Freitag, 29. Juli 2022
Neues Stichwort BAYER erschienen / Leseprobe Kritik auf allen Kanälen
Mit einer Leseprobe aus der neuen Ausgabe
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#Online HVs nach BAYER-Gusto
#Der Hauptversammlungsprotest
#257 Hauptversammlungsfragen
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Zeitgleich mit dem Erscheinen des neuen Heftes hat die Redaktion das SWB 3/22 online gestellt (stichwort-bayer.de/).
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Leseprobe
aus SWB 3/2022
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Kritik auf allen Kanälen
Auch in diesem Jahr gelang es der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wieder durch vielfältige Aktionsformen, dem BAYER-Konzern auf seiner Hauptversammlung sowohl virtuell als auch real Paroli zu bieten.
Von Marius Stelzmann
Die Proteste zur diesjährigen Hauptversammlung des BAYER-Konzerns standen ganz im Zeichen der möglichen Verlängerung der EU-weiten Zulassung von Glyphosat. Dementsprechend konzentrierten wir uns mit unseren Protesten dieses Jahr besonders auf Glyphosat.
Der Leverkusener Multi legte PR-technisch bereits schonungslos vor, um die Zulassungsverlängerung durchzudrücken. Dabei nutzte er zur Begründung unter anderem den furchtbaren Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden fehlenden Getreidelieferungen, die wegen des Krieges eben nicht mehr produziert und ausgeliefert werden können. Die dadurch drohende Versorgungskrise wird mit großer Wahrscheinlichkeit im globalen Süden zu Hungersnöten führen. Sie könne nur mittels einer „nachhaltigen Intensivierung“ der Landwirtschaft bewältigt werden, so BAYER-Chef Werner Baumann im Interview mit der Neuen Züricher Zeitung. Was dies bedeutet, ist klar: Beibehaltung der jetzigen BAYER-MONSANTO-Landwirtschaft, die mit genmanipulierten Pflanzen und Ackergiften wie Glyphosat die Böden maximal auslaugt und zerstört und so die Ernährungssicherheit für zukünftige Generationen gefährdet. Teil dieses Planes ist natürlich Glyphosat. Dementsprechend bereiteten wir uns intensiv auf die Hauptversammlung vor, um im Sinne unserer Kampagne „Krebsgefahr. Klimarisiko. Umweltgift. Glyphosat-Stopp jetzt!“ alle gesundheitsschädlichen und umweltzerstörenden Aspekte des Agrargiftes klar in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn die Hauptversammlung ist für den PR-Marathon des Unternehmens eine wichtige Wegmarke: Hier muss er seine AktionärInnenschaft weiter auf den für Mensch und Umwelt katastrophalen Kurs einschwören und dies auch der breiten Öffentlichkeit vermitteln.
Die Hauptversammlung ist der Ort, an dem kritische AktionärInnen die andere Seite der BAYER-Konzernpolitik aufzeigen, die Folgen des Produktionsmodells von BAYER ans Licht zerren. BAYER will sich davor wappnen. Der Leverkusener Riese flüchtete sich 2022 bereits zum dritten Mal in Folge in die virtuelle Hauptversammlung. Doch wir wussten schon früh, wie wir diesem Versuch zuvorkommen würden: Mit Aktionen in der virtuellen Welt wie auf der Straße, mit Sichtbarkeit auf der Hauptversammlung selbst und vor den Toren des Konzerns. Dieses Versprechen gaben wir den Betroffenen, unseren BündnispartnerInnen und AktivistInnenund uns selbst. So weit so gut.
Das HV-Bündnis
Wieder einmal ging es an das Schmieden eines gemeinsamen Bündnisses zum Protest auf der BAYER-Hauptversammlung. Denn erfolgreichen Widerstand leistet mensch nicht allein. Deshalb heißen wir ja „Coordination“: Wir führen den weltweiten Widerstand gegen BAYER/MONSANTO zusammen und spitzen ihn auf die Ursache des Unglücks zu: Die Profitverpflichtung, die die einzige Grundlage der Produktion im kapitalistischen Wirtschaftssystem ist.
Im vergangenen Jahr hatte die Coordination den „March against MONSANTO“ in Paris besucht. Viele der KämpferInnen und AktivistInnen, die wir dort kennenlernten, konnten wir dieses Jahr als wertvolle Mitglieder unseres Protestbündnisses gewinnen. So freuten wir uns etwa, in unserem internationalen Online-Liveprotest die Kampagne SECRETS TOXIQUES begrüßen zu dürfen, die sich der Untersuchung der nicht gekennzeichneten Wirkstoffe von Glyphosat und anderen Agrarchemikalien widmet.
Eine weitere wichtige Stimme, die es gelang, dem Chor des Protestes auf den Hauptversammlungen hinzuzufügen, war das COLLECTIF ZÉRO CHLORDECONE ZÉRO POISON, welches 2012 von den BewohnerInnen von Guadeloupe und Martinique gegründet wurde, um eine gemeinsame Front gegen die Vergiftung des martinikanischen Volkes durch Pestizide zu bilden. Dessen Mitgründerin, Gesundheitsfachfrau Sophia Sabine, sprach in unserem internationalen Online-Protest. Ebenfalls aus den Vorbereitungen für den „March against MONSANTO“ im vergangenen Jahr kannten wir das COLLECTIF VIETNAM DIOXINE, welches die Zerstörung Vietnams mit der nicht zuletzt von MONSANTO hergestellten Chemiewaffe Agent Orange thematisiert.
Zudem fiel die Hauptversammlung zeitlich mit der Deutschlandreise der brasilianischen Pestizidkritikerin Professor Larissa Bombardi zusammen, die deutsche PolitikerInnen verschiedener Parteien traf, um auf die Pestizid-Problematik in Brasilien aufmerksam zu machen. Wir organisierten als Bündnis für sie eine Vorabend-Veranstaltung sowie die Möglichkeit, den Konzern direkt in der HV sowie vor seiner Zentrale in Leverkusen mit den Missständen zu konfrontieren.
Dennoch vernachlässigten wir die vielfältigen anderen Probleme, die BAYERs gnadenlose Profitjagd aufwirft, nicht. So konnten wir in unserem Bündnis die folgenden Gruppen und Einzelpersonen versammeln: FORSCHUNGS- UND DOKUMENTATIONSZENTRUM CHILE/LATEINAMERIKA (FDCL), BUND FÜR UMWELT- UND NATURSCHUTZ DEUTSCHLAND E. V. (BUND), GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER (GFBV), FRIDAYS FOR FUTURE, GEN-ETHISCHES NETZWERK, ALLERWELTSHAUS KÖLN, SECRETS TOXIQUES, COLLECTIF ZÉRO CHLORDECONE ZÉRO POISON, COLLECTIF VIETNAM DIOXINE, INITIATIVE RISIKO-PILLE, PHYSICIANS AGAINST PESTICIDES, BUND DER DYOGYNONGESCHÄDIGTEN E. V. (BDD), VEREIN DER EHEMALIGEN HEIMKINDER IN SCHLESWIG-HOLSTEIN, DIE PARTEI, INKOTA-NETZWERK, ATTAC, Professor Larissa Bombardi, Geographin/Universität Sao Paulo, Professor Gilles-Eric Seralini, Biologe/Universität von Caen, Professor Marcos Pedlowski, Anthropologe/Universität Fluminense.
Wie bereits beschrieben, lieferte uns die Reise von Professor Larissa Bombardi die Möglichkeit, die von Glyphosat und anderen Agrargiften in Lateinamerika ausgehenden Risiken und Nebenwirkungen in besonderem Ausmaß zu fokussieren. Ein Bündnis deutscher NGOs, Initiativen und AktivistInnen unterstützte Larissa bei ihrem Anliegen, Öffentlichkeit für die Pestizidvergiftungen in Brasilien zu schaffen. Larissa bezahlte für ihre mutigen Studien, die die Pestizidlobby auch ökonomisch unter Druck setzten, einen hohen Preis. Nach einer ihrer Studien nahm eine namhafte skandinavische Supermarktkette brasilianische Produkte aus dem Sortiment. Danach begann die Pestizidlobby, Larissas wissenschaftliche Arbeiten zu diskreditieren und sie öffentlich anzugreifen. Kurz danach kam es zu anonymen Drohungen und Andeutungen, dass ihr Leben in Gefahr sei. Der Rektor der Universität, die Larissa beschäftigte, bot ihr an, sie auf dem Campus von Securities schützen zu lassen. Aber nach einem Einbruch in ihr Haus traf sie schließlich die Entscheidung, ins Exil zu gehen, da sie Brasilien als zu gefährlich für sich und ihre Kinder erachtete.
Prof. Larissa Bombardi steht wie kaum eine andere Person in Brasilien für das Anprangern der Doppelstandards der kapitalistischen Pestizidproduktion. Diese sichert ihre Profite mit dem Vertrieb von Pestiziden, die zwar in der EU und anderen Ländern des globalen Nordens verboten sind, allerdings in Brasilien und anderen Ländern des globalen Südens verkauft werden können, weil die Regierungen gegen das Lobbydiktat der Konzerne eine geringere ökonomische Handhabe besitzen.
Die Coordination organisierte mit anderen Gruppen zwei Veranstaltungen, bei denen Larissa Bombardi auftrat und ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Pestizideinsatz in Brasilien und die Folgen präsentierte. In Berlin schalteten wir uns virtuell zu und ergänzten die von Larissa präsentierten dramatischen und eindrücklichen Fakten durch einen Appell zum Handeln, wofür wir auch auch die entsprechenden Interventionsmöglichkeiten aufzeigten.
In Köln saßen wir schließlich im Allerweltshaus bei einer weiteren Veranstaltung zusammen und diskutierten die Doppelstandards bei der Pestizidproduktion am Beispiel BAYER. Unser Geschäftsführer Marius Stelzmann rief dazu das größere, auch historische Bild auf und warf einen Blick auf bisher bekannte Fälle von Doppelstandards, die auch auf Hauptversammlungen von BAYER immer wieder angeprangert worden waren. So hatte das Stichwort BAYER (SWB) bereits 1992 in einem Sonderheft über den Fall „Peru“ berichtet. Das SWB stellte damals fest: „Nahezu alle Produkte, die in anderen Staaten verboten, anwendungsbeschränkt oder nicht zugelassen sind oder von internationalen Organisationen als besonders gefährlich eingestuft werden, lassen sich auf der Liste registrierter Wirkstoffe des Landwirtschaftsministeriums finden.“
2006 konfrontierten AktivistInnen, denen die CBG das Sprechen auf der HV ermöglicht hatte, den Konzern mit seinen nicht eingehaltenen Versprechen bezüglich des Verkaufsstopps des giftigen Monocrotophos in Indien.
Auch das Wirken des Unternehmens in Brasilien war auf den Hauptversammlungen schon thematisiert worden. So veranlasste BAYERs Treiben dort Alan Tygel 2017 zu der sarkastischen Frage an den Vorstand, ob dieser brasilianische Körper für widerstandsfähiger gegen Pestizide halte als europäische. Nach diesem Vortrag Stelzmanns, der sich BAYERs langer Geschichte mit den Doppelstandards und der fast ebenso langen Geschichte des Widerstandes gegen diese Praxis widmete, lieferte Larissa Bombardi einen genaueren Einblick in die Schäden, die BAYER-Pestizide in Brasilien anrichten. Insbesondere ging sie auf die Rolle ein, die der rechtsradikale Machthaber Jair Bolsonaro bei der Unterstützung der Pestizid-Lobby spielt. Larissa konstatierte unter anderem, dass seit der Machtübernahme Bolsonaros die Gewalt gegen Anti-PestizidaktivistInnen sprunghaft zugenommen und sich dann verstetigt habe. Sie machte klar, dass in Brasilien Dosierungstoleranzen für manche Pestizide 2000 mal höher waren als in der europäischen Union. Larissa zeigte zudem auf, dass obwohl in Brasilien eine Anbaufläche von der Größe Deutschlands allein für Soja existiert, die Äcker für Nahrungsmittel wie zum Beispiel Bohnen, die tatsächlich auf den Tellern der BrasilianerInnen landen, immer geringer werden.
Ebenso widersprach sie der Darstellung, dass die klassische Landwirtschaft, welche mit genmanipulierten Pflanzen und Pestiziden arbeitet, notwendig sei, um die Länder des globalen Südens zu ernähren: Tatsächlich seien all diese Produkte hauptsächlich für die Futtertröge der Fleischproduktion des globalen Nordens bestimmt. Darüber hinaus sinke die Fruchtbarkeit der Anbauflächen, welche nach diesem Modell bewirtschaftet werden, immer mehr. Sie zeigte überdies Zusammenhänge von Pestizid-Ausbringungen mit Krankheiten und Tod von Kindern und Erwachsenen auf, insbesondere in von Indigenen bewohnten Gebieten.
Larissa nannte das Produktionsmodell BAYERs und vergleichbarer Konzerne einen „molekularen Kolonialismus“, der einen Kreislauf der Vergiftung in Gang -setze. Unter „molekularem Kolonialismus“ verstand sie hierbei die Tatsache, dass toxische Substanzen, welche in der EU und anderen Ländern des globalen Nordens verboten sind, nach Brasilien exportiert werden. Zudem beschreibe der Begriff, dass die Substanzen in den Körpern der Brasilianer*innen, die ihnen ausgesetzt sind, schädliche Veränderungen auslösten. Es gebe insgesamt 15 von BAYER nach Brasilien exportierte Wirkstoffe, die in der EU verboten seien, weil sie krebserregend oder neurotoxisch sind oder aber Missbildungen hervorriefen. Dies bezeichnete sie als „eine Form chemischer Gewalt, die von diesen Firmen ausgeht“.
Nach dem Vortrag kamen wir mit den anwesenden Gästen in eine engagierte Debatte, in der CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann unter anderem gefragt wurde, wie er Verhandlungen mit PolitikerInnen und staatlichen Stellen mit dem Protest gegen BAYER und Co. verbinden würde. Marius antwortete, dass es bei Gesprächen um die Schaffung gesetzlicher Grundlagen mit dem Ziel gehe, das willkürliche Handeln der nur der Profit-Logik folgenden Konzerne zu begrenzen. Die Durchsetzung und die Kontrolle durch die Öffentlichkeit obliege allerdings der Zivilgesellschaft und der Bewegung auf der Straße. Auf diese Bewegung ziele die Coordination ab.
Die Kundgebung
Gesagt, getan: An diese Ankündigung des Geschäftsführers hielt sich die Coordination und stellte dieses Jahr anlässlich der Hauptversammlung eine besonders bunte und vielseitige Kundgebung auf die Beine. Gemeinsam mit der Leverkusener Gruppe der FRIDAYS FOR FUTURE mobilisierten wir für einen Protestzug, der im Herzen Leverkusens am Rathaus beginnen sollte und zur Konzern-Zentrale führte. Mit den Leverkusener FRIDAYS FOR FUTURE befindet sich die Coordination schon seit Jahren im engen Austausch und ist auf jeder von deren Aktionen präsent. Der offensichtliche Grund: BAYER ist – neben seinen vielfältigen anderen Konzernverbrechen – auch einer der größten Klimakiller in der Region – trotz des bemüht grünen Images, welches sich der Konzern zu geben versucht.
Deswegen war bereits beim letzten Klimastreik klar, dass zur nächsten Hauptversammlung eine gemeinsame Aktion stattfinden sollte. Auch 2019 (damals noch in Bonn) hatte die Coordination zusammen mit den Fridays bereits eine Demonstration organisiert. Schon im Vorfeld hatten die FRIDAYS FOR FUTURE fleißig mobilisiert und insgesamt mehr als 200 der gemeinsamen Werbeplakate verklebt, nicht nur am Stammsitz des Multis selbst, sondern auch in Köln. Am 29.4.2022 ging es dann um 9.30 Uhr morgens pünktlich los. Mit einer Rede vor dem Rathaus wurden die anwesenden AktivistInnen begrüßt, dann setzte sich der Protestzug auch schon in Bewegung Richtung Konzern-Zentrale, um zur gemeinsamen Kundgebung zu stoßen.
Die Coordination versucht stets, Ihre Kundgebungen abwechslungsreich zu gestalten und der Öffentlichkeit nicht nur harte politische Fakten, sondern auch ein bildreiches, eindrucksstarkes Programm zu zeigen. Dies ist uns zur diesjährigen BAYER-HV-Kundgebung besonders gut gelungen.
Der gesamte Vorplatz der gläsernen BAYER-Zentrale war mit verschiedenen Transparenten der Coordination gepflastert, welche die vielen verschiedenen BAYER-Verbrechen thematisierten. Die Transparente hingen sogar zwischen den Bäumen, welche BAYER auf dem Gelände gepflanzt hatte, und markierten so einen symbolischen Ort der Konzernkritik mitten im Herzen der Bestie. Wie immer war die Kundgebung reich an Protestreden, die dem Vorstand direkt in Richtung Konzern-Zentrale sozusagen per Express zugestellt wurden. Dieses Jahr hatten wir Beiträge vom BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ DEUTSCHLAND E. V. (BUND), der GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER (GfbV), der FRIDAYS FOR FUTURE, von Professor Larissa Bombardi und natürlich eigene. Das Publikum applaudierte, als Gründungsvorstand Axel Köhler-Schnura den Schluss aus allen angeklagten BAYER-Verbrechen zog: Die Enteignung und Vergesellschaftung des Chemie-Riesen und die demokratische Kontrolle der Produktion.
Zudem waren wir dieses Jahr gleich mit mehreren Aktionen vertreten. So hatten Larissa Bombardi und ihre MitstreiterInnen von uns auf ihren Wunsch hin einheitliche AktivistInnen-Shirts bekommen, die die Zusammenarbeit von BAYER mit der rechtsradikalen Regierung von Jair Bolsonaro sowie die Vergiftung des brasilianischen Volkes thematisierten. Einen Höhepunkt der Kundgebung bildete die Performance der Gruppe RED REBELS der EXTINCTION-REBELLION-Bewegung. In einer beklemmenden Darstellung betrauerten die RED REBELS den vom Klimawandel verursachten Tod der Erde. Begleitet von langsamer, intensiver Trommelmusik schritt das Ensemble gemessen aus dem angrenzenden Park vor die Konzern-Zentrale. Die PerformerInnen trugen Pflanzensetzlinge vor sich her, die sie symbolträchtig auf dem Platz niederstellten, bevor sie vor den Motiven der aufgehängten Plakate einen Ausdruckstanz aufführten. Die künstlerische Botschaft an BAYER war klar: Stoppt die Zerstörung des Klimas durch Eure lebensfeindliche Produktionsweise!
Die Unterschriften
Ein besonderer Coup gelang der Gruppe um die GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER (GfbV). Die AktivistInnen waren mit einem Team aus Göttingen angereist, um an der Kundgebung teilzunehmen. Ausgerüstet waren sie mit Schutzanzügen, Gasmasken und Sprühpistolen, um auf die Vergiftung indigener Völker durch BAYER-Pestizide hinzuweisen. Auf ihren Schutzanzügen prangte das BAYER-Logo als gefräßiger Pac Man, der sich immer weiter vorarbeitet – eine passende Allegorie auf den niemals endenden Profithunger BAYERs. Die Botschaft, die ihr in Warnfarben gehaltenes Transparent klar verkündete: BAYER: Eure Pestizide vergiften indigene Völker!
Der Leverkusener Riese fürchtet die Öffentlichkeit und hat daher – wie immer, wenn Aktionen anstehen – für die Dauer der Kundgebung alle sichtbaren BAYER-Logos und Schriftzüge von seiner Konzernzentrale entfernt. Ein Logo kann der Konzern jedoch nicht loswerden: Unweit der Unternehmenszentrale steht ein historisch bedeutender Schornstein, den BAYER als Wahrzeichen hat stehen lassen. Auf diesem prangt der Konzernname in riesigen Lettern. Dieser Schornstein diente der Aktion der GfbV als hervorragende Kulisse für ihre Botschaft. Schließlich schritten die AktivistInnen zur Tat: Die Organisation hatte mehr als 3.000 Protestbriefe eingesammelt, welche die Vergiftung indigener Völker durch BAYER-Pestizide anklagen. Diese hatten sie in einer großen Kiste gesammelt, die sie nun dem Vorstand in der Zentrale übergeben wollten. Zwar ließen die Securities die AktivistInnen natürlich nicht in die Zentrale hinein. Jedoch traten zwei Mitglieder der PR-Abteilung vor das Tor und diskutierten mit der versammelten Kundgebung. Zu einem konnten sich die BAYER-Gesandten jedoch nicht durchringen: Die Annahme der Protestbriefe. Diese wurde beharrlich verweigert. Die Kiste mit den Briefen wurde daraufhin einfach vor der Tür abgestellt und dort belassen. Auch, als die AktivistInnen den Ort der Kundgebung schließlich verließen und noch einen Blick zurück warfen, stand sie noch da – still und anklagend.
Der CBG-Stream
Wie auch in den vergangenen Jahren ließen wir BAYER also die Flucht in die virtuelle Realität nicht durchgehen. Wir waren nicht nur vor den Toren der Konzernzentrale präsent, wir setzten dem BAYER-Stream der „virtuellen Hauptversammlung“ wie in den vergangenen Jahren auch ein gleichwertiges Pendant entgegen, einen internationalen Protest-Live-Stream im Internet, einen virtuellen Widerstand, der alle Lügen des Vorstandes und gefährlichen Konsequenzen der Konzernpolitik aufgriff, kommentierte und internationale Stimmen des Widerstandes zu Wort kommen ließ. Zudem bewerteten wir mit SWB-Redakteur Jan Pehrke und mit Gründungsvorstand Axel Köhler-Schnura den Verlauf der BAYER-HV live und zogen eine Tagesbilanz – eine wichtige Erweiterung der sonst nur schriftlichen Pressebilanz.
Im vergangenen Jahr war es uns, wie bereits berichtet, gelungen, im Zuge des „March against MONSANTO“ in Paris aktivistische Gruppen für den internationalen Protest zu gewinnen. Das COLLECTIF ZÉRO CHLORDECONE ZÉRO POISON war eine von ihnen. Das Collectif war im Jahre 2012 gegründet worden, um eine gemeinsame Front gegen die Vergiftung der Menschen in Guadeloupe und Martinique zu bilden.
In unserem Stream sprach Sophia Sabine, eine Gesundheitsfachfrau, die zu den GründerInnendes Kollektives gehörte. Sie berichtete von der Situation der Menschen in Guadeloupe und Martinique, die insbesondere 2012 unter einer massiven Ausbringung von Pestiziden aus der Luft auf die Bananenstauden auf den Inseln litten. Die großen Pflanzer, welche von Kolonisatoren abstammen, tränken regelmäßig den Boden, welcher aus früheren Zeiten bereits stark mit Chlordecone verunreinigt ist, mit anderen Ackergiften. Das stellt eine zusätzliche Belastung für die Böden, Wasserwege und Grundwasserspiegel der Inseln dar, nicht zuletzt weil es zahlreiche schädliche Kombinationseffekte nach sich zieht. Sophia Sabine sagte in ihrem Beitrag: „Die Cocktaileffekte dieser Pestizide wirken wie wahre Zeitbomben. 2014 haben wir ein Verbot für Pestizidausbringungen aus der Luft mit Flugzeugen erreicht. Aber diese wurden fortgesetzt, worunter das Volk litt.“ Sophia Sabine sprach den BAYER-Vorstand direkt an: „Die Frage, die wir BAYER stellen, ist die folgende: Ein Artikel, veröffentlicht am 10. März 2022 auf der Website des nationalen Forschungsinstituts für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt weist daraufhin, das Glyphosat die Fortpflanzung von Menschen und Tieren stört. Beabsichtigen Sie, den Verkauf von Glyphosat einzustellen, insbesondere in unseren Territorien Martinique und Guadeloupe? Wir sind bereits stark durch Chlordecone belastet, dessen Moleküle durch die Wirkung von Glyphosat im Boden wieder freigesetzt werden.“
Eine weitere starke, antikoloniale Stimme des Widerstandes, die wir für den diesjährigen Stream gewinnen konnten, war Professor Marcos Pedlowski von der staatlichen Universität Nord Fluminense. Der Anthropologe beschäftigt sich seit 2001 mit den Auswirkungen von Pestiziden auf Mensch, Tier und Umwelt. Brasilien ist mittlerweile der größte Markt der Welt für Pestizide und mittlerweile zweitgrößter Markt für hochgiftige Pestizide, die in der EU und in anderen Teilen der Welt weitgehend verboten sind, berichtete Professor Pedlowski im Stream.
Selbst das Leitungswasser in Brasilien sei mit Pestiziden verseucht, viele Städte würden mit hochgradig pestizidbelastetem Wasser versorgt. „In vielen Teilen Brasiliens gibt es auch viele Fälle von Krebs und anderen Krankheiten, die in direkter Verbindung mit (...) der Verwendung und dem Einsatz von Pestiziden stehen. Ich möchte als Beispiel anführen, dass Dickdarmkrebs unter Tabakarbeitern im Süden weit verbreitet ist“, so Pedlowski im BAYER-Stream.
Brasilien debattiere gerade ein Gesetzesvorhaben, welches Pedlowski als „Giftpaket“ bezeichnet, da es die ohnehin niedrigen Standards der Vermarktung und Produktion in Brasilien weiter absenke. Die Produktion und der Betrieb einiger bekanntermaßen krebserregender Produkte würden durch das „Giftpaket“ erlaubt.
Dieses Paket wird laut Pedlowski durch den Druck von BAYER, BASF, SYNGENTA und anderen forciert. Der Professor fragte daher den Vorstand des Verursachers der Pestizidmisere in Brasilien, was er von der Doppelmoral halte, Pestizide in Brasilien zu verkaufen, die in Europa und den Herstellerländern verboten seien. Zudem wies Pedlowski darauf hin, dass Mais, Papaya und andere Agrarprodukte, die in Brasilien produziert würden, den europäischen Markt mit Rückständen giftiger Pestizide erreichen würden.
Séralini klagt an
Ein dritter internationaler Bündnispartner, den wir für unseren Online-Protest gewinnen konnten, war Professor Gilles Eric Séralini. Als Professor am Fachbereich Biologie der Universität Caen und Co-Direktor des Netzwerks für Risiken, Qualität und nachhaltige Umwelt berichtete er, dass er seit 2005 von MONSANTO heftig angegriffen würde. Dies kann er durch 56.000 Erwähnungen seines Namens in den berühmt-berüchtigten MONSANTO-Papers belegen. Der Grund dafür: Séralini veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchungen, die beweisen und erklären, warum verschiedene Glyphosat- und Nicht-Glyphosat-basierte ROUNDUP-Formulierungen, die BAYER momentan vermarktet, stark toxisch sind. Er erklärte im Stream, dass dies auf Metalle wie Arsen und ätzende Erdöl-Rückstände zurückzuführen ist, die in den Endprodukten nicht deklariert sind. Séralini wurde aufgrund dieser Arbeiten von BAYER auf eine illegale „schwarze Liste“ gesetzt. Der Forscher wollte nun vom Vorstand wissen, ob er sich dieser Praxis bewusst und ob es üblich sei, ForscherInnen zu diskreditieren und anzugreifen, anstatt ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zu respektieren und zu berücksichtigen.
Zudem befragte er den Vorstand zum Fall „Donna Farmer“, die Chef-Toxikologin bei MONSANTO war und nun für BAYER/MONSANTO arbeitet. Diese hatte in firmen-internen Mails, die bei den Glyphosat-Entschädigungsprozessen als Beweis-Material dienten, zugegeben, dass keine Studien zu den Langzeit-Wirkungen des Mittels vorlägen. Auch die Europäische Lebensmitelbehörde EFSA hatte dies jüngst vor 119 europäischen Abgeordneten einräumen müssen. Donna Farmer hielt den MONSANTO-Papers zufolge ebenfalls fest, dass ROUNDUP-Formulierungen giftige Verbindungen wie krebserregende Erdöl-Rückstände enthalten. Am 1. Oktober 2019 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass die gesamten Pestizid-Formulierungen in Langzeitversuchen geprüft werden müssen. Dies hat BAYER bisher nicht getan. Séralini konfrontierte den Vorstand infolgedessen damit, gegen ein Urteil des Gerichtshofes verstoßen zu haben. Neben diesen besonderen Highlights kamen noch viele weitere SprecherInnen zu Wort, deren Statements alle noch nach wie vor auf unserer Homepage unter cbgnetwork.org/HV eingesehen werden können.
Das Fazit: Mit vielfältigen Aktionen gelang es der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wieder einmal eindrucksvoll, die BAYER-Hauptversammlung zu einem Tribunal gegen eine Geschäftspolitik zu machen, die mit ihrer Profit-Gier Mensch, Tier und Umwelt gefährdet.
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