Website WikiLeaks hält Regierungen und Konzerne in Atem
übersetzt von Jens-Torsten Bohlke, Brüssel
Havanna, 9. April 2010, Cubadebate. – Vor drei Monaten versandte WikiLeaks, eine Website voller Anklagen aus enthüllenden sensiblen Geheimdokumenten, eine Bitte um dringende Hilfe via Twitter: „Wir haben verschlüsselte Videos von US-Angriffen auf Zivilpersonen. Wir brauchen einen Supercomputer, um sie zu entschlüsseln“, so die Website, die sich selbst als „eine Geheimdienstagentur der Menschen“ bezeichnet und für viele eine Art „CIA des Volkes“ darstellt.
Es wird nicht erklärt, wie es geschah. Aber irgendwie schaffte es WikiLeaks in der erforderlichen Zeit an einem Supercomputer, ein am vergangenen Mittwoch verbreitetes Filmvideo von einem Angriff der US-Streitkräfte in Bagdad 2007 zu entschlüsseln. Bei jenem US-Angriff gab es 12 Tote, darunter zwei Mitarbeiter, der britischen Nachrichtenagentur Reuters. Das Video wurde zwei Millionen Mal bei YouTube angeschaut. Es wurde etliche hundert Male in Fernsehnachrichten gezeigt. (das Video ansehen)
Die Verbreitung des enthüllenden Videos aus dem Irak zieht heute viele Blicke auf die Website von WikiLeaks, die zuvor eher eine marginale Seite war. Sie ist bestrebt, geheime Information über die Regierungen und multinationalen Konzerne an das Licht zu bringen, dabei Geheimes und weitere vertrauliche Information aufzudecken und die Identität derer zu schützen, die dazu beigetragen haben, diese Informationen zugänglich zu machen. Dadurch ist diese Website zu einem Steinchen im Schuh der Regierungsbehörden in den USA und in aller Welt geworden. Mit dem Video von dem Angriff im Irak nähern sich die Zentren der Verbreitung vertraulicher Information weiter einer Form des investigativen und politisch aktiven Journalismus an.
„Man kann sagen, dass genau dies die Spionagedienste machen: investigativer Journalismus auf Niveau der Hochtechnologie“, so Julian Assange, einer der Gründer der Website von WikiLeaks. „Es ist Zeit, dass die Medien ihre Fähigkeiten auf zeitgemäßen Stand bringen.“
Assange ist ein aktiver australischer Journalist. Er gründete die Website WikiLeaks vor drei Jahren zusammen mit einer Gruppe von Aktiven und Fachleuten aus der IT-Branche. Seitdem hat WikiLeaks Belege über giftige Verseuchungen in Afrika, über die Protokolle aus dem US-Militärstützpunkt Guantánamo Bay, persönliche Mitteilungen aus E-Mails von Sarah Palin und anderes zum 11.September veröffentlicht.
Heute verfügt WikiLeaks über ein Team von fünf Vollzeit-Freiwilligen. Dies ließ Daniel Schmitt als Sprecher der Website verlautbaren. Und es gibt 800 bis 1.000 Menschen, auf welche das WikiLeaks-Team zurückgreift, wenn es Fachleute für Verschlüsselung, Programmierung und das Redigieren von Nachrichten braucht. Die Website macht kein Hehl aus ihrer Absicht, vertrauliche geschützte Informationen zu veröffentlichen. Assange äußerte, dass er sich sowohl als Journalist als auch als Aktivist sieht. Wenn ihn jemand zwingen würde, zwischen beiden Positionen zu wählen, dann würde er sich für die Position des Aktivisten entscheiden.
WikiLeaks brachte nicht nur das Video von 38 Minuten Länge, sondern es fügte ihm auch den Titel „Kollateraler Mord“ hinzu. WikiLeaks sagte, dass das Video ein Beweis des Abschlachtens „ohne Ansehen der Person“ und eines „Angriffs ohne Grund“ ist. (Die US Army ließ gestern verlautbaren, dass sie das Video prüfen und möglicherweise eine Untersuchung über den Zwischenfall wiedereröffnen würde.)
„Aus meiner humanitären Sicht konnte ich nicht glauben, dass es so leicht sein soll, dieses Chaos in der Stadt zu entfachen. Sofern sie nicht wussten, was da passiert war“, so Schmitt aus Deutschland am Montagabend in einem Interview.
Die Website bot auch eine 17-Minuten-Videoversion an, die viel öfter auf YouTube gesehen wurde als die vollständige Version. Die Kritiker sagen dazu, dass das Kurzvideo falsch ist, weil es nicht deutlich machen würde, dass die Angriffe inmitten von Auseinandersetzungen erfolgten, und dass einer der Männer einen Granatwerfer bei sich hatte.
Eine neue Diskussion
Während ein Medium vergebens versuchte, das Video bei den traditionellen Kanälen aufzufinden, entfachte WikiLeaks mit dem Verbreiten dieses Videos die Diskussion um die Rolle des Journalismus im digitalen Zeitalter. Denn während Richter und Kläger die Veröffentlichung durch Gerichtsbeschlüsse stoppen oder aufschieben können, existiert WikiLeaks im digitalen Raum und macht die Information sofort öffentlich zugänglich.
Zweieinhalb Jahre lang hat Reuters vergeblich versucht, das Video aus dem Irak zu bekommen. WikiLeaks weigert sich, etwas darüber zu äußern, wie es zu diesem Video gekommen ist, und spielt lediglich auf „unsere wertvolle Quelle“ an.
Assange sagte, dass „investigative Einrichtungen“ sich angeboten haben, das Video zu entschlüsseln. Aber er wollte nicht sagen, wie sie es erhalten haben. Nach dem Entschlüsseln schickte WikiLeaks zusammen mit einem Fernsehkanal aus Island am vergangenen Wochenende zwei Leute nach Bagdad, um Information über das Gemetzel zu sammeln. Dies mit einem Kostenaufwand von 50.000 Dollars.
WikiLeaks veröffentlicht sein Material auf seiner Website, welche auf einigen Dutzenden Servern in aller Welt platziert ist. Darunter in Ländern wie Schweden, Belgien und den USA. Das WikiLeaks-Team hält diese Länder für freundlich gegenüber Journalisten und Sammlern bestimmter Dokumente, laut Schmitt.
Dadurch, dass WikiLeaks überall und nirgends im konkreten zu orten ist, befindet sich WikiLeaks außerhalb der Reichweite irgendeiner Einrichtung oder Regierung, wenn da jemand WikiLeaks zum Schweigen bringen will. Aber weil WikiLeaks nur dank Spenden überlebt, heißt es dort, dass man viel kämpfen musste, um die Server online zu halten. WikiLeaks fand moralische, aber nicht finanzielle Unterstützung beim britischen The Guardian.
Am Dienstag bestätigte WikiLeaks, ein weiteres Video entschlüsselt zu haben, welches einen US-Angriff in Afghanistan zeigt, durch welchen 97 Zivilpersonen im vorigen Jahr getötet wurden. WikiLeaks nutzte diese Mitteilung zur Bitte um Spenden.
Je mehr Material WikiLeaks veröffentlicht, umso polemischer wird WikiLeaks zugesetzt. (Die US Army stufte WikiLeaks als eine Bedrohung ihrer Handlungen ein, wie sie in einem Bericht im Februar 2010 äußerte.) Viele Stellen haben bisher versucht, die Seite zum Schweigen zu bringen.
In Großbritannien ist WikiLeaks oft benutzt worden, um Gerichtsbeschlüssen über bei Gerichten anhängigen Publikationen auszuweichen, wenn dort gerichtlich entschieden wurde, dass dieses Material die Privatsphäre der verwickelten Personen verletzten würde. Die Gerichte müssen nun den Rückwärtsgang einlegen. Denn sie stoßen auf die absolute Unwirksamkeit ihrer Anordnungen.
Übersetzung für Cubadebate von Mirta Rosenberg
Quelle: http://www.cubadebate.cu/
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen