In Oaxaca, einem der ärmsten Bundesstaaten Mexikos, regiert seit Menschengedenken die »Partei der institutionalisierten Revolution«. Doch es hat sich eine Koalition gebildet, der es bei den Wahlen im Juli gelingen könnte, die Macht der korrupten Parteielite zu brechen.
von Knut Henkel
Die Sonne ist gerade aufgegangen über dem Zócalo von Oaxaca de Juárez. Auf dem zentralen Platz der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaats herrscht schon Betrieb. Zwei Männer klettern auf die Bäume und spannen ein rot-weißes Transparent auf. »30 Jahre des Kampfes« und »Gerechtigkeit für unsere Gefallenen« ist darauf zu lesen. Es handelt sich jedoch nicht um Veteranen eines Krieges, die auf sich aufmerksam machen wollen. Die Lehrergewerkschaft CNTE von Oaxaca wirbt für ihre Anliegen, den Kampf für mehr Bildung und die Rechte der Lehrer. Einige Passanten bleiben kurz stehen, um dann weiter zur Arbeit zu eilen.
Auf der anderen Seite des von Gebäuden aus der Kolonialzeit und Säulengängen gesäumten Platzes geht es geruhsamer zu. Dort werden die ersten Touristen mit frischem Milchkaffee versorgt. »Café Pluma« steht auf einem stilvollen Blechschild, das an eine der dicken Säulen gepinnt ist. Die ersten Gäste haben sich in den Schatten zurückgezogen, denn die Sonnenstrahlen tauchen den prächtigen Platz mehr und mehr in gleißendes Licht.
Oaxaca de Juárez ist eines der Zentren des mexikanischen Tourismus. »Ähnlich wie im benachbarten Chiapas sind die Gäste aus der Ferne die wichtigste Einnahmequelle – nach den traditionellen Agrarprodukten«, erklärt Luis Ugartechea. Ein Stockwerk über dem schmucken Café, in dem Gebäck, Softdrinks und alle möglichen Kaffeespezialitäten angeboten werden, betreibt er ein feines Grillrestaurant. Jeden Morgen schaut er bei den Kollegen ein Stockwerk tiefer zum Kaffee vorbei. Auf die heimische Arabica-Bohne, die in der Umgebung der 1 500 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Stadt angebaut wird, schwört der stämmige Unternehmer mit dem hohen Haaransatz. Er plädiert für den gesellschaftlichen Wandel in Oaxaca.
Zwar scheint die Stadt, deren Namen sich auch auf der Unesco-Liste des Weltkulturerbes findet, oberflächlich betrachtet überaus friedlich und beschaulich zu sein, doch das täuscht. »In Oaxaca regiert seit 80 Jahren der Pri, und das nicht gerade mit legalen Mitteln«, sagt Ugartechea, der in Oaxaca geboren wurde. Die drei Buchstaben stehen für Partei der institutionalisierten Revolution, und während der Pri in vielen Bundesstaaten Mexikos und auf föderaler Ebene vor zehn Jahren die Macht abgeben musste, regiert er in Oaxaca noch immer. Luis Ugartechea stammt aus einer Mittelschichtsfamilie, und seit er denken kann, sind es die gleichen Gesichter und Farben, die das politische Leben des Bundesstaates prägen.
»Paternalistische Strukturen, Korruption, und wenn alles nichts hilft, dann eben Gewalt. So lautet das Herrschaftskonzept«, schimpft er. Wie viele andere in Oaxaca hofft Ugartechea, dass am 5. Juli damit endlich Schluss ist. An diesem Tag wird im Bundesstaat gewählt, und der Wahlkampf läuft längst auf Hochtouren. In den vergangenen Monaten ist in Oaxaca de Juárez nahezu jede Straße im Zentrum mit einem neuen Pflaster versehen worden. Öffentliche Gebäude sind frisch gestrichen und Parks hergerichtet worden. Die Regionalfürsten des Pri wollen den Wählern etwas bieten.
Den Touristen, die jetzt in größerer Zahl über den Zócalo spazieren und die Säulengänge rund um den Platz und die Kathedrale bestaunen, wird es gefallen. Doch lange nicht alle sind erfreut über den Renovierungseifer der Pri-Kaziken. »Die sitzen auf einem Wahlkampfetat, der sich gewaschen hat, und die städtische Kosmetik kommt bei den einfachen Leuten gut an«, befürchtet der Unternehmer Ugartechea. Er hofft auf einen Sieg der Opposition und ist auch selbst politisch aktiv. »Die Herrschaft des Pri aus den zu Angeln heben ist unser Hauptziel. Allerdings ist das kein leichtes Unterfangen, denn wir haben kaum Mittel, um Wahlkampf zu machen«, erklärt der 38jährige Familienvater und legt die Stirn in Falten.
Ugartechea gehört dem konservativen Flügel des parteiübergreifenden Oppositionsbündnisses an, das sich auf einen Minimalkonsens geeinigt hat. Die Stärkung der Gemeinden ist dabei ein zentraler Punkt, denn die Stimmen der Landbevölkerung werden darüber entscheiden, wer nach dem 5. Juli die neue Regierung stellt. Diese Ansicht teilt der Bildungsexperte Marcos Leyva Madrid. »In den Dörfern und Gemeinden leben die meisten Menschen im Bundesstaat Oaxaca, und Manipulation bei den Wahlen hat Tradition«, sagt der Geschäftsführer von Educa.
Diese Nichtregierungsorganisation arbeitet mit indigenen Gemeinden und marginalisierten Bevölkerungsschichten in den oft unzugänglichen Dörfern des Bundesstaats. »Wir versuchen, ein Bewusstsein für die eigenen Rechte zu schaffen, und besonders wichtig ist aus unserer Sicht die Arbeit mit den Frauen.« Frauen aus Oaxaca haben in den vergangenen Jahren vermehrt ihre Stimme erhoben, sie beteiligten sich an den Demon strationen und engagieren sich häufig in den neuen Basisorganisationen, die nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land gegründet wurden.
Die Aktivitäten der Frauen »werden oft als Beweis gedeutet, dass die Bevölkerung der selbstherrlichen Pri-Politik überdrüssig ist«, erklärt Leyva. Die Unzufriedenheit ist nichts Neues, denn seit Jahren schwelt der Konflikt zwischen dem Pri-Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz und den sozialen Bewegungen, die sich 2006 in der Versammlung der Völker Oaxacas (Appo) zusammenschlossen. Sie werfen Ruiz vor, durch Wahlbetrug an die Macht gekommen und überaus korrupt zu sein.
Führend in der Appo war im Mai 2006 die regionale Lehrergewerkschaft CNTE, deren Mitglieder für höhere Löhne und eine bessere Ausstattung der Schulen auf die Straße gingen. Gouverneur Ruiz lehnte jedoch Verhandlungen ab und ließ die Versammlung auf dem Zócalo von Oaxaca de Juárez gewaltsam auflösen. Dabei kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Lehrern, die weitere Konflikte nach sich zogen. Mit Demonstrationen, Straßenblockaden und der Besetzung von Gebäuden versuchten die sozialen Bewegungen monatelang, Zugeständnisse zu erzwingen.
»Die Proteste kulminierten am 25. November 2006 in der blutigen Niederschlagung der Blockaden in Oaxaca. Dutzende der Aktivisten wurden ermordet, hunderte gefoltert und rund 500 festgenommen. Von denen kamen die letzten erst im März wieder auf freien Fuß«, erzählt Gabriel Chiñas. Er ist Sekretär der mexikanischen Lehrergewerkschaft SNTE, deren Rechtsabteilung in den vergangenen Jahren damit beschäftigt war, die Gefangenen zu vertreten und vor Gericht für Aufklärung zu kämpfen.
Das ist alles andere als einfach in einem Land, in dem Straflosigkeit bei Gewalttaten gegen Oppositionelle die Regel ist. »Die Verschleppung der Fälle ist dafür genauso charakteristisch wie politische Einflussnahme«, erklärt die Anwältin Alba Cruz. Die agile Frau arbeitet nicht nur für die Gewerkschaft, sondern auch für das Komitee 25. November, das sich für die Freilassung der Verhafteten und die Aufklärung der Geschehnisse rund um den 25. November einsetzt. Das wird nicht überall gern gesehen. Mehrfach wurde die Juristin bedroht, sie erhielt dubiose Anrufe, so dass sie bei wichtigen Terminen derzeit von Freiwilligen der Internationalen Friedensbrigaden (PBI) begleitet wird. Das verschafft ihr etwas mehr Sicherheit. Doch in den ländlichen Regionen des Bundesstaates ist die Situation wenige Wochen vor der Wahl alles andere als einfach. Das zeigte der Angriff auf die Friedenskarawane von San Juan Copola. Die Karawane mit 40 mexikanischen und ausländischen Menschenrechtsaktivisten sollte Lebensmittel in den autonomen Bezirk bringen und die Übergriffe von Paramilitärs dokumentieren. Der Bezirk wird nämlich von der paramilitärischen Organisation Ubisorts abgeriegelt, die wiederum dem Pri nahestehen soll, abgeriegelt. Als die Karawane sich Ende April dem Ort näherte, nahmen die Paramilitärs sie unter Beschuss. Eine Mexikanerin und ein finnischer Menschenrechtler wurden getötet, viele weitere Mitreisende verletzt.
Es handelte sich um einen geplanten und gezielten Angriff, dessen sind sich Alba Cruz und andere Menschenrechtsanwälte sicher. Ein Klima der Angst auf dem Land zu schaffen, könnte dem Pri helfen, die Wahlen doch noch zu gewinnen. In den bisherigen Umfragen liegt die heterogene Oppositionskoalition mit ihrem charismatischen Kandidaten Gabino Cué vorn.
Das hat sie auch den neuen alternativen Medien zu verdanken. Sin Muros ist ein Beispiel dafür. Das Internetradio verbreitet Informationen, die von anderen Medien nicht veröffentlicht werden. »Wir arbeiten professionell, überprüfen unsere Informationen und konnten beispielsweise belegen, dass der ehemalige Medienkoordinator der Regierung eine eigene Zeitung besitzt, die regelmäßig aus der Staatskasse beachtliche Summen erhielt«, sagt Geovany Vásquez Segrero. Der Anwalt ist Quereinsteiger im Mediensektor. Erst durch einen Klienten ist er zum Radio gekommen. Gemeinsam mit Ismael Rivera, einem professionellen Kollegen, und einigen engagierten Freunden hat er den unabhängigen Sender ins Netz gestellt. Dessen Nachrichten werden mittlerweile von acht kommunalen Radios wie Radio Totopo oder Radio Calenda heruntergeladen, übersetzt und in die abgelegenen Regionen Oaxacas übertragen.
»In Oaxaca, aber auch im benachbarten Chiapas sind die kommunalen Radios eine erfolgreiche Informationsalternative«, sagt Geovany Vásquez. Er unterstützt diese neuen Medien nach Kräften, als Anwalt, um Sendelizenzen für die Gemeinden zu erstreiten, und als Journalist, um etwas andere Informationen in den oftmals abgelegenen Dörfern und Gemeinden Oaxacas zu verbreiten. Denn das Gros der traditionellen Medien wird vom Pri kontrolliert. Das zeigt sich schon beim Blick in die Tagespresse, die den amtierenden Gouverneur deutlich öfter erwähnt als den Konkurrenten vom Oppositionsbündnis.
»Bei den Medien wird die Hand aufgehalten, wenn man in die Blätter beziehungsweise über den Äther gehen will«, sagt Vásquez. Das bestätigt auch der Pfarrer Francisco Wilfredo Mayrén Peláez. Er zählt sich zur Opposition, unterstützt die Koalition gegen den Pri und schimpft über die Ausrichtung der Medien: »Wir sind nicht bereit und in der Lage, für Berichterstattung zu zahlen«, erklärt der katholische Geistliche.
Im Hof der Kirche ist gerade der Bio-Wochenmarkt zu Ende gegangen, der jeden Donnerstag stattfindet. Ein gutes Dutzend Verkaufsstände, vom Kaffee- über den Gemüse- bis zum Käsestand, werden allwöchentlich aufgebaut. Der kleine Markt wurde vom Padre initiiert, um den Kleinbauern, die Bio-Produkte anbauen, eine Möglichkeit zu verschaffen, den einen oder anderen zusätzlichen Peso zu verdienen. Er ist gut besucht. Am frühen Nachmittag bauen die Frauen ihre Stände bereits ab, sie haben kaum noch Ware, die sie in ihre Dörfer zurücktransportieren müssen.
Es sind die Frauen, die die Bio-Produkte verkaufen und ihren Familien so neue Lebensmöglichkeiten eröffnen. Das ist typisch für Oaxaca, wo in den vergangenen Jahren immer öfter Frauen auf sich aufmerksam machen. Nicht nur in den politischen Organisationen, wie die Anwältin Alba Cruz oder ihre Kollegin Yesica Sánchez von der Nichtregierungsorganisation Consorico, sondern auch in den Gemeinden. So sind zum Beispiel 32 Prozent derer, die organischen Kaffee anbauen, Frauen, und deren Anteil nimmt auch in anderen Bereichen stetig zu, berichtet der Pfarrer. »Ein Wandel ist auf dem Land in Gange, und wo früher der Pri mit Wahlgeschenken, vom T-Shirt bis zum Kinderspielzeug, punkten konnte, ist das heute nicht mehr ganz so selbstverständlich.«
Zur Popularität der Oppositionskoalition haben die unabhängigen Lokalradios einiges beigetragen, die Informationen über das oppositionelle Bündnis und über die Machenschaften des Pri senden. Der Erfolg wird auch dadurch begünstigt, dass das breite Bündnis von Geistlichen wie Padre Francisco Wilfredo Mayrén Peláez und von zahlreichen sozialen Organisationen unterstützt wird. Zusätzlichen Auftrieb hat die Koalition nach der Vorstellung einiger politischer Forderungen erhalten, vor allem wegen der Ankündigung, mehr in die ländlichen Regionen zu investieren.
Diese Regionen sind über Jahrzehnte vernachlässigt worden, viele Dörfer kann man nur über holperige Pisten erreichen. Das ist nicht nur in Oaxaca der Fall, sondern auch in Guerrero und Chiapas, die ebenfalls zu den ärmsten Bundesstaaten Mexikos gehören. Dort ist die staatliche Infrastruktur vor allem auf dem Land überaus dürftig. »An Schulen, Gesundheitsposten und Straßen mangelt es, und das ist auch eine der Gründe für das Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land«, erklärt Gabriel Chiñas. Viele seiner Kollegen plädieren ebenfalls für den politischen Wandel, auch das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor in den ländlichen Regionen, die früher als Stammland des Pri galten. Allerdings ist Chiñas ebenso wie dem Unternehmer Luis Ugartechea klar, dass ein Wahlsieg alles andere als selbstverständlich ist. Denn die Macht der lokalen Pri-Kaziken ist nach wie vor groß, der Parteiapparat bleibt einflusreich, und im Rest des Landes kann der Pri sogar erhebliche Zuwächse verzeichnen.
Auch das ist für Luis Ugartechea ein Grund dafür, die Chance bei den diesjährigen Wahlen unbedingt zu nutzen. Der Anhänger des konservativen Pan ist sich bewusst, dass die Gegensätze in der Koalition groß sind. »Doch zum politischen Wechsel gibt es keine Alternative, und nur gemeinsam können wir gegen den Pri bestehen«, argumentiert der Gastronom und lässt den Blick über den Zócalo seiner Heimatstadt gleiten. Über den Platz stolziert gerade eine Reisegruppe, die sich an der intakten Kolonialarchitektur erfreut und von den Auseinandersetzungen hinter den Fassaden der Altstadt wohl nichts mitbekommt.
http://jungle-world.com/artikel/2010/25/41182.html
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