Es war der größte Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte: Die Bombe, die am Abend des 26.September 1980 um 22.19 Uhr am Haupteingang des Oktoberfests in München explodierte, riß 13 Menschen in den Tod. Arme und Beine lagen herum, Blutlachen bedeckten den Boden. Splitter des Mülleimers, in dem die Bombe gesteckt hatte, waren durch die Wucht der Detonation weit verstreut worden. Viele der über 200 Verletzten blieben schwer behindert oder mußten langwierig im Krankenhaus behandelt werden.
Doch keine zwölf Stunden nach der Explosion waren sogar die Löcher frisch geteert, die die Bombe in den Boden gerissen hatte. Das Geschäft auf der Festwiese in der bayerischen Landeshauptstadt mußte weitergehen. Der damalige bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß gab unterdessen die Parole aus, die Linken seien es gewesen. Die Bundestagswahl stand bevor – und der CSU-Politiker nutzte das Attentat, um den damaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum zu attackieren. Strauß warf dem FDP-Mann vor, mit seiner liberalen Haltung dem linken Terror Vorschub geleistet zu haben. Obwohl der Anschlag auf die Festbesucher völlig untypisch für die damals noch aktive »Rote Armee Fraktion« (RAF) war, die ihre Angriffe gegen Funktionsträger richtete, den Terror gegen die normale Bevölkerung jedoch ablehnte.
Wenig später sickerte die Information über den rechtsextremen Hintergrund des mutmaßlichen Attentäters durch: Der 21jährige Gundolf Köhler aus Donaueschingen hatte nachweislich Kontakt zur »Wehrsportgruppe Hoffmann« gehabt und war bei dem Anschlag selbst ums Leben gekommen. Der Zustand seiner Leiche ließ nur den Schluß zu, daß Köhler die Bombe zuletzt in der Hand gehalten hatte. Als klar war, daß es die Linken nicht gewesen sein konnten, wurde aus dem toten Geologie-Studenten ganz schnell ein Einzeltäter. Dies ist das offizielle Ermittlungsergebnis, an dem die Bundesanwaltschaft bis heute festhält – obwohl damals wichtige Spuren ignoriert wurden und sowohl Überlebende und ihre Anwälte als auch engagierte Journalisten und Gewerkschafter neue Ermittlungen forderten.
Die Sonderkommission »Theresienwiese« des bayerischen Landeskriminalamtes legte acht Monate nach dem Bombenanschlag ihren Schlußbericht vor: Köhler soll die Bombe selbst gebaut, transportiert und gezündet haben. Die Akten wurden geschlossen, die Bundesanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt 1982 ein.
»In den 57 Aktenbänden, die die Sonderkommission ›Theresienwiese‹ zusammengetragen hat, gibt es in der Tat genügend Hinweise auf mögliche Mitwisser und Mittäter Köhlers«, schrieb seinerzeit das Magazin Stern. Verschiedene Zeugen hatten unabhängig voneinander ausgesagt, Köhler noch kurz vor der Explosion mit mehreren anderen Personen am Tatort gesehen zu haben. Wenige Tage vor dem Anschlag war Köhler in der Nähe des Tatorts mit anderen jungen Männern in einem PKW aus Donaueschingen beobachtet worden, die mit einem schweren Gegenstand in einer weißen Plastiktüte hantierten. Die Zeugin kam selbst aus der Nähe von Donaueschingen und konnte sich sogar noch an das Kennzeichen erinnern. Das Verhalten der Männer interpretierte sie rückblickend als »eine Art Probe« für das Attentat.
Unmittelbar vor dem Anschlag soll Köhler auf der Verkehrsinsel vor dem Haupteingang der Festwiese mit zwei kurzhaarigen Männern in olivgrünen Parkas in eine Diskussion verwickelt gewesen sein. Zeuge Frank L. war sich seiner Sache sehr sicher, weil er schwul war und Köhler sein Interesse geweckt hatte. Erst nach hartnäckigen Suggestivfragen seitens der Polizei begann er an seinen Aussagen zu zweifeln. 1982 starb dieser Zeuge im Alter von nur 38 Jahren an Herzversagen. Bekannten zufolge soll er unter Angstsyndromen gelitten haben.
Polizeiarbeit von oben behindert
Wenn Gundolf Köhler kein Einzeltäter, sondern ein Kommandomitglied war, das kurz vor der Explosion einen Disput mit anderen Kommandomitgliedern hatte – wie es die Zeugenaussage nahelegt –, dann wäre seine Rolle unklar. Mutige, unbestechliche Tatort-Kommissare wären dem Hinweis nachgegangen und neugierig auf den Inhalt des Gesprächs gewesen; sie hätten nach weiteren Tatverdächtigen gesucht und sich vielleicht sogar die Frage gestellt, ob Köhler der Haupttäter war oder nur das schwächste Glied in der Kette.
Allerdings wurde die Polizeiarbeit auch durch den obersten bayerischen Verfassungsschützer Hans Langemann erschwert. Kaum lagen erste Erkenntnisse über den mutmaßlichen Attentäter vor, gab der Spitzenbeamte sie an die Zeitschrift Quick weiter.
Damit ruinierte er womöglich den »einzigen greifbaren Ermittlungsansatz in den Hintergrund der Tat«. Zu diesem Schluß kam der Münchener Journalist und Buchautor Ulrich Chaussy in seiner Recherche zum Oktoberfest-Anschlag.
Stunden, bevor erste vage Informationen über den mutmaßlichen Bombenleger an die Öffentlichkeit gelangten, schwärmten bereits Quick-Mitarbeiter in sein Heimatstädtchen aus und klapperten seinen Bekanntenkreis ab. Die zwei engsten Freunde Köhlers waren damit schon eingeweiht, bevor die Polizei mit ihren Ermittlungen in Donaueschingen begann. Als vermutlich wichtigste Zeugen für mögliche Tathintergründe hatten sie viel Zeit, sich auf den Besuch der Kripo vorzubereiten.
Erst sechs Tage nach dem Attentat nahmen sich die Ermittler den Studenten Wiegand vor, obwohl er als Sympathisant der rechtsextremen Szene galt. Einen weiteren Tag später suchten sie den Praktikanten Gärtner auf, der mit Köhler auf den Schlachtfeldern von Verdun nach alten Handgranaten gebuddelt haben soll.
Die Spur von Köhler führte auch zu Anhängern der seit kurzem verbotenen »Wehrsportgruppe Hoffmann«, die aussagten, bei ihnen sichergestellte Waffen stammten von einem Heinz Lembke, der in der Lüneburger Heide ein Waffenlager unterhielt. Dieses wurde allerdings erst ein Jahr nach dem Anschlag durch Zufall entdeckt – im Oktober 1981, als ein Waldarbeiter in der Nähe von Uelzen einen Grenzpfahl in den Boden rammen wollte, dabei auf eine verdächtige Kiste stieß und die Polizei holte.
Auf dem Areal, groß wie 125 Fußballplätze, fanden die Beamten 31 Erdverstecke, darin unter anderem 156 Kilo Sprengstoff, 230 Sprengkörper, 50 Panzerfäuste, 258 Handgranaten und 13 520 Schuß Munition. Forstwirtschaftsmeister Lembke entpuppte sich auf Anfrage als Inhaber der Depots. Als Rechtsextremer war der damals 44jährige amtsbekannt. Doch wie konnte er unbemerkt so viele Waffen horten, die offensichtlich aus Militärbeständen stammten?
Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete über den Fund am 9.November 1981, Bundeswehrgerät »versickere« im Untergrund – die Staatsschützer bekämen rechte Terroristen nicht in den Griff. »Unter den Ausrüstungsgegenständen, die jährlich bei der Bundeswehr verschwinden, sind Waffen besonders gefragt. Schon 1978 kamen vier Maschinengewehre, 15 Maschinenpistolen, 34 G3-Gewehre, 64 Pistolen und über 30000 Schuß Munition abhanden«, so der Spiegel-Bericht.
Die genaue Herkunft der Waffen in Lembkes Depots sei ebenso schwierig aufzuhellen wie das Umfeld seiner Mitstreiter und Hintermänner. In Untersuchungshaft hatte Lembke zwar umfangreiche Aussagen angekündigt, wurde aber in einer Vernehmungspause erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Die Herkunft der 1,4 Kilo TNT in der Oktoberfest-Bombe ist bis heute ebenso unklar wie die Beschaffenheit der Zünder.
Schloßherr Karl-Heinz Hoffmann
Die Wehrsportgruppe (WSG) von Karl-Heinz Hoffmann war im Januar 1980 vom Bundesinnenministerium als verfassungsfeindliche Organisation verboten und offiziell aufgelöst worden. Der damals 42jährige Neonazi hatte mit zum Teil sehr jungen Männern und vereinzelt auch jungen Frauen paramilitärische Übungen veranstaltet und residierte auf Schloß Ermreuth im Fränkischen. Mit Gundolf Köhler wollte Hoffmann nur flüchtig bekannt gewesen sein, so dessen Behauptung, als die Polizei ihn nach dem Oktoberfest-Anschlag vorübergehend festnahm. Nach zwei Tagen wurde Hoffmann wieder auf freien Fuß gesetzt.
Köhler sei an der Mitgliedschaft in der WSG interessiert gewesen, könne aber »bestenfalls ein motorisiertes Ausrücken und ein Biwak irgendwo im Felde mitgemacht haben«, sagte Hoffmann einige Wochen später in einem Interview. »Meine flüchtige Bekanntschaft mit Köhler liegt um Jahre zurück, mindestens bis zum Jahre 1976.« Köhler war demnach erst 17 gewesen, als Hoffmann ihm zuletzt begegnet war. Die Spiegel-Reporter versuchten den kaltgestellten WSG-Chef aus der Reserve zu locken. Seine bizarren Auftritte in Fantasie-Uniformen mögen sie dazu verleitet haben, ihn zu unterschätzen, denn es gelang ihnen nur punktuell. Hoffmann gab sich als zu unrecht verdächtigter Märtyrer, der dennoch einen kühlen Kopf behielt. Nach dem Münchener Attentat waren Wohnungen seiner mutmaßlichen Anhänger durchsucht worden, die Sprengstoff und Zündkapseln im Haus gehabt hatten. Darauf angesprochen, konterte Hoffmann, wenn man ihm »die Kontrolle über diesen Personenkreis« bei Strafandrohung versage, »kann man nicht acht Monate später hingehen und mir vorhalten, wenn in diesem Personenkreis irgendwas Strafbares gefunden wird«.
»Strauß verrät uns«
Im selben Atemzug machte Hoffmann Andeutungen über »einen größeren Kreis von Personen, die wir nicht haben erkennen lassen, die politisch stark motiviert waren«. Auch ließ er sich von den Reportern verleiten, damit zu prahlen, die WSG habe sogar Fallschirmjäger gehabt. »Es gibt schon Leute, die uns geflogen haben. Die will ich Ihnen aber nicht nennen«, erklärte Hoffmann auf die Frage, wie er die denn in die Luft gekriegt habe.
Finanziert haben soll sich die WSG über einen von Hoffmann initiierten Förderkreis, der etwa 400 Personen umfaßte – dies erklärte Staatssekretär Franz Neubauer im bayerischen Landtag auf die Anfrage von zwei Abgeordneten im Frühjahr 1979. Außerdem – das deckten Journalisten der Zeitung Die Neue auf – leistete die Truppe im mittelfränkischen Raum Wachdienste für zahlungskräftige Sympathisanten. Einem Bericht der Zeitschrift Quick zufolge soll Hoffmann monatliche Ausgaben zwischen 9000 und 10000 Mark gehabt haben.
Über den bayerischen Ministerpräsidenten und gescheiterten Kanzlerkandidaten der CSU sagte Hoffmann im November 1980: »Herr Strauß propagiert zu Wahlzeiten eine Politik mit Hilfe der nationalen Kräfte, stimuliert sie, wirft ein paar schöne Phrasen hin, aber hinterher verrät er sie wieder.« Strauß und andere CSU-Politiker hatten lange ihre schützende Hand über die WSG gehalten und bis zum Verbot immer darauf verwiesen, der Wehrsport an sich sei nicht strafbar.
An Hoffmanns Selbstdarstellung als »Opfer« hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings widerspricht er selbst vehement der Einzeltätertheorie. In einem Interview mit dem Filmemacher Marc Burth im Jahr 2010 ging Hoffmann davon aus, die Bombe sei ohne Köhlers Wissen ferngezündet worden.
Er weiß inzwischen, daß seine Wehrsportgruppe von V-Männern des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Einer davon, Walter Ulrich Behle, war Anfang Oktober 1980 mit Hoffmann in Syrien. Einem tunesischen Barkeeper erzählte Behle in Damaskus von dem Attentat. Wider Erwarten ging der Tunesier im März 1981 in Paris zur Deutschen Botschaft und erstattete Bericht. Vor Vertretern der Bundesanwaltschaft und der »Soko Theresienwiese« des bayerischen Landeskriminalamts gab er den genauen Wortlaut Behles wieder: »Ja, deswegen kann ich nicht mehr nach Deutschland zurück, wir waren das selbst.«
Beweismaterial vernichtet
Rechtsanwalt Werner Dietrich hatte bereits Anfang der 80er Jahre eine Familie vertreten, die beim Oktoberfest-Attentat zwei Kinder verloren hatte und damals schon nicht akzeptieren konnte, daß bei so vielen offenen Fragen die Aktendeckel geschlossen wurden.
Irgendwann im Laufe der Jahre hatten sie es aufgegeben. Zwei bei dem Anschlag verletzte Söhne waren erwachsen geworden, ihre traumatisierte Schwester hatte sich das Leben genommen, und die bei dem Anschlag verletzte Mutter war an Krebs gestorben.
Doch dann hörten die Überlebenden immer wieder von alten Kriminalfällen, die mit neuen kriminaltechnischen Methoden wie der DNA-Analyse aufgeklärt werden konnten. Bei einer der alljährlichen Gedenkfeiern trafen sie Werner Dietrich wieder – und beauftragten ihn erneut.
Im Dezember 2008 forderte Dietrich die Bundesanwaltschaft auf, die Asservate – darunter nach Aktenlage auch Teile einer Hand, die damals keinem der Opfer zugeordnet werden konnten und die daher als Hinweis auf einen zweiten Täter galt – mit neuen kriminaltechnischen Methoden zu untersuchen. Doch es war zu spät: Der Rechtsanwalt bekam die Auskunft, das Spurenmaterial sei schon 1997 vernichtet worden. Eine Wiederaufnahme der Ermittlungen lehne man ab, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Der heutige Kenntnisstand biete dazu »keinen Anlaß«.
Die Vernichtung der Asservate in einem so spektakulären Fall mag verwundern, denn immerhin geht es hier um mehrfachen Mord und Terrorismus. Wegen des Attentats auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Jahr 1977 erhob die Bundesanwaltschaft aufgrund einer DNA-Spur, die damals am Tatort sichergestellt wurde, im Jahr 2010 Anklage gegen Verena Becker...
Das italienische Muster
Der Schweizer Historiker und Geheimdienstforscher Daniele Ganser plädiert dafür, die mögliche Verbindung von Lembkes Waffenlager zu den »Stay Behind«-Gruppen der NATO-Geheimorganisation Gladio zu untersuchen, die im Kalten Krieg gegründet worden war, um im Fall einer sowjetischen Invasion den Guerillakampf in Westeuropa zu organisieren.
Dies erfuhr die Öffentlichkeit 1990, als Gladio in Italien aufgedeckt wurde. Nach juristischen Untersuchungen mußte der damalige Ministerpräsident Giulio Andreotti die Existenz des Netzwerks zugeben. Die »Stay Behind«-Aktivisten hatten offenbar eine andere Beschäftigung gesucht, als die sowjetische Invasion ausblieb. Von 1969 bis 1980 hatte es in Italien mehrere Bombenanschläge auf Bahnhöfe, Züge und belebte Plätze gegeben, bei denen insgesamt 245 Menschen starben und über 600 verletzt wurden. Allein beim Anschlag auf die Wartehalle des Bahnhofs von Bologna am 2. August 1980 hatte es 85 Tote gegeben. Die Attentate sollten Linken in die Schuhe geschoben werden, um Wahlen zu manipulieren und linke Regierungen zu verhindern. Italienische Rechtsextremisten sagten später aus, sie seien von einem internationalen Netzwerk gestützt worden, das die NATO koordiniert habe.
»Mit dem Wissen, daß es inszenierten Terrorismus gibt, müßte man eigentlich alle Terroranschläge, die es bisher gegeben hat, auch nach diesem Gesichtspunkt untersuchen und grundsätzlich nach jedem Terroranschlag auch in diese Richtung ermitteln«, sagt Daniele Ganser.
Anstelle der staatlichen Akteure haben dies Journalisten getan – doch deren Möglichkeiten sind begrenzt. Sie können zum Beispiel keine Beamten vorladen und ins Kreuzverhör nehmen. Sie können das nur immer wieder fordern. Ulrich Chaussy tut es bereits seit Jahrzehnten. 1985 erschien sein Buch »Oktoberfest – ein Attentat«. Später sichtete der Autor Tobias von Heymann bislang unbekanntes Material aus den Archiven des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), das sich für die bundesdeutschen Ermittlungen interessiert hatte, weil neonazistische Terrorgruppen nach Einschätzung des MfS auch die Sicherheit der DDR bedrohten. Unter anderem dokumentierte das MfS eine Überwachungsaktion mehrerer westdeutscher Landesämter für Verfassungsschutz gegen die Wehrsportgruppe Hoffmann – 22 Stunden, bevor die Bombe hochging. Im Rahmen der »Aktion Wandervogel« wurde ein Wagenkonvoi observiert, der über Österreich in Richtung Nahost fuhr. V-Mann Walter Behle, der später in Damaskus durch prahlerische Selbstbezichtigungen auffiel, war Teilnehmer dieses Konvois.
Heymanns Buch »Die Oktoberfest-Bombe« erschien 2008 – und veranlaßte Fraktionsmitglieder der Grünen im Bundestag zu einer Kleinen Anfrage. Wissen wollten sie unter anderem, ob den deutschen Behörden Erkenntnisse vorliegen, die einen Zusammenhang zwischen dem Oktoberfest-Attentat und dem Anschlag auf den Bahnhof von Bologna vom 2. August 1980 nahelegen. Die in vielen Punkten sehr dürftige Antwort der Bundesregierung vom 22. Juni 2009 bestätigt dies nicht. In der Vorbemerkung sind Gründe aufgezählt, warum die Beantwortung der über 300 Einzelfragen »nicht immer vollständig bzw. präzise möglich« sei – unter anderem wegen des seither vergangenen Zeitraums von fast 30 Jahren. Zudem äußere sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht zu Fragen, die Angelegenheiten der Länder betreffen.
Häufung von Jahrestagen
Der italienische Gladio-Skandal jährt sich in diesen Tagen zum zwanzigsten Mal – und fällt beinahe mit dem dreißigsten Jahrestag des Oktoberfest-Anschlags zusammen. Vielleicht war die deutsche Vereinigung der Grund, warum die Aufdeckung von Gladio in Italien hierzulande wenig Beachtung fand. Die Parallelen der italienischen Bombenanschläge zum Oktoberfest-Attentat hätten schon bei dieser Gelegenheit Anlaß für eine parlamentarische Untersuchungskommission sein können. Aber nicht nur diejenigen, die über die »deutsche Einheit« in unkritischen Jubel ausbrachen, sondern auch die deutschen Linken waren zu dieser Zeit zu sehr mit den Umwälzungen im eigenen Land beschäftigt und nahmen wichtige Ereignisse im Ausland kaum wahr – bis 1991 der Golfkrieg bevorstand.
Wichtige Massenmedien strickten damals ein simples Gut-Böse-Schema. Die in Italien schwer belastete NATO präsentierte sich als Gralshüter der Demokratie und des Weltfriedens. Als Inkarnation des Bösen erschien der irakische Präsident Saddam Hussein, den man zuvor im Krieg gegen den Iran unterstützt hatte. Nun war er mit der Besetzung Kuwaits den geopolitischen Interessen der USA in die Quere gekommen – und wurde von US-Präsident George Bush senior sogar als Wiedergänger Hitlers dämonisiert. Für die NATO hatte dies den angenehmen Nebeneffekt, daß Gladio nicht mehr im Fokus des öffentlichen Interesses stand. Bis heute sind NATO-Sprecher eine Stellungnahme zu den dunklen Machenschaften schuldig geblieben.
In diesen Tagen – kurz vor dem zwanzigsten Jahrestag der »deutschen Einheit« – thematisiert das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Doku-Dramen wie »Deckname Annett – Im Netz der Stasi« und dem fiktiven Sechsteiler »Weißensee« die tatsächlichen oder vermeintlichen Geheimdienst-Aktivitäten der DDR und drückt dabei kräftig auf die Tränendrüse. Eine Aufarbeitung der Machenschaften westlicher Geheimdienste im Kalten Krieg steht dagegen noch aus.
Zum dreißigsten Jahrestag des Oktoberfest-Anschlags mehren sich aber die Stimmen, die eine Wiederaufnahme der Ermittlungen fordern. Das Münchner Kulturreferat machte die offenen Fragen am 14. September zum Thema einer Podiumsdiskussion mit Ulrich Chaussy, der Kriminologin Prof. Dr. Monika Frommel und dem bayerischen Verfassungsrichter Dr. Klaus Hahnzog, der 1980 Kreisverwaltungsreferent der Stadt München war. Der SPD-Rechtsexperte Peter Danckert will Medienberichten zufolge nicht locker lassen, »bis das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen wird«.
Für weniger prominente Bürger war Kritik an der Einzeltätertheorie zeitweise eine teure Angelegenheit: Wegen »Verunglimpfung des Staates« wurde der presserechtlich Verantwortliche eines Flugblatts zum elften Jahrestag des Attentats zu einer Geldstrafe von zunächst 1000 DM verurteilt – später auf Intervention des Staatsanwalts in der Berufungsverhandlung zu 2000 DM.
Erst 1999 wurde das Urteil vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben.
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