Donnerstag, 7. Januar 2010

Werner Braeuner: Zauberorte

Werner Braeuner wurde 2001 wegen Totschlags am Verdener Arbeitsamtdirektor zu 12 Jahren Haft verurteilt. Werner greift auch unter den sehr beschränkten Bedingungen der Haft nach wie vor in die gesellschaftliche Diskussion um Arbeit und Arbeitszwang mit schriftlichen Beiträgen ein. Die vorliegende öffentliche Erklärung stammt von April 2007. Darin nennt er Bedingungen für seine Rückkehr in die Freiheit - nämlich die Beendigung aller arbeitsmarkt -und sozialpolitischen Zwangsmaßnehmen.

"Es gibt zahlreiche Wege, die sich dem Knast nähern.

Aufbauend auf der kulturpsychologischen Arbeit von Friedrich Nietzsche (1844 - 1900) und Erich Neumann (1905 - 1960) öffnet sich mit diesem Beitrag ein Blickfeld, das verblüffende Einsichten in den deutschen Strafvollzug bietet: Knast als Kulturort von Zaubermacht und Machtzauber.

Knast ist nicht, was er zu sein vorgibt, er schützt die Allgemeinheit nicht vor Kriminalität. Die Erkenntnisse der Kriminologie sind eindeutig; spezielle und generelle Prävention bzw. Abschreckung greifen nicht, da StraftäterInnen nicht aufgrund überlegter Wahl, sondern lebenssituativ handeln. Bei schwer persönlichkeitsgestörten bzw. verrückten StraftäterInnen muss Abschreckung durch Strafe ohnehin versagen, und Drogensüchtige wegsperren, ist nackter Mutwillen, ließe sich deren kriminelle Energie doch durch kontrollierte Abgabe synthetischen Heroins leicht neutralisieren.

Was die schwerte und organisierte Kriminalität betrifft, versagt Knast erst recht. Der Mafia-Jäger Roberto Scarpinato, leitender Staatsanwalt im sizilianischen Palermo, ehemals Chefankläger im Prozess gegen Giulio Andreotti und Schüler der 1992 ermordeten Anti-Mafia-Legende Falcone und Borsellino, steht seit 1988 im Kampf gegen die Mafia. Scarpitano meint, in Deutschland seien die rechtlichen Mittel, die organisierte Kriminalität einzudämmen, stumpf. Daher sei Deutschland prädestiniert gewesen, zum Ruhe- und Aktionsraum der Mafia zu werden. Scarpinato: "Die Gefahr für Deutschland besteht nicht darin, dass sich dort 100 oder 200 Mafioso tummeln, sondern darin, dass in Deutschland Gelder in Milliardenhöhe angelegt wurden und immer mehr Einfluss auf Wirtschaft und Politik nehmen (...) Ich nehme Bezug auf den Bericht des BKA, dem zufolge 2005 in Deutschland inkriminierte Güter im Wert von 93 Millionen Euro beschlagnahmt wurden. Nur zum Vergleich: Meine Dienststelle hat im selben Jahr Güter im Wert von 500 Millionen Euro konfisziert, und das allein in Palermo." ("Ich bleibe, um den Toten einen Sinn zu geben", FAZ von um den 10. - 15.12.2007)

Wenn das nun aber so ist, wie es ist, wozu dann dient Knast wirklich??? Hier sollen Knast und Strafe als Kult vorgestellt werden, als eine an eigens dazu eingerichteten Orten öffentlich vonstatten gehende szenische Demonstration eines machtvollen Zaubers und eines Machtzaubers, der sich alleine den gesellschaftlichen Eliten dienstbar machen will, da er allein ihnen den unmittelbaren Zugang zu seinem Wirkorte erlaubt - die zugleich anwesenden Gefangenen sind lediglich passive Kunststaffage, Statisten. Mit solchem Kult inszeniert sich die gesellschaftliche Elite, Arbeit & Kapital, als im Bunde mit überweltlicher Macht; es ist jener Bund zugleich Ursprungsmythos der drei großen monotheistischen, "abrahamitischen" Religionen Judentum, Christentum und Islam.

Mittels Kulthandlungen wird jener Ursprungsmythos auf jeweilige konkrete gesellschaftliche Gegebenheiten hin aktualisiert. Dazu wird sich durchweg der Figur eines mit strengen Zutrittsregeln und -sperren belegten "innersten Heiligtums" bedient, welches in den abrahamitischen Religionen unterschiedliche Formen gefunden hat.

Im Judentum der innerste Bereich des Tempels, das "Allerheiliogste", das die Bundeslade beherbergte, im Islam die Kaaba in Mekka, eventuelle ebenso die durch Verhüllung und Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben zu außer- bzw. überweltlichen Orten gemachten Frauen - wenn auch in hoch widersprüchlicher, da patriarchaler Weise; im Christentum der den Altar umgebende Bereich, der im vorreformatorischen Kirchbau durch den "Lettner", eine viele Meter hohe Mauer, gegen das Langschiff des Gebäudes hin und so gegen Blicke und Zutritt seitens der im Langschiff versammelten Beherrschten hermetisch abgeriegelt war, wie eine Skizze des Grundrisses jenes Kirchbaus zeigt.

Im Chorgestühl saßen Repräsentanten der Elite; sie allein hatten Priester, Altar und Kulthandlungen unmittelbar vor Augen. Eine oben auf dem Lettner befindliche Person signalisierte den Beherrschten per Handzeichen, welche Rituale von ihnen zu vollführen waren. Die Beherrschten erfuhren so, welche Kulthandlungen gerade hinter dem Lettner vollzogen wurden. Im Zeitalter der Moderne, seit der Französischen Revolution, folgen das Gefängnis, seine Personale und seine verfahrenen Verfahren dem Modell der Kultfeier im hier skizzierten Kirchbau. Nun allerdings umschliesst der Lettner das innerste Heiligtum allseitig in Form einer mehrere Meter hohen Gefängnismauer.

Jene überweltliche Macht, mit welcher der Christenpriester im innersten Bereich in kultischen Verkehr tritt, entäußert sich dort in Form eines Zaubers, theologisch als "Transsubstantion", deutsch "Wandlung", bezeichnet: Brot und Wein verwandeln sich in den Leib des Gottessohnes Christus, selbst ein Gott - also verwandeln sich Brot und Wein in einen Gott. Schon im Mittelalter wurde dies bespottet, der priesterliche Zauberspruch "Hic est corpus" (dies ist der Leib) wurde durch ein auf den Priester zielendes "Hoc est porkus" (jener ist ein Schwein) ergänzt, woraus späterhin "Hokuspokus" sowie das Schimpfwort Schweinepriester wurden. Brot und Wein, etwas Weltliches bzw. Materielles, werden in einen Gott verwandelt, in etwas Überweltliches, Geistiges. Mehr noch wird zugleich Böses in Gutes verwandelt, denn das Weltliche gilt im Christentum dem "Herrn der Welt" zugehörig, eine dort gängige Bezeichnung für den Teufel.

Der Christenzauber wandelt eine Substanz in eine andere um, Materielles in Geistiges, Böses in Gutes. Solche Alchemie durchwirkt die christlichen Kulturen und die aus ihnen hervorgekommenen modernen Gesellschaften bis in sämtliche Aspekte. Zum Beispiel wandelt die kapitalistische Produktionsweise materielle Menschenleiber bzw. die von ihnen entäußerte Arbeit in etwas Nichtmaterielles, Abstraktes, Geistiges um: in "Wert", Kapital, Geld.

Der heute noch von Staat und Justiz betriebene Knast- und Strafhokuspokus versucht sich in derselben Alchemie. Böse StraftäterInnen will er in gute Menschen bzw. brave StaatsbürgerInnen verwandeln. Brave StaatsbürgerInnen sind fleißige Arbeitskräfte, weswegen die Justizministerien unermüdlich die herausragende Bedeutung der Arbeit für die Wandlung - Verzeihung, bitte! - für die "Resozialisierung" herausstreichen: Ergebniskontrolle im Namen des Volkes - und tatsächlich applaudiert jenes moderne buntbraune demokratische Herdenvieh: Arbeit macht gut und Arbeit macht frei!

Je böser nun ein Straftäter geredet werden kann, um so eindrucksvoller kann der Wandlungszauber seine Macht demonstrieren. Überdies können die Staatlinge mit dem Hervorkehren des besonderen Bösen eines Bösewichts von ihrer eigenen und zunehmend offenen Gewalttätigkeit und Gefährlichkeit ablenken, wenn nur die Brutalität ihrer Arbeits- und Sozialpolitik gesehen wird.

der Mann auf dem Lettner sind heutzutage jene Medien, die staatstreu aus dem Knast über den Knast berichten, soeben erst Heribert Prantl, Chefredakteur der "Süddeutschen Zeitung", in Print und TV aus der neuen JVA Oldenburg über die neue JVA Oldenburg, ein Hochsicherheitsgefängnis, das geschmeichelt ist, wenn Medien es als "Alcatraz des Nordens" betiteln (ARD 2005). Prantls TV-Beitrag stellt den Anstaltsleiter Koop vor, einen bekennenden Katholiken und bekennenden Sauberkeitsfanatiker - Kultorte haben blitzsauber zu sein! - , der um so munterer und offener auf bestehendes Strafvollzugsrecht scheißt: Überwachung des Textinhalts postlicher und telephonischer Kommunikation bei allen Gefangenen, gemeinschaftlicher Vollzug von Untersuchungs- und Strafgefangenen und vieles andere mehr!

Im Beisein seiner MeßdienerInnen vom Sozialen und Psychologischen Dienst führt Koop einen wegen Totschlags verurteilten Gefangenen vor, indem er diesem vor der Kamera die dümmliche Frage stellt, ob das denn "in Zukunft noch einmal passieren" werde (gemeint ist der Totschlag) , woraufhin der dümmlich Bedrängte natürlich nur treuherzig beteuern kann, das werde es nicht. Als würde der Gefangene sich die Tat vorher genüsslich überlegt haben - Schweinepriester und ihre guten Schäfchen wissen um die Wahlfreiheit in der Entscheidung zu Gut oder Böse und so auch um die Chance durch alchemistischen Substanzenwandel. Das niedersächsische Justizministerium spricht ausdrücklich vom "Chancenvollzug".

Mitnichten leider ist der verdruckste Wille der Staatlinge zur Transsubstantion nurmehr eine Lachnummer. Sie nehmen ihre Sache todernst, ist jener Wille doch zugleich einer zur Macht bzw. zu deren Selbstvergewisserung in Zeiten kapitalistischer Großkrisen, welche jene Macht schwer anzuschlagen begonnen haben. Und so kann der Wille zur Transsubstantion jederzeit umschlagen in den zur Vernichtung: Sicherungsverwahrung auf unbestimmte Zeitdauer, Knast bis zum letzten Atemzug. Und dazu braucht es keine Straftat, sondern allein eine gerichtlich bestätigte Einschätzung als "gefährlich", sprich als böse.

Es reicht die willentliche Weigerung der bösen Substanz, sich in eine gute wandeln zu wollen, also willfährig an den vom Knast eingeforderten "Resozialisierungsmaßnahmen" teilzunehmen: psychologische Tests und Gespräche, "Soziales Training", "Anti-Aggressions-Training", "Gewaltfreie Kommunikation" oder gar ein langjähriger Aufenthalt in einer "Sozialtherapeutischen Anstalt".

Eine wissenschaftliche Evaluation all diesen faulen Zaubers gibt es nicht, auch nicht eine Statistik über die Rückfälligkeit von Strafgefangenen nach der Entlassung. Doch wird diese allgemein über 80% geschätzt, was als summerische Evaluation gelten kann und dem Resozialisierungshokuspokus ein schlechtes Zeugnis ausstellt.

Vielleicht liegt die Rückfallquote sogar wegen der Faulzauberei so hoch, niemand weiss Genaues. Die Gefangenen begreifen die Forderung nach Teilnahme nämlich als eine zur blinden Unterwerfung. Und nichts anderes bedeutet "Resozialisierung" tatsächlich! Am schlimmsten die Sozialtherapeutische Anstalt mit ihrer Jahre dauernden entgeisternden Schurigelei durch Sauberkeits- und Wohlverhaltensterror. "Da wirst du kaputtgemacht!" berichten die zahlreichen Abbrecher durchweg.

Kaputtmachen, vernichten - in seinem innersten Heiligtum herrscht das deutsche Volk unmittelbar, direkt und total. Knast ist die Fortsetzung der arbeits- und sozialpolitischen Zwangsmaßnahmen draußen. Doch wird im Knast nicht allein gedemütigt sowie seelisch und körperlich krank gemacht. Hier kann vernichtender gestraft werden als draußen, indem Menschen durch jahrelange sensorische und soziale Ausmergelung - im Falle einer Sicherungsverwahrung bis zum letzten Atemzug! - in groteske Schattenwesen verwandelt werden können.

Wem nach vieljähriger Haft einmal die Nerven aggressiv durchgehen, dem droht überdies verschärfte Haftfolter, die völlige Isolation in einer Sicherheitsstation. Um dem zu entgehen, nimmt ein beträchtlicher Teil der Langzeitgefangenen Beruhigungsmittel oder sonstige Psychopharmaka ein, welche ihnen vom Ärztlichen und Psychologischen Dienst geradezu aufgedrängt werden. Bedröhnte Gefangene sind pflegeleichte Gefangene.

Die Staatlinge weichen dem seelischen Druck durch die ihnen dienstlich obliegenden Grausamkeiten aus, indem sie mit immer grausamerem und blinderem Eifer Unterwerfung verlangen, sprich Teilnahme an Resozialisierungsmassnahmen.

Eine Psychologin der JVA Sehnde drohte offen, die Anstalt werde mir zum Anlass der gerichtlichen Anhörung über eine eventuelle vorzeitige Entlassung eine "ganz schlechte Stellungnahme schreiben", falls ich nicht an Massnahmen der Resozialisierung teilnähme. Das ein solches Verhalten kriminell ist, wird die Dame sicher nicht begreifen können. Schliesslich will sie doch nur das Gute bzw. meine Transsubstantiation.

Doch auch mit Blick auf die Braven unter den Gefangenen tun Justizvollzugsanstalten alles, damit sie nicht vorzeitig in die Freiheit entlassen werden können. Durchgängig berichten Gefangene von zusätzlichen Straftaten seitens des Anstaltspersonals mit dem Ziel, Gutachter und Gerichte zu täuschen, meist durch Aktenmanipulationen, die nahelegen können, ein Gefangener sei unwillig oder unfähig zur Transsubstantiation bzw. Resozialisierung.

In seinem innersten Heiligtum bricht sich der Irrsinn des Christenzaubers breite Bahn. Knast gewinnt mehr und mehr den Charakter eines Vernichtungsortes. Vom Leben hin zum Tode ist eben auch ein Substanzenwandel. Zauberauftrag erfüllt! So wie das Vorbild Christus Leib und Blut hingab für das ewige Heil... Christen und ihre moderne Nachkommenschaft namens Staatsuntertanen sind gefährliche Freaks und Irre. An ihren Zauberorten sollt ihr sie erkennen.

W.B."

1 Kommentar: