IMI-Analyse 2011/021
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19.5.2011, Jürgen Wagner
Unmittelbar nach seinem Amtsantritt im März 2011 kündigte der neue
Verteidigungsminister Thomas de Maiziere an, er müsse sich bezüglich der
anstehenden Bundeswehrreform zunächst einmal über den Sachstand
informieren, was einige Zeit dauern werde. Zweieinhalb Monate später
verkündete er am 18. Mai seine "Eckpunkte für die Neuausrichtung der
Bundeswehr", die unter seinem Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg auf
den Weg gebracht worden waren.
Offizieller Anlass für den Umbau sind die Bundeswehr-Sparvorgaben von
8,3 Mrd. Euro bis zum Jahr 2015. Um diese zu erfüllen, hatte es
zwischenzeitlich den Anschein, als erwäge de Maiziere eine Reduzierung
der Bundeswehr, die weit über Guttenbergs ursprüngliche Pläne
hinausgegangen wäre. Als Reaktion hierauf warnten jedoch interessierte
Kreise überdeutlich, dies würde Deutschlands Fähigkeiten zur
Kriegsführung erheblich beeinträchtigen. Nachdem die militärische
Interessensdurchsetzung aber im Zentrum der ebenfalls am 18. Mai 2011
erlassenen neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) steht,
verwundert es nicht, dass de Maiziere nun von den radikalen
Kürzungsvorhaben Abstand nahm -- ebenso wie von den Sparvorgaben, die
offenbar über Buchungstricks entsorgt werden sollen. Im schlimmsten Fall
könnte am Ende sogar eine erhebliche Erhöhung des Rüstungsetats stehen.
Offizielle und inoffizielle Umbauziele
Die Bundesregierung verkündete im Juni 2010, bis 2014 insgesamt 81,6
Milliarden Euro einsparen zu wollen. Der Verteidigungsetat sollte dazu
8,3 Mrd. Euro beitragen, wobei schnell eine "Fristverlängerung" bis 2015
genehmigt wurde. Vereinfacht gesagt, müsste der Rüstungshaushalt
demzufolge beginnend ab 2012 im Jahresdurchschnitt um etwa 2,1 Mrd. Euro
gesenkt werden. So begrüßenswert jegliche Verringerung in diesem Bereich
auch ist, ambitioniert oder drastisch waren diese Vorgaben in keiner
Weise. Ihre Umsetzung hätte nicht einmal die mehr als üppigen Aufwüchse
der vergangenen Jahre rückgängig gemacht: Noch 2006 betrug der --
offizielle -- Rüstungsetat 27,8 Mrd. Euro, für 2011 sind 31,548 Mrd.
eingestellt.
Der Hauptteil der Einsparungen sollte über einen Personalabbau erzielt
werden, wofür eine Planungsgruppe unter Leitung des
Bundeswehr-Generalinspekteurs Volker Wieker Vorschläge erarbeiten
sollte, die am 31. August 2010 veröffentlicht wurden.[1] Der "Bericht
des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der
Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010" schlägt verschiedene Modelle vor, die
eine Reduzierung des Gesamtumfangs von derzeit 252.000 Soldaten auf eine
Zahl zwischen 205.000 und 150.000 vorsahen. Die im Bericht präferierte
Zielgröße waren 163.500 Soldaten, von politischer Seite, insbesondere
aus den Reihen der CDU, wurde aber darauf hin schnell Druck für einen
Umfang von mindestens 185.000 gemacht.
Dies war in etwa der Sachstand, als de Maiziere im März 2011 die
Geschäfte im Bendlerblock übernahm. Schon bevor sein Vorgänger zu
Guttenberg von der Bühne abtreten musste, war klar, dass die
Sparvorgaben nur bei umfassendsten Personalkürzungen erreicht werden
würden. Aus diesem Grund erwog de Maiziere Berichten zufolge
zwischenzeitlich wohl eine Personalreduzierung, die mit 145.000 weit
über die zuvor angedachten Zielgrößen hinausgegangen wäre.[2] Ein
solcher Truppenumfang würde aber mit dem zweiten -- offensichtlich
prioritären -- Ziel der Bundeswehrreform kollidieren, nämlich den Anzahl
der für Kriegseinsätze im Ausland gleichzeitig verwendbaren Soldaten von
bislang 7.000 auf künftig 14.000 zu verdoppeln.[3] Vor diesem
Hintergrund tauchte ein "Geheim"-Papier des Verteidigungsministeriums
auf, das für erheblichen Wind sorgte, da es dieses Ziel in Frage stellte.
Brandbrief aus dem BMVg
Am 20. April 2011 veröffentlichte die Bildzeitung Auszüge aus einem
"geheimen" Bericht des Verteidigungsministeriums, der sich mit den
Auswirkungen der Sparvorgaben beschäftigte und der de Maizieres weitere
Überlegungen maßgeblich beeinflusst haben dürfte. Ungeachtet aller
politischen Forderungen, die Gesamtgröße der Bundeswehr dürfe 185.000
nicht unterschreiten, kommt das Papier, das wohl keineswegs zufällig das
Licht der Öffentlichkeit erblickte, zu dem Ergebnis, unter der
Sparvorgabe sei maximal Geld für 158.000 Soldaten vorhanden.
Nach diesem Befund wird auf die Folgen verwiesen. Hiermit ginge etwa die
"Bündnis- und Einsatzfähigkeit absehbar verloren." Die Kürzungen würden
die Bundeswehr fundamental gefährden, so das BMVg-Papier: "Die ins Auge
gefassten Einschnitte werden die Fähigkeiten Deutschlands, mit
militärischen Mitteln zur nationalen und internationalen
Sicherheitsvorsorge beizutragen, erheblich einschränken. Der deutsche
Militärbeitrag wird weder der Rolle Deutschlands im Bündnis entsprechen
noch den nationalen Sicherheitsinteressen genügen. Diese Einschränkungen
werden auf mittlere Sicht nicht reversibel sein." Im Ergebnis, und hier
setzten die Militärs der Politik buchstäblich die Pistole auf die Brust,
könne unter diesen Umständen die Kernaufgabe der Bundeswehr, an mehreren
Orten Krieg für deutsche Interessen führen zu können, nicht mehr
gewährleistet werden: "Bei den vorgesehenen Eingriffen ins
Fähigkeitsprofil (...) wird die Unterstützung nur noch in einem
Einsatzgebiet durchhaltefähig möglich sein."[4]
Wohlgemerkt, diese Bemerkungen bezogen sich auf eine Gesamtgröße von
158.000 Soldaten, nicht etwa auf die nahezu parallel von de Maiziere
angestellten Überlegungen sogar auf 145.000 zu reduzieren. Daraufhin
wurde allenthalben Kritik geäußert, die Bundeswehr werde
"kaputtgespart", es drohe eine "Sicherheitspolitik nach Kassenlage".
Somit wurde die Politik, und ganz speziell de Maiziere, vor eine klare
Wahl gestellt: Sparen oder Krieg führen!
Deutsche Interessen: Verteidigungspolitische Richtlinien
Am selben Tag, an dem de Maiziere seine Pläne für die Neuausrichtung der
Bundeswehr bekannt gab, erließ er auch neue Verteidigungspolitische
Richtlinien.[5] Dabei handelt es sich um die verbindliche konzeptionelle
Grundlage für die deutsche Verteidigungspolitik, die somit auch Ziel und
Stoßrichtung der Neuausrichtung der Bundeswehr vorgeben.
Unter dem Titel "Nationale Interessen wahren -- Internationale
Verantwortung übernehmen -- Sicherheit gemeinsam gestalten" benennen die
VPR eine Vielzahl von Interessen, deren Durchsetzung Aufgabe der
Bundeswehr sein müsse. Die "Abwehr von Gefährdungen unserer Sicherheit"
sei die vorderste Aufgabe der Bundeswehr, wobei man sich augenscheinlich
von nahezu allem und jedem bedroht fühlt: "Risiken und Bedrohungen
entstehen heute vor allem aus zerfallenden und zerfallenen Staaten, aus
dem Wirken des internationalen Terrorismus, terroristischen und
diktatorischen Regimen, Umbrüchen bei deren Zerfall, kriminellen
Netzwerken, aus Klima- und Umweltkatastrophen, Migrationsentwicklungen,
aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit
natürlichen Ressourcen und Rohstoffen, durch Seuchen und Epidemien
ebenso wie durch mögliche Gefährdungen kritischer Infrastrukturen wie
der Informationstechnik." (S. 1f.)
Noch ein wenig prominenter als im Weißbuch der Bundeswehr von 2006
betonten die VPR die Bedeutung der Rohstoffabsicherung: "Freie
Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft
Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung. Die Erschließung,
Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und
Märkten werden weltweit neu geordnet. Verknappungen von Energieträgern
und anderer für Hochtechnologie benötigter Rohstoffe bleiben nicht ohne
Auswirkungen auf die Staatenwelt. Zugangsbeschränkungen können
konfliktauslösend wirken. Störungen der Transportwege und der Rohstoff-
und Warenströme, z.B. durch Piraterie und Sabotage des Luftverkehrs,
stellen eine Gefährdung für Sicherheit und Wohlstand dar. Deshalb werden
Transport- und Energiesicherheit und damit verbundene Fragen künftig
auch für unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen." (S. 4f.)
Deutschland solle sich darüber hinaus laut VPR allein schon deshalb an
Kriegen beteiligen, um hierdurch Ansprüche auf eine "mitgestaltende"
Rolle erheben zu können: "Durch die Befähigung zum Einsatz von
Streitkräften im gesamten Intensitätsspektrum ist Deutschland in der
Lage, einen seiner Größe entsprechenden, politisch und militärisch
angemessenen Beitrag zu leisten und dadurch seinen Einfluss,
insbesondere seine Mitsprache bei Planungen und Entscheidungen
sicherzustellen. Nur wer Fähigkeiten für eine gemeinsame
Aufgabenwahrnehmung anbietet, kann im Bündnis mitgestalten." (S. 10)
Nachdem de Maiziere jahrelang Bundesinnenminister war, verwundert es
zudem nicht, dass die VPR angeben, zum Auftrag der Bundeswehr gehörten
auch "Beiträge zum Heimatschutz, d.h. Verteidigungsaufgaben auf
deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen
und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei
innerem Notstand." (S. 11)
Angesichts der Aufgabenfülle müsse schließlich aber ein "'priorisiertes
Fähigkeitsprofil Bundeswehr' entwickelt" werden, was bedeute, dass die
Landesverteidigung eine nachrangige Aufgabe werde, denn die Bundeswehr
müsse sich auf die "wahrscheinlicheren Aufgaben der internationalen
Konfliktverhütung und Krisenbewältigung" konzentrieren, sie "bestimmen
die Grundzüge der neuen Struktur der Bundeswehr." (S. 16) Vor dem
Hintergrund dieser ambitionierten Agenda verwundert es nicht, dass von
Etatkürzungen in den VPR keine Rede ist. Stattdessen wird betont: "Die
Bundeswehr muss die notwendigen finanziellen Mittel erhalten, um
einsatzbereite und bündnisfähige Streitkräfte zu erhalten, die dem
Stellenwert Deutschlands entsprechen." (S. 10)
Sparvorgabe Makulatur: De Maizieres Umbaupläne
Auch künftig sollen jährlich 5,1 Milliarden Euro für neue Rüstungsgüter
ausgegeben werden, zur Freude von EADS und Co. werden hier also keine
Einsparungen vorgenommen. Stattdessen sollen Kostensenkungen "im
Wesentlichen über den zivilen und militärischen Personalhaushalt"
erbracht werden, so de Maizière.[6] Allerdings plant der
Verteidigungsminister hierfür eine Truppenreduzierung, die am oberen
Rand der diskutierten Möglichkeiten liegt. Laut den "Eckpunkten für die
Neuausrichtung der Bundeswehr" vom 18. Mai 2011 wird "der zukünftige
Bundeswehrumfang aus bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten und 55.000
zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehen."[7] Lediglich was
die Zahl der gleichzeitig im Ausland künftig einsetzbaren Soldaten
anbelangt, ist man etwas zurückgerudert: "Es werden rund 10.000
Soldatinnen und Soldaten zeitgleich durchhaltefähig für Einsätze
verfügbar sein." Allerdings handelt es sich hierbei dennoch um eine
Ausweitung der bisherigen Kapazitäten um nahezu 50%, wobei es sich hier
um die bei weitem kostenintensivsten Truppenteile handelt.
Bedenkt man nun, dass allein schon durch die Aussetzung der Wehrpflicht,
die de Maiziere wie erwartet beibehalten will, 30.000 Soldaten
wegfallen, sind die Reduzierungspläne alles andere als ambitioniert.
Mehr noch: sie sind absolut unvereinbar mit den Sparvorgaben von 8,3
Mrd. Euro, da das oben zitierte interne BMVg-Papier angibt, hierfür
müsste der Truppenumfang auf 158.000 Soldaten reduziert werden. Dies ist
selbstverständlich auch allen Verantwortlichen wohl bewusst,
augenscheinlich haben sich de Maiziere und Wolfgang Schäuble bereits auf
einen Buchungstrick verständigt, mit dem die Sparvorgabe eingehalten
werden könnte, ohne den Rüstungshaushalt effektiv senken zu müssen: "Zum
Sparen nur so viel: [...] Alles weitere werde bei den
Haushaltsberatungen im Juli zu erfahren sein, er [de Maiziere] habe sich
mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereits verständigt. Eine
denkbare Vereinbarung der beiden könnte - so wird im politischen Berlin
spekuliert - die Auslagerung der Pensionskosten aus dem Wehretat sein.
De Maizière ließ sich dazu nicht ein, bemerkte nur, diese Vermutung gehe
,schon eher in die richtige Richtung'."[8]
Diese schwammigen Aussagen lassen allerdings einige entscheidende Fragen
offen. Ist hier "nur" die Auslagerung der Pensionsausgaben für im Zuge
der Personalreduzierung aus dem Amt scheidende Soldaten gedacht? Allein
dies würde einer Modellrechnung zufolge grob überschlagene 1,5 Mrd.
jährlich ausmachen -- das Einsparziel von etwa 2,1 Mrd. wäre damit
schon annähernd in Sichtweite![9] Denkbar und bislang nicht
ausgeschlossen wäre im schlimmsten Fall, dass sämtliche
Versorgungsansprüche dem Bundeshaushalt aufgebürdet werden könnten.
Damit wäre der Rüstungsetat um einen riesigen Posten entlastet. Im
derzeitigen Haushaltsansatz 2011 sind hierfür 14,7% bzw. 4,63 Mrd. Euro
eingestellt.[10] So könnte im Ergebnis ein solcher Buchungstrick im
schlimmsten Fall zu einer Erhöhung der Rüstungsausgaben um ca. 2,5 Mrd.
Euro jährlich führen. Sparen auf Militärisch!
Anmerkungen
[1] Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus
der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010.
[2] 145.000 statt 185.000? Geopowers.com, 26.04.2011:
http://www.geopowers.com/145000-statt-185000-1322.html
[3] Vgl. Haid, Michael: Radikaler Umbau statt Kosmetik -- Zum Bericht
der Strukturkommission der Bundeswehr, IMI-Standpunkt 2010/041.
[4] Bundeswehr wird kaputt gespart! Bild.de, 20.04.2011:
http://www.bild.de/politik/inland/bundeswehrreform/einsatzfaehigkeit-kaputtgespart-158000-statt-185000-soldaten-17527866.bild.html
[5] Verteidigungspolitische Richtlinien: Nationale Interessen wahren --
Internationale Verantwortung übernehmen -- Sicherheit gemeinsam
gestalten, Berlin, den 18. Mai 2011. Die im Text folgenden Seitenzahlen
in Klammern beziehen sich auf dieses Dokument.
[6] Reform der Bundeswehr Streichen, kürzen, schrumpfen , Spiegel
Online, 18.05.2011:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,763419,00.html
[7] BMVg: Eckpunkte für die Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin,
18.05.2011. Tatsächlich bewegt sich die Zahl zwischen 175.000 und
185.000: 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie -- je nach Erfolg der
Rekrutierungsmaßnahmen -- zwischen 5.000 und bis zu 15.000 Freiwillig
Wehrdienstleistenden.
[8] Reform der Bundeswehr Streichen, kürzen, schrumpfen , Spiegel
Online, 18.05.2011.
[9] Wiegold, Thomas: Zahlen auf dem Tisch, 22. November 2010:
http://augengeradeaus.net/2010/11/zahlen-auf-dem-tisch/
[10]
http://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmE2OTM2N2EzODMyMzMyMDIwMjAyMDIw/haushalt_2011.pdf
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