Mittwoch, 27. November 2013
Verantwortung zum Krieg: Schwarz-Rote Weltmachtambitionen
IMI-Standpunkt 2013/065
http://www.imi-online.de/2013/11/07/3956/
Jürgen Wagner (Update 13. November 2013)
Auf etwa einem Dutzend Seiten haben die Verhandlungsführer von CDU/CSU
und SPD während der aktuellen Koalitionsverhandlungen die Marschroute
für die künftige Außen- und Militärpolitik niedergeschrieben. Laut der
FAZ (6.11.2013), die sich auf Quellen aus dem Verhandlungskreis beruft,
sei man sich darin in den meisten Punkten einig: „In der Außenpolitik
haben die Koalitionsunterhändler […] fast vollständig vom selben Blatt
gesungen. Die Positionen und Standpunkte […] unterscheiden sich nur noch
in ganz wenigen Punkten.“
Als wesentlichen „Fortschritt“ zu früheren Schwarz-Roten Papieren macht
der Artikel die inzwischen offen reklamierten Großmachtambitionen aus:
„Einen Unterschied zum Koalitionsfundament des Jahres 2005 markiert die
außenpolitische Präambel des aktuellen Entwurfes. Die Formulierungen
markieren einen Abschied von der Kultur außenpolitischer Zurückhaltung,
die frühere Grundsatztexte prägte. Stattdessen haben die Teilnehmer, wie
es aus der Verhandlungsrunde heißt, eine selbstbewusste Rolle
Deutschlands beschrieben, die mit dem Bekenntnis beginnt, die
Bundesregierung wolle die globale Ordnung aktiv mitgestalten.“
Natürlich kommen diese Töne nicht aus dem Nichts, worauf etwa
German-Foreign-Policy.com (7.11.2013) hinweist: „Die offensiven
Ankündigungen des gemeinsamen Strategiepapiers knüpfen unmittelbar an
jüngste Vorstöße aus Berlin an, die in den vergangenen Wochen ein
deutlich stärkeres deutsches Ausgreifen in alle Welt gefordert haben.“
Neben zahlreichen Journalisten wie etwa Klaus-Dieter Frankenberger
(IMI-Aktuell 2013/232) oder Sicherheitsexperten wie Markus Kaim
(IMI-Aktuell 2013/226), die die – angebliche – „Kultur der
Zurückhaltung“ geißelten, erwies sich vor allem auch Bundespräsident
Joachim Gauck als Wegbereiter des neuen deutschen Weltmachanspruches,
wie German-Foreign-Policy.com betont: „In enger Abstimmung mit dem
außenpolitischen Establishment in der deutschen Hauptstadt hat etwa
Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede zum diesjährigen
Nationalfeiertag erklärt, Deutschland sei ‚bevölkerungsreich, in der
Mitte des Kontinents gelegen und die viertgrößte Wirtschaftsmacht der
Welt‘; er lehne es ab, ‘dass Deutschland sich klein macht.‘"
Zuletzt übernahm ein von 50 führenden Vertretern des außenpolitischen
Establishments erstelltes Papier nahezu wortgleich diesen Gedanken. Der
vielsagende Titel des von „Stiftung Wissenschaft und Politik“ und
„German Marshall Fund“ veröffentlichten Papiers lautet: „Neue Macht -
Neue Verantwortung“. In dem zwischen November 2012 und September 2013
erarbeiteten Pamphlet heißt es etwa: „Deutschland war noch nie so
wohlhabend, so sicher und so frei wie heute. Es hat – keineswegs nur
durch eigenes Zutun – mehr Macht und Einfluss als jedes demokratische
Deutschland vor ihm. Damit wächst ihm auch neue Verantwortung zu.“
Deutschland habe ein großes Interesse an der Aufrechterhaltung der
internationalen Ordnung und habe hierfür als eine der Führungsmächte des
Systems künftig größere Verantwortung zu tragen, so die Kernaussage des
Papiers. Ein Dissens herrschte zwischen den einzelnen an der Erstellung
des Papiers beteiligten Exponenten deutscher Großmachtambitionen dabei
lediglich, ob militärische Gewalt ausschließlich mit einem Mandat der
Vereinten Nationen ausgeübt werden dürfe oder – natürlich nur im
„Ausnahmefall“ – auch ohne. Über die grundsätzliche Frage, dass nämlich
Störer des für Deutschland so hochprofitablen Systems gegebenenfalls
militärisch zur Ordnung gerufen werden müssen, herrschte traute
Einigkeit: „Da aber, wo Störer die internationale Ordnung in Frage
stellen; wo sie internationale Grundnormen (etwa das Völkermordverbot
oder das Verbot der Anwendung von Massenvernichtungswaffen) verletzen;
wo sie Herrschaftsansprüche über Gemeinschaftsräume oder die kritische
Infrastruktur der Globalisierung geltend machen oder gar diese
angreifen; wo mit anderen Worten Kompromissangebote oder
Streitschlichtung vergeblich sind: Da muss Deutschland bereit und
imstande sein, zum Schutz dieser Güter, Normen und
Gemeinschaftsinteressen im Rahmen völkerrechtsgemäßer kollektiver
Maßnahmen auch militärische Gewalt anzuwenden oder zumindest glaubwürdig
damit drohen zu können.“
All diese Überlegungen flossen nun in die Koalitionsverhandlungen ein,
wobei nicht der Fehler begangen werden sollte zu denken, die SPD müsste
hier zum Jagen getragen werden, wie etwa der Tagesspiegel (05.11.2013)
betont: „Zur Vorgeschichte des offensiven Ansatzes gehört, dass die SPD
in den vergangenen vier Jahren immer wieder kritisiert hatte, die
Außenpolitik unter Minister Guido Westerwelle (FDP) bleibe unter ihren
Möglichkeiten und nutze in Konflikten wie Iran, Naher Osten und Syrien
ihren Handlungsspielraum und ihren potenziellen Einfluss nicht aus.“[1]
Verhandlungsführer für die CDU ist Verteidigungsminister Thomas de
Maizière, der schon im Mai 2011 in seiner „Rede zur Neuausrichtung der
Bundeswehr“ die heutige Marschroute vorgab, als er sagte, der „Einsatz
von Soldaten“ könne auch dann erforderlich sein, „wenn keine
unmittelbaren Interessen Deutschlands erkennbar sind. Für andere
demokratische Nationen ist so etwas längst als Teil internationaler
Verantwortung selbstverständlich. Wohlstand erfordert Verantwortung.“
Doch dieses Gerede von der – militärisch umzusetzenden – internationalen
Verantwortung ist nichts anderes als der wenig verklausulierte Versuch,
mit der „Kultur der Zurückhaltung“ zugunsten einer auf Gewalt gestützten
Weltmachtpolitik endgültig aufzuräumen. So schreibt etwa der
Politikprofessor Gunther Hellmann in einem Beitrag für die
Internationale Politik, nach eigenem Bekunden „Deutschlands führende
außenpolitische Zeitschrift“, über die machtpolitischen Hintergründe
dieser Verantwortungsrhetorik: „Deutschland, so heißt es, hat
‚Führungsverantwortung‘ zu übernehmen. Eine ‚Kultur der Zurückhaltung‘,
wie sie in Bonner Zeiten verstanden wurde, ist mit einer derart
gewachsenen außenpolitischen ‚Verantwortung‘ nicht mehr vereinbar, sei
es im Kontext der EU oder in Afghanistan. […] Berlin sagt ‚Verantwortung
übernehmen‘, meint aber ‚Macht ausüben‘.“
[1] Westerwelle setzte sich in einem Interview in der Welt (10.11.2013)
mit dieser Kritik auseinander und hielt ihr entgegen: „Ich bin in meinem
politischen Leben oft dafür kritisiert worden, dass ich mich mehrmals
gegen eine deutsche Beteiligung an militärischen Interventionen gestellt
habe. Aber wie ist denn heute die Lage im Irak? Oder in Libyen? Ich kann
nicht sehen, warum eine politische Reifung des wiedervereinigten
Deutschlands mit mehr militärischen Interventionen einhergehen muss.
Politische und diplomatische Lösungen haben für mich Vorrang. Wir
sollten bei der Kultur der militärischen Zurückhaltung bleiben. Deutsche
Außenpolitik ist Friedenspolitik. Die Pickelhaube steht uns nicht.“
--
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