Das Buch von Xose Tarrio hab ich "brandneu" vom Literaturversand der Roten Hilfe erworben - laut Ankündigung gäbe es eine Einführung in das spanische FIES-Gefängnissystem. Nach Lesen stelle ich erstmal fest: das spanische FIES entspricht 100% dem deutschen Stuttgart-Stammheim.
Das Buch liefert eine Übersicht über das Leben von Xose in spanischen Gefängnissen, teilweise unvorstellbare Brutalität im Umgang der Schliesser mit den Gefangenen...
"... Am Nachmittag erhielt ich unangenehmen Besuch von einem Schliesser, den ich aus dem Gefängnis Zamora kannte. In jenem Gefängnis hatte er die Gelegenheit genossen, mich zusammen mit seinen Berufskollegen zusammenzuschlagen, und jetzt wollte er mich mit der Erinnerung an diese für ihn heldenhafte Tat unter Druck setzen.
"Was gibt's, Arschloch?", sagte er zu mir durch das Guckfenster. "Hast Du immer noch nicht gernug Prügel abbekommen? Heute habe ich Wache, pass also auf, denn beim kleinsten Anlass kriegst du eins drauf. Erinnerst du dich etwa nicht mehr an mich?"
Ich erinnerte mich bestens.
"Na klar erinnere ich mich an dich", antwortete ich und ging auf die Tür zu.
"Gut, ich will den ganzen Nachmittag über nichts hören, verstanden?"
Ich antwortete nicht auf diese Provokation. Eine Stunde nach diesem Besuch schlossen sie mir auf, damit ich auf dem Hof spazieren gehen konnte. In einem der Turnschuhe hielt ich ein selbstgemachtes Messer aus Eisen versteckt. Dieser Hundesohn würde seine offenen Rechnungen alle auf einmal bezahlen müssen. Ich brachte das Messer problemlos durch die Kontrolle, die man mir jedesmal angedeihen liess, wenn ich die Zelle verliess. Er befand sich in der Nähe der Tür zum Hof, dort ging ich hin. Auf seinem Gesicht stand das typische Mackertum jemandes geschrieben, der sich von seiner Uniform beschützt fühlt, von seiner Dienstmarke und von einem ganzen System; jemandes, der weiss, dass er straflos handeln kann, ohne Angst vor Recht und Justiz, denn wer wenn nicht er selbst war dort einziges Gesetz und einziger Richter? Er wollte mir gerade etwas sagen, als meine Faust auf sein Gesicht traf, was ihn nach hinten taumeln und zu Boden fallen liess. Völlig überrascht davon, dass ein Gefangener es gewagt hatte, gegen ihn zum Schlag auszuholen, rappelte er sich auf, ging auf die Wachstube zu und kam mit einem Knüppel bewaffnet wieder heraus.
"Jetzt kannst Du was erleben!" brüllte er wütend mit drohender Gebärde und warf sich auf mich.
Ich bückte mich, ging halb in die Knie und zog das Messer aus dem Schuh. Als er es sah, hielt er an, liess den Schlagstock los und hob die Hände, um mir zu zeigen, dass er sich nicht wehren würde. Sein Gesichtsausdruck war ein Gedicht: "Ruhig, Tarrio, bitte..."
Ich ging auf ihn zu, ergriff ihn am Hemd und zwang ihn, vor mir auf die Knie zu gehen. Ich stach mit dem Messer in Kopfhöhe auf ihn ein, und das Messer traf auf eine seiner Hände, mit denen er vor Schreck zitternd sein Gesicht schützte.
"Jetzt bist du nicht mehr so obercool, was?" schrie ich ihn an, ich war ausser mir. "Seid ihr nur mutig, wenn ihr in der Herde vor einem wehrlosen nackten Kind steht?" fügte ich hinzu und meinte die Prügel von Zamora.
"Beruhige dich, Mann, beruhige dich, wir werden das hier in Ruhe über die Bühne bringen, OK?" redete ein anderer Schliesser von der anderen Seite her auf mich ein.
"Mach keine Dummheiten, Tarrio, bitte beruhige dich..."
Ich sah meine Geisel an. Ich spürte den Wunsch ihn umzubringen, doch ich entschloss mich nicht dazu, aus Furcht vor den Konsequenzen, die diese Tat mir einbringen würde. Ich hatte immer noch Hoffnung, und ich würde Chancen haben, sie in die Tat umzusetzen. Deshalb liess ich ihn los.
"OK, du Schwein, diesmal kommst du noch davon. Falls du dich eines Tages rächen willst und es noch einmal wagst, mich zu verprügeln, schwöre ich, dass ich dich ohne Zögern umbringe. Ist das klar?"
"Ja, Tarrio, ich versprech's dir, alles klar..."
Ich ging zu meiner Zelle. Sie schlossen die Tür, und ich entledigte mich des Messers. Ich gab es über das Fenster an Caamano weiter. Ich legte mich auf das Bett, verstört und in gespannter Sorge darüber, was nun geschah. Nach einer Weile erschien eine grössere Gruppe Schliesser im Trakt, legte mir Handschellen an und brachte mich in eine andere Zelle. Weder schlugen sie mich noch drohten sie mir, sie beschränkten sich darauf, mich in eine andere Zelle zu stecken und mir so meine Sachen vorzuenthalten. Sie fragten mich nach dem Messer, und ich antwortete, ich hätte es das Klo hinunter gespült. Dann liessen sie mich allein, gefesselt in einer leeren Zelle. Später kam der Schliesser zu mir, auf den ich eingestochen hatte. Er hatte die Hand verbunden und kam in Zivilkleidung. Ich vermutete, sie hatten ihn krankgeschrieben. Wir redeten durch das Guckfenster miteinander.
"Sieh mal, Tarrio, ich weiß, dass das in Zamora nicht in Ordnung war, aber ich habe nur Befehle ausgeführt wie alle Beamten", entschuldigte er sich. "Was heute passiert ist, hat mich die Sache anders sehen lassen, wirklich. Ich habe mit meinen Kollegen geredet, damit sie wegen der Sache nicht zu Repressalien gegen dich greifen..."
"Gut", antwortete ich ihm, verwundert über seine Haltung.
"Wir alle werden mit der Zeit immer brutaler. Glaube nicht, dass es mir leicht fiele, hier so zu arbeiten, doch von irgendwas muss man ja leben."
"Es ist besser Hunger zu leiden als zu foltern, um es auszuschliessen", bekam er zur Antwort.
"Ja, aber irgendjemand muss diese Arbeit doch machen... Hör mal, an dem Messer war kein Blut oder so, oder? Ich sage das wegen HIV, du bist ja positiv..."
"Nein, es war sauber."
"Nun ja, ich muss los. Tut mir leid, dass alles so laufen musste."
"So ist das Gefängnis" antwortete ich und fasste damit alle möglichen Übel in diesem einen unheilvollen Begriff zusammen. Die Männer und Frauen dieser Welt täten gut daran, ihn an einem nicht allzu fernen Tag abzuschaffen."
S.302ff
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