Montag, 5. Juli 2010

Soziale Aktivisten in Mexiko freigesprochen

Ungewöhnliches Urteil des Obersten Gerichtshofs nach monatelanger Solidaritätskampagne

Der Oberste Gerichtshof Mexikos hat am Mittwoch die sofortige Freilassung von zwölf inhaftierten Aktivisten der »Gemeindefront zur Verteidigung der Erde« (FPDT) angeordnet.

Den Aktivisten wurde im Mai 2006 die Entführung von Staatsfunktionären vorgeworfen und ein Gericht des Bundesstaates Mexikos, der an die Hauptstadt grenzt, hatte die Betroffenen zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Besonders überraschend kam daher die Freilassung von Ignacio del Valle, der als mutmaßlicher »Rädelsführer« zu 112 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, die übrigen zu Strafen zwischen 30 und 67 Jahren. Die FPDT, ein Zusammenschluss mehrerer kleinbäuerlicher Gemeinden, hatte 2002 den Bau eines neuen internationalen Flughafens nahe Mexiko-Stadt verhindert. Damit zog sie sich den Unmut der Regierung und der interessierten Unternehmerschaft zu, die vom Bau des Flughafens, der Hotels und Industriekomplexe profitiert hätten.

Im Mai 2006 wurde die FPDT nach einer Straßenblockade in Solidarität mit Kleinhändlern und der kurzfristigen Festsetzung von Funktionären – in Mexiko eine alltägliche Protestpraxis – Opfer massiver staatlicher Repressionen. Die Menschen wehrten sich zwar gegen die Polizei, aber der Saldo der Geschädigten fiel höchst unausgewogen aus: Zwei Aktivisten wurden getötet, Hunderte festgenommen und gefoltert, 30 Frauen sexuell misshandelt oder vergewaltigt, Dutzende Häuser völlig zerstört. Keiner der über 3000 daran beteiligten Polizisten wurde bisher bestraft.

Das Oberste Gericht erklärte die damaligen Vorwürfe nun für unangemessen, da illegale Beweise für Delikte vorgebracht worden seien, die die Angeschuldigten nicht begangen hatten. Die Angehörigen reagierten erleichtert, bleiben aber skeptisch.

Noch am Vortag hatten über 3000 vor dem Sitz des Gerichts unter massivem Polizeischutz lautstark demonstriert. Die Kundgebung war Schlusspunkt einer 16-monatigen Solidaritätskampagne zur Freilassung der letzten zwölf Gefangenen. »Mein Mann Ignacio ist unschuldig«, so Trinidad del Valle gegenüber ND, »er ist ein Gefangener des Staates, weil er unsere Gemeinden verteidigt hat.«

Eine Besonderheit der Atenco-Kampagne ist die ungewöhnliche Breite des Bündnisses, das von Unterstützern der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN über Aktivisten der bedeutenden Lehrer-, Elektrizitätsarbeiter- und Minenarbeitergewerkschaften bis hin zu Intellektuellen, Studierenden, Filmschaffenden und Künstlern reicht – eine Seltenheit in der mexikanischen Linken. Sprecherinnen und Sprecher der Atenco-Kampagne kündigten derweil an, dass der Kampf für die Bestrafung der Vergewaltiger und Folterer auf Seiten der Polizei friedlich, aber entschlossen weitergeführt wird.

Luz Kerkeling, Mexiko-Stadt

Quelle: Sozialistische Tageszeitung Neues Deutschland 2.7.2010

http://www.neues-deutschland.de/artikel/174380.soziale-aktivisten-in-mexiko-freigesprochen.html

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