Montag, 18. Februar 2013
Radiostation in Gaza übermittelt Palästinensern in israelischer Haft Nachrichten von Angehörigen
Von Florian Möllendorf, Gaza-Stadt
Eine kleine Radiostation im Norden von Gaza-Stadt: Mit gekonnten Handgriffen bereitet Ahmad die Ausstrahlung der in wenigen Minuten beginnenden Sendung an seinem Mischpult vor. »Von der Wüste Negev bis in den Norden Israels können fast alle Gefangenen unser Programm empfangen«, erklärt der Tontechniker von Al-Asra (dt. Die Gefangenen). Sechsmal pro Woche überträgt das Radio die Sendung »Unter den Lieben«. Neunzig Minuten lang haben Anrufer die Möglichkeit, ihren Verwandten und Freunden in israelischen Haftanstalten Nachrichten zu übermitteln und sie über Neuigkeiten aus dem Familien- oder Freundeskreis zu unterrichten.
Nach Informationen von Addameer, einer Hilfsorganisation für palästinensische Gefangene, sitzen derzeit 4743 Palästinenser in israelischen Gefängnissen. Aufgrund strenger Vorschriften und willkürlich ausgesprochener Verbote erhielten Tausende Häftlinge gar keinen oder nur unregelmäßig Besuch, beklagt Addameer. Da Mobiltelefone verboten seien und Briefe, wenn überhaupt, mit monatelanger Verspätung zugestellt würden, seien sie praktisch von der Außenwelt isoliert. Nicht einmal die Hälfte der 445 aus Gaza stammenden Häftlinge hätte seit April 2012 einen Verwandten zu Gesicht bekommen. Damals hatte ein Hungerstreik palästinensischer Gefangener die Strafvollzugsbehörde dazu gezwungen, das 2007 verhängte Besuchsverbot für Familien aus dem Gazastreifen wieder aufzuheben.
»Für viele Menschen ist unser Radio die einzige Möglichkeit, mit inhaftierten Angehörigen Kontakt aufzunehmen und sie über das Geschehen außerhalb der Gefängnismauern auf dem laufenden zu halten«, erklärt Ayman Hasan, der Moderator von Al-Asra. Auf den vier Leitungen des Senders rufen täglich über einhundert Menschen an und berichten über Geburten, Hochzeiten, Schulabschlüsse und Todesfälle. »Sie möchten die Inhaftierten am Familienleben teilhaben lassen und ihnen das Gefühl geben, nicht in Vergessenheit zu geraten«.
Die Idee zu dem Radiosender entstand wenige Wochen nach der israelischen Operation »Gegossenes Blei« Anfang 2009. »In den Gefängnissen machten sich die Leute Sorgen und wollten wissen, ob Angehörige oder Freunde unter den Opfern waren. Von den israelischen Behörden wurden viele über das Schicksal ihrer Familien im dunkeln gelassen«, erklärt Tareq Ez Aldeen, der Leiter des Gefangenenradios. Einige Häftlinge hätten erst Monate später erfahren, daß Familienangehörige durch Bombenangriffe getötet worden seien.
Am 17. April 2009, dem Tag der palästinensischen Gefangenen, ging Al-Asra erstmalig auf Sendung und widmete sich fortan der Unterstützung der Tausenden Palästinenser, die zum Teil seit Jahrzehnten eingesperrt sind. Neben einem Bildungsprogramm, das den Häftlingen dabei helfen soll, hinter Gittern Schul- und Universitätsabschlüsse abzulegen, nehmen Sendungen, bei denen über Haftbedingungen und Mißstände in den Strafanstalten Israels informiert wird, einen großen Platz im Programm ein. Ehemalige Häftlinge berichten über ihre Zeit hinter israelischen Gefängnismauern und von Hungerstreiks, mit denen Gefangene seit Jahrzehnten immer wieder gegen illegale Inhaftierungen und willkürliche Bestrafungen protestieren.
»Seit 1967 hat Israel 700000 Palästinenser aus dem Westjordanland und Gaza ins Gefängnis gesteckt. Vierzig Prozent der männlichen Bevölkerung der besetzten palästinensischen Gebiete haben schon einmal in ihrem Leben in Haft gesessen. Die Militärgerichtsbarkeit ist für Israel ein wichtiges Instrument bei der Unterdrückung des Widerstandes gegen die Besatzung des Westjordanlandes«, so Ez Aldeen weiter. Das Radio versuche bei den Hörern ein Bewußtsein dafür zu schaffen und unterstütze Kampagnen und Initiativen zur Freilassung der Häftlinge.
Die Tätigkeit des 38jährigen bei Al-Asra ist wie für viele der 28 Mitarbeiter eng mit seiner Biographie verbunden. Zu Beginn der Zweiten Intifada (2000–2005) wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er eine militante Gruppe mitaufgebaut haben soll. Zehn Jahre verbrachte der aus Dschenin im Westjordanland stammende Palästinenser in verschiedenen Gefängnissen, bis er 2011 im Rahmen des Gefangenenaustauschs zwischen der Hamas und Israel freigelassen und nach Gaza abgeschoben wurde. »Während meiner Haft habe ich erkannt, wie wichtig die Unterstützung von außen ist.« Schließlich sei der Widerstand der palästinensischen Gefangenen eng mit dem Kampf für die Befreiung Palästinas verbunden.
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