Donnerstag, 23. März 2023

[IMI-List] [0629] Analysen: Ukraine-Ausbildung in Deutschland / Pipelines / Ukraine: Waffen statt Verhandlungen

---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0629 .......... 26. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, der Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine steht kurz bevor – auch die IMI wird sich an mehreren Veranstaltungen beteiligen (siehe: https://www.imi-online.de/2023/02/20/aktionen-zum-jahrestag-des-ukrainekriegs/). Außerdem findet sich in dieser IMI-List 1.) ein Artikel, an welchen Orten in Deutschland ukrainische Soldat*innen für den Ukraine-Krieg ausgebildet werden; 2.) Hinweise auf weitere kürzlich erschienene Artikel, u.a. zur Frage der Sprengung von North-Stream 2 und der Debatte um Verhandlungen bzw. Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg. Außerdem sind in letzter Zeit eine Reihe von Cartoons rund um die Themen Krieg und Aufrüstung entstanden, die wir soeben ebenfalls zur freien Verfügung online gestellt haben (weitere folgen in nächster Zeit). 1.) Neue Artikel auf der IMI-Homepage IMI-Analyse 2023/08 Der Ukraine-Krieg Vorgeschichte – Verlauf – Interessen – Waffen! https://www.imi-online.de/2023/02/22/der-ukraine-krieg/ Jürgen Wagner (22. Februar 2023) IMI-Mitteilung Cartoons gegen Krieg und Aufrüstung https://www.imi-online.de/2023/02/22/cartoons-gegen-krieg-und-aufruestung/ (22. Februar 2023) IMI-Analyse 2023/07 [siehe komplett weiter unten] Trainings-Hub Deutschland Ausbildung ukrainischer Soldat*innen vor unseren Haustüren https://www.imi-online.de/2023/02/21/trainings-hub-deutschland/ Martin Kirsch (21. Februar 2023) IMI-Standpunkt 2023/006 Hershs Pipeline-These Diskussion bislang unzureichend, Skepsis scheint (immer) angebracht https://www.imi-online.de/2023/02/17/hershs-pipeline-these/ Bernhard Klaus (17. Februar 2023) IMI-Standpunkt 2023/007 Die Mär von 70 Jahren Frieden Europa Friedenspolitisches Denken in Zeiten kriegerischer Geschichtsausblendung https://www.imi-online.de/2023/02/20/die-maer-von-70-jahren-frieden-europa/ Jens Wittneben (20. Februar 2023) Pressebericht - in: Neues Deutschland, 19.2.2023 100 Milliarden für den Klimaschutz statt für Aufrüstung? Aktionsbündnis gegen die Sicherheitskonferenz bringt 5000 Menschen auf die Straße https://www.imi-online.de/2023/02/19/100-milliarden-fuer-den-klimaschutz-statt-fuer-aufruestung/ (19. Februar 2023) IMI-Analyse 2023/06 Sahel Neue Allianzen, neue Missionen https://www.imi-online.de/2023/02/16/sahel/ Christoph Marischka (16. Februar 2023) Dokumentation Rezension: „Im Rüstungswahn“ https://www.imi-online.de/2023/02/10/rezension-im-ruestungswahn/ (10. Februar 2023) IMI-Standpunkt 2023/005 Ukraine-Krieg: Argumente gegen ein Sondertribunal https://www.imi-online.de/2023/02/10/ukraine-krieg-argumente-gegen-ein-sondertribunal/ René Jokisch (10. Februar 2023) IMI-Standpunkt 2023/004 EDIRPA: Nächster Illegaler EU-Rüstungstopf in der Mache https://www.imi-online.de/2023/02/09/edirpa-naechster-illegaler-eu-ruestungstopf-in-der-mache/ Jürgen Wagner (9. Februar 2023) IMI-Standpunkt 2023/003 Papstbesuch erinnert: Grenzziehungen galten mal als Friedenslösung https://www.imi-online.de/2023/02/06/papstbesuch-erinnert-grenzziehungen-galten-mal-als-friedensloesung/ Bernhard Klaus (6. Februar 2023) 2.) IMI-Analyse: Training für den Ukraine-Krieg IMI-Analyse 2023/07 Trainings-Hub Deutschland Ausbildung ukrainischer Soldat*innen vor unseren Haustüren https://www.imi-online.de/2023/02/21/trainings-hub-deutschland/ Martin Kirsch (21. Februar 2023) „Die Ukraine braucht jede Unterstützung und die Leopard-Panzer [...] können eine wichtige Rolle in dem Kampf der Ukrainer gegen den Aggressor Russland spielen. Und deswegen versteht am Ende jeder, dass das passieren muss“, diktierte der frisch gebackene Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Truppenbesuch in Augustdorf am 1. Februar 2023 in die Mikrofone.[1] Eine Woche später reiste er nach Kiew. Neben der Ankündigung, die Ausfuhr von weit über 100 Kampfpanzern des älteren Typs Leopard 1 zu genehmigen, ging der Minister in seinem Statement in der ukrainischen Hauptstadt allerdings auf einen anderen Aspekt der deutschen Waffenhilfe ein.[2] Er berichtete von einem Treffen mit ukrainischen Panzerbesatzungen, die er bei einer Verabschiedungszeremonie in Kiew getroffen hatte. Er habe in „sehr, sehr ernste Gesichter gesehen. In Gesichter die geprägt sind von Erfahrungen an der Front und von der Sorge, was die Zukunft bringen mag.“ Gleichzeitig habe er aber auch „sehr entschlossene Gesichter gesehen“.[3] Die Panzerbesatzungen machten sich im Anschluss an das Treffen mit Pistorius auf den Weg nach Deutschland, um dort ihre Ausbildung an den modernen Kampfpanzern des Typs Leopard 2 A6 zu beginnen. Neben der direkten Waffenhilfe für die Ukraine hat in den letzten Monaten die militärische Ausbildungshilfe zunehmend an Bedeutung gewonnen. Längst geht es nicht mehr nur darum, die Empfänger*innen der Waffen für deren Nutzung zu schulen. Sowohl die Europäische Union als auch Großbritannien und die USA sind zwischen Herbst 2022 und Anfang 2023 dazu übergegangen ganze Kampfverbände in europäischen Staaten auszubilden. Von dort aus ziehen die ukrainischen Truppen dann frisch geschult und ausgerüstet wieder in die Kriegsgebiete in der Südostukraine. Das dafür nötige Training tausender ukrainischer Soldat*innen findet auch an diversen Militärstandorten in Deutschland statt – direkt vor unseren Haustüren. Ausbildungshilfe als Kriegsbeteiligung? Im Frühjahr 2022 wurde in Politik und Medien darüber gestritten, ob überhaupt schwere Waffen aus Deutschland an die Ukraine geliefert werden sollten. In dieser mit harten Bandagen geführten Debatte spielten neben der Komplexität der Ausbildung an westlichen Waffensystemen auch die politischen Implikationen möglicher Trainingsmissionen eine zentrale Rolle. Dazu legte der überparteiliche Wissenschaftliche Dienst des Bundestages Mitte März 2022 ein Gutachten zu „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten“ vor. Dort argumentierten die Wissenschaftler*innen, dass die Lieferung auch schwerer Waffen an sich keine Kriegsbeteiligung bedeuten würde. „Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.“[4] Diverse Mitglieder der Bundesregierung reagierten auf die daraus entstehenden Fragen schlicht mit der mantraartigen Wiederholung der Aussage, Deutschland werde weder durch Waffenlieferungen noch durch Ausbildung an diesen zur Kriegspartei. Dass es mit dem Völker- und Kriegsrecht so einfach nicht ist, machte Christian Schaller, Jurist und Senior Fellow der vom Kanzleramt bezahlten Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik, in einer am 9. Februar 2023 veröffentlichten Ausarbeitung zu „Waffenlieferungen an die Ukraine“ deutlich.[5] Schaller schreibt darin von relevanten „Grauzonen“ in den Bereichen vor einer juristisch eindeutigen Kriegsbeteiligung. Zudem widerlegt er bereits in der Einleitung eine häufig genutzte Rechtefertigungsformel: „Falsch ist daher der Schluss, man werde deshalb nicht Kriegspartei, weil man die Ukraine dabei unterstütze, sich gegen einen Aggressor in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu verteidigen.“[6] Zudem stellt Schaller die Frage, inwiefern die Waffenlieferungen und Ausbildungshilfen von EU- und NATO-Staaten bereits an der Grenze der indirekten Gewaltausübung kratzen – sie möglicherweise sogar überschreiten: „Eine Konfliktpartei zu unterstützen führt nach Ansicht des IKRK [Internationales Komitee des Roten Kreuz] zur Beteiligung an den Feindseligkeiten, wenn dies unmittelbar zur Schädigung des Gegners beiträgt (oder zumindest objektiv geeignet und darauf ausgelegt ist, dazu unmittelbar beizutragen). Ob das Kriterium der Unmittelbarkeit erfüllt ist, kann davon abhängen, wie der Empfängerstaat von der Unterstützung Gebrauch macht. Wird der Beitrag direkt in eine konkrete militärische Operation integriert, ist ein unmittelbarer Zusammenhang gegeben.“[7] Andere von Schaller zitierte juristische Meinungen ziehen die Grenzen erst dann, wenn der waffenliefernde Staat auch koordinierend in die Kampfhandlungen eingreift. „Werden Waffen aber gewissermaßen direkt auf das Schlachtfeld geliefert, damit sie dort unmittelbar zum Einsatz gebracht werden, rückt eine Konfliktbeteiligung näher. Werden zudem Mitglieder derjenigen Einheiten, die ein Waffensystem benutzen sollen, von den Partnerstaaten in Crashkursen instruiert, wie das betreffende System zu bedienen ist, und wird versucht, dadurch rasch Gefechtsfähigkeit zu gewährleisten, spricht dies in der Gesamtschau ebenfalls dafür, dass zwischen den erbrachten Unterstützungsleistungen und der beabsichtigten Schädigung des Gegners ein unmittelbarer Bezug besteht.“[8] Nach der Auffassung Schallers ist die Frage der Kriegsbeteiligung damit hochkomplex und keinesfalls beantwortet. Wie nassforsch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock allerdings mit der brisanten Frage einer deutschen Kriegsbeteiligung umzugehen pflegt, machte sie in einem Statement vor dem Europarat am 23. Januar 2023 deutlich. Dort ließ sie mit Blick auf die aufgeheizte Debatte über die Deutsche Rolle bei der Lieferung westlicher Kampfpanzer verlauten: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.“[9] Kurz darauf erklärte die Pressestelle des Auswertigen Amtes erneut, dass Deutschland keine Konfliktpartei sei. Dieser offensichtliche Widerspruch veranlasste eine Sprecherin des russischen Außenministeriums nach Aufklärung über die tatsächliche Position der Bundesregierung zu fragen. Wie eben diese Bundesregierung im Angesicht der Ankündigung massiver Panzerlieferungen in die Ukraine und der bereits begonnenen Ausbildung ukrainischer Soldat*innen an diesen Waffensystemen in Deutschland sicherstellen will nicht über die besagte juristische Grauzone hinauszuschießen, bleibt währenddessen völlig offen. Allen Zweifeln zum Trotz – Ausbildung durch die Bundeswehr Nach einer zermürbenden Diskussion im Frühjahr 2022, in der das Kriegsgeschrei von der CDU, aus der Regierungskoalition, von Militärexpert*innen und auch von diversen Journalist*innen nicht zu überhören war, knickte der zuvor skeptische Bundeskanzler Olaf Scholz Ende April ein. Am Rande des ersten Treffens der Ramstein-Kontaktgruppe am 26. April 2022 verkündete Verteidigungsministerin Christine Lambrecht die Lieferung von Flugabwehrkanonenpanzern des Typs Gepard an die Ukraine.[10] Zehn Tage später wurde die Entscheidung öffentlich, sieben Panzerhaubitzen aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine zu liefern.[11] Bereits am 10. Mai 2022 landeten rund 100 ukrainische Soldat*innen mit einer Militärmaschine in Rheinland-Pfalz.[12] Am Folgetag startete in der Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein in der Pfalz die gemeinsame deutsch-niederländische Ausbildung an der Panzerhaubitze 2000.[13] Weitere Ausbildungsteile für die Wartungsteams fanden an zwei Standorten der Technikschule des Heeres in der Region Aachen statt.[14] Am 20. Mai 2022 meldete der Spiegel, in Kürze solle auch die gemeinsame Ausbildung von Industrie und Bundeswehr am Flugabwehrpanzer Gepard beginnen. Als Ausbildungsort wurde der Luft-Boden-Schießplatz der Bundeswehr in Putlos und seine Außenstelle in Todendorf an der holsteinischen Ostseeküste genannt.[15] Ende August zeigte sich Kanzler Scholz dort in zuvor unbekannter Pose, indem er während eines Besuchs bei ukrainischen Auszubildenden auf einem Flugabwehrpanzer herumkletterte.[16] In der Generaldebatte im Bundestag verkündete Scholz zudem am 1. Juni 2022 die geplante Lieferung von Flugabwehrraketensystemen IRIS-T SLM und eines Artillerieortungsradarsc COBRA durch die deutsche Rüstungsindustrie.[17] Zudem häuften sich am selben Tag die Meldungen, dass auch Raketenartilleriesysteme des Typ MARS II aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine geliefert werden sollen.[18] Ende Juni 2022 kündigte Verteidigungsministerin Lambrecht an, dass die Ausbildung am Raketenartilleriesystem MARS II Anfang Juli beginnen werde.[19] Auch hier ist davon auszugehen, dass die Schulungen in der Artillerieschule in Idar-Oberstein stattfinden. Nicht nur das mediale Interesse an Ausbildungsstandorten in Deutschland ist hoch. Ende August 2022 berichtete der Spiegel über den Verdacht des Militärgeheimdienstes MAD, dass die Kasernen der Bundeswehr in Idar-Oberstein und der US Army in Grafenwöhr, in denen ukrainische Soldat*innen an westlichen Artilleriesystemen ausgebildet werden, ausspioniert worden sein könnten.[20] Anfang Oktober berichtete Business Insider zudem über Drohnennüberflüge über dem Truppenübungsplatz Wildflecken an der Grenze zwischen Bayern und Hessen.[21] In diesem Zuge wurde auch bekannt, dass die Bundeswehr dort ukrainische Soldat*innen an den gepanzerten Radfahrzeugen des Typ Dingo ausbildet, die in die Ukraine geliefert werden sollen. Zudem fanden und finden Spezialausbildungen an Standorten der Bundeswehr statt. So halten sich beispielsweise seit September 2022 ukrainische Entschärfer*innen für Fortbildungen in der Kampfmittelabwehrschule der Bundeswehr in Stetten am Kalten Markt auf der Schwäbischen Alb auf.[22] Die dort stattfindende deutsch-niederländische Spezialausbildung ist ein Baustein, der ab Mitte November in eine größere EU-Ausbildungsmission überführt wurde. EU-Trainingsmission EUMAM Ukraine Bereits im Juli 2022 startete Großbritannien als erster NATO-Staat mit der systematischen, massenhaften Ausbildung ukrainischer Wehrpflichtiger und Soldat*innen. Im Rahmen der sogenannten Operation Interflex sollen alle vier Monate je 10.000 ukrainische Soldat*innen ausgebildet werden. Das Spektrum reicht von der Grundausbildung über die Gefechtsausbildung bis zur Ausbildung von Führungskräften. Unterstützt wird die britische Armee dabei von Ausbilder*innen aus Australien, Neuseeland, Kanada sowie acht EU-Staaten, darunter auch Deutschland. Bis zum 11. November 2022 sollen in diesem Rahmen bereits 7.400 Ukrainer*innen das Trainingsprogramm durchlaufen haben.[23] Wenige Tage später, am 15. November, startete eine umfassende Ausbildungsmission der EU.[24] Der entsprechende Beschluss zur Einrichtung der EU Military Assistance Mission (EUMAM) Ukraine fiel bereits einen Monat zuvor, am 17. September 2022, im Rahmen eines EU-Rats-Treffens der Staats- und Regierungschef*innen in Luxemburg.[25] EUMAM Ukraine fügt sich in eine lange Liste militärischer Ausbildungsmissionen der Union ein, ist allerdings die größte und bisher einzige Mission, die ausschließlich auf dem Boden von EU-Staaten stattfindet. Mit einer Laufzeit von zwei Jahren wurde vorerst eine Ausbildungskapazität von 15.000 ukrainischen Soldat*innen verkündet.[26] In einem Bericht des Nachrichtenportals Bruxelles2[27] wurden zudem weitere Zahlen genannt. So plane Deutschland rund 5.000 ukrainische Soldat*innen auszubilden, während Spanien und Frankreich Trainingskapazitäten für 2.400 bzw. 2.000 Ukrainer*innen anbieten würden. Über weitere Beiträge, beispielsweise von Polen wurden keine Zahlen bekannt. Während des EU-Ukraine-Gipfels am 1. Februar 2023 wurde die Gesamtzahl der Auszubildenden im Rahmen von EUMAM Ukraine auf insgesamt 30.000 verdoppelt. Laut dem Nachrichtenportal Bruxelles2 war die Verdopplung von Beginn an geplant, aber nicht offiziell bekannt gegeben worden.[28]Aufgrund von anfänglichen politischen Unstimmigkeiten zwischen Polen und Deutschland über die Führung von EUMAM wurde ein zweistufiges Führungssystem eingerichtet. Der Oberbefehl über die Gesamtmission liegt in Brüssel bei Vize-Admiral Hervé Bléjean. Der französische Dreisternegeneral ist zugleich Direktor des Militärischen Planungs- und Durchführungsstabs des Europäischen Auswertigen Dienstes und damit höchstrangiger EU-Militär. Für die Koordination der praktischen Umsetzung sind zwei nachgeordnete Hauptquartiere zuständig. Unter polnischer Führung ist das Combined Arms Training Command (CAT-C) in Żagań für alle Ausbildungsgänge in Polen und weiteren EU-Staaten zuständig, während das von der Bundeswehr geführte Special Training Command (ST-C) sich auf die Ausbildung in Deutschland beschränkt. Beide Kommandos sind multinational aufgestellt und speisen sich aus Offizier*innen der 18 beteiligten EU-Staaten. So wird das ST-C in Strausberg bei Berlin vom deutschen Dreisternegeneral, Andreas Marlow, und einem niederländischen Stellvertreter[29] geführt. Während Frankreich beispielsweise 150 Ausbilder*innen nach Polen entsendet[30], um dort ukrainische Soldat*innen zu trainieren, haben rund die Hälfte der beteiligten Staaten die Entsendung von Ausbilder*innen nach Deutschland angekündigt – darunter die Niederlande und Belgien.[31] Deutscher Beiträge zu EUMAM Ukraine Mit der Ankündigung der EU-Ausbildungsmission EUMAM legte das deutsche Verteidigungsministerium eine Liste mit den geplanten Beiträgen der Bundeswehr vor.[32] Für die „Unterstützung der Mission bei der militärstrategischen Planung“ wird Personal aus dem Multinationalen Kommando Operative Führung der Bundeswehr in Ulm nach Brüssel entsandt.[33] Zudem stellt die Bundeswehr Räume und Personal des Kommando Heer in Strausberg bei Berlin für das bereits genannte Special Training Command. Das Gefechtssimulationszentrum[34] in Wildflecken zwischen Würzburg und Frankfurt ist der einzige Standort der Bundeswehr, an dem die Technik für die gelisteten „Gefechtsstandübungen durch Computersimulationen“ für einen Brigadestab und die nachgeordneten Bataillonsstäbe vorhanden ist. Die „Gefechtsausbildung bis Kompanieebene“ wird mindestens in Teilen am Gefechtsübungszentrum (GÜZ)[35] in Letzlingen bei Magdeburg stattfinden. Wie der ST-C-Kommandeur Andreas Marlow in einem von der Medienabteilung der Bundeswehr durchgeführten Interview bekanntgab,[36] soll für die Gefechtsausbildung das laserbasierte Ausbildungssystem namens AGDUS genutzt werden, das ausschließlich im GÜZ vorhanden ist. Darüber hinaus ist die „Ausbildung an abgegebenem Material in enger Kooperation mit der Industrie, so etwa die Ausbildung der Besatzungen, Ausbildung im taktischen Einsatz [sowie die] Ausbildung in der Wartung“ geplant. In diesem Rahmen wird die bereits seit Mai 2022 laufende Ausbildung an deutschen Waffensystemen in die EU-Mission integriert. Die im Januar bzw. Februar 2023 angelaufene Ausbildung an den Schützenpanzern Marder[37] und den Kampfpanzern Leopard 2 A6[38] findet in der Panzertruppenschule des Heeres in Munster in der Heide zwischen Hamburg und Hannover statt. Dort sind neben eine Panzerfahrschule auch diverse Ausbildungssimulatoren vorhanden. An der Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein in der Pfalz wird die Ausbildung an Artilleriesystemen wie der Panzerhaubitze 2000 fortgeführt. Zudem ist davon auszugehen, dass für die besagte „Ausbildung in der Wartung“ die Technikschule des Heeres[39] mit mehreren Standorten rund um Aachen weiterhin aktiv beteiligt ist. Im Bereich der Bodengebundenen Luftverteidigung liefert die Bundeswehr neben weiteren Gepard-Flugabwehrpanzern und Flugabwehrraketensystemen IRIS-T aus Beständen der Rüstungsindustrie nach einem Beschluss vom 5. Januar 2023 auch das weitreichenden Flugabwehrraketensystem Patriot aus Beständen der Bundeswehr.[40] Während die Ausbildung an Gepard und IRIS-T vermutlich weiter in Putlos und Todendorf an der holsteinischen Ostseeküste stattfindet, wird der Ort der Ausbildung am Waffensystem Patriot, die Anfang Februar 2023 begonnen hat,[41] geheim gehalten. Es ist aber davon auszugehen, dass die Trainings in Husum am erst kürzlich aus den USA nach Schleswig-Holstein umgezogenen Aus- und Weiterbildungszentrum der Flugabwehrtruppe der Luftwaffe stattfinden.[42] Der Standort für die von der Bundeswehr angekündigte „Spezialausbildung für [...] Spezialkräfte“ ist ebenfalls nicht bekannt. Praktisch kommen allerdings fast ausschließlich das Ausbildungszentrum Spezielle Operationen,[43] mit dem angegliederten International Special Training Center[44] in Pfullendorf nahe des Bodensees sowie der Ausbildungsstützpunkt Spezialkräfte Heer[45] in der Kaserne des Kommando Spezialkräfte in Calw im Schwarzwald in Frage. Über die konkreten Ausbildungsgänge hinaus hat sich die Bundeswehr auch der „Ausbildung der Ausbilder“ verschrieben. Darunter fällt das Training ukrainischer Ausbilder, die dann wiederum eigenständig die militärische Grundausbildung auch in der Ukraine durchführen können sollen.[46] Des Weiteren ist die „Ausbildung von Gruppenführern“ geplant.[47] In diesem Rahmen sollen 600 ukrainische Soldat*innen eine Schulung zum Feldwebel durchlaufen.[48] Organisiert von der Unteroffiziersschule des Heeres[49] in Delitzsch, nördlich von Leipzig, findet die Unteroffiziersausbildung vermutlich in einem der drei Feldwebel- und Unteroffizieranwärterbataillone in Sondershausen in Thüringen, Celle in Niedersachsen oder Altenstadt in Bayern statt. Feldwebel seien „die Seele der Führungsfähigkeiten einer Armee“, ließ sich Verteidigungsminister Pistorius am 15. Februar zitieren, um dann nachzulegen: „Und auch da sind wir ganz weit vorne.“[50] Neben der Bundeswehr und weiteren EU-Armeen nutzt auch die US Army ihre Standorte in Deutschland für eine kontinuierlich wachsende Trainingsmission. US-Ausbildungsmission in Europa – Deutschland im Zentrum Anfang Februar 2022, kurz vor Kriegsbeginn, verließen rund 150 Soldat*innen der Florida National Guard die Ukraine.[51] Sie stellten das damalige Kontingent einer seit 2015 existierenden US-Trainingsmission. Bereits während des ersten Krieges im Donbass hatten die US-Streitkräfte die Joint Multinational Training Group Ukraine eingerichtet,[52] um reguläre ukrainische Soldat*innen und Spezialkräfte nach NATO-Standards auszubilden. Koordiniert wurde die Mission durch das 7th Army Training Command – dem Ausbildungskommando für die US-Landstreitkräfte in Europa mit Sitz in Grafenwöhr bei Nürnberg. Enge Verbindungen zwischen ukrainischer und US-Armee entstanden zudem bereits zwischen 2003 und 2008, als die Ukraine mit bis zu 1.700 Soldat*innen eines der größeren Kontingente für die US-Aufstandsbekämpfungsmission im Irak stellte.[53] Noch im Februar 2022, parallel zum Abzug der US-Truppen aus der Ukraine, übernahm das frisch nach Europa eingeflogene Dreisternekommando, 18th Airborne Corps, die Koordination der US-Unterstützung der Ukraine von Wiesbaden aus.[54] Bevor die Truppen aus Florida im August 2022 Europa über den Atlantik Richtung Heimat verließen, hatten sie ihre Trainingsmission auf dem US-Truppenübungsplatz bei Grafenwöhr in Bayern neu eingerichtet.[55] Seit dem 29. April 2022 findet dort die Ausbildung an modernem US-Kriegsgerät statt, das kurz darauf in die Ukraine geliefert wird.[56] Diese auf der Basis vorheriger Missionen und bestehender US-Standorte in Deutschland etablierten Strukturen wurden Ende 2022 grundlegend umgebaut. Am 4. November 2022 verkündete das US-Armeekommando für Europa und Afrika die „Einrichtung einer neuen Organisation, die sicherstellen soll, dass Amerika in der Lage ist, die Ukraine langfristig zu unterstützen.“[57] Geführt von einem Dreisternegeneral soll die neue Security Assistance Group-Ukraine die US-Militärhilfe von Wiesbaden aus koordinieren. Darunter fallen neben Waffenlieferungen und der Logistik des Transports an die ukrainische Grenze auch die Ausbildungstätigkeiten. Geführt wird diese neue Schaltzentrale durch das US-Streitkräftekommando (EUCOM) mit Sitz in Stuttgart. Aufbauend auf diesen neuen Strukturen wurde am 15. Januar 2023 eine deutliche Ausweitung des US-Ausbildungsprogramms in Europa verkündet. Bis dahin wurden in den gut zehn Monaten seit Kriegsbeginn insgesamt 3.100 ukrainische Truppen an westlichen Waffen durch die US-Army ausgebildet.[58] Die neue Zielgröße wird diese Zahlen bald in den Schatten stellen. Beginnend im Januar soll kontinuierlich in je fünf bis acht Wochen ein ukrainisches Bataillon mit 500 bis 800 Soldat*innen kampfbereit gemacht werden. Das erste Bataillon soll mit den modernen US-Schützenpanzern des Typ Bradley ausgestattet werden,[59] die Ende Januar 2023 auf den Weg nach Europa geschickt wurden.[60] Sobald die angekündigten Abrams-Kampfpanzer aus US-Beständen in Europa eintreffen ist davon auszugehen, dass auch ihre neuen ukrainischen Besatzungen in Grafenwöhr ausgebildet werden, um dann von Deutschland aus in das Kriegsgebiet in der Ukraine verlegt zu werden. Fazit: Per Ausbildung zur Kriegspartei Am 20. Februar 2023 besuchte der Verteidigungsminister dann die Panzertruppenschule in Munster und traf dort die ukrainischen Panzerbesatzungen wieder, die er zwei Wochen zuvor in Kiew verabschiedet hatte. Pistorius zeigte sich „beeindruckt, was sie in kürzester Zeit bereits gelernt haben.“[61] Unter der Überschrift „Vorbereitung für die Front“ heißt es in dem Bericht der Bundeswehr zum Truppenbesuch des Ministers: „Die Zeit drängt: Ende März werden die Panzer und ihre Besatzungen in die Ukraine verlegen [sic!]. Dann geht es für die Soldaten um das Überleben im Gefecht.“ Deutschland ist damit längst nicht mehr nur Waffenlieferant und Drehkreuz für Waffenlieferungen von Verbündeten, sondern neben Polen und Großbritannien auch eines der Zentren der Ausbildung ukrainischer Soldat*innen in Europa. Unabhängig von den Beteuerungen der Bundesregierung macht der direkte Zusammenhang von Waffenlieferungen, Ausbildung und den Kriegshandlungen in der Ukraine deutlich, dass Deutschland gemeinsam mit Verbündeten aus NATO und EU faktisch längst Kriegspartei in der Ukraine ist. Die Logistik des Krieges in der Ukraine reicht bis vor unsere Haustüren. Diesen Zusammenhang gilt es zu benennen und sich auch deshalb umso lauter und klarer gegen diese Kriegsbeteiligung und für ein Ende des Krieges einzusetzen. Denn wer auf die Sprache der Waffen setzt und die Diplomatie währenddessen zum Schweigen verdammt, spielt mit einem Feuer, das sich in Windeseile auch weit über die Schlachtfelder in der Ukraine hinaus verbreiten könnte. Anmerkungen [1] Merkur: Pistorius - Ukraine braucht jede Unterstützung, 01.02.2023, merkur.de. [2] Thomas Wiegold, Augen Geradeaus!: Erster Besuch von Pistorius in Kiew, 07.02.2023, augengeradeaus.net. [3] Ebd. [4] Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Sachstand - Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme, 16.03.2022, Seite 6, bundestag.de. [5] Christian Schalle: SWP-Aktuell - Waffenlieferungen an die Ukraine »Fahren auf Sicht« – auch was das Völkerrecht angeht, 07.02.2023, swp-berlin.org. [6] Christian Schalle: SWP-Aktuell, Seite 1, 07.02.2023. [7] Christian Schalle: SWP-Aktuell, Seite 4, 07.02.2023. [8] Christian Schalle: SWP-Aktuell, Seite 4-5, 07.02.2023. [9] Tagesspiegel: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“: Moskau fordert Klärung zu Baerbock-Aussage, 26.01.2023, tagesspiegel.de. [10] Deutscher BundeswehrVerband: Deutschland liefert Ukraine „Gepard“-Panzer – Union stellt umstrittenen Antrag zu Waffenlieferungen, 26.04.2022, dbwv.de. [11] Thomas Wiegold, Augen geradeaus!: Deutsche Panzerhaubitzen für die Ukraine, 06.05.2022, augengeradeaus.net. [12] Tagesspiegel: Artillerieschule der Bundeswehr: Ausbildung von Ukrainern an der Panzerhaubitze 2000 hat begonnen, 11.05.2022, tagesspiegel.de. [13] Bundeswehr: Panzerhaubitzen 2000 für die Ukraine – Ausbildung beginnt, o.D., bundeswehr.de; und SWR: Ukrainische Soldaten zur Ausbildung in Rheinland-Pfalz angekommen, 11.05.2022, swr.de. [14] Aachener Zeitung: Ukrainische Soldaten werden auch in Aachen geschult, 11.05.2022, aachener-zeitung.de. [15] Spiegel-Online: Ukraine erhält im Juli erste Gepard-Panzer aus Deutschland, 20.05.2022, spiegel.de. [16] NDR: Bundeskanzler Scholz besucht ukrainische Soldaten in Putlos, 25.08.2022, ndr.de. [17] ZDF, heute journal: 01.06.2022, zdf.de. [18] Ebd. [19] Stern: Ausbildung an Mehrfachraketenwerfer Mars II beginnt kommende Woche, 22.06.2022, stern.de. [20] SWR: Russische Spione an Bundeswehrstandort Idar-Oberstein?, 26.08.2022, swr.de. [21] BusinessInsider: Steckt Russland dahinter? Bundeswehr-Stützpunkt, an dem ukrainische Soldaten ausgebildet werden, mit Drohnen ausspioniert, 03.10.2022, businessinsider.de. [22] SWR: Ukrainische Soldaten sollen in BW für das Räumen von Minen ausgebildet werden, 08.09.2022, swr.de. [23] Richard Thomas, Army Technology: Operation Interflex: Ukrainian recruits prepare for war, 11.11.2022, army-technology.com. [24] Rat der Europäischen Union: Ukraine - EU startet militärische Unterstützungsmission, 15.11.2022, consilium.europa.eu. [25] Amtsblatt der Europäischen Union:Beschluss (GASP) 2022/1968 Des Rates vom 17. Oktober 2022 über eine militärische Unterstützungsmission der Europäischen Union zur Unterstützung der Ukraine (EUMAM Ukraine), 18.10.2022, eur-lex.europa.eu. [26] Rat der Europäischen Union: Ukraine - EU startet militärische Unterstützungsmission, 15.11.2022, consilium.europa.eu. [27] Bruxelles2: EUMAM Ukraine lancée mi-novembre. Objectif : 15.000 hommes formés avant le printemps (v2), 13.10.2022, bruxelles2.eu. [28] Bruxelles2: Géopolitique européenne – Défense. Diplomatie. Crises. Pouvoirs, 02.02.2023, bruxeles2.eu, [29] LinkedIn: Martin Bonn, linkedin.com. [30] Polskie Radio: Frankreich will ukrainische Soldaten in Polen ausbilden, 03.02.2023, polskieradio.pl. [31] Bundeswehr: Nachgefragt - Militärisches Training für die Ukraine, 17.02.2023, via: youtube.com. [32] Verteidigungsministerium: Bundeswehr übernimmt bei EU-Ausbildungsmission EUMAM koordinierende Rolle, 18.10.2022, bmvg.de. [33] Europäische Sicherheit und Technik: Die militärische Unterstützungsmission für die Ukraine, Interview mit dem Stellvertretenden Befehlshaber des Multinationalen Kommandos Operative Führung, Seite 35, November 2022. [34] Bundeswehr: Gefechtssimulationszentrum Heer, o.D., bundeswehr.de. [35] Bundeswehr: Gefechtsübungszentrum Heer, o.D., bundeswehr.de. [36] Bundeswehr: Nachgefragt - Neue EU-Ausbildungsmission für die Ukraine, 09.12.2022, via: youtube.com. [37] NDR: Ukrainische Soldaten zur Marder-Ausbildung eingetroffen, 27.01.2023, ndr.de. [38] Süddeutsche Zeitung: "Leopard"-Ausbildung startet, 13. Februar 2023, sueddeutsche.de. [39] Bundeswehr: Technikschule des Heeres, o.D., bundeswehr.de. [40] RedaktionsNetzwerk Deutschland: Deutschland liefert Marder-Panzer und Patriot-System an die Ukraine, 05.01.2023, rnd.de. 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