Bleiberecht“. Diese fortschrittliche Berichterstattung führt natürlich auch dazu, dass RDL Einigen ein Dorn im Auge ist, und es stört mit Sicherheit auch den ein oder anderen Politiker, Makler oder Staatsanwalt, wenn man Anwohner aus dem Viertel oder Betroffene ungefiltert und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen zu Wort kommen lässt, das Ganze noch qualitativ hochwertig auf der Webseite aufbereitet und zum Nachhören als Download bereitstellt. Dennoch ist dies ohne Frage eine Arbeit, die in der BRD von der Pressefreiheit abgedeckt wird und ein Teil der bürgerlich-demokratischen Rechte ist. Dass es Journalisten erlaubt ist, frei über alles zu berichten, ist ein Recht, welches in diesem Staat juristisch festgelegt ist und von offizieller Seite auch immer wieder als „wichtige Säule der Demokratie“ hochgehalten wird. Demokratie in einer Klassengesellschaft ist jedoch auch immer nur die Demokratie für die herrschende Klasse und so gelten demokratische Freiheiten, wie die Pressefreiheit, in der bürgerlichen Demokratie auch nur so lange, wie sie den herrschenden Kapitalisten gerade in den Kram passen. Dass Presse und Rundfunkfreiheit in diesem Staat eben kein „unantastbares Gut“ sind, mussten die Journalisten von RDL nun schmerzlich am eigenen Leib spüren, denn die Razzien gegen RDL haben nichts mir irgendwelchen tatsächlich oder angeblich begangenen Straftaten zu tun. Der Vorwand könnte nicht fadenscheiniger sein: Angeblich soll RDL durch die Veröffentlichung des Artikels „Linke Medienarbeit ist nicht kriminell! Ermittlungsverfahren nach Indymedia Linksunten Verbot wegen ‚Bildung krimineller Vereinigung‘ eingestellt“ auf ihrer Webseite einen „Verstoß gegen das Vereinsverbot“ begangen haben. Wir erinnern uns: 2017 unternahm die Staatsanwaltschaft nach den Kämpfen gegen den G20-Gipfel große Mühen, die Webseite von Indymedia Linksunten (linksunten.indymedia.org) vom Internet zu nehmen. Dafür erfand sie einen angeblichen Verein, der diese Webseite betreiben würde, behauptete, dessen Tätigkeiten würden gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ verstoßen, durchsuchte die KTS in Freiburg und beschlagnahmte Server und die Webseite war erst mal nicht zu erreichen. Kurze Zeit nach der Abschaltung wurde dann ein Archiv der Website hochgeladen. Der damalige Angriff auf Linksunten war an sich schon ein handfester Angriff auf demokratische Freiheiten und wurde von verschiedenen demokratischen Organisationen, wie der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“, kritisiert. Trotz aller Ermittlungen wurde nicht eine Person verurteilt, die Durchsuchungen fünf Jahre später für rechtswidrig erklärt und das Verfahren im Juli 2022 eingestellt. Im August 2022 berichtet RDL dann auf ihrer Webseite in einem Artikel, der kaum mehr als 100 Worte hat darüber, dass das Verfahren jetzt eingestellt ist. Als Teil davon wurde natürlich auch ein Link zu dem Archiv in den Artikel eingebaut und als Illustration ein Bild von einer Hauswand mit einem Graffiti aus Freiburg genommen. Dieser Artikel mit Autorenkürzel, der nicht mal eine drittel Seite lang ist, zusammen mit Bild und Link, ist der Vorwand, unter dem jetzt die Razzien gegen Radio Dreyeckland durchgeführt wurden. Der Vorwurf ist, dass RDL sich als „verlängerter Arm des verbotenen Vereins linksunten.indymedia“ betätigt hätte, da sie mit ihrem Artikel Unterstützungsarbeit leisten würden. Diese Vorwürfe sind absolut unhaltbar und ein krasser Angriff auf die Pressefreiheit. Die Journalisten von RDL haben nichts mit dem Medienportal Indymedia zu tun, doch darum geht es auch eigentlich nicht. Es geht den Herrschenden mit diesen Angriffen darum, kritische Journalisten, die von den führenden Medien abweichende Meinungen verbreiten, einzuschüchtern und herauszufinden, mit wem RDL in Kontakt steht. Es geht darum, den Journalisten in diesem Land zu zeigen, dass sie sich besser nicht mit dem Staat anlegen sollen. Wie sonst soll man es verstehen, dass bei Journalisten eines Radiosenders wegen eines veröffentlichten Links zu einer offenen, frei verfügbaren Website Durchsuchungen und Ermittlungsverfahren stattfinden. Die Archiv-Seite von Indymedia Linksunten ist der erste Eintrag bei Google, wurde in den letzten Jahren auch in anderen Medien mehrfach abgedruckt oder online gestellt und in Social-Media-Beiträgen vom Bundesinnenministerium und der Gewerkschaft der Polizei erwähnt – ohne dass Razzien gegen diese stattgefunden hätten. Dokumentation und Quellenangaben sind die Grundlage jeder seriösen journalistischen Recherchearbeit und dürfen nicht kriminalisiert werden. In den großen Medien hören wir aktuell oft von der „schlimmen undemokratischen Situation in Russland“ und von den „despotischen Methoden des russischen Staates gegen unliebsame Journalisten“. Doch die Methodik, mit der der deutsche Staat aktuell gegen kritische Journalisten vorgeht, ist kaum anders. Der Staat verstößt gegen seine eigenen Gesetze und tritt die bürgerlich-demokratischen Rechte wie die Pressefreiheit oder den journalistischen Quellenschutz mit Füßen. In den letzten Jahren wurden schon zahlreiche demokratische Rechte, wie die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit, angegriffen. Nun startet der Staat mit dem Angriff auf RDL einen großen Angriff gegen die Pressefreiheit. Wenn unter solch fadenscheinigen Vorwänden Razzien gegen einen lizensierten Radiosender durchgeführt werden, dann ist es mit der Pressefreiheit nicht weit her, und fortschrittliche Berichterstattung unabhängig vom Mainstream steht in Gefahr, dem gleichen Schicksal zum Opfer zu fallen. Deswegen kamen schon am Tag direkt nach der Razzia über 700 Menschen in Freiburg auf dem Platz der Alten Synagoge zusammen, um das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft zu entlarven. Der Angriff auf RDL ist ein Angriff auf die Pressefreiheit und fortschrittliche Berichterstattung im Allgemeinen und muss als solcher auch benannt werden. Kämpfen wir nicht dagegen an, so erlauben wir, dass es weniger und weniger Berichterstattung gibt, in der nicht die vorgefertigten Meinungen aus all den anderen bürgerlichen Medien drin stehen, sondern in denen wir als Anwohner, Streikende, Geflüchtete, Protestierende und Betroffene selbst zu Wort kommen können und die unseren Anliegen eine Stimme geben.

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