Artikel von Sahra Wagenknecht, erschienen in der Tageszeitung junge Welt am 12.02.2010
Analyse. Katastrophale Aussichten für die breite Bevölkerung: Mit Steuergeschenken für Kapital und Besserverdiener sowie mit einer Schuldenbremse für die öffentliche Hand setzt »Schwarz-Gelb« die Umverteilungspolitik der Vorgängerregierung fort
Scheinbar steht alles auf dem Kopf. Während zum wirtschaftspolitischen Credo der Neoliberalen seit jeher nicht nur das Abfeiern von Deregulierung, Privatisierung und Sozialraub gehörte, sondern untrennbar damit verbunden auch das unermüdliche Hohelied auf Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau, treibt jetzt ausgerechnet eine liberal-konservative Koalition die öffentliche Hand in die höchste Neuverschuldung der bundesdeutschen Geschichte hinein. Und während die Linke immer schon forderte, der Staat müsse dem wirtschaftlichen Niedergang durch aktive Ausgabenpolitik entgegenwirken und dafür im Notfall auch rote Zahlen in Kauf nehmen, bleiben Beifallsbekundungen für das ungenierte deficit spending à la Merkel, Schäuble & Co. von dieser Seite aus. Und das, obwohl es in Regierungskreisen sogar wieder als schick gilt, sich auf einen Ökonomen zu berufen, dessen Thesen im ökonomischen Mainstream der Bundesrepublik jahrzehntelang geächtet und dessen Anhänger aus der universitären Ökonomie weitgehend verdrängt worden waren: John Maynard Keynes.
Begonnen hatte diese rhetorische Wende noch zu Zeiten der großen Koalition. Eingeleitet wurde sie allerdings nicht von dem damaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, der jeder Art von Konjunkturprogrammen lange ausgesprochen feindselig gegenüberstand, sondern von dem heutigen Minister für Finanzen Wolfgang Schäuble, der zu jener Zeit noch im Innenministerium Dienst tat. Mit den Worten »In der Krise muß die CDU keynesianisch denken« forderte Schäuble im Handelsblatt vom 28.11.2008 den wirtschaftspolitischen Tabubruch – zu einer Zeit, als sich abzuzeichnen begann, daß der Bundesrepublik ein konjunktureller Sinkflug bevorstehen könnte, wie es ihn in der gesamten Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben hat. Mit Blick auf diese drohende Gefahr regte Schäuble eine »radikale Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik« und eine »kurzfristige Stärkung der Nachfrage« an.
Verlogene Kritik der SPD
In der Folgezeit schien sich diese Sicht der Dinge in der großen Koalition allmählich durchzusetzen, zag- und stümperhaft zunächst mit dem Mini-Konjunkturpaket I und etwas entschlossener im Konjunkturpaket II. Inzwischen gehört eine nachfrageorientierte Rhetorik zum Standardrepertoire der »schwarz-gelben« Ministerriege. Selbst FDP-Wirtschaftsminister Brüderle brabbelt heute von »Nachfrageschwächen«, und Bundeskanzlerin Merkel läßt den keynesianischen Sound inzwischen in jeder ihrer Reden klingen: Solange die Krise andauere, müsse man »in Wachstum investieren« und also Schulden machen, sparen könne der Staat, wenn es wieder aufwärts gehe. Die SPD profiliert sich im Gegenzug gern als Wächter solider Staatsfinanzen und pflegt der Regierung die roten Zahlen um die Ohren zu hauen.
Verkehrte Welt? Nun ja, daß Sozialdemokraten Konservative in Sachen Neoliberalismus rechts überholen, wäre kein Novum. Wer die Agenda der Regierung Schröder mit der von Helmut Kohl vergleicht, kann gut verstehen, warum der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel ersteren sehr viel mehr als letzteren schätzte. Daß der SPD der Schäuble-Merkel-Kurs nicht schmeckt, spricht also nicht unbedingt gegen ihn. Zum anderen ist die sozialdemokratische Aufregung über explodierende Staatsschulden natürlich reichlich verlogen. Immerhin gehen öffentliche Mindereinnahmen im Volumen von 13 Milliarden Euro, die in diesem Jahr wirksam werden, noch auf Entscheidungen der großen Koalition zurück. Dieses Finanzloch hat »Schwarz-Gelb« also geerbt, dafür trifft die liberalen Steuersenkungsfanatiker, so unsympathisch sie uns sein mögen, keine Schuld. Das gleiche gilt übrigens für die endlosen Steuergeschenke der Vorjahre – Geschenke an Konzerne, Banken, Erben, Spitzenverdiener, Vermögensmillionäre – die alle unverändert weiterwirken und die öffentlichen Haushalte belasten. Was die CDU/CSU-FDP-Regierung auf ihre Kappe nehmen muß, ist bisher lediglich die Vergrößerung des Finanzlochs um weitere 8,5 Milliarden Euro durch das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Wenn also die SPD der aktuellen Regierung unsolide Finanzpolitik vorwirft, ist das etwa so glaubwürdig, als wenn ein notorischer Trunkenbold, der gerade sein Jahresgehalt versoffen und sein Haus verpfändet hat, seine Frau verprügeln würde, weil sie sich einen Lippenstift auf Pump gekauft hat. Die Verrenkungen, die die SPD anstellt, um als Opposition wahrgenommen zu werden, müssen uns also nicht interessieren. Aber die Frage bleibt: Ist es richtig, die Regierung für die eskalierende Neuverschuldung zu kritisieren, oder was genau sollte die Stoßrichtung linker Kritik sein?
Wer erhält Steuergeschenke?
Schauen wir uns zunächst einmal die Zahlen an. Das für 2010 von Schäuble eingeplante Defizit liegt bei insgesamt 100 Milliarden Euro, davon 86 Milliarden im regulären Bundeshaushalt und 14 Milliarden in diversen Schattenhaushalten. Zum Vergleich: Im Krisenjahr 2009 lag das Defizit des Bundes bei schätzungsweise 37,5 Milliarden Euro. Den bisherigen bundesdeutschen Neuverschuldungsrekord verantwortet interessanterweise auch ein Minister einer »schwarz-gelben« Regierung, nämlich Kohls langjähriger Finanzminister Theodor Waigel (CSU), der es kurz vor Ende seiner Amtszeit einmal auf eine Neuverschuldung von 40 Milliarden Euro brachte. Das führte damals zu großer Aufregung, war allerdings, wie man sieht, noch nicht einmal die Hälfte dessen, was uns jetzt bevorsteht. Einschließlich der eskalierenden Defizite von Ländern und Kommunen wird sich die öffentliche Hand 2010 voraussichtlich neue Schulden in Höhe von etwa sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufhalsen.
Doch zurück zum Bundeshaushalt: Im Detail resultiert das dort erwartete Milliardenloch aus einer Erhöhung der Bundesausgaben um 10,5 Prozent einerseits bei einem prognostizierten Einbruch der öffentlichen Einnahmen um 6,5 Prozent auf der Gegenseite. Diese Kluft ist, für sich genommen, kein Skandal. Wenn der Einnahmeausfall, wie die Regierung es gern darstellt, tatsächlich nichts anderes wäre als die unausweichliche Folge der tiefen Wirtschaftskrise und die Ausgabensteigerung eben staatlichem Gegensteuern zur Stärkung der Nachfrage entspräche, wäre gegen einen solchen Haushalt wenig einzuwenden. Das Problem sind nicht die Schulden, sondern der Quell, aus dem sie sich speisen, anders gesagt: die Taschen, in denen das Geld, das der öffentlichen Hand jetzt fehlt, sich am Ende wiederfinden wird. Und das ist kein moralisches, sondern ein ökonomisches Problem.
Wie erwähnt, bestreitet kaum noch jemand, daß es derzeit im Land an Nachfrage mangelt. Die zwei wichtigsten Gründe für diesen Nachfragemangel liegen auf der Hand: Der Exportmotor lahmt, weil der ökonomische Niedergang in den USA, die Überschuldung der US-Verbraucher, aber auch die Verheerungen, die die Wirtschaftskrise in Süd- und Osteuropa angerichtet hat, dafür sorgen, daß es auf absehbare Zeit im Ausland nicht mehr so viele finanzkräftige Kunden geben wird, die sich um Güter, made in Germany, reißen. Und die inländische Nachfrage liegt am Boden, weil Jahrzehnte rüden Lohndumpings, rücksichtsloser Sozialzerstörung und schrumpfender öffentlicher Investitionen ihr die Grundlage entzogen haben.
Da die Auslandsnachfrage jenseits des Einflusses der Bundesregierung liegt, bestünde die einzig sinnvolle Antikrisenstrategie also darin, die Binnennachfrage zu stärken. Das wäre klassischer Keynesianismus, und genau das gibt die Regierung ja auch zu tun vor. Aber sie tut es nicht. Denn die unters Volk gestreuten Steuergeschenke beglücken in erster Linie Leute, die so schon nicht mehr wissen, wohin mit dem vielen Geld, während jene, die jeden zusätzlichen Euro mit Freude konsumieren würden, bald noch weniger haben werden als heute. Denn nach den Plänen der Regierung werden sie es sein, die die an die noble Gesellschaft verteilten Präsente in den nächsten Jahren bezahlen müssen. Man muß wahrlich kein Anhänger von Keynes sein, um ihn dagegen zu verteidigen, mit seinem Namen für eine solche Politik in Haftung genommen zu werden. Der Keynesianismus ist ganz sicher ein Lehrgebäude mit sehr weiten – rechten wie linken – Interpretationsmöglichkeiten. Aber einfach nur möglichst viele öffentliche Schulden aufzutürmen, hat mit Keynesianismus etwa so viel zu tun wie die Verstaatlichung der Hypo Real Estate mit einer marxistischen Beantwortung der Eigentumsfrage.
Kaum Entlastung
Das gilt im übrigen nicht nur für »Schwarz-Gelb«. Das galt in gleicher Weise schon für die Konjunkturpakete der großen Koalition, die zu wesentlichen Teilen ebenfalls aus Steuersenkungen bestanden. Maßnahmen wie die Erhöhung des Grundfreibetrags und die Verringerung des Eingangssteuersatzes, die die öffentliche Hand 2009 etwa drei Milliarden Euro gekostet haben und 2010 über sechs Milliarden Euro kosten werden, erwecken zwar auf den ersten Blick den Anschein, vor allem Gering- und Mittelverdiener zu entlasten. Aber das stimmt nicht. Viele Billiglohnjobs werden inzwischen so jämmerlich bezahlt, daß die Inhaber ganz aus der Einkommenssteuer herausfallen. Diese Einkommensgruppen haben also keinen müden Euro mehr, wenn die Steuersätze sinken. Wer knapp oberhalb der Grenze verdient, der kann sich über ein kleines Plus freuen. Aber in erster Linie profitieren Bezieher hoher und höchster Einkommen, weil Steuersenkungen am unteren Ende den gesamten Tarifverlauf verschieben und das zahlt sich weit überproportional für die aus, die viel zu versteuern haben. Gleiches gilt natürlich für die ab 2010 mögliche Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge: Wer mehr zahlt, kann mehr absetzen.
Das Bundesfinanzministerium selbst hatte im letzten Jahr auf eine Anfrage der Linkspartei Zahlen zu den Begünstigten der Steuernachlässe im Rahmen des Konjunkturpakets II veröffentlicht. Danach wird die gesamte Gruppe der Niedrigverdiener, die im Jahr Einkommen von bis zu 10000 Euro nach Hause tragen, um insgesamt 0,15 Milliarden Euro entlastet. Bezieher von Jahreseinkommen jenseits der 53000 Euro dagegen profitieren in fast zehnfacher Höhe, über sie ergießt sich ein Goldregen im Volumen von knapp 1,5 Milliarden Euro.
Diese Verteilung der Finanzamtgaben macht auch gut verständlich, warum der private Konsum 2009 trotz der gepriesenen Steuersenkungen nicht zugenommen hat. Er wäre vielmehr ohne den künstlichen Boom durch die Abwrackprämie um weitere 0,5 Prozent eingebrochen, und das von jenem niedrigen Niveau aus, auf dem er in Deutschland schon seit Jahren dahindümpelt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie konjunkturpolitisch sinnlos Steuersenkungen sind, dann hat spätestens das Jahr 2009 ihn erbracht.
Angesichts aktueller Diskussionen sollten wir auch nicht vergessen, was für feine Dinge das damalige Konjunkturpaket noch enthielt. Etwa eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge um 0,6 Prozentpunkte. Genau dieses Geld, das Beschäftigten wie Unternehmern paritätisch erlassen wurde und ebenfalls den Konsum erhöhen sollte, holen sich die Kassen jetzt ganz unparitätisch bei den Beschäftigten allein über Zusatzbeiträge zurück. Was für eine konjunkturpolitische Großtat! Bleibt die Unterstützung der Kurzarbeit durch Bundesmittel, die sicher zum Erhalt von Arbeitsplätzen beigetragen hat. Die Frage ist nur, wie lange diese Brücke, die die öffentliche Hand inzwischen 14 Milliarden Euro gekostet hat, noch trägt, wenn kein neues Ufer in Sicht kommt. Und danach sieht es im Moment nicht aus. Denn die von der Regierung für 2010 prognostizierten 1,5 Prozent Wachstum sind nach dem Fünf-Prozent-Einbruch im letzten Jahr nicht viel mehr als Stagnation auf niedrigem Niveau.
Negative wirtschaftliche Wirkung
Fassen wir zusammen: Die großen Posten des Konjunkturpakets II waren keine Stütze des Konsums und auch keine Stütze der Investitionstätigkeit, sondern bedeuteten schlicht eine weitere Plünderung der öffentlichen Kassen. Wie durch die vielen Steuergeschenke der Jahre zuvor, die die Staatsquote bereits in den Jahren 1999 bis 2008 um fast fünf Prozentpunkte absinken ließen, wurde auf diesem Wege nur die Aktionsfähigkeit der öffentlichen Hand weiter untergraben: Ohne positive konjunkturelle Konsequenzen, im Gegenteil.
Genau das setzt »Schwarz-Gelb« mit dem »Wachstumsbeschleunigungsgesetz« nahtlos fort. Natürlich ist nicht auszuschließen, daß mancher Millionenerbe im Wissen um die faktisch abgeschaffte Erbschaftssteuer die Gattin mit einem Diamentengehänge beglückt, sobald der Erbonkel auch nur ernstlich krank wird, oder Baron Finck die Extraprofite, die seine Mövenpick-Kette dank der ermäßigten Mehrwertsteuer für Hoteliers machen wird, mit einigen Flaschen Champagner begießt, aber niemand kann im Ernst erwarten, daß diese Lebensfreuden der oberen Zehntausend in eine spürbare Steigerung der volkswirtschaftlichen Nachfrage umschlagen. Die Kindergelderhöhung, darauf ist oft hingewiesen worden, begünstigt Besserverdienende mit 40 Euro, Normalverdiener nur mit 20 Euro und Hartz-IV-Bezieher mit dem müden Lächeln seines ARGE-Betreuers, der jetzt die versehentlich ausgezahlten 20 Euro mit Druck und Schikane wieder einzutreiben sucht. Daß dies unter Gerechtigkeitsaspekten ein einziger Skandal ist, kann nicht oft genug betont werden. Aber es ist eben auch keine nachfragestimulierende Politik. Von der Erhöhung der steuerabzugsfähigen Zinssumme bei Unternehmen auf drei Millionen Euro dürften ebensowenig die vielen kleinen Gewerbetreibenden profitieren, denen das Wasser in der Krise bis zum Hals steht. Denn die können von Krediten, die derartige Zinszahlungen verursachen würden, in der Regel nur träumen.
Allerdings wäre es falsch, der Politik einfach nur vorzuwerfen, daß ihre Maßnahmen konjunkturpolitisch ohne Effekt sind. Dieser Vorwurf ließe sie sehr viel harmloser erscheinen, als sie in Wahrheit ist. Denn tatsächlich werden all diese Unsinnigkeiten erhebliche wirtschaftliche Folgewirkungen haben, nur eben nicht die gewünschten oder als gewünscht angegebenen. Denn sie alle erodieren die Einnahmebasis des Staates auf Jahre und sorgen so dafür, daß immer weniger Geld für die Dinge vorhanden ist, deren Finanzierung dringend nötig wäre. Nötig aus Gründen des gesellschaftlichen Bedarfs wie zur Überwindung der Krise.
Beispielsweise enthielt das Konjunkturpakt II neben all dem geschilderten Unfug auch eine nützliche Komponente: die Bereitstellung von insgesamt 14 Milliarden Euro für öffentliche Investitionen in den Jahren 2009 und 2010. Das war zwar viel zu wenig, um den wirtschaftlichen Einbruch auszugleichen, aber es hätte immerhin zu einer bescheidenen Stabilisierung beitragen können. Selbst das allerdings kann man sich ab 2010 abschminken. Denn wegen gähnender Kassenleere haben die Kommunen angekündigt, in diesem Jahr ihre Ausgaben drastisch zu beschneiden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnt bereits, das für 2010 erwartete kommunale Haushaltsloch in Höhe von zwölf Milliarden Euro werde »fatale Folgen für die Infrastruktur« haben. Alarmiert titelte die Financial Times Deutschland: »Städte streichen Investitionen zusammen« (FTD, 5.1.2010); trotz – oder, wie man's nimmt: wegen – des Konjunkturpakets. Denn Hauptgrund sind die einbrechenden Steuereinnahmen.
Damit sind wir am entscheidenden Punkt: Wenn die Regierung auf Jahrzehnte immer höhere Schulden machen könnte und damit Wohltaten für die oberen Zehntausend finanzieren würde, wäre das noch vergleichsweise unschädlich. Die Konjunktur würde nicht gefördert, es würde aber auch nicht viel Schaden angerichtet, und irgendwann wäre der Staat eben bankrott und die Besitzer der Staatsanleihen – also zu großen Teilen just jene oberen Zehntausend – wären das viele schöne Geld wieder los. Aber: Genau dahin wird es eine Regierung, der die Wünsche des Geldadels Befehl sind, niemals freiwillig kommen lassen. Wenn man eines Merkel und Schäuble nicht vorwerfen sollte, dann, daß sie den Staat in den Bankrott führen würden. Das werden sie nicht tun. Sie werden vielmehr spätestens ab dem nächsten Jahr alles daran setzen, die roten Zahlen durch brachiale Sparpolitik wieder schrumpfen zu lassen.
Schuldenbremse wirkt verheerend
Mit der von der großen Koalition eingeführten Schuldenbremse ist der dann als Rechtfertigung notwendige »Sparzwang« längst geschaffen. Und niemand aus der derzeit so schuldenfreudigen Regierungsriege hat diese selbstgenähte Zwangsjacke auch nur mit einer Silbe in Frage gestellt. Die Schuldenbremse indessen bedeutet: Es müssen im nächsten Jahr im Bundeshaushalt zehn Milliarden Euro weggekürzt werden, im übernächsten Jahr 20 Milliarden, 2013 30 Milliarden, und so immer weiter, bis die Neuverschuldung 2016 auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes eingedampft ist. Und zu diesem Ziel gibt es im Grunde nur einen Weg: Die Ausgaben müssen rücksichtslos zusammengestrichen werden.
Denn die theoretisch ebenfalls mögliche Alternative, durch Steuererhöhungen die Einnahmen des Staates zu steigern, ist angesichts grassierener Steuersenkungseuphorie tabu. Allenfalls wird man an der Mehrwertsteuerschraube noch einmal drehen, aber von einer Regierung, die ihre Klientel gerade mit Steuermanna überschüttet, ist nicht zu erwarten, daß sie plötzlich dazu übergeht, das Geld da abzuschöpfen, wo es sich überreichlich holen ließe. Auch die SPD hat Vermögenssteuern übrigens bisher immer nur in harten Oppositionsjahren gefordert und die Erbschaftssteuer bereits zu Zeiten der großen Koalition gemeinsam mit der CDU so zerschossen, das auch ohne die Zugabe von »Schwarz-Gelb« kaum noch mit einem Aufkommen zu rechnen wäre.
Also bleibt: brutale Einschnitte überall da, wo nach der sozialen Roßkur von »Rot-Grün« und der großen Koalition überhaupt noch etwas zum Wegschneiden geblieben ist. Beispielsweise hat die CDU angekündigt, Milliarden im Bundeshaushalt für Arbeit einzusparen. Das kann nichts anderes bedeuten als weitere Leistungskürzungen: beim ALG I und bei Hartz IV, womöglich auch noch schlimmere Drangsalierungen und Sanktionen. Der sogenannte Wirtschaftsweise Wolfgang Franz hat mit seiner irren Forderung, die Hartz-IV-Sätze um 30 Prozent zu kürzen, schon mal die Richtung vorgezeichnet. Auch das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts schiebt solchen Vorhaben leider keineswegs einen Riegel vor. Kein Geheimnis ist ebenfalls, daß auch die öffentlichen Investitionen des Bundes in den nächsten Jahren noch weiter zurückgefahren werden sollen. So wird das Verkehrsministerium, wie die FTD am 29. Januar meldete, ab 2011 mehrere Milliarden Euro weniger bekommen und stellt sich bereits auf eine deutliche Kappung der Infrastrukturinvestitionen ein. Wohlgemerkt von einem Level aus, der heute schon im europäischen Vergleich nur kläglich zu nennen ist.
Damoklesschwert Bankenrettung
Der Regierung liebstes Ammenmärchen ist nun, daß die nötigen Einschränkungen der nächsten Jahre gar nicht so dramatisch ausfallen werden, weil wir ja bald wieder Wirtschaftswachstum haben, das auch die öffentlichen Kassen füllen wird. Nur gibt es bedenklicherweise niemanden, der eine Antwort auf die Frage bereithält, wo dieses Wachstum unter solchen Bedingungen herkommen soll. Da mit einer Rückkehr der Exportüberschüsse der Jahre vor 2008 nicht im Ernst zu rechnen ist, ist die anvisierte Sparpolitik geradezu die Garantie dafür, daß die Wirtschaft der Krise auf absehbare Zeit nicht entkommen wird. Eher droht das alte Dilemma, mit dem sich einst Schröders Finanzminister Hans Eichel herumzuschlagen hatte: die Regierung spart und spart – und die Löcher in den Kassen werden größer und größer, weil das Sparen die Wirtschaft immer tiefer in den Abgrund zieht.
Zumal in allen gängigen Berechnungen und Schuldenprognosen ein Posten sträflich unterschätzt wird: die Kosten der Bankenrettung. Ganze 20 Milliarden Euro hat die Bundesregierung dafür bis zum Ende der Legislatur zurückgestellt, ein unscheinbarer Betrag im Vergleich zu der gewaltigen Fäulnis in den Bankbilanzen, die in den zurückliegenden Monaten augenscheinlich geworden ist. Allein zehn Milliarden Euro hatte vor einem guten Jahr die Rettung der IKB verschlungen. Und da soll der endlose Problemberg, der sich in Hilfsanträgen von aktuell über 200 Milliarden Euro beim Finanzmarktstabilisierungsfonds (SoFFin) niederschlägt, mit ganzen 20 Milliarden Euro Kosten erledigt sein? Allein die HRE hat bekanntlich gerade eine Bad Bank gegründet, in die sie fragwürdige Papiere im Volumen von 210 Milliarden Euro auslagern wird. Der Steuerzahler wird für die Bankenrettung also aller Voraussicht nach sehr viel schlimmer bluten müssen, als ihm das derzeit vorgegaukelt wird. Und das alles im Korsett der Schuldenbremse – die am Ende vielleicht auch nur dank kreativer Buchführung eingehalten werden kann. Aber das tut ja nichts, Hauptsache, man hat einen allgegenwärtigen »Sachzwang«, der in Haushaltsfragen jede Brutalität zu rechtfertigen geeignet ist: im Bund, aber auch in den Ländern und Kommunen.
Und gerade deshalb darf sich eine Partei, die für Alternativen steht, auf keiner dieser drei Ebenen für diesen Wahnsinn vereinnahmen lassen. Es gibt nur einen Weg, der aus diesem Dilemma herausführt: das Geld wieder dort abzuschöpfen, wo es in den zurückliegenden Jahrzehnten durch Finanzmarktparty, Enteignung der Beschäftigten, Bankenrettung und Steuerpolitik so ungeniert hingeschaufelt wurde. Eine Millionärssteuer, die wirklich an die Substanz geht, die Verstaatlichung auch der Good Banks und ein Mindestlohn von zehn Euro wären unerläßliche Eckpunkte einer solchen Politik.
Sahra Wagenknecht ist wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag
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