von: Lucius Teidelbaum / Thomas Mickan | Veröffentlicht am: 26. Januar 2012
Am 14. Oktober 2011 wurde das Militärhistorische Museum in Dresden nach
einem Umbau wiedereröffnet. Im Folgenden finden sich zwei
unterschiedliche Sichtweisen und Bewertungen des Museums.
Ein Gang durch das Militärhistorische Museum in Dresden
von Lucius Teidelbaum
Im Juli 2010 kam es zum Skandal, als bekannt wurde, dass ein Mitarbeiter
des Dresdner Militärmuseums im NPD-Hausverlag „Deutsche Stimme“ ein Buch
veröffentlicht hatte. Wolfgang Fleischer (* 1952) hatte das Buch
„Sachsen 1945“ im Riesaer Verlag „Deutsche Stimme“ publiziert.
Fleischers Co-Autor ist Roland Schmieder, ein Oberst der Reserve, der
auch eine Zeit lang im Museum beschäftigt war. Fleischer selbst war seit
den Anfängen des Militärmuseums 1972 dessen ziviler Mitarbeiter.
Gegenwärtig ist er dort ein Fachgebietsleiter und hatte bisher laut der
„Sächsischen Zeitung“ (SZ) einen „tadellosen Ruf als Experte“. Ganz
stimmt das allerdings nicht. Der Fachgebietsleiter hatte bereits vor dem
Skandal im Juli 2010 in einer Ausgabe des braunen Magazins „Deutsche
Militärzeitschrift“ ein Interview gegeben.
Der Museumsleiter, Oberstleutnant Matthias Rogg, gab sich angesichts
dieser Tatsachen schockiert und die SZ zitiert ihn mit den Worten: „Das
ist uns alles äußerst unangenehm“. Immerhin wurde mit einer
Pressekonferenz reagiert, auf der Rogg klarstellte, dass das Museum sich
ausdrücklich von der „Deutschen Stimme“ distanziere. Die SZ gibt Rogg in
ihrem Bericht wieder: „Der Mitarbeiter sei nicht vom Dienst suspendiert,
‚wir haben den Fall zur gründlichen Bearbeitung weitergegeben. Die
Wehrbereichsverwaltung Ost in Strausberg übernimmt die juristische
Prüfung, das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Potsdam die
inhaltliche‘, so Rogg. ‚Erst danach können wir über weitere Maßnahmen
nachdenken.‘ Im für ihn schlimmsten Fall muss Fleischer wohl mit seiner
Entlassung rechnen.“ Solche Vorkommnisse ließen Schlimmes befürchten für
das neueröffnete Museum. Doch es kam anders.
Ein Militärmuseum als Ort der Reflexion
Die Zeiten verstaubter Dioramen, an denen Hobbystrategen vergangene
Siege und Niederlagen nacherleben können, sind offenbar vorbei.
Jedenfalls gilt das für das Militärmuseum in Dresden. Das neueröffnete
Militärhistorische Museum präsentiert sich als Ort der Reflexion. So
schreibt die „Neue Züricher Zeitung“: „Ein Militärmuseum im
Reflexions-Taumel. Erstaunlich. Man muss es gesehen haben.“ Das
offenbart sich bereits im Äußeren. Dem amerikanischen Stararchitekten
Daniel Libeskind ist es mit einem mehrgeschossigen Glas&Metall-Keil
tatsächlich gelungen, die traditionelle wilhelminische
Militärarchitektur aufzubrechen. Dieses moderne Bauelement hatte zu
Kritik aus den Reihen der extremen Rechten geführt. Man schwafelte von
einer „zweiten Bombardierung“ Dresdens. Dass der Architekt noch dazu ein
US-Jude ist, sorgte nochmal extra dafür, dass gewisse Personen Schaum
vor dem Mund hatten.
In der militär-affinen extremen Rechten findet sich allgemein eine
vehemente Kritik an dem Museums-Umbau. Seit letztem Jahr ist bekannt,
dass mehrere neurechte Offiziere die Reaktion von Campus, dem
Studierenden-Magazin der Bundeswehr-Universität in Neubiberg bei München
gekapert haben. Einer von ihnen ist der studierende Jung-Offizier Felix
Springer, Jahrgang 1988, der seit 2010 Autor für „Sezession im Netz“
ist. Die Online-Publikation „Sezession im Netz“ ist Bestandteil des
extrem rechten Thinktanks „Institut für Staatspolitik“ (IfS). Springer
beklagt sich in seinem Online-Beitrag auf „Sezession im Netz“ über den
Ist-Zustand der Bundeswehr: „Die in der Folge [gewisser
Traditions-Bereinigungen] künstlich durch Verbot und Weisung
herbeigeführte Verarmung der Bundeswehr an Traditionsbeständen aller Art
muß als in der Geschichte des deutschen Militärs einzigartig gelten.“
Auch über die äußerliche Umgestaltung schimpft Springer: „Zu behaupten,
man wolle nun in dieses vollkommen anorganische und nicht einmal
halbherzig gelebte Stückwerk befohlener Identität noch “einen Keil
treiben”, grenzt eigentlich an politisch-historische Nekrophilie.“
Überhaupt klagt Springer über das „identitären Trümmerfeld Bundeswehr“,
die „hippiesque anmutende Emotionalisierung“ und sieht das Problem in
der „seit Jahrzehnten bewußt und äußerst konsequent vollzogenen
Entmilitarisierung von Militär und Staat“. Springer lässt ahnen, wie er
sich ein Museum in seinem Sinne vorstellt: „Wo, wenn nicht im
bundeswehreigenen Museum, soll aus der deutschen Militärgeschichte
Identität für den tötenden und fallenden Parlamentssoldaten der
Gegenwart und Zukunft gewonnen werden, wo sonst soll er einen Begriff
von seiner historischen Aufgabe bekommen?“
Auch in der extrem rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ kritisiert ein
Autor die Neugestaltung des Museums. In der Ausgabe vom 6. Januar 2012
beklagt der Autor Johannes Meyer: „Sympathie oder freundliches Interesse
für den Gegenstand der Darstellung sucht man vergebens. […] Die
verbindende Klammer des Grundthemas Gewalt ermöglicht es dabei sehr
einfach, das Militär mit allem Negativen gleichzusetzen, das heute dem
Stichwort Gewalt zugeschrieben wird.“
Insgesamt hat der Umbau des dreigeschossigen Gebäudes mehr als 60
Millionen Euro gekostet und sollte schon 2008 fertig gestellt sein. Die
Eröffnung erfolgte dann aber erst im Herbst 2011. Die Ausstellung
beinhaltet mehr als 10.000 Exponate auf insgesamt 19.000m²
Ausstellungsfläche.
Das Museum gibt sich weltläufig, die Beschriftungen sind in Deutsch und
Englisch. Die neue Ausstellung wird einer modernen Museumspädagogik
durchaus gerecht. Der Kurator Gorch Pieken nannte es „ein
Denkstiftungs-, kein Sinnstiftungsmuseum“. Natürlich gibt es auch
moderne Elemente wie Videosequenzen und an einer Stelle gibt es auch den
„Geruch des Krieges“ nachzuschnuppern.
Die modernen Aspekte der Ausstellung äußern sich auch in der Beachtung
des Themas Frauen und Militär. Auch die Armee der DDR, die NVA, wird
ausreichend und kritisch vorgestellt. Der repressive Umgang mit den als
„Bausoldaten“ bezeichneten Wehrdienstverweigerern in der DDR wird
beispielsweise gut nachgezeichnet.
In der Konzeption der Ausstellung findet sich insgesamt eine Art
Zweiteilung. Die ersten beiden Stockwerke stellen chronologisch die
deutsche Militärgeschichte dar. Darüber werden verschiedene Aspekte der
Verbindung von Militärischem und Zivilem dargestellt, beispielsweise
„Militär und Mode“.
Die Betrachtung deutscher Militärgeschichte ist nicht eine rein
darstellende, sondern häufig auch eine eher kritisch einordnende. Kritik
an Krieg und Militär in der Ausstellung also durchaus seinen Platz. Die
kritischen Aspekte der Ausstellung sind auch nicht in eine Nische
abgeschoben worden oder wirken irgendwie pflichtschuldig hingestellt.
Die Kritik funktioniert auch über Gegenüberstellungen von
Kurz-Biografien. Da wird der Bundeswehr-Generalinspekteur einem
Kriegsdienstverweigerer oder der Matrose und Mitglied eines Soldatenrats
einem Generalquartiermeister gegenüber gestellt. Die Kriegsverbrechen
deutscher Armeen und der jeweilige politische Kontext wurden insgesamt
ganz gut eingebaut. Ebenso eine generell militärkritische Note.
Natürlich sind es keine höheren Weisheiten, aber wann hat man in
militärhistorischen Museen schon Sätze wie die Folgenden gelesen?
„Menschen erschaffen Waffen, um mit Gewalt ihre Interesse durchsetzen
oder sich gegen Angriffe zu verteidigen.“
„In jedem Krieg werden Menschen getötet oder körperlich oder psychisch
verletzt. Sowohl Waffengewalt als auch Erlebnisse können tiefe Wunden
hinterlassen.“
„In seiner letzten Konsequenz bedeutet Krieg die beständige Bedrohung
des Lebens.“
Spätestens die ausgestellten Prothesen in der Abteilung „Leiden im
Krieg“ oder die kritischen, modernen Kriegsfotografien entblößen für die
Besucher die hässliche Seite am Krieg. Selbst die offiziell gerne
verschwiegene Drangsalierung junger Soldaten auf der Stube findet in der
Ausstellung Erwähnung.
An einer Stelle finden sich auch Porträts von aktuellen Minen-Opfern aus
dem Kongo, Afghanistan oder Kambodscha. Das Deutschland inzwischen der
weltweit fünftgrößte Rüstungsexporteur ist, wird dann aber doch lieber
nicht erwähnt.
Weniger kritisch sind auch Tafeln wie „Bewährung im Inland“, wo es
heißt: „Ob in Zukunft die Bundeswehr unterstützende Funktionen bei
polizeilichen Aufgaben übernimmt […] ist jedoch sehr umstritten.“ Eine
generelle Möglichkeit scheint der Inlandseinsatz also schon zu sein.
Fazit: Antimilitarismus made by Bundeswehr?
Im Grunde stellt das Militärhistorische Museum den eigentlich
unmöglichen Versuch dar, das Zivile mit dem Militärischen auszusöhnen.
Das funktioniert darüber, dass das Museum als Bundeswehr-Einrichtung
nicht erkennbar ist. Selbst die Hoheitssymbole der Armee fehlen im
Eingangsbereich weitgehend. Die Konzeption der Ausstellung entspricht
der einer modernen Museumspädagogik und ist damit entsprechend kritisch.
Das Museum ist jedenfalls eher keine Werbung für den Dienst an der
Waffe. In Teilen konterkariert die Ausstellung die Selbstvermarktung der
Bundeswehr als ganz normaler „Job“ unter anderen. Wer die Ausstellung
durchwandert hat, dürfte eher weniger Lust auf den Dienst in der
Bundeswehr verspüren als vorher. Ob so ein Effekt ursprünglich im Sinne
der Bundeswehr war?
Anmerkungen
[1] Oliver Reinhard: Verlagswechsel ins Abseits, in: Sächsische Zeitung
vom 16. Juli 2010.
[2] Joachim Güntner: Dieses Haus der Gewalt hat nicht seinesgleichen,
Neue Zürcher Zeitung vom 15. Oktober 2011.
[3] Felix Springer: Militärgeschichte ohne Identität – das neue
Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden,
http://www.sezession.de/29753/militargeschichte-ohne-identitat-das-neue-militarhistorische-museum-der-bundeswehr-in-dresden.html
[4] Johannes Meyer: Keine Sympathie für das Militär, in: „Junge
Freiheit“ Nr. 02/2012 vom 6. Januar 2012, Seite 6
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Wenn der Kontext das Problem ist: Das Militärhistorische Museum der
Bundeswehr in Dresden
von Thomas Mickan
Kein Mensch käme auf die Idee, den Hund die Wurst bewachen zu lassen
oder den Bock zum Gärtner zu machen. Doch eben jene sprichwörtliche
Torheit ist mit der Neukonzeption des „Militärhistorischen Museums der
Bundeswehr“ in Dresden (MHM) begangen worden. Die Gelegenheit blieb
ungenutzt, dem architektonischen Bruch von Daniel Liebeskind ebenso
einen Bruch mit der institutionellen Geschichtsschreibung durch das
Militär an diesem traditionsreichen Ort beizufügen. Auch wenn der
Direktor des MHM, Oberst Matthias Rogg, zu betonen sucht, sein Museum
folge keiner „ideologischen Leitlinie“[1] , zeigt sich bei einem
Rundgang durch die Ausstellung schnell, wie wenig der Direktor sein
Museum zu kennen scheint. Dies betrifft weniger den historischen
Rückblick bis zum Ende des Kalten Krieges, jedoch umso mehr die
Darstellung jüngster deutscher Militärgeschichte und die
zeitungebundenen thematischen Museumsareale (z.B. „Krieg und Spiel&ldquo
wink2.gif. Die folgenden Ausführungen sollen skizzieren, wie die institutionelle Geschichtsschreibung
sich als strukturelles Problem einer „kritischen und differenzierten“ Ausstellungsgestaltung
darstellt. Sie beruhen auch auf den Beobachtungen eines persönlichen Museumsbesuchs Ende 2011.
Kontextualisierung und Wertsetzung
Weder ein Armee- oder Kriegsmuseum wie in vergangenen Tagen möchte das MHM mehr sein, noch militärische Gewaltmittel als Heilssymbole verehren oder gar Kriege verherrlichen. Diesem alten Militarismus wurde abgeschworen. Vielmehr solle eine „kritische, differenzierte und ehrliche Auseinandersetzung mit Militär, Krieg und Gewalt“[2] erfolgen. Als Anspruch steht dabei die Bemühung, die Exponate so zu hinterfragen, dass sie eine möglichst differenzierte Kontextualisierung erfahren. Direktor Rogg, gefragt nach seiner Reaktion auf die Kritiker_innen militärischen Pathos‘, umschreibt diese aufklärende Kontextualisierung so: „Weil wir die Dinge dekonstruieren. Das ist Teil unserer Inszenierung, nicht einfach unreflektiert übernehmen, sondern in ihrer Dekonstruktion befragen.“[3]
Doch genau in dieser vermeintlichen Dekonstruktion und Kontextualisierung des Militärischen liegt gleichsam eine Rekonstruktion neuer, neomilitaristischer Werte. In der Wertsetzung zerfällt so das Blendwerk angeblicher Ideologiefreiheit. Krieg wird in ihr als immerwährende conditio humana betrachtet. Schon am Eingang begrüßen die Clausewitzsche Erstausgabe von „Vom Kriege“ sowie eine Videoinstallation des Künstlers Charles Sandison. Clausewitz bezeichnete den Krieg als Chamäleon: sich immerzu ändernd, aber nie verschwindend. Sandison lässt die Wörter Liebe
(„love&ldquowink2.gif und Hass („hate&ldquowink2.gif auf einer Leinwand „Manöver“ vollziehen, sich jagen und so in einem endlosen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Krieg und Frieden treten.[4]
Von dieser ewigen Wiederkehr des Gleichen ausgehend, müsse der menschlichen Kriegs- und Gewaltneigung qualifiziert begegnet werden. Dieser notwendigen und daher umso ehrenvolleren Aufgabe stellten sich Menschen in Uniform unter Einsatz ihres Lebens. Das Militär sei damit stets und unlösbar in der Mitte der Gesellschaft verankert,[5]
Krieg wird zum Dienst am Gemeinwohl. In der Ausstellung umfassend ausgeweidet wird so z.B. der Kampf der Bundeswehr gegen das Oderhochwasser und wie ein roter Faden begleitet die Ausstellung der Verweis auf die militärischen Wegmarken etwa für zivile Technik, Mode oder Sprache. So entsteht der Eindruck, dass nicht – wie proklamiert[6]
– der Mensch im Mittelpunkt einer funktionierenden Gesellschaft stehe, sondern immer auch das Militär. Doppelte Zivilisierungsthese Im MHM wird die Entwicklung des deutschen Militärs als doppelte Zivilisierungsthese propagiert. Der erste Zivilisierungsprozess ist einer über die historische Zeit. Die Kriege vor dem frühen 19. Jahrhundert, die beiden Weltkriege samt ihrer Kriegsverbrechen und der Shoa sowie das Militärische in der DDR dienen dabei als negative Referenzpole, von denen die Bundeswehr abgesetzt wird. Diese stabilisierenden Narrativen der Vergangenheit werden so in letzter Konsequenz benutzt, um heutige militärische Gewaltausübung als schmerzhafte Lernerfahrungen darzustellen und so zu legitimieren. Dies führt direkt zu dem zweifelhaften Argument für Militäreinsätze gerade wegen der verheerenden deutschen Geschichte. Auch das zivilisatorische Hohelied auf die immer präzisere Technologie des Tötens, entworfen durch „militärische Planer und Rüstungsindustrie“,[7]
zeugt von einem Antizipationsvermögen der Zukunft, welches jeder Kriegshistoriker_in unwürdig ist. Die Schautafeln zu den „Friedensutopien“ und der vermeintlich kritische Rückblick auf die Drangsalierungsrituale junger Soldat_innen sollen wohl Zeugnis der Unerreichbarkeit eines friedlichen Endpunktes sein. Der zweite Zivilisierungsprozess erfolgt über geographische und kulturelle Räume. Wo dabei der zivilisierte Umgang mit Krieg und Gewalt verortet wird und wo der unzivilisiertere, bedarf leider keiner Erläuterung. Samuel Huntingtons These, der grundlegend verschiedenen und so notwendig konfliktträchtigen Kulturkreise, findet sich dann in auffällig suggestiver Form, lediglich mit einem Höflichkeitsfragezeichen versehen, in der Ausstellung wieder. Es gibt auch keine falsche Scheu, die Flüchtlingsleitern aus Ceuta und Melilla als sicherheitsrelevante Herausforderung des 21. Jahrhunderts darzustellen. Auf eine umfassende Kontextualisierung wird vom Museum aber an dieser Stelle dann doch verzichtet.[8] Umso weniger wird daran gespart, ein diffuses Bedrohungsbild im Zusammenhang mit dem Islam zu erschaffen. Zusammen ausgestellt werden dann z.B. ein Ausbildungshandbuch der Taliban neben einem Modell der Oper Idomeneo oder Zeitungen, in denen die „Mohammed-Karikaturen“ zu sehen sind. Die Vitrine wird unter dem Titel „Kriegsursachen“ dem Publikum offeriert. Nach der einseitigen Verdammung kriegerischer Gewaltursachen der „Anderen“, wird der Blick beim Thema „Leiden im Krieg“ auf das „Eigene“ gewendet. Während es auf der einen Seite die barbarische namenlose Masse ist, die für die „schlechten“ Kriege sich verantwortlich zeigt, erzählt der Themenparcours „Leiden“ individuelle Schicksale z.B. „die Metallsplitter aus dem Körper von Tony Ewert“, deutsches soldatisches Anschlagsopfer in Afghanistan 2003.[9]
Dies ist ein gelungener und wichtiger Teil der Ausstellung. Warum allerdings die durch Bundeswehrangehörige getöteten Menschen in Afghanistan und anderswo hier keine Erwähnung finden oder auch die möglichen Verstrickungen Bundeswehrangehöriger in Prostitution und Menschenhandel etwa auf dem Balkan, bleibt wohl das Geheimnis des richtigen Kontextes, für welches das MHM steht. Auch das für jedes Militär geltende soldatische Handwerkzeug des „Töten als Arbeit“[10] ,
welche die doppelte Zivilisierungsthese konterkariert, findet in Bezug auf die Bundeswehr im Abschnitt Leiden keine strukturelle Problematisierung. Veranlagung und Kontext Ein letztes Beispiel soll das generelle Problem des Kontextes für das MHM aufzeigen. Es ist die leichtfertige Vermischung der Kategorien Gewalt, Krieg und Militär. Im Museum scheint der Glaube zu herrschen, dass mit der Beweisführung einer kindlichen Veranlagung zur Gewalt sich quasi ein Automatismus zu Krieg und in dessen Folge zu Militär ergebe. Dass als Reaktion auf Gewalt – durchaus funktionell – zivil und gewaltfrei eine adäquate Antwort gegeben werden kann (Stichwort: Zivile Konfliktbearbeitung), scheint nicht in die suggerierte Seins-Genese des Militärs zu passen. Insbesondere im Themenparcours „Krieg und Spiel“ wird äußerst subtil versucht, diese Seins-Genese abzubilden. Da ist etwa der Papierflieger des elfjährigen Antons. Dieser „darf weder militärisches Spielzeug noch kriegerische Computerspiele besitzen. Er akzeptiert diese Regel, umgeht sie jedoch auf kreative Weise.“[11]
Als Beweis dafür, wird ein Papierflieger ausgestellt, welcher das Hoheitszeichen der Bundeswehr trägt. Was dieses Ausstellungsstück noch mit seriöser Museumsarbeit gemein hat, bleibt dahingestellt, ebenso wie die Antwort auf die Frage, warum es „differenziert und kritisch“ sei, das Eiserne Kreuz entgegen dem Verbot der Eltern als kreative Form des Widerstandes gegen den Pazifismus auf ein Stück Papier zu malen. In Reichweite von Antons Papierbomber befindet sich eine lange Vitrine, in welcher allerlei „militärisches“ Spielzeug stramm als Kolonne aufmarschiert. Kontextualisiert wird dies mit einem Zitat des Dresdner Lokalhelden Erich Kästner, in dem dieser freudig erregt aus seiner Kindheit und der eigenen Kriegsspielerei berichtet. Erklärend wird hinzugefügt: „So schreibt der Pazifist Erich Kästner…“. Warum ist es hier wichtig herauszustellen, dass selbst der „gute Pazifist“ Kästner als Kind Kriegsspielereien betrieb? Verleugnet Kästner etwa seine eigenen Leidenschaften im späteren Widerstand zum Krieg? Unkommentiert wird zudem in der Vitrine original Legospielzeug (Ritterfiguren) neben militärische, Legoähnliche Modelle (Panzer) gestellt. Dass es sich dabei um die „Nachahmerprodukte“ der Firmen Best-Lock bzw. Mega-Bloks handelt,[12] bleibt unerwähnt. Das positiv pädagogische Image der Firma Lego, welche explizit keine Modelle mit direktem Bezug zu aktuellen Kriegsgeschehen herstellt, wird für die Imagepflege der Militärspielerei instrumentalisiert. Die sonst so gepriesene Kontextualisierung ist eben auch immer vom passenden Kontext abhängig. Neomilitaristische Geschichtsschreibung Noch viele dieser detailliert kleinen oder umfassend großen problematischen Bezüge ließen sich finden. Die hier aufgeführten Beispiele wollen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben und gewiss wurde das eine oder andere beim persönlichen Besuch übersehen.[13]
Dennoch lässt sich ein zentraler Punkt festhalten. Der Anspruch des Direktors Matthias Rogg und seines Museums möchte es sein, „nicht eine historische Wahrheit, sondern mehrere Wirklichkeiten“[14] abzubilden. Doch wenn Wahrheit in Wirklichkeit transformiert wird, immunisiert sie sich gegen Kritik. Diese kann dann allzu einfach, als weitere Facette der Wirklichkeit abgetan werden. Sie läuft sogar Gefahr, selbst Bestandteil des eigentlich Kritisierten zu werden. Daher ist es entscheidend, die Wertgebundenheit des MHM und ihrer Protagonist_innen aufzuzeigen, die mit der strukturellen Aufstellung des Museums unauflöslich verbunden ist. Wer für sich Ideologiefreiheit in Anspruch zu nehmen sucht, erkennt bereits selbst seine eigene ideologische Belastung an. Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr hat als Wahrheit eine neomilitaristische Geschichtsschreibung gewählt. Wenn es sich, wie sein Pressesprecher Lars Berg betont, als „ein Schaufenster der Bundeswehr“[15] versteht, täte es gut daran, den eigenen Wertekanon und die eigene Wahrheit transparent zu markieren und gegebenenfalls zu hinterfragen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wie der Hund die Wurst bewachen kann oder der Bock zum Gärtner wird.
Anmerkungen:
[1] Rogg, Matthias (2011a): Museum ohne Pathos? Interview mit Wolfgang Donsbach, Oktober 2011. In: in medias res, Sendung von Dresdeneins. URL: http://www.youtube.com, [rev. 10.1.2012], Min: 7:14.
[2] Rogg, Matthias (2011b): Der historische Ort. In: Pieken, Gorch/Rogg, Matthias (Hrsg.): Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr. Ausstellungsführer. Dresden: Sandstein Verlag, S. 13.
[3] Rogg (2011a), Min: 12:12.
[4] Kilb, Andreas (2011): Ein Minenschaf zieht in den Krieg, FAZ am 13.10.2011, URL: http://www.faz.net, [rev. 11.1.2012].
[5] Pieken, Gorch (2011): Konzeption und Aufbau der Dauerausstellung. In: Pieken/Rogg a.a.O., S. 21.
[6] Ebd., S. 23.
[7] Protte, Katja (2011): Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. In: Pieken/Rogg a.a.O., S. 190-192.
[8] Ebd.
[9] Stilidis, Avgi (2011): Leiden im Krieg. In: Pieken/Rogg a.a.O., S. 97.
[10] Sönke, Neitzel/Harald, Welzer (2011): Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. Bonn: Bpb, S. 422.
[11] Vitrine: „Gefalteter Papierflieger mit Hoheitszeichen der Bundeswehr, Dresden 2009“.
[12] Ich danke Samuel Littig für diesen kenntnisreichen Hinweis.
[13] Zum Beispiel das Jackett Joseph Fischers vom Farbbeutelanschlag 1999 – kontextualisiert mit den Notizbuch eines deutschen Bundeswehrscharfschützen, der beobachtete wie durch Serben Vergewaltigungen begangen wurden. Im gleichen Ausschnitt des Notizbuchs findet sich auch der Verweis, dass der Soldat beim Papstbesuch 1997 in Sarajevo einen serbischen Heckenschützen erschoss! Ein Detail, welches zwar Aufnahme in den gedruckten Ausstellungsführer, jedoch nicht in die Ausstellung selbst gefunden hat, vgl. Pieken (2011), S. 35.
[14] Rogg (2011a), Min: 7:32.
[15] Berg, Lars (2011): Das Militärhistorische Museum Dresden – Interview mit Lars Patrik Berg (Pressesprecher des MHM), deinegeschichte.de, URL: http://www.youtube.com, [rev. 10.1.2012], Min: 4:30.
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