Montag, 23. November 2009

Afghanistan-Mandat auf ewig?!

Gestern beschloss das Bundeskabinett, das Mandat für den Afghanistan-Einsatz um weitere zwölf Monate zu verlängern. Über den nun zunächst bis zum 13. Dezember 2010 befristeten Kriegseinsatz muss nun noch der Bundestag entscheiden, der aber sicherlich ebenfalls zustimmen wird. Explosionsartig steigen die Kosten des Einsatzes: Waren es 2008 noch 536 Mio. Euro (eingeplant waren ursprünglich 487 Mio.), sind für 2009 bereits 688 Mio. vorgesehen (allerdings für 14 Monate). Für die kommenden zwölf Monate sieht der Antrag der Bundesregierung nun einen Gesamtbetrag von 820,7 Mio. Euro vor. Zu bedenken ist dabei aber immer auch, dass es sich hierbei lediglich um die "einsatzbedingten Mehrkosten" handelt: Personalkosten, Ausrüstung und Ausbildung der Soldaten sind in dieser Rechnung nicht enthalten. Hauptstreitpunkt in den letzten Monaten war die Frage, inwieweit den US-Forderungen nachgekommen würde, nochmals deutlich mehr Bundeswehrsoldaten an den Hindukusch zu entsenden. Hier ist das Mandat -- vordergründig -- eindeutig: "Das deutsche ISAF-Kontingent soll unverändert max. 4500 Soldatinnen und Soldaten umfassen." Allerdings sollte man in diesem Zusammenhang erstens nicht vergessen, dass die Anzahl deutscher Truppen in den letzten Jahren ohnehin bereits rasant angestiegen ist: von 2.250 (2004) auf nunmehr 4.500 und zwischenzeitlich - aufgrund des nun nicht mehr neu ausgestellten AWACS-Mandates - sogar 4.800 Soldaten. Darüber hinaus beteiligt sich Deutschland auch massiv am Aufbau der afghanischen Armee und Polizei und leistet hierüber einen zusätzlichen kriegsunterstützenden Beitrag. Allerdings hat der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Frage der Truppenerhöhungen lediglich auf den Zeitpunkt nach der internationalen Afghanistankonferenz im Januar 2010 verschoben. Er ließ bewusst offen, ob danach nicht doch ein weiterer Aufwuchs mit einem neuen bzw. angepassten Mandat auf den Weg gebracht werden wird (so geschehen etwa beim Tornado-Einsatz oder der AWACS-Kontingenterhöhung). Und auch der Antrag der Bundesregierung lässt dieses Hintertürchen bewusst und überdeutlich offen: "Es ist Absicht der Bundesregierung, im Lichte der Konferenz den deutschen zivilen und militärischen Beitrag im Rahmen des internationalen Gesamtengagements in Afghanistan einer erneuten Prüfung zu unterziehen und bei Bedarf dem Parlament ein dementsprechend angepasstes Mandat zur Billigung vorzulegen." Von US-Seite -- die ihrerseits wohl zu den mittlerweile über 100.000 Soldaten weitere 30.000 an den Hindukusch entsenden wird - wird von der NATO 5-10.000 weitere Kämpfer gefordert. Der britische Premier Gordon Brown sprach sich am 13. November dafür aus, die NATO-Verbündeten sollten ihrerseits 5.000 zusätzliche Soldaten entsenden. An die Adresse Deutschlands wird in diesem Zusammenhang mit Sicherheit die Forderung ergehen, einen Großteil hiervon zu übernehmen. Vor diesem Hintergrund betonte der Verteidigungsexperte der CDU/CSU-Fraktion Ernst-Reinhard Beck, er könne sich auch eine Erhöhung des deutschen Kontingents auf 6.000, 8.000 oder womöglich gar 10.000 Soldaten vorstellen, sofern dies militärtaktisch erforderlich sei. Im Kalkül der neuen westlichen Afghanistanstrategie soll dieser neuerliche massive Truppenaufwuchs vor allem eins erreichen: er soll die erforderliche Zeit verschaffen, um die afghanischen Repressionsapparate (Armee und Polizei) soweit aufgebaut zu haben, damit diese künftig -- die Rede ist zumeist vom Jahr 2015 -- weitgehend im Alleingang die Drecksarbeit übernehmen können. "Es bleibt das Ziel, die afghanische Armee und die Polizei möglichst schnell in die Lage zu versetzen, selbstständig für ein sicheres, entwicklungsförderndes Umfeld zu sorgen. Mit zunehmender Befähigung der afghanischen Sicherheitskräfte soll die Sicherheitsverantwortung schrittweise den Afghanen übertragen werden", heißt es dazu beschönigend im Bundestags-Mandat. Dass es sich hierbei allerdings um einen Drahtseilakt handelt, wissen auch die westlichen Militärstrategen. Ob die Regierungstruppen in der Lage sein werden, den Aufstand effektiv zu bekämpfen, ist mehr als fraglich. Insofern ist davon auszugehen, dass auch nach diesem Datum erhebliche westliche Kräfte als "Rückversicherung" im Land stationiert bleiben werden, sollte diese Afghanisierung des Krieges fehlschlagen. Ganz ähnlich versuchen die USA ihr Profil im Irak herunterzufahren. Man reduziert die direkte Beteiligung an Kampfhandlungen, die mehr und mehr auf die irakischen Regierungskräfte übertragen werden, und greift lediglich dann direkt ein, wenn man es als unumgänglich erachtet, um zu gewährleisten, dass die Geschicke des Landes den gewünschten Verlauf nehmen. Deshalb sollte man schließlich vorsichtig sein, wenn in der Presse gegenwärtig euphorisch über Rückzugspläne geredet wird. Mit einem wirklichen Abzug haben die gegenwärtigen Überlegungen rein gar nichts zu tun, sie sind lediglich taktische Anpassungen an die Gegebenheiten vor Ort. Die -- trotz aller Kritik seitens der NATO-Staaten -- dezidiert pro-westliche Karzai-Regierung soll unter allen Umständen an der Macht gehalten werden, auch wenn sie in der Bevölkerung spätestens nach den Wahlen über keinerlei Legitimität mehr verfügt. Deshalb scheint ein "Bürgerkrieg unter westlicher Beaufsichtigung" die wahrscheinlichste "Zukunft" zu sein, die Afghanistan derzeit bevorsteht.
IMI-Afghanistan Sonderseite: http://www.imi-online.de/2006.php?id=1454
IMI-List - Der Infoverteiler der Informationsstelle Militarisierung Hechingerstr. 203
72072 Tübingen

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