Montag, 21. Oktober 2024

Absurder „Verdacht auf Paralleljustiz” bei Hamburger PKK-Prozess

In Hamburg ist das PKK-Verfahren gegen den kurdischen Aktivisten Kadri Saka fortgesetzt worden. Ein Beamter des LKA Bremen brillierte mit Ausführungen zu einer Streitschlichtung, die Ergebnis einer „Paralleljustiz der PKK“ sein soll. Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) Hamburg ist der Prozess gegen Kadri Saka fortgesetzt worden. Dem 58-jährigen Familienvater aus Bremen wird von der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg nach §§129a/b StGB eine mitgliedschaftliche Betätigung für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) von Dezember 2018 bis zu seiner Festnahme im Januar 2024 vorgeworfen. Der Prozess wurde am 15. Juli eröffnet. Der folgende Artikel bezieht sich auf den zehnten und elften Prozesstag. Verhandlungstag: Existenz und Ausgestaltung der PKK Der Zeuge Scholand, Beamter beim BKA Meckenheim, referierte am 30. September vor dem OLG aus einem Vermerk zur Geschichte der PKK, basierend auf „gerichtsbekannten“ festgeschriebenen Feststellungen aus diversen OLG-Urteilen in den §129b-Verfahren gegen sogenannte PKK-Kader. Die Ladung wurde angeordnet in Bezug auf die Aussage von Kadri Saka aus einem der ersten Verhandlungstage, an dem er sagte, dass die PKK keine Organisation, sondern eine Ideologie sei. Der Beamte sprach über Guerillaaktivitäten gegen Strukturen des türkischen Staates in den 1980er Jahren, sowie über die Umstrukturierung der PKK in Bezug auf das Paradigma des Demokratischen Konföderalismus. Demnach würde die PKK innerhalb ihres Dachverbands KCK als „ideologische Kraft und Staatsorganisation” fungieren, als Organisation jedoch weiter bestehen. Scholand berichtete, dass bei den Verhaftungen von Mustafa Çelik und Özgür Aydin im großen Umfang Dokumente beschlagnahmt wurden, die diese Annahme bestätigen würden. Er ging auch auf die Rolle von Abdullah Öcalan ein. Verhandlungstag: Vorladung des LKA Bremen Am 4. Oktober, dem mittlerweile elften Prozesstag, wurde der Zeuge Dudeck angehört. Seit 2018 ist der LKA-Beamte im Bereich „politisch motivierte Ausländerkriminalität” tätig und behandelt sowohl sogenannte Propagandadelikte als auch größere Strukturverfahren. In Bremen ist er insbesondere für Fälle im Zusammenhang mit der PKK zuständig. Wie ist das LKA Bremen auf Saka aufmerksam geworden? Dudeck bestätigte eine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz, welcher den in Bremen ansässigen kurdischen Verein Biratî e.V. als Zentralorgan der PKK in Bremen und Bremerhaven einordnet. Erkenntnisse zu Kadri Saka habe er aus den Verfahren wegen des Gebietsleitervorwurfs gegen Mustafa Çelik und Mehmet Çakas. Aus der Telekommunikationsüberwachung sei deutlich geworden, dass die vermeintlichen Gebietsleiter Saka Aufträge erteilt hätten und er diese ausgeführt habe. Frontarbeitervorwurf Dudeck bezeichnet Saka im Versuch, die Strukturen und Hierarchien von Biratî zu durchleuchten, als „Frontarbeiter“ der PKK. Nach den Schlussfolgerungen des Beamten sei der Frontarbeiter den sogenannten Gebietsleitern hierarchisch untergestellt. Der Frontarbeiter würde jedoch Aufgaben des Gebietsleiters umsetzen und ihn in seinen Vorhaben unterstützen. Besonders die „lokale Expertise” des Frontarbeiters sei in seiner Funktion relevant. Durch verschiedene Beweissicherungen wie Listen mit Arbeitsanweisungen von Gebietsleitern sowie Material aus der Telekommunikationsüberwachung sollte Sakas Position als angeblicher Frontarbeiter belegt werden. Seine Stellung sei außerdem zu erkennen, da „jeder Kurde in Bremen ihn kennt”. Er sei auf jeder PKK-nahen Veranstaltung präsent. Nur die Art und Weise der Durchführung sei dabei ihm überlassen, behauptete Dudeck. Der Sachverständige Scholand konnte den Begriff „Frontarbeiter” am vorherigen Prozesstag nicht einordnen. Mit dieser Behauptung als Grundlage für die Ermittlungen gegen Saka ordnete Dudeck im Laufe des Verfahrens jegliche gegenstandslos erscheinenden Vorwürfe gegen den Angeklagten in einen kriminalisierenden und skandalisierenden Kontext ein. Der LKA-Beamte wirkte in seiner Erklärung über das Ermittlungsverfahren der letzten Jahre fast verzweifelt in dem Versuch, durch Bagatelldelikte Sakas Schuld und Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung zu beweisen. Schon bei einem früheren Prozesstag hatte die Verteidigung moniert, dass eine „Kriminalisierung von einfachen Leuten, die sehr einfache Sachen machen“ stattfinde. Das wurde auch jetzt wieder stark deutlich. Absurder „Verdacht auf Paralleljustiz” Bei dem Versuch, Kadri Saka in den Zusammenhang mit seiner spekulierten Position als Frontarbeiter zu bringen, wurden jegliche Bagatelldelikte zur Beweislage herangezogen. Zunächst wurde von Sakas streitschlichtender Funktion gesprochen. Personen, die involviert in Konflikte gewesen seien, würden in den Biratî-Verein „vorgeladen” und es bestehe die Vermutung, dass auch Geld fließe, um Konflikte zu klären. Konkret handelte es sich bei dem Vorwurf einer „Paralleljustiz“ einerseits um eine Messerstecherei im Zuge einer Kundgebung vor einigen Jahren und eine Streitschlichtung durch Saka in einer Bäckerei, ebenfalls im Zuge eines Messerangriffes. Nach der Situation bei der Kundgebung hätte die attackierte Person, die als „Provokateur“ bezeichnet wurde, nicht einmal eine Speichelprobe bei der Bremer Polizei abgeben wollen. Außerdem soll die Person gesagt haben, die Sache würde schon „geregelt” werden. Daraufhin setzte das LKA Bremen eine Telekommunikationsüberwachung auf Saka an und ermittelte wegen des Verdachts auf eine sogenannte Paralleljustiz. Durchführung PKK-naher Veranstaltungen Als nächstes wurde von der Durchführung von Veranstaltungen „im direkten Auftrag der PKK“ gesprochen. Die Veranstaltungsplanungen seien immer abhängig vom Geschehen im Krisengebiet, so der Zeuge. „Dann agiert die PKK”, meinte Dudeck. Gemeint waren auf Nachfrage der Richterin etwa die Organisierung einer Busfahrt nach Straßburg anlässlich einer Demonstration zum Jahrestag der Verschleppung Abdullah Öcalans sowie die Durchführung mehrerer Kundgebungen, etwa gegen Angriffe der türkischen Armee auf die Zivilbevölkerung in Rojava oder den vermeintlichen Militärputsch in der Türkei. Spendensammeln Detailliert beleuchtet wurde beim letzten Verhandlungstag auch der Ablauf von Spendensammlungen. Es wurden Quittungen mit Slogans wie „Kampf gegen die Besatzung” gezeigt und Spendenabgabeorte erwähnt. „Jeder Kurde muss zahlen”, behauptete Dudek verstanden zu haben. Er bezeichnete die Spendengelder auch als eine Art Schutzgeld. Kadri Saka sei für die Koordination der Spendenkampagne zuständig gewesen. Sowohl Telefonate als auch Textnachrichten wurden dabei in ein besonders böses Licht gestellt; Saka wurde als Person umschrieben, vor der man sich fürchten müsse, wenn man nicht zahle. Die Verteidigerin beleuchtete später Sakas soziale und selbstlose Persönlichkeit und das Vertrauen, was die Menschen in Bremen in ihn haben. Politische Betätigung Darüber hinaus warf Dudeck dem Angeklagten politische Einflussnahme in Bezug auf die Bürgerschaftswahlen in Bremen im Jahr 2021 vor. Diese sei mit Beweismitteln unterlegt, etwa Screenshots und Spendenquittungen. Die Einordnung der politischen Einflussnahme stand dabei im Gegensatz zur Aussage von Scholand vom vorherigen Verhandlungstag. Dieser bezeichnete die Tätigkeit als klassische Lobbyarbeit. Während der Verhandlung wurde außerdem Bezug genommen auf einige Bilder, die auf Sakas Handy zu sehen gewesen seien, in welchen er in Militäruniform und Waffe zu sehen sei. Scholand ordnete das Bild so ein, dass das Zeigen von Waffen auf Bildern in der Regel nur zum Zweck des Posierens diene. Dudeck dagegen sprach davon, dass die vielen Bilder eindeutig auf die ideologische Prägung des Angeklagten hin zur PKK hinweisen würden. Subjektive Schlussfolgerungen statt Tatsachen Besonders zu bemerken war die Missgunst Dudecks in seinem Versuch, Saka als schwerkriminellen Bösewicht darzustellen. Einer Objektivität bemühte er sich nicht und ordnete alle Beobachtungen und Hinweise in die Kontexte einer Illusion ein, die er zu kreieren versuchte. Häufig verwies er auf die Aktenlage, da er sich nicht mehr erinnern könnte oder sein Arbeitsanteil an dem Fall zu gering sei, um eine Meinung zu etwas zu haben. Er wirkte dabei höchst unprofessionell. Mehrere Nachfragen der Verteidigerin, etwa ob er von sonstigen stattfindenden Aktivitäten im kurdischen Verein oder über Sakas moralische Haltung wüsste, konnte Dudeck nicht antworten. Auch gab er preis, dass bei den genannten Bagatelldelikten keine Einordnungen vorgenommen werden würden über die politische Motivation der Beteiligten und ob es sich beispielsweise um Provokationen durch türkische Faschisten handelt. Auf die Frage, welchen Schwerpunkt die Kundgebung gegen die Angriffe der türkischen Besatzung gehabt habe, antwortete er: „Da müssen sie die Versammlungsteilnehmer fragen.” Die Verteidigerin erkannte den Witz der Lage und fragte ihn, ob es vielleicht einen Aufruf zum bewaffneten Kampf durch Saka geben würde, was Dudeck sichtlich beschämt verneinte. Eine etwas amüsierte Stimmung kam außerdem im Zuschauerraum auf, als Dudeck nicht im Ansatz erklären konnte, was das Wort „Heval” bedeutet. Mit dem elften Prozesstag ist damit die Beweislage und Vorladung von Zeugen abgeschlossen. Am folgenden Prozesstag soll es zu einer Einlassung zur Biographie Sakas kommen. Das Gericht seinerseits möchte außerdem bekanntgeben, welche Vorwürfe es wegen Geringfügigkeit oder zu geringer Beweislage einstellen will. Nächste Prozesstage: Mittwoch, 9.10.2024 um 10:30 Uhr Donnerstag, 10.10.2024 um 10:30 Uhr Dienstag, 5.11.2024 um 10:30 Uhr Donnerstag, 7.11.2024 um 13:00 Uhr Montag, 11.11.2024 um 13:00 Uhr Freitag, 15.11. um 10:30 Uhr Dienstag, 19.11. um 10:30 Uhr https://anfdeutsch.com/aktuelles/absurder-verdacht-auf-paralleljustiz-beim-hamburger-pkk-prozess-43850 Schlagwörter: §129b Prozess, Kadri Saka, PKK

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